VwGH 2008/22/0831

VwGH2008/22/083131.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Karin Sonntag, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Imbergstraße 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 20. August 2008, Zl. Fr-290/08, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein tunesischer Staatsangehöriger, heiratete am 14. Dezember 2004 in seinem Heimatland eine österreichische Staatsbürgerin. Im Jänner 2005 reiste er in Österreich ein und erhielt im Februar 2005 eine Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau, die zuletzt bis zum 8. Februar 2008 verlängert wurde. Ein weiteres Verlängerungsverfahren war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides anhängig.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Dem lag eine rechtskräftige Verurteilung des Landesgerichtes Salzburg vom 7. November 2007 zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten (davon sieben Monate bedingt) wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB sowie des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach den §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 und 106 Abs. 1 Z 1 StGB zugrunde. Dem Urteil zufolge hatte der Beschwerdeführer in der Zeit von Jänner 2005 bis 29. Juli 2007 und vom 11. August 2007 bis 9. Oktober 2007 wiederholt seine Ehefrau und deren zwei Kinder (geboren 1991 und 1994) durch die Äußerung, er werde ihnen den Kopf kaputtmachen, den Kopf umdrehen und auch, dass er sie umbringen werde, mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und im September und Oktober 2007 seine Ehefrau wiederholt durch die Äußerung, wenn sie die Polizei anrufe und von seinen Drohungen verständige, werde er mit ihrem Kopf Fußball spielen, sohin durch Drohung mit dem Tod, zu einer Unterlassung zu nötigen versucht.

Nach Wiedergabe des Urteilsspruchs führte die belangte Behörde aus, dass auf Grund dieser Verurteilung sowie des zugrundeliegenden Tatverhaltens eindeutig die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) vorlägen. Die gezeigte Verhaltensweise des Beschwerdeführers, vor allem auch gegenüber minderjährigen Kindern, verbunden mit der Androhung massiver Gewalt, lasse deutlich erkennen, dass es sich bei ihm um einen gefährlichen und unbelehrbaren Rechtsbrecher handle. Aus Präventionsgründen vor allem zum Schutz der moralischen Entwicklung Minderjähriger sowie zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit anderer sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unabdingbar und gesetzlich vorgesehen. Bei den "einzuhaltenden öffentlichen Interessen" seien vor allem die strikte Einhaltung der fremdenpolizeilichen Vorschriften sowie der Schutz der Bevölkerung vor weiteren schweren Rechtsbrüchen, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen und Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit der moralischen Entwicklung Minderjähriger, anzuführen. Auf Grund der vom Beschwerdeführer gezeigten Brutalität im Zusammenhang mit den von ihm begangenen Straftaten seien aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht abwendbar und handle es sich bei ihm laut Aktenlage um einen brutalen Rechtsbrecher ohne jede Hemmschwelle. Das öffentliche Interesse an einer Beendigung seines Aufenthaltes in Österreich sei sehr hoch, weil nur damit gesichert sei, dass von ihm künftig keine Rechtsbrüche mehr im Bundesgebiet begangen würden.

Mit näherer Begründung verneinte die belangte Behörde in der Folge gemäß § 66 FPG das Überwiegen privater und familiärer Interessen des Beschwerdeführers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Verhängung des Aufenthaltsverbotes. In diesem Zusammenhang führte sie unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer laut erstinstanzlichem (nicht rechtskräftigem) Scheidungsurteil vom 19. Dezember 2007 die Ehewohnung verlassen habe. Seit 21. Dezember 2007 sei er nicht mehr an der Adresse seiner Ehefrau gemeldet.

Auf Grund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin sei der Beschwerdeführer als Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG zu behandeln, sodass für ihn gemäß § 87 FPG die Bestimmung des § 86 FPG gelte. Die verhängte Maßnahme sei auch unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen zulässig, weil das Verhalten des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet, verbunden mit einer beharrlichen und massiven Missachtung der österreichischen Rechtsordnung auf dem Gebiet des Strafrechtes und des Fremdenpolizeiwesens eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die mündliche Androhung massiver Gewalt, vor allem gegenüber minderjährigen Kindern, lasse deutlich erkennen, dass bei ihm die Hemmschwelle vor derartigen Gewaltausbrüchen und Einschüchterungsversuchen sehr tief liege und jedenfalls dadurch die in den §§ 86 und 87 FPG geforderte Gefahr vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht seine strafgerichtliche Verurteilung, wohl aber das dieser zugrundeliegende Verhalten. Die Verurteilung habe sich ausschließlich auf die Zeugenaussage seiner Ehefrau gestützt. Es sei jedoch unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer seit Jänner 2005 strafbare Handlungen gegenüber seiner Familie begangen habe, aber erstmals im Oktober 2007 eine polizeiliche Anzeige erfolgt sei. Erst ab diesem Zeitpunkt, zu dem sich der Scheidungswille der Ehefrau des Beschwerdeführers bereits manifestiert habe, sei es zu den Anschuldigungen gegen den Beschwerdeführer gekommen. Dass die Ehe jedenfalls bis zum September 2007 intakt gewesen sei, zeige sich schon allein darin, dass seine Ehefrau gemeinsam mit dem Beschwerdeführer ein Kind geplant habe und im September 2007 auch wunschgemäß schwanger geworden sei (in der Folge sei es zu einer Fehlgeburt gekommen). Der Beschwerdeführer weist außerdem darauf hin, dass er sich während seines gesamten Aufenthaltes in Österreich wohlverhalten habe und bis auf diese eine Verurteilung unbescholten sei. Auch habe er die im Rahmen des Urteils vom 7. November 2007 erteilte Weisung, während der Probezeit von drei Jahren jegliche Kontaktaufnahme mit seiner Ehefrau zu vermeiden, strikt befolgt. Auf Grund des ordentlichen Lebenswandels des Beschwerdeführers (unter anderem bringt die Beschwerde vor, dass er in einem aufrechten Dienstverhältnis stehe) sei kein Hinweis darauf zu erkennen, dass er im Fall seines Verbleibs in Österreich wieder ein strafbares Verhalten setzen würde.

Die Beschwerde erweist sich im Ergebnis als berechtigt:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde ausgehend von ihren Feststellungen hinsichtlich der aufrechten Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin (das Scheidungsurteil vom 19. Dezember 2007 wurde angefochten) zu Recht den Gefährdungsmaßstab des § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) FPG herangezogen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner ständigen Rechtsprechung schon hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die nach § 60 Abs. 1 FPG vorzunehmende Gefährdungsprognose ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") darauf hingewiesen, dass dabei nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist. Dies gilt umso mehr auch für die gegenüber § 60 Abs. 1 FPG einen strengeren Maßstab gebietenden Gefährdungsprognosen nach § 56 Abs. 1 FPG ("schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") und § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") sowie des fünften Satzes des § 86 Abs. 1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit"). Dass die bloße Tatsache des Vorliegens von Verurteilungen für sich genommen ein Aufenthaltsverbot nach § 86 Abs. 1 FPG nicht zu tragen vermag, ergibt sich im Übrigen bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, wonach strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes begründen können (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2007/21/0297, mwN).

Die belangte Behörde beschränkte sich bei der Prüfung - insoweit zutreffend - zwar nicht allein auf die Tatsache der Bestrafungen, sondern bejahte die nach § 86 Abs. 1 FPG anzustellende Gefährdungsprognose mit Blick auf das diesen zu Grunde liegende (Fehl-)Verhalten des Beschwerdeführers. Dabei gab sie jedoch zur Feststellung des konkreten Verhaltens lediglich den Urteilstenor wieder. Aus dem derart festgestellten Verhalten leitete sie ab, dass der (weitere) Aufenthalt des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, darstelle.

Diese Beurteilung erweist sich insofern als unzureichend, als sich fallbezogen allein aus der Begehung der gefährlichen Drohung und der versuchten schweren Nötigung nicht ableiten lässt, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen "gefährlichen und unbelehrbaren Rechtsbrecher" bzw. um einen "brutalen Rechtsbrecher ohne jede Hemmschwelle" handle, von dem im Fall seines Verbleibs in Österreich die Begehung weiterer Straftaten zu erwarten sei. In die vorzunehmende Gefährdungsprognose wäre - unter dem Gesichtspunkt der Aktualität der Gefährdung - insbesondere auch der Umstand miteinzubeziehen gewesen, dass der Beschwerdeführer, wie auch von der belangten Behörde festgestellt wurde, nicht mehr mit seiner Ehefrau und deren Kindern, gegenüber denen die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen wurden, zusammenlebt. Für die von der belangen Behörde ebenfalls ihrer Beurteilung zugrunde gelegte "beharrliche und massive Missachtung der österreichischen Rechtsordnung" auch auf dem Gebiet des Fremdenpolizeiwesens fehlt sachverhaltsmäßig jeder Anhaltspunkt.

Angesichts der oben wiedergegebenen Rechtslage hätte sich die belangte Behörde fallbezogen bei der Prognose, ob der Beschwerdeführer (hinkünftig) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle, nicht bloß mit der Wiedergabe des Urteilsspruchs begnügen dürfen, sondern sich mit den näheren Umständen der Tatbegehungen auseinanderzusetzen und entsprechende Feststellungen, die eine Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers im erforderlichen Ausmaß ermöglicht hätten, zu treffen gehabt. Das würde im Übrigen auch für die - freilich ein geringeres Maß verlangende - Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG gelten.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die demnach notwendigen Feststellungen und die anhand derselben vorzunehmende Beurteilung unterließ, war der angefochtene Bescheid wegen - der vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das als Schriftsatzaufwand verzeichnete, über den Pauschalsatz der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008

hinausreichende Begehren war ebenso wie das Begehren auf Ersatz der im genannten Pauschalsatz bereits enthaltenen Umsatzsteuer abzuweisen.

Wien, am 31. Mai 2011

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