VwGH 2008/21/0200

VwGH2008/21/020029.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des N, zuletzt in D, vertreten durch Mag. Karin Sonntag, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Imbergstraße 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 25. Jänner 2008, Zl. Fr-614/07, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs3;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;
StGB §73;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs3;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;
StGB §73;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1963 geborene Beschwerdeführer ist kroatischer Staatsangehöriger und seit 10. Juni 1999 mit F. verheiratet. Dieser und den beiden gemeinsamen - 1987 bzw. 1993 geborenen - Kindern wurde im Mai 2002 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Im Hinblick darauf beantragte der Beschwerdeführer im Juni 2002 die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Diesem Antrag wurde Folge gegeben, zuletzt erhielt er eine bis 18. Mai 2009 gültige Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG".

Im März 2006 wurde der Beschwerdeführer in Salzburg verhaftet und in der Folge nach Deutschland ausgeliefert. Dort wurde er vom Landgericht Kleve mit Urteil vom 1. März 2007 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, er sei im Juni 2004 an der Durchführung zumindest eines Transportes von erheblichen Mengen Betäubungsmitteln - knapp 24 kg Marihuana und knapp 8 kg Ecstasy-Tabletten - aus den Niederlanden über die Bundesrepublik Deutschland nach Kroatien in der Weise beteiligt gewesen, dass er die Kurierin in den Niederlanden in Empfang genommen, den Kontakt zu den Lieferanten gehalten und letztendlich das Rauschgift in den Pkw der Kurierin geladen habe. Zu seiner Beteiligung sei der Beschwerdeführer angesichts einer nicht näher feststellbaren Belohnung bereit gewesen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen dieses Urteil Revision, die jedoch mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. August 2007 verworfen wurde.

Unter Bezugnahme auf die dargestellte Verurteilung und das im Urteil festgestellte strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 25. Jänner 2008 gegen ihn gemäß §§ 86 Abs. 1 und 87 sowie 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, dass vom Beschwerdeführer eine Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG ausgehe und dass das Aufenthaltsverbot ungeachtet des mit ihm einhergehenden Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Grunde des § 66 FPG zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 12. März 2008, B 431/08-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Dieser hat über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Die Zulässigkeit des gegenständlichen Aufenthaltsverbots wurde daher von der belangten Behörde zutreffend gemäß § 87 FPG am Maßstab des § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG - in der hier noch anzuwendenden Stammfassung - gemessen. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen "freizügigkeitsberechtigte" EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige - und (was hier Relevanz erlangt und den in diesem Zusammenhang geäußerten gleichheitsrechtlichen Bedenken des Beschwerdeführers von vornherein den Boden entzieht) auf Grund des in § 87 FPG enthaltenen Verweises auch gegen Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) von nicht "freizügigkeitsberechtigten" EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern - (nur dann) zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Der Ansicht der belangten Behörde, es sei bezüglich des Beschwerdeführers eine Gefährdungsprognose im Sinn der eben dargestellten Bestimmung zu treffen, tritt dieser in erster Linie damit entgegen, dass er die ihm vom Landgericht Kleve zur Last gelegte strafbare Handlung gar nicht begangen habe. Es sei daher Verfassungsbeschwerde an das deutsche Bundesverfassungsgericht erhoben worden und mit einer Aufhebung des Urteils des Landgerichtes Kleve zu rechnen. Angesichts dessen habe für ihn (den Beschwerdeführer) weiterhin die Unschuldsvermutung zu gelten.

Dem ist zunächst zu entgegnen, dass das Urteil des Landgerichtes Kleve bereits mit dem oben genannten Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 21. August 2007 rechtskräftig geworden ist. Die Erhebung der Urteilsverfassungsbeschwerde - die nur gegen letztinstanzliche, rechtskräftige Gerichtsentscheidungen in Frage kommt - vermag daran nichts zu ändern. Mit einer derartigen Beschwerde ist nämlich kein Suspensiveffekt verbunden, die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung wird nicht gehemmt (Hopfauf in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz12, Randnr. 149 und 191 zu Art. 93 GG).

Dass die deutsche Verurteilung den Voraussetzungen des § 73 StGB nicht entspreche - insbesondere, dass sie nicht in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sei -, bringt der Beschwerdeführer gar nicht explizit vor. Aber selbst wenn sein Argument gegen die Richtigkeit des Schuldspruches des Landgerichtes Kleve, es sei die Hauptbelastungszeugin T., auf deren Angaben dieser Schuldspruch gründe, kein einziges Mal persönlich in dem gegen ihn geführten Verfahren einvernommen worden, als Vorwurf einer Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zu deuten sein sollte, wäre für ihn in diesem Zusammenhang nichts gewonnen. Wie der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren selbst vorgelegten Verfassungsbeschwerde zu entnehmen ist, hat nämlich schon der Bundesgerichtshof in seinem erwähnten Beschluss vom 21. August 2007 ausgeführt, dass sich "aus den durch andere Beweismittel objektiv belegten Fakten … Folgerungen auf (drängen), die durch die Angaben der Zeugin T. letztlich lediglich bestätigt worden waren. Obwohl es sich bei der Zeugin T. um eine unmittelbare Tatzeugin handelt, hat das Landgericht bei dieser Sachlage seine Aufklärungspflicht … daher nicht verletzt, indem es deren Ladung im Ausland ablehnte". Die belastenden Angaben der Zeugin T. seien "in vollem Umfang durch andere Beweismittel abgesichert", trotz ihrer Abschiebung (aus Deutschland) könne bei dieser Sachlage "trotz der fehlenden Konfrontationsmöglichkeit das Verfahren als Ganzes nicht als unfair angesehen werden". Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen bestehen beim Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf das gegen den Beschwerdeführer abgeführte deutsche Strafverfahren keine Bedenken in Richtung Art. 6 EMRK (vgl. in diesem Kontext unter dem Aspekt der unterbliebenen Einvernahme beantragter Zeugen unter Hinweis auf Judikatur des EGMR auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Februar 2006, B 831/05, VfSlg. 17.760).

Entspricht die deutsche Verurteilung den Voraussetzungen des § 73 StGB, so muss sie der Beschwerdeführer im gegebenen Zusammenhang gegen sich gelten lassen und kann nicht mit Erfolg behaupten, er habe die Tat, derentwegen er abgeurteilt worden sei, nicht begangen. Das ergibt sich aus der unzweifelhaft auch auf § 86 FPG durchschlagenden Anordnung des § 60 Abs. 3 FPG, wonach eine für die allfällige Erlassung eines Aufenthaltsverbotes relevante Verurteilung auch dann vorliegt, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht. In einem solchen Fall muss derartigen Verurteilungen nämlich auch die für inländische Verurteilungen ohne weiteres bestehende Bindungswirkung zukommen. Aus dem hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2003, Zl. 2002/21/0087, in dem für die Annahme einer Bindung auf das Vorliegen eines "Anerkennungsund/oder Vollstreckungsvertrages" abgestellt wurde, ergibt sich nichts Anderes. In dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Fall waren die Voraussetzungen des § 73 StGB nämlich nicht erfüllt. Im Übrigen hat sich die dort untersuchte Rechtslage im Hinblick auf die basierend auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung mittlerweile erlassenen Rahmenbeschlüsse des Rates und das zur Umsetzung einzelner Rahmenbeschlüsse ergangene Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl. I Nr. 36/2004, zuletzt novelliert mit BGBl. I Nr. 134/2011), geändert (vgl. näher Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG, ÖJZ 2007, 98, Zeder, Gegenwart und Zukunft der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen in der EU, ÖJZ 2009, 992, oder Frenz, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, ÖJZ 2010, 905).

Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in der im Urteil des Landgerichtes Kleve dargestellten Art (insbesondere als Vermittler zwischen den Lieferanten des Suchtgifts und der Drogenkurierin und damit nicht bloß untergeordnet) aus Gewinnstreben am Schmuggel von knapp 24 kg Marihuana und knapp 8 kg Ecstasy-Tabletten beteiligt war. Im Hinblick darauf ist der belangten Behörde aber beizupflichten, wenn sie vor allem unter Hinweis auf die große Suchtgiftmenge und den vom Beschwerdeführer angestrebten finanziellen Vorteil zu dem Ergebnis gelangte, von ihm gehe eine maßgebliche Gefährdung im Sinn des oben wiedergegebenen § 86 Abs. 1 FPG aus. Dass der Beschwerdeführer nur eine einzige strafrechtliche Verurteilung aufweist und dass er sich erstmals in - bei Bescheiderlassung noch andauernder - Strafhaft befindet, vermag daran, entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht, nichts zu ändern. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, stellt Suchtgiftdelinquenz nämlich - auch nach unionsrechtlichen Maßstäben - ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht; auf einen allfällig durch Haft erfolgen Gesinnungswandel könne in derartigen Fällen erst nach einer entsprechend langen Zeit des Wohlverhaltens nach der Entlassung aus der Strafhaft geschlossen werden (vgl. zu beiden Gesichtspunkten etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 2010, Zl. 2010/21/0335, mwN.). Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer bezogen auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits 44 Jahre alt ist und im Falle seiner Entlassung aus der Haft - wie behauptet - umgehend eine unselbständige Beschäftigung aufnehmen könnte, kann insoweit zu keinem anderen Ergebnis führen. Anders als in dem dem hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2011, Zl. 2008/22/0831, zugrunde liegenden Fall reichen die Feststellungen der belangten Behörde hier aus, um im Sinn des Gesagten ihre Gefährdungsprognose im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG zu tragen. Der Vorwurf, dass sie nur auf die strafrechtliche Verurteilung allein - und nicht auf das konkrete Fehlverhalten - abgestellt habe, trifft nicht zu.

Im Grunde des § 66 FPG verweist der Beschwerdeführer auf die eingangs dargestellten Familienverhältnisse. Er habe mit Ehefrau und Kindern seit der erstmaligen Erteilung einer Niederlassungsbewilligung im Jahr 2002 bis zu seiner Verhaftung im März 2006 in häuslicher Gemeinschaft in Salzburg gelebt; außerdem sei er auch am österreichischen Arbeitsmarkt integriert gewesen.

Diese für die Integration des Beschwerdeführers sprechenden Umstände hat die belangte Behörde im Zuge ihrer Abwägung ohnehin berücksichtigt. Sie hat aber zutreffend auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Rechtsbrüchen der hier in Rede stehenden Art sowie - noch erkennbar - am Schutz der Gesundheit (vor den gesundheitsschädigenden Auswirkungen des Suchtgiftmissbrauchs) hingewiesen. Wenn sie im Blick auf das vom Beschwerdeführer gesetzte Fehlverhalten bei der Abwägung nach § 66 FPG seinen persönlichen Interessen an einem Aufenthalt im Bundesgebiet keinen Vorrang einräumte, so ist das im Ergebnis nicht zu beanstanden. Eine aus dem Aufenthaltsverbot resultierende Trennung von Ehefrau und Kindern ist in einem Fall wie dem vorliegenden im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 12. Oktober 2010). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer seit März 2006 in Deutschland verbüßte Haft auch schon bisher zu einer derartigen Trennung gekommen ist. Das relativiert auch den - nicht näher konkretisierten - Einwand, die Pflegegeld der Stufe 3 beziehende Ehefrau des Beschwerdeführers sei schwer krank und bedürfe seiner persönlichen Betreuung und Pflege.

Zusammenfassend ergibt sich, dass das bekämpfte Aufenthaltsverbot auch unter Bedachtnahme auf § 66 FPG keinen Bedenken begegnet. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. Februar 2012

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