VwGH 2010/21/0423

VwGH2010/21/042317.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der A, vertreten durch Mörth Ecker Filzmaier Rechtsanwaltspartnerschaft in 8010 Graz, Herrengasse 22/II, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Ankara vom 29. September 2010, betreffend Verweigerung eines Visums, zu Recht erkannt:

Normen

32009R0810 Visakodex Anh6;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs2;
32009R0810 Visakodex Art58;
AVG §58 Abs2 impl;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §11;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
32009R0810 Visakodex Anh6;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs2;
32009R0810 Visakodex Art58;
AVG §58 Abs2 impl;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §11;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die 1991 geborene Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stellte am 22. September 2010 bei der österreichischen Botschaft in Ankara den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für die Dauer von 90 Tagen. Zweck der Reise sollte der Besuch ihres in der Steiermark lebenden Ehemannes, eines österreichischen Staatsbürgers, mit dem sie seit 8. Dezember 2009 verheiratet ist, sein.

Diesen Antrag wies die Österreichische Botschaft Ankara (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. September 2010 unter Verwendung des im Visakodex (Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009) vorgesehenen Formblattes ab. Dabei wurde durch Ankreuzen eines bestimmten Textfeldes (Punkt 9.) zum Ausdruck gebracht, dass nach Auffassung der belangten Behörde die Absicht der Beschwerdeführerin, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auszureisen, nicht habe festgestellt werden können.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Im Beschwerdefall war der nach seinem Art. 58 Abs. 2 grundsätzlich seit dem 5. April 2010 geltende Visakodex anzuwenden, der gemäß Art. 1 Abs. 1 die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum festlegt. Als unionsrechtliche Verordnung gilt der Visakodex unmittelbar.

Die angefochtene Erledigung leidet - wie in Erwiderung des diesbezüglichen Beschwerdevorbringens vorauszuschicken ist - nicht schon deshalb an einem Begründungsmangel, weil sie sich auf das Ankreuzen von Textbausteinen beschränkt, ohne auf den konkreten Fall Bezug zu nehmen und dazu Feststellungen zu treffen. Diese Vorgangsweise entspricht vielmehr - sofern der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im Akt nachvollziehbar ist - den besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden (vgl. § 11 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG und dazu grundlegend den hg. Beschluss vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0216) und steht auch mit dem - erst ab 5. April 2011 geltenden - Art. 32 Abs. 2 iVm Anhang VI des Visakodex im Einklang (siehe das hg. Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0344).

Die belangte Behörde gründete die Versagung des beantragten Visums erkennbar auf Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex, wonach ein Visum unter anderem dann zu verweigern ist, wenn begründete Zweifel an der vom Antragsteller bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen. Diesbezüglich findet sich auf dem Antrag ein handschriftlicher Vermerk, aus dem sich - in Verbindung mit der sonstigen Aktenlage - ergibt, dass das Visum nach Einschätzung der belangten Behörde nur der Umgehung diene, weil der Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihr Alter unter 21 Jahren die Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann nicht möglich sei. Dazu wird in der Gegenschrift noch vorgebracht, aus diesem Grund sei bereits ein am 24. Februar 2010 gestellter Visumsantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen worden. Damals habe sie angegeben, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen und in Österreich einen Deutschkurs besuchen zu wollen. Der vorliegende Antrag unterscheide sich nur in Bezug auf die Verpflichtungserklärung. Die belangte Behörde sei somit nach "Würdigung des gesamten vorliegenden Sachverhaltes" - insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin keine ausreichenden familiären und wirtschaftlichen Bindungen im Heimatland habe nachweisen können (im Antrag sei angegeben worden, dass der Ehemann und Ernährer in Österreich niedergelassen sei) - zu dem berechtigten Schluss gekommen, dass die Wiederausreise der Beschwerdeführerin nicht gesichert sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 29. September 2009, Zl. 2010/21/0344, mit der Auslegung des erwähnten, in Art. 32 Abs. 2 lit. b des Visakodex angeführten Verweigerungsgrundes befasst. Unter Bezugnahme auf Vorjudikatur hat er dargelegt, dass schon das Abstellen auf "begründete Zweifel" in der genannten Bestimmung deutlich mache, dass nicht ohne weiteres - generell - unterstellt werden dürfe, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig bleiben. Es werde daher konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung bedürfen und die Behörde könne die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig werde daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt seien, davon auszugehen sein, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen werde.

Dem hat die belangte Behörde bei der dargestellten Begründung nicht ausreichend Rechnung getragen, und zwar einerseits, weil sie der Beschwerdeführerin - ohne dass ein bisheriges fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten oder konkrete Anhaltspunkte für ein solches aufgezeigt worden wären - nur im Hinblick auf die (vorübergehend) fehlende Möglichkeit der Erlangung eines Aufenthaltstitels ohne Weiteres eine Umgehungsabsicht unterstellte, und andererseits, weil sie das Vorbringen zu den familiären Bindungen im Heimatsstaat nicht berücksichtigte. So hatte die Beschwerdeführerin bereits aus Anlass der ersten Antragstellung dargetan, dass sie mit ihren Eltern - der Vater sei berufstätig - zusammenlebe, und der Ehemann der Beschwerdeführerin wies in dem mit dem gegenständlichen Antrag vorgelegten Einladungsschreiben darauf hin, dass die Beschwerdeführerin nur 90 Tage bei ihm bleibe, weil sie in der Türkei eine kranke Mutter habe und diese wieder versorgen müsse. Diese Umstände hätte die belangte Behörde in ihre Überlegungen einbeziehen müssen, sprechen sie doch gegen die bezweifelte Rückkehrabsicht der Beschwerdeführerin. Im Übrigen hat die belangte Behörde ohne Begründung auch die Reservierungsbestätigungen betreffend den Hin- und Rückflug außer Acht gelassen (siehe dazu etwa das Erkenntnis vom 23. Oktober 2010, Zl. 2008/21/0483, mwN; vgl. idS zuletzt auch den Beschluss vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0289, und das schon genannte Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0344). Außerdem hat sie - worauf abschließend noch hinzuweisen ist - entgegen § 11 Abs. 1 letzter Satz FPG der Beschwerdeführerin auch keine Gelegenheit zu einer abschließenden Stellungnahme gegeben (zu dieser Pflicht auch nach dem Inkrafttreten des Visakodex siehe die schon erwähnten Entscheidungen vom 29. September 2011).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren auf gesonderten Ersatz der Umsatzsteuer findet darin keine Deckung und war daher abzuweisen.

Wien, am 17. November 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte