B-VG Art133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2160387.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Oberösterreich Außenstelle Linz vom 05.05.2017, Zahl: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak und stellte nach illegaler Einreise am 22.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA] hat mit Bescheid vom 05.05.2017 den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Mit Spruchpunkt II und III wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.05.2018 erteilt. Diese wurde laufend zuletzt am 15.05.2020 bis 15.05.2022 verlängert (OZ 1).
1.2. Die fristgerechte Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I.
2. Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 01.06.2017 die Beschwerde samt durchnummeriertem Verwaltungsakt vor.
2.1. Das BVwG hielt unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch am 01.07.2021 eine mündliche Verhandlung ab, an der Verfahrensparteien teilnahmen (OZ 19). In der Verhandlung wurden die Gründe des Verlassens des Herkunftsstaates ausführlich erörtert und Länderinformationsquellen zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat ausgehändigt (OZ 19/L), wozu der Beschwerdeführer Stellung nahm (OZ 24, 26).
2.2. Das BVwG ließ die vorgelegten Unterlagen soweit erforderlich übersetzen (OZ 21, 32), und ließ die vorgelegten Zeitungsausschnitte über ACCORD überprüfen (OZ 22-23, 25, 27-31).
3. Auf Grund des am 27.04.2021 beim BVwG eingelangten Fristsetzungsantrags wurde das BVwG mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes [VwGH] vom 12.05.2021 zur Erlassung einer Entscheidung binnen drei Monaten verpflichtet.
II. zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist 1984 geboren und Staatsangehöriger des Irak. Er gehört der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad, wo er bis zu seiner Ausreise auch mit seiner Familie gelebt hat. Seit 2003 arbeitete der Beschwerdeführer als Polizist in Bagdad. Seine Frau und seine Kinder leben seit ca. 2018 in der Türkei, die Schwiegereltern in der autonomen Region Kurdistan. In Bagdad lebt noch ein Bruder des Beschwerdeführers, die Eltern sind bereits verstorben (AS 23-33, 321-330, VHS 5, 11).
Der Beschwerdeführer hat keine gesundheitlichen Einschränkungen zu vergegenwärtigen (VHS 3).
Der eingeholte Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich weist keine Einträge auf und es wurde kein Einreiseverbot gegen ihn erlassen (OZ 18).
1.2. Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz
Zu seinen Fluchtgründen und seiner Rückkehrbefürchtung erstattete der Beschwerdeführer nachfolgendes chronologisch zusammengefasste Vorbringen, welches im Hinblick auf das fluchtkausale Ereignis als nicht glaubhaft erachtet wird:
Bei der Erstbefragung am 22.11.2014 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass man als Polizist von den Terroristen gezielt getötet werde. Er sei Sunnit und werde unter den Kollegen diskriminiert. Die Lage im Irak sei aufgrund der religiösen Umstände und wegen des Krieges sehr unsicher. Bei einer Rückkehr werde er wegen seiner Desertion verfolgt (EBFR AS 27).
In der Einvernahme, Beschwerde und Verhandlung (EV AS 325-328; Bsw AS 447-459; VHS 5-9) gab der Beschwerdeführer an, er sei seit 2003 Polizist in Bagdad und auch für den Schutz von Gebäuden und Personen zuständig gewesen. Am 15.07.2014 habe er Dienst vor einem Gebäude einer kurdischen Zeitung gehabt, im Zuge dessen es zu einem Zwischenfall mit unbekannten Uniformierten gekommen sei. Es seien mit ihm 20 Gebäudeschützer anwesend gewesen. Als die Dienstübergabe bevor gestanden sei, seien 3 Militärautos (im Zuge deren Dienstübergabe) mit 12 unbekannten Uniformierten vorgefahren. Diese hätten die 20 Gebäudeschützer im Zuge einer vorgetäuschten Waffenkontrolle entwaffnet und in der Folge auch auf sie gezielt. Die Uniformierten hätten Inventar der Zeitung, sowie Laptops, mitgenommen und deren Sitz verwüstet. 10 Gebäudeschützer seien geflohen, 10 vor Ort geblieben und von einem militärischen Gericht verurteilt worden, weil sie ihre Arbeit nicht richtig gemacht hätten und befänden sich nun im Gefängnis. Er sei mittlerweile in Abwesenheit mündlich zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Unmittelbar nach diesem Vorfall habe er sein Haus verlassen, sich kurzfristig bei einem Freund versteckt gehalten und sei noch im Juli 2014 über die KRI in die Türkei ausgereist.
Bis zu diesem Zeitpunkt habe er keine Probleme im Polizeidienst gehabt, sei jedoch auf Grund seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit diskriminiert und von oben herab behandelt worden, etwa bei der Einstufung oder Weiterbildung.
Vor einer Rückkehr in den Irak habe er Angst, weil er in Abwesenheit wegen Dienstpflichtverletzung mündlich zu 15 Jahren Haft verurteilt worden sei, und bei einer Einreise sofort inhaftiert würde (VHS 5, 14).
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat Irak
1.3.1. Die Sicherheitslage im Irak hat sich nach der dramatischen Verschlechterung (vor allem durch den Vormarsch des IS ab Mitte 2014) in den Jahren 2015 und 2016 seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert. Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (LIB 14)
1.3.2. zur aktuellen Lage insbesondere in Bagdad
Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden. (LIB 21-22)
Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch. Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar. Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. (LIB 16)
Seit 01.10.2019 finden anhaltende regierungskritische Proteste im Irak statt. Im Berichtszeitraum vom 05.11.19 bis zum 08.12.19 zählte UNAMI 170 Tote und 2.264 Verletzte. UNAMI verweist darauf, dass die irakische Regierung die Herausgabe offizieller Statistiken seitens der Krankenhäuser an UNAMI unterbindet. Die Proteste haben sich auf 13 der 18 irakischen Provinzen ausgeweitet. Die kurdischen Provinzen sind bisher nicht von den Demonstrationen betroffen. UNAMI zufolge wird gegen festgenommene Demonstranten gemäß dem irakischen Strafgesetz Klage erhoben, nicht nach der Anti-Terror-Gesetzgebung. Den Erkenntnissen von UNAMI zufolge gehen unbekannte Dritte nach wie vor mit scharfer Munition, Drohungen, Entführungen bis hin zu gezielten Tötungen gegen Demonstranten vor. Während gegen einige Verantwortliche innerhalb der Sicherheitskräfte Anklage erhoben wurde, setzen Sicherheitskräfte nach wie vor u.a. scharfe Munition gegen Demonstranten ein. Berichten von u.a. Human Rights Watch zufolge werden Aktivist*innen und Demonstrant*innen nach wie vor eingeschüchtert, angegriffen, entführt oder getötet. In Bagdad wurde am 15.12.19 ein Aktivist, der auch als Journalist arbeitet, von unbekannten bewaffneten Männern getötet. Am 10.12.19 nahm die Gewalt im Zentrum von Bagdad wieder zu, als 31 Demonstranten durch den Einsatz von Tränengas seitens der Sicherheitskräfte verwundet wurden, um sie vom Wathba-Platz, einem zentralen Platz in Bagdad, zu vertreiben. [BN 16.2.2019]
1.3.3. Aktivitiäten der Milizen
Das Milizenbündnis der Volksmobilisierungseinheiten (Popular mobilization forces) [PMF] steht unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees. Obwohl Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat und die irakische Armee nur mäßige Kontrolle über die Milizen. Die Milizen stellen Checkpoints und Sicherheitsbarrieren auf, führen Hausdurchsuchungen und Razzien durch und übernehmen damit Aufgaben aus dem Zuständigkeitsbereich der irakischen Armee. Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht. Einige Milizionäre hätten sich laut mehrerer irakischer und US-amerikanischer Beamte an „mafiösen Praktiken“ beteiligt. Sie würden Schutzgeld von großen und kleinen Unternehmen fordern und an Checkpoints das Passieren von Autofahrern für Erpressungstaktiken benutzen. Den Milizen wird auch ein Naheverhältnis zur organisierten Kriminalität nachgesagt. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen. Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. (LIB 38-45; ATmiliz 5)
Oppositionelle, Protestanführer und Aktivisten der Zivilgesellschaft erhalten Todesdrohungen durch die unterschiedlichen Milizen, und es gibt unbestätigte Berichte, dass sich diese auf „hit lists“ der Milizen wiederfinden (UNHCR’19 19-20).
Verschiedene Auskunftspersonen berichteten im Jahr 2017 den von Landinfo und Lifos [die länderkundliche Rechercheeinheit der norwegischen und schwedischen Asylbehörden] interviewten Rechercheuren, dass die Milizen als „unantastbar“ gesehen werden, und dass weder die Polizei, noch eine andere Behörde sie davon abhalten könnten, Verbrechen zu begehen. Ein irakischer Politiker, den Landinfo und Lifos in Bagdad interviewte, gab an, dass bei den meisten Übergriffen, die von Milizen in Bagdad ausgeübt werden, die Opfer Sunniten sind. Der Politiker gab weiters an, dass die PMF die Möglichkeit haben, in jede Privatwohnung einzudringen, sogar in die Wohnung von Parlamentsmitgliedern. Er meint, dass nicht einmal Premierminister Haider al-Abadi diese stoppen könne. Dass die Milizen im Irak - auch in Bagdad - Menschen in ihren Wohnhäusern festnehmen, wurde auch von Amnesty International [AI] berichtet. Laut AI und Reuters beitreiben Milizen eigene Haftanstalten, in denen Folterungen und Misshandlungen stattfinden, ohne dass es zur Einmischung von Seiten der Behörden kommt (ABmiliz 6).
1.3.4. Sicherheitskräfte im Irak
Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).
Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI) (GS 18.7.2019). Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vgl. GS 18.7.2019).
Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).
Die Sicherheit des Gouvernement Bagdad wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen
Übergriffe auf Regierungsziele durch den Islamischen Staat (IS) sind trotz eines generellen Rückgangs an Vorfallzahlen gestiegen (CSIS 30.11.2018). Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte sowie Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet.
1.3.5. Illegales Verlassen des Polizeidienstes
Die schwedische staatliche Herkunftsländerdokumentationsstelle Lifos bemerkt in einem Bericht vom Jänner 2018, dass es gewisse Informationen zu illegalem Verlassen des Dienstes bzw. Desertion von der irakischen Polizei, jedoch nur wenige konkrete Berichte über Inhaftierungen von Deserteuren gebe (Lifos, 12. Jänner 2018, S. 4).
Der Internal Security Forces Penal Code aus dem Jahr 2008 (verfügbar in englischer Übersetzung vom Global Justice Project: Iraq, GJPI) enthält strafrechtliche Bestimmungen betreffend die Polizeikräfte des Irak. Demnach bestehen je nach Dauer des Fernbleibens und den äußeren Umständen Geldstrafen und Haftstrafen zwischen 30 Tagen und mindestens einem Jahr.
Al-Monitor, eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform, schreibt in einem Artikel vom Dezember 2016, dass der irakische Parlamentsausschuss für Sicherheit und Verteidigung angekündigt habe, mit Beginn der Gesetzgebungsperiode 2017 die Umsetzung eines im Dezember 2016 beschlossenen Gesetzes zur Repatriierung von Personen, die aus der Armee, der Polizei oder den Sicherheitseinrichtungen entlassen oder (aus diesen Organisationen) geflohen oder deren Verträge beendet worden seien, zu überwachen.
Die private irakische Online-Zeitung Iraqi News berichtet davor im Mai 2015, dass der irakische Premierminister Haider al-Abadi erklärt habe, dass unter anderem gegen geflohene oder abwesende Mitglieder der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte des Inneren keine rechtlichen Schritte mehr unternommen würden:
1.3.6. Zur Lage der (arabischen) Sunniten
Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger. Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger. Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga. Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul. (LIB 79)
Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen. Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausender sunnitischer Moslems, denen eine IS- Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98%. Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS. (LIB33-34)
Von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen sind auch Kurden betroffen, soweit sie außerhalb der KRI leben. Im Nachgang zum Unabhängigkeitsreferendum hat die zentral-irakische Armee die zwischen Kurden und Zentralregierung umstrittenen Gebiete größtenteils wieder unter die Kontrolle Bagdads gebracht. Insbesondere in diesen umstrittenen Gebieten waren und sind Kurden und andere Minderheiten mit Diskriminierung, Vertreibung und in einigen Fällen mit Gewalt seitens der Regierungstruppen, insbesondere der mit dem Iran verbündeten PMF-Milizen, konfrontiert. (LIB 79)
1.3.7. zur Versorgungslage im Irak
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Nachdem der Irak seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde laufen nunmehr Wiederaufbauprogramme und die Weltbank traf für das Jahr 2019 vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt. Laut Welternährungsorganisation sind im Irak ca. 1,77 Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen. Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen. (LIB 133-136)
Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. (LIB 136, 137)
Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt. Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen. (LIB 138)
1.3.8. Covid19-Pandemie
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf (www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ ; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html ; www.oesterreich.gv.at ).
Angaben des Gesundheitsministeriums vom 27.09.20 zufolge ist die Zahl der Infektionen auf 349.450 angestiegen. Die Zahl der Genesenen liegt bei 280.673, die Zahl der Todesopfer liegt bei 8.990. In der Region Kurdistan-Irak lag am 27.09.20 die Zahl der registrierten Fälle bei 45.731, von denen 29.422 genesen sind. Die Zahl der Todesopfer wird mit 1.671 angegeben. Am stärksten betroffen ist die Provinz Erbil. Angaben der WHO vom 20.09.20 zufolge sind aufgrund von COVID-19 fast 50 % der Krankenhauskapazität erreicht. (BN 28.09.2020).
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgt durch
Abhaltung einer mündlichen Verhandlung [VH] am 12.10.2020 (OZ 13)
Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1) beinhaltend insbesondere die Erstbefragung und Einvernahme (AS 23-33, 321-330), sowie den Bescheid (AS 355-427) und die Beschwerde (AS 447-459)
sowie Einsicht in folgende vorgelegte oder beigeschaffte Unterlagen und Dokumente
Identitätsnachweise des Beschwerdeführers und seiner Familie in Kopie (77-79, 87-103)
Meldekarte, Lebensmittelkarte (AS 67-71)
Unterlagen zum Polizeidienst und zum vorgebrachten Fluchtgrund (AS 73-75, 81-85, 108-109, 114-155) samt Übersetzungen (OZ 31)
Länderinformation Irak: Desertion vom Polizeidienst vom 11.08.2015 (257-283)
Unterlagenkonvolut betreffend den Aufenthalt in Österreich (AZ 157-171, 203-223, 229-237)
Unterlagen zur Integration in Österreich (OZ 2-4, 7)
Stellungnahmen des Beschwerdeführers (OZ 24, 26)
ACCORD-Recherche zu den vorgelegten Zeitungsartikeln (OZ 31)
Einsicht in das Zentrale Melderegister (ZMR), das Strafregister der Republik Österreich (SA, SC), das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister des Bundesministeriums für Inneres (IZR), sowie das Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) (OZ 18)
Einsicht in folgende länderspezifische Berichte (VHS 16, VHS/L)
Staatendokumentation [SD]: Länderinformationsblatt Irak, 14.05.2020 [LIB]
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes [BN], 16.12.2019
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes [BN], 28.09.2020
ACCORD: Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, Dokument-ID #2038435, 02.10.2020 [ATmiliz]
ACCORD: Anfragebeantwortung zum Irak: Gesetzliche Bestimmungen, die für Desertion aus der Polizei eine Haftstrafe vorsehen; Festnahme bei der Einreise [a-10473]
SD: AB Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete, 04.01.2018 [ABmiliz]
UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019 [UNHCR19]
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit, Herkunft und Religionszugehörigkeit, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, sind auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht anzuzweifeln (AS 23-33, 321-330, VHS) und das BFA ging im Bescheid bereits vom Feststehen der Identität des Beschwerdeführers aufgrund der im Original vorgelegten irakischen Dokumente aus (B S13, 59).
Seine Ausführungen zu seinen Lebensumständen und seiner Lebensgrundlage sowie seinen Familienangehörigen im Irak waren sowohl vor dem BFA, als auch in der mündlichen Verhandlung kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei. Zumal sich die Ausführungen auch vor dem festgestellten Länderhintergrund (AS 23-33, 321-330, VHS 5, 11; VHS/L) als plausibel darstellen, werden diese als glaubhaft erachtet.
Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen eigenen diesbezüglichen Angaben (VHS 3).
Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und das Nichtbestehen eines Einreiseverbotes ergeben sich aus behördlich geführten Datenregistern, an deren Richtigkeit kein Anlass an zu zweifeln bestand (OZ 18).
2.2.2. Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz und zur Rückkehrbefürchtung
2.2.2.1. Im Hinblick auf das fluchtkausale Vorbringen des Beschwerdeführers ist zunächst festzuhalten, dass die Tätigkeit als Polizist bzw. Gebäudeschützer vom BFA nicht bezweifelt wurde und auch durch im Original vorgelegte Ausweise sowie durch alte Fotos belegt ist (BS 14, VHS/A). Auch die Stürmung des Gebäudes XXXX im Zentrum von Bagdad ist durch verschiedene Quellen belegt (OZ 31). Das BVwG geht jedoch aus den folgenden Gründen nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer bei der Stürmung des Gebäudes dabei gewesen ist.
Wenngleich das BVwG nicht verkennt, dass sich die Erstbefragung nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra2019/19/0419), so ist gegenständlich dennoch dem BFA dahingehend zuzustimmen, dass im gegenständlichen Fall das Vorbringen in der Einvernahme kein im Verhältnis zur Erstbefragung detaillierteres Vorbringen, sondern ein in einem nicht unwesentlichen Teilbereich völlig anderes fluchtkausales Geschehen darstellt als in der Erstbefragung. So hat der Beschwerdeführer in der Erstbefragung ausschließlich auf die allgemeine Lage Bezug genommen (EBfr AS 27: „Als Polizist(en) werden wir von den Terroristen gezielt getötet. Außerdem bin ich Sunnit und werde unter meinen Kollegen diskriminiert. Die Lage im Irak ist aufgrund der religiösen Umstände und wegen des Krieges sehr unsicher. Im Falle einer Rückkehr werde ich wegen meiner Desertierung verfolgt.“) und erst in seiner Einvernahme ausgeführt, dass seine Anwesenheit bei der Stürmung des Zeitungsgebäudes und der daraus resultierende Umstand, dass er im Irak behördlich gesucht werde, fluchtkausal war bzw. ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich um den einzigen derartigen Vorfall gehandelt hatte, und dieser beim Beschwerdeführer unmittelbar zum Verlassen des Irak geführt hatte (VHS S6, 12: „Wenn jemand verfolgt wird, erscheint er nicht gleich im System. Erst nach ca. einem Monat. Diese Zeit habe ich genützt und bin geflüchtet.“), ist die Nichterwähnung des Vorfalls in der Erstbefragung nur vier Monate nach dem Vorfall nicht nachvollziehbar.
Im Zuge des Verfahrens legte der Beschwerdeführer ein übersetztes Dienstzeugnis vor, welches er für die in Österreich angestrebte Ausbildung (OZ 4: „Zulassung zur Lehrabschlussprüfung für den Lehrberuf Metallbearbeiter“) im Irak von einem Freund besorgen hat lassen. Demnach habe er von 01.11.2005 bis 01.11.2007 als Schmied beim Sozialamt gearbeitet. Über Vorhalt, dass dies mit seinen Angaben, er habe bei der Polizei gearbeitet nicht vereinbar sei, führte der Beschwerdeführer zunächst aus, es habe verschiedene Abteilungen bei der Polizei gegeben, er habe als Schmied gearbeitet, um auf weiteres Nachfragen anzugeben, nur das Ministerium für Arbeit- und Sozialangelegenheiten könne derartige Bestätigungen ausstellen, und letztlich auf mehrfaches Nachfragen auszuführen, er sei in diesem Zeitraum an das Sozialministerium verliehen worden (VHS S11-12). In diesem Zusammenhang ist auch auffällig, dass der Beschwerdeführer befragt zu seinem Aufstieg in der Polizei von einem Schmied zum stellvertretenden Offizier beim Gebäudeschutz 2014 (VHS 13) angab, er sei durch seine Arbeit aufgestiegen und habe dadurch viel Erfahrung gehabt. Dies deckt sich aber nicht mit den bereits 2017 vorgelegten Unterlagen (AS 81-85), wonach der Beschwerdeführer bereits 2003 beim Ministerium für Wasserressourcen (aber nicht bei der Polizei, die dem Innenministerium untersteht) als Wachmann für Gebäudeschutz angestellt worden war (AS 81-85, OZ 31). Die unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Tätigkeiten für die Polizei decken sich somit nicht mit den vorgelegten Unterlagen und sind auch untereinander nicht in Einklang zu bringen.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die 10 nicht geflüchteten Personen wären alle auch noch 2021, also seit 7 Jahren, in Haft und er sei in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, ist festzuhalten, dass sich aus dem vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorgelegten Schreiben mit dem Titel „An die XXXX “ zwar ergibt, dass 10 Gebäudeschützer am 17.07.2014 wegen des Vorfalls am 15.07.2014 noch angehalten wurden (AS 123, OZ 32), dass diese für längere Zeit inhaftiert wurden, ergibt sich daraus jedoch nicht. Auch ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen keinerlei Verbindung zwischen dem Vorfall am 15.07.2014 und dem Beschwerdeführer. Im Gegenteil, indiziert das vorgelegte Schreiben „Bildung einer Untersuchungskommission“ (AS 117), in dem der Beschwerdeführer namentlich angeführt ist, dass der Beschwerdeführer erst seit 23.07.2014 und nicht seit 15.07.2014 vom Dienst abwesend ist.
Zusammenfassend geht das BVwG daher davon aus, dass der Beschwerdeführer zwar bei der Polizei tätig war, jedoch am Vorfall vom 15.07.2014 nicht beteiligt gewesen war.
2.2.2.2. Zur vom Beschwerdeführer vorgebrachten drohenden Inhaftierung wegen Abwesenheit vom Dienst (VHS 6), ist auszuführen, dass sich diese mit den Länderberichten nicht in Einklang bringen lässt. Diesen zufolge (Punkt 1.3.5) werden seit 2015 keine rechtlichen Schritte mehr gegen geflohene oder abwesende Mitglieder der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte des Inneren unternommen und wurde 2017 eine Repatriierung von aus der Armee, der Polizei oder den Sicherheitseinrichtungen entlassen oder (aus diesen Organisationen) geflohen Personen in die Wege geleitet.
2.2.2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei als Sunnite Diskriminierungen ausgesetzt, ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise bei der Polizei gearbeitet und mit Ausnahme von Diskriminierungen bei der Weiterbildung und der Einstufung keine Probleme geschildert hat.
2.2.2.4. Zusammenfassend erachtet das BVwG daher sowohl das fluchtkausale Vorbringen als auch die geäußerten Befürchtungen im Zusammenhang mit einer Rückkehr in den Irak als nicht glaubhaft.
2.2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat Irak
Die getroffenen länderspezifischen Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen aus den Berichten und Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation (VHS/L). Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Irak [LIB] und den Anfragebeantwortungen [AB] Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Die herangezogenen Quellen sind aktuell, Großteils aus dem Jahr 2019, die spezielleren Anfragebeantwortungen sind aus den Jahren 2019 und 2020.
Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Plausibilität der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch die Parteien sind den in das Verfahren eingeführten Quellen nicht entgegengetreten (OZ 24).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1.1. Die Zuständigkeit des BVwG und die Entscheidung durch eine Einzelrichterin ergibt sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm §7 BFA-VG und dem AsylG 2005. Das Verfahren des BVwG ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das BFA im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
3.1.2. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig (§§ 7, 9 VwGVG).
3.2. zur Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG 2005
3.2.1. Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 [Anmerkung: Drittstaatssicherheit, Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz oder Zuständigkeit eines anderen Staates] zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (§ 3 Abs. 1 AsylG 2005). Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (§ 3 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat (§ 3 Abs. 3 Z 2 AsylG 2005). Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt (§ 3 Abs. 5 AsylG 2005).Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl Nr. 78/1974 (GFK), ist als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.2.2. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra2015/19/0143). Nach der jüngeren Ansicht des UNHCR reicht es aus, dass der Konventionsgrund ein (maßgebender) beitragender Faktor ist, er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (VwGH 23.02.2016, Ra2015/20/0113 mit Literaturnachweisen von UNHCR, Hathaway/Foster und Marx).
Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra2016/19/0074). Unter Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt Verfolgung als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter (ua) Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083). Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 27.05.2019, Ra2019/14/0153).
3.2.3. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund – drohende Haft und Verfolgung aufgrund der dienstlichen Anwesenheit bei einem Überfall auf ein Zeitungsgebäude in Bagdad – keine Glaubhaftigkeit zu, weshalb dieses entsprechend der VwGH-Judikatur (VwGH 20.10.2016, Ra2016/20/0260 mwN) einer rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde zu legen ist, da es von vorneherein nicht geeignet ist, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen.
3.2.4. Im Hinblick auf die unentschuldigte Abwesenheit vom Polizeidienst, ergibt sich aus den Länderberichten keine aktuellen Bedrohung, zumal seit 2015 keine rechtlichen Schritte mehr gegen geflohene oder abwesende Mitglieder der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte des Inneren unternommen werden und 2017 eine Repatriierung von aus der Armee, der Polizei oder den Sicherheitseinrichtungen entlassen oder (aus diesen Organisationen) geflohen Personen in die Wege geleitet wurde.
3.2.5. Zum Vorbringen als Sunnite Diskriminierungen ausgesetzt gewesen zu sein, ist festzuhalten, dass die geschilderte Diskriminierung bei der Gehaltseinstufung oder Weiterbildung, wenngleich sich der Beschwerdeführer schikaniert gefühlt haben mag, nicht die Intensität einer asylrelevanten Verfolgungshandlung erreichen, zumal diese weder aus subjektiver – der Beschwerdeführer hat seinen Beruf bis zum Verlassen des Irak ausgeübt – noch aus objektiver Sicht den Verbleib im Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer unerträglich gemacht haben (vgl. VwGH, 25.01.2001, 2001/20/0011-RS1; 16.03.1994, 93/01/0715-RS4; 04.11.1992, 92/01/0819).
3.2.6. Zusammenfassend liegt keine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vor und es braucht auf die Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA ist damit als unbegründet abzuweisen.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision
Die sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebende rechtliche Subsumtion bedurfte angesichts der einheitlichen im Zuge der rechtlichen Ausführungen ausführlich wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Flüchtlingskonvention keiner Lösung einer erheblichen Rechtsfrage. Es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
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