B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W236.2233016.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Peter LECHENAUER und Dr. Margrit SWOZIL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2020, Zl. 770590504/190540155, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Dem minderjährigen Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, wurde nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Familienverband mit seiner Mutter und seinem Bruder mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 17.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS, der Status des subsidiär Schutzberechtigten abgeleitet von seiner Mutter im Familienverfahren gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (zuletzt verlängert bis 17.09.2020 mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2018, ZI. 770590504-3095367); eigene Gründe wurden für den minderjährigen Beschwerdeführer im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz nicht vorgebracht. Das Bundesasylamt gewährte der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers mit Bescheid vom 17.09.2008, ZI. 07 05.904-BAS, den Status der subsidiär Schutzberechtigten und erteilte ihr eine (in weiterer Folge regelmäßig verlängerte) befristete Aufenthaltsberechtigung, wobei es feststellte, dass sie an Multipler Sklerose leide und dauerhafter ärztlicher Betreuung bedürfe. Auf Basis allgemeiner Feststellungen zur damals aktuellen Versorgungslage in der Russischen Föderation kam das Bundesasylamt zu dem Schluss, dass nach einem Abbruch der Behandlung ihrer Krankheit in Österreich eine ausreichende ärztliche Versorgung in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt sei; eine menschenwürdige Existenz sei ebenso gefährdet wie die Versorgung ihrer Kinder. Da sie auch nicht auf die Unterstützung durch ihren Ehemann zählen könne, sei die Schwelle der Unzumutbarkeit im Licht der einschlägigen Regelungen der EMRK im Falle ihrer Rückkehr zum Entscheidungszeitpunkt überschritten.
2. Der minderjährige Beschwerdeführer wurde ab dem Jahr 2018 wiederholt straffällig und insgesamt fünfmal wegen Gewalt- und Vermögensdelikten rechtskräftig strafrechtlich verurteilt. Von 22.07.2019 bis 06.07.2020 befand sich der minderjährige Beschwerdeführer in Strafhaft.
3. Gegen den minderjährigen Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge ein Verfahren zur Aberkennung des ihm zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet.
4. Am 10.02.2020 wurde der minderjährige Beschwerdeführer im Aberkennungsverfahren niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab dabei zusammengefasst an, sehr gut Deutsch zu sprechen. Russisch könne er gar nicht; Tschetschenisch könne er auch nicht richtig und müsse ein bisschen Deutsch „reinreden“. Er sei gesund, nehme keine Medikamente und stehe nicht in ärztlicher Behandlung. In Österreich habe er seine Mutter und seine zwei Brüder, eine Freundin und weitere Verwandte. Zuletzt habe er mit seiner Großmutter mütterlicherseits und seinem großen Bruder zusammengewohnt, aber wenn er „rauskomme“ (aus der Justizanstalt) sei der Plan, dass er bei seiner Großmutter väterlicherseits wohne. Er habe in Österreich die Schule besucht, zuletzt im Jahr 2018 eine polytechnische Schule; eine Lehre habe er bisher nicht begonnen, es sei aber in Planung, dass er eine Produktionsschule besuche. In der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien lebe sein Vater, der Ende 2018 oder Anfang 2019 abgeschoben worden sei und zu dem er ab und zu Kontakt habe; weiters eine Tante mütterlicherseits und vielleicht ein Cousin, das wisse er nicht. Der minderjährige Beschwerdeführer sei nur als Baby in der Russischen Föderation oder Tschetschenien gewesen; die tschetschenische Sprache könne er brüchig, hinsichtlich der tschetschenischen Bräuche sei er ein Außenseiter. Er wisse nicht, was er zum Vorhalt, dass er subsidiären Schutz nur aufgrund der Krankheit seiner Mutter erhalten habe und eine Verfolgung seiner Familie nie gegeben gewesen sei, sagen solle; im Fall einer Rückkehr hätte er Angst und wisse nicht, was er dort machen sollte. Gegen eine Aufnahme des Kontaktes zu seinem Vater im Fall einer Rückkehr würde nichts sprechen. Auf Vorhalt seiner strafrechtlichen Verurteilungen sowie zahlreicher polizeilicher, staatsanwaltschaftlicher und gerichtlicher Schreiben erklärte der minderjährige Beschwerdeführer, viele schlechte Freunde gehabt zu haben; Briefe und Termine habe er nicht ernst genommen. In Zukunft würde er nicht mehr straffällig werden, weil er in der Strafhaft angefangen habe, über alles nachzudenken und sich ändern wolle; er habe eine Sozialnetzkonferenz angefragt und einen Plan für die Zukunft gemacht. Er wolle unbedingt in Österreich bleiben.
5. Mit Schreiben vom 16.03.2020 erstattete die zuständige Bewährungshelferin des minderjährigen Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in welcher im Wesentlichen dargelegt wird, dass der minderjährige Beschwerdeführer nach seiner Enthaftung bei seiner Großmutter D. N. wohnen könne; seine Mutter sei schwer erkrankt und könne sich nicht aktiv um ihn kümmern, es gebe im dortigen Haushalt aber nach wie vor eine Wohnmöglichkeit. In der stattgefundenen Sozialnetzkonferenz sei der Aufbau einer Tagesstruktur mit Unterstützung diverser Fachkräfte geregelt worden; der minderjährige Beschwerdeführer werde auch unterstützt werden, einen geeigneten Platz in einer Produktionsschule zu finden. Der minderjährige Beschwerdeführer habe angegeben, durch seinen Vater massiv Gewalt erfahren zu haben; der Vater des minderjährigen Beschwerdeführers könne daher gegenüber dem minderjährigen Beschwerdeführer keine Betreuungspflichten wahrnehmen bzw. würde dies eine Gefährdung des Jugendlichen darstellen.
6. Mit Schreiben vom 26.03.2020 erstattete die Kinder- und Jugendstaatsanwaltschaft XXXX eine schriftliche Stellungnahme an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der zusammengefasst erörtert wird, dass der minderjährige Beschwerdeführer zweimal monatlich von einer externen Vertrauensperson der Kinder- und Jugendstaatsanwaltschaft in der Justizanstalt besucht werde. Laut seinen eigenen Angaben seien der minderjährige Beschwerdeführer und sein Bruder aktiv für die Pflege ihrer Mutter verantwortlich gewesen, bis sie durch die Großmutter entlastet worden seien; parallel dazu sei die Familie bis zur Abschiebung des Vaters des minderjährigen Beschwerdeführers massiver psychischer und physischer Gewalt durch diesen ausgesetzt gewesen. Der minderjährige Beschwerdeführer sei etwa regelmäßig von seinem Vater geschlagen worden und habe einen Vorfall geschildert, bei dem sein Vater seine Mutter aus dem Rollstuhl herausgeprügelt habe. Im Fall einer Abschiebung des minderjährigen Beschwerdeführers sei von seinem Vater eine erhebliche Kindeswohlgefährdung zu erwarten.
7. Mit Schreiben vom 18.05.2020 erstattete die ausgewiesene Rechtsvertretung des minderjährigen Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme zum übermittelten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation, zuletzt aktualisiert am 27.03.2020, wobei insbesondere vorgebracht wird, dass die allgemeine Lage in der Russischen Föderation zurzeit sehr ungünstig sei; in Österreich sei der minderjährige Beschwerdeführer sprachlich und gesellschaftlich integriert. Jedenfalls greife für den minderjährigen Beschwerdeführer keine negative Prognose. Der Aufenthalt des minderjährigen Beschwerdeführers sei mehrmals verfestigt und abgesehen vom Vater des minderjährigen Beschwerdeführers, dessen Aufenthaltsort unbekannt sei, lebe die gesamte Familie des minderjährigen Beschwerdeführers in Österreich; der Schutz des Privat- und Familienlebens des minderjährigen Beschwerdeführers überwiege das öffentliche Interesse deutlich. Es könne zudem nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der minderjährige Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation nicht einer realen Gefahr iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
8. Mit oben genanntem, gegenständlich angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2020 wurde dem minderjährigen Beschwerdeführer der ihm „mit Bescheid vom 19.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS“ (gemeint wohl 17.09.2008) zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 12.10.2018, ZI. 770590504-3095367, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem minderjährigen Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen den minderjährigen Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des minderjährigen Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den minderjährigen Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren und sechs Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass dem minderjährigen Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Weg der Erstreckung über seine Mutter zuerkannt worden sei, welcher ihrerseits der Schutzstatus ausschließlich aufgrund ihrer schweren Erkrankung an Multipler Sklerose gewährt worden sei, da zum Entscheidungszeitpunkt nicht sichergestellt gewesen sei, dass die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers in der Russischen Föderation eine medizinische Behandlung im erforderlichen Ausmaß erhalten hätte. Der minderjährige Beschwerdeführer selbst sei einerseits niemals Opfer von Verfolgungshandlungen gewesen und habe keine eigenen Schutzgründe (gehabt), weshalb ihm eine Rückkehr in die Russische Föderation möglich und zumutbar sei; andererseits sei der minderjährige Beschwerdeführer von österreichischen Strafgerichten wiederholt wegen Verbrechenstatbeständen verurteilt worden. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei dem minderjährigen Beschwerdeführer sowohl gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als auch gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 abzuerkennen. Der minderjährige Beschwerdeführer sei ein junger gesunder Mann und in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er sei mit den Gepflogenheiten der russischen bzw. tschetschenischen Gesellschaft vertraut, im Stande, auf Tschetschenisch zu kommunizieren und verfüge zwar über keine Kenntnisse der russischen Sprache, wäre jedoch in der Lage, seine bestehenden Sprachkenntnisse zu optimieren bzw. neue Sprachkenntnisse zu erwerben. In der Russischen Föderation verfüge der minderjährige Beschwerdeführer über Angehörige, nämlich seinen Vater, seinen Onkel, seine Tanten sowie Cousins und Cousinen; zumindest zu seinem Vater habe der minderjährige Beschwerdeführer Kontakt. Eine Fortsetzung des Aufenthaltes des minderjährigen Beschwerdeführers würde eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen. Der minderjährige Beschwerdeführer verfüge zwar über Angehörige und private Anknüpfungspunkte in Österreich, ein schutzwürdiges Familienleben liege jedoch nicht vor und ein Eingriff in die durch Art. 8 EMRK garantierten Rechte des minderjährigen Beschwerdeführers sei aufgrund der Verurteilungen des minderjährigen Beschwerdeführers zwingend erforderlich und rechtskonform. Aufgrund der besonderes brutalen Vorgangsweise und des Verhaltens des minderjährigen Beschwerdeführers in Österreich sei ein künftiges Wohlverhalten ausgeschlossen. Das Einreiseverbot in der angeführten Dauer sei jedenfalls notwendig.
9. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 13.07.2020 Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der minderjährige Beschwerdeführer seit dem Jahr 2007 ununterbrochen in Österreich lebe und deutlich mehr Bindungen zu seiner Heimat Österreich als zu seinem Ursprungsland Russische Föderation, welches er nur wenige Monate aus seiner Kindheit kenne, habe. In der Russischen Föderation habe der minderjährige Beschwerdeführer nur seinen Vater, welcher den minderjährigen Beschwerdeführer negativ beeinflusst habe; die sozialen und familiären Hintergründe seien nicht berücksichtigt worden. Es werde beantragt, die Mutter und die Großmutter des minderjährigen Beschwerdeführers einzuvernehmen; eine Einvernahme dieser Zeugen sowie der Freundin des minderjährigen Beschwerdeführers wäre notwendig gewesen, um festzustellen, dass die Abschiebung und die Erlassung eines Einreiseverbotes massiv in das Familienleben des minderjährigen Beschwerdeführers eingreifen würden. Seine Straftaten bereue der minderjährige Beschwerdeführer zutiefst; es sein von einem positiven Gesinnungswandel auszugehen und stelle der minderjährige Beschwerdeführer keine gegenwärtige bzw. zukünftige und tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Bei Zweifeln an diesem Gesinnungswandel werde die Einholung eines entsprechenden Gutachtens beantragt. Im Fall des minderjährigen Beschwerdeführers seien die Aufenthaltsverfestigungstatbestände gemäß §§ 52 Abs. 5 iVm 66 Abs. 3 und 67 Abs. 1 FPG iVm § 9 Abs. 5 und 6 BFA-VG erfüllt.
10. Die Beschwerdevorlage durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte samt Abgabe einer Stellungnahme zur Beschwerde am 13.07.2020, wobei das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl insbesondere ausführte, dass der behauptete Gesinnungswandel des minderjährigen Beschwerdeführers angesichts seines beschriebenen Verhaltens nicht ersichtlich sei und vom minderjährigen Beschwerdeführer unverändert eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Zur in Aussicht gestellten Unterkunftnahme des minderjährigen Beschwerdeführers bei seiner Großmutter sei darauf hinzuweisen, dass der minderjährige Beschwerdeführer nach wie vor an seiner alten Adresse Unterkunft genommen habe und auch ein Umzug des minderjährigen Beschwerdeführers zur Herauslösung des minderjährigen Beschwerdeführers aus kriminellen Kreisen ungeeignet wäre. Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten habe im Fall einer gerichtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens zwingend zu erfolgen.
11. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht für den 06.05.2021 eine Verhandlung ausgeschrieben hatte, bei welcher sowohl der minderjährige Beschwerdeführer als auch dessen Mutter als Zeugin niederschriftlich einvernommen werden hätten sollen, langte beim Bundesverwaltungsgericht am 22.04.2021 eine Mitteilung der rechtlichen Vertretung des minderjährigen Beschwerdeführers ein, in welcher diese mitteilte, dass die Kinder- und Jugendhilfe nunmehr die Vertretung für den minderjährigen Beschwerdeführer sei. Die Obsorge komme grundsätzlich der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers alleine zu, diese habe aber mit 09.03.2021 die Großmutter mütterlicherseits des minderjährigen Beschwerdeführers mit der Obsorge ermächtigt, welche wiederum mit Erklärung vom 15.04.2021 die Zustimmung erteilt habe, dass der minderjährige Beschwerdeführer im gegenständlichen Beschwerdeverfahren von der Kinder- und Jugendhilfe vertreten werde. Die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers sei an Multipler Sklerose (MS) erkrankt und habe bereits bei der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten im September 2008 daran gelitten. Seit damals habe sich ihr Zustand massiv verschlechtert. Sie sei nunmehr bettlägerig und bedürfe durchgehender Betreuung (24-Stunden-Pflege), weswegen es dieser auch nicht möglich sei, zu der für 06.05.2021 anberaumten Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu erscheinen, um dort einvernommen zu werden. Auch ein persönliches Erscheinen vor dem Bundesamt wäre ihr nicht möglich. Die Verschlechterung ihrer Erkrankung sei zum Beispiel auch anhand ihres Behindertenausweises erkennbar: Der im Mai 2010 ausgestellte Behindertenpass sei ursprünglich bis April 2011 befristet gewesen. Diese Befristung sei gestrichen worden und sei der Grad der Behinderung von 60% auf 80% amtlich korrigiert worden. Aus dem als Beilage mitübermittelten Entlassungsbrief des LKH vom 27.11.2020 gehe zudem hervor, dass die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers Pflegestufe 6 beziehe und auf einen Platz in einem MS Haus warte. Weiters gehe aus dem Entlassungsbrief hervor, dass die Mutter an einer sekundär progredienten Form der MS leide, EDSS 9.0, bei welcher es zu einer kontinuierlichen funktionellen Verschlechterung komme, wobei es auch gelegentliche Schübe und kleinere Remissionen geben könne. Der Begriff EDSS gebe Auskunft über den Grad der Behinderung von Menschen mit Multipler Sklerose. Der Wert 9.0 bedeute: „Kombination meist Grad 4 und mehr; hilflos auf Bett angewiesen, Essen und verbale Kommunikation möglich“. Auch die Kinder- und Jugendhilfe könne durch eigene Wahrnehmung der Sozialarbeit bestätigen, dass die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers bettlägerig sei und es ihr zum Beispiel kaum mehr möglich sei, eine eigenhändige Unterschrift zu leisten. Dies sei auch der Grund gewesen, dass der Großmutter die Vertretungsermächtigung erteilt worden sei, da die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers kaum mehr in der Lage gewesen sei, die zur Vertretung des Minderjährigen notwendigen Unterschriften zu leisten. Aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe seien daher die Voraussetzungen der Gewährung des subsidiären Schutzes im Falle der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers nach wie vorgegeben. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde daher mangels Einvernahmemöglichkeit der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers verzichtet und ersucht, der Beschwerde stattzugeben.
12. Die für den 06.05.2021 anberaumte mündliche Beschwerdeverhandlung wurde auf Grundlage dieser Mittelung in weiterer Folge abberaumt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, des Verwaltungsaktes betreffend das Asylverfahren des minderjährigen Beschwerdeführers (770590504/3095367) und Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Grundversorgungs-Informationssystem und das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Dem minderjährigen Beschwerdeführer wurde nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Familienverband mit seiner Mutter und seinem Bruder mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 17.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS, der Status des subsidiär Schutzberechtigten abgeleitet von seiner Mutter im Familienverfahren gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (zuletzt verlängert bis 17.09.2020 mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2018, ZI. 770590504-3095367).
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2020 wurde dem minderjährigen Beschwerdeführer der ihm „mit Bescheid vom 19.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS“ (gemeint wohl 17.09.2008) zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt und die mit Bescheid vom 12.10.2018, ZI. 770590504-3095367, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem minderjährigen Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den minderjährigen Beschwerdeführer wurde eine mit einem auf die Dauer von sieben Jahren und sechs Monaten befristeten Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des minderjährigen Beschwerdeführers in die Russische Föderation zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
1.2. Zur Person des minderjährigen Beschwerdeführers:
Der minderjährige Beschwerdeführer führt die im Kopf dieser Entscheidung genannten Personalien; seine Identität steht fest. Er ist russischer Staatsangehöriger. Der minderjährige Beschwerdeführer wurde in Istanbul geboren, ist Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum Islam.
Seit seiner Einreise nach Österreich im September 2007 im Familienverband mit seiner Mutter und seinem Bruder lebt der minderjährige Beschwerdeführer durchgehend im österreichischen Bundesgebiet; er war zuletzt als Kleinkind in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien.
1.3. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
Der minderjährige Beschwerdeführer wurde in Österreich fünfmal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt:
1. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 26.09.2018, XXXX , wurde der minderjährige Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß §§ 12 3. Fall, 15 Abs. 1, 127 und 129 Abs. 1 Z 3 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, verurteilt. Gemäß § 13 Jugendgerichtsgesetz 1988 (JGG), BGBl. Nr. 599/1988, wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten.
Dem Urteil liegt zugrunde, dass der minderjährige Beschwerdeführer am 26.06.2018 „Schmiere stand“, während B. D. versuchte, das Schloss des Fahrrades des F. K. aufzubrechen und mit Bereicherungsvorsatz wegzunehmen.
2. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 11.10.2018, XXXX , wurde der minderjährige Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB verurteilt. Gemäß § 13 JGG wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten.
Dem Urteil liegt zugrunde, dass der minderjährige Beschwerdeführer am 13.03.2018 der N. S. zumindest einen Faustschlag in das Gesicht versetzte, was eine starke Schwellung im Stirnbereich in Form einer Beule zur Folge hatte.
3. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2019, XXXX , wurde der minderjährige Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB, des Vergehens der Nötigung gemäß §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens des Besitzes einer verbotenen Waffe gemäß § 50 Abs. 1 Z 2 Waffengesetz1996 (WaffG), BGBl. I Nr. 12/1997, unter Anwendung des § 28 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach dem Strafsatz des § 84 Abs. 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
Dem Urteil liegt zunächst zugrunde, dass der minderjährige Beschwerdeführer und S. B. gemeinsam mit M. C. am 11.07.2018 den F. K. durch einen Faustschlag und einen Schlag mit der flachen Hand, jeweils in das Gesicht, in Form einer Blutung am Innenohr und einer Schwellung am Ohr am Körper verletzten. Der minderjährige Beschwerdeführer verlangte weiters am 17.01.2019 von N. Z., er solle zugeben, dass er hinter dem Instagram-Account A. stehe oder „stecke“, wobei er zuvor mit geballten Fäusten und einem auf der rechten Faust ersichtlichen Schlagring auf N. Z. zuging, etwa einen Meter vor ihm stehenblieb und seine geballten Fäuste nach unten vom Körper weghielt.
Bei der Strafbemessung wurden mildernd das Geständnis, erschwerend die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und eines Verbrechens gewertet.
4. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 06.02.2020, XXXX , wurde der minderjährige Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Verbrechens des Raubes gemäß §§ 15 Abs. 1, 142 Abs. 1 als Beteiligter im Sinn des § 12 3. Fall, des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 15 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB und des Vergehens der Hehlerei gemäß § 164 Abs. 1 und 2 StGB unter Einbeziehung der Schuldsprüche des Landesgerichtes XXXX vom 26.09.2018, XXXX , und des Bezirksgerichtes XXXX vom 11.10.2018, XXXX , unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs. 1 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2019, XXXX , unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1 und 40 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von einundzwanzig Monaten verurteilt.
Dem Urteil liegt zunächst zugrunde, dass der minderjährige Beschwerdeführer in der Nacht zum 02.06.2019 an drei Gelegenheiten beigetragen hat, mit Gewalt gegen die Opfer fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen, indem er sich der vorherigen Absprache entsprechend in unmittelbarer Nähe des Tatgeschehens positioniere, um einerseits die Umgebung zu beobachten und Aufpasserdienste zu leisten, andererseits bei Bedarf einzuschreiten, in das Tatgeschehen einzugreifen und entweder selbst tätlich zu werden oder die Tatausführung des unmittelbaren Täters sonst wie zu fördern. Der minderjährige Beschwerdeführer versuchte weiters in der Nacht zum 02.06.2019 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern, E. K. durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten gegen den gesamten Körper, auch nachdem dieser bereits zu Boden gestürzt war, sowie A. B. durch Versetzen von Faustschlägen gegen das Gesicht an sich schwer am Körper zu verletzen. Der minderjährige Beschwerdeführer kaufte schließlich zwischen 31.05.2019 und 03.06.2019 ein Mobiltelefon, das G. G. als Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen erlangt hatte.
Bei der Strafbemessung wurden mildernd das teilweise Geständnis und der Umstand, dass es überwiegend beim Versuch geblieben ist, erschwerend das Zusammentreffen von insgesamt sechs Verbrechen mit fünf Vergehen, die (leichten) Verletzungen von insgesamt drei Raubopfern und die Tatbegehung während Anhängigkeit eines Verfahrens gewertet.
5. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 31.03.2021, XXXX , wurde der minderjährige Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Körperverletzung nach den §§ 12 zweiter Fall und § 83 Abs. 1 StGB als Beteiligter unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG unter Bedachtnahme gemäß § 31 und § 40 StGB auf die Urteile des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2019, XXXX , vom 06.02.2020, XXXX und des Bezirksgerichtes XXXX vom 11.10.2018, XXXX , verurteilt, wobei von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde.
Dem Urteil liegt zugrunde, dass der minderjährige Beschwerdeführer den dafür bereits verurteilten Mittäter M.I am 27.08.2018 zu einer Körperverletzung zum Nachteil des A.K. bestimmt hat.
Bei der Strafbemessung wurden mildernd das teilweise Geständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist sowie das Alter unter 21 Jahren, erschwerend das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, die Verletzungen von insgesamt drei Raubopfern und die Tatbegehung während Anhängigkeit eines Verfahrens gewertet.
Der minderjährige Beschwerdeführer befand sich von 22.07.2019 bis 06.07.2020 (bedingt entlassen auf eine Probezeit von drei Jahren) in Strafhaft.
Für den minderjährigen Beschwerdeführer wurden im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz keine eigenen Fluchtgründe oder gegen eine Rückkehr in die Russische Föderation sprechenden Gründe geltend gemacht; die Zuerkennung von subsidiärem Schutz an den minderjährigen Beschwerdeführer erfolgte im Familienverfahren abgeleitet von seiner Mutter, welcher das Bundesasylamt mit Bescheid vom 17.09.2008, ZI. 07 05.904-BAS, den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilte (und in weiterer Folge regelmäßig verlängerte), wobei es feststellte, dass die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers an Multipler Sklerose leide und dauerhafter ärztlicher Betreuung bedürfe. Auf Basis allgemeiner Feststellungen zur damals aktuellen Versorgungslage in der Russischen Föderation kam das Bundesasylamt dabei zu dem Schluss, dass nach einem Abbruch der Behandlung der Krankheit der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers in Österreich eine ausreichende ärztliche Versorgung in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt sei; eine menschenwürdige Existenz sei ebenso gefährdet wie die Versorgung ihrer Kinder. Da sie auch nicht auf die Unterstützung durch ihren Ehemann zählen könne, sei die Schwelle der Unzumutbarkeit im Licht der einschlägigen Regelungen der EMRK im Falle ihrer Rückkehr zum Entscheidungszeitpunkt überschritten. Der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers kommt nach wie vor der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu; bezüglich der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers wurde kein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers leidet an einer sekundär progredienten Form der Multiplen Sklerose, EDSS 9.0 („Kombination meist Grad 4 und mehr; hilflos auf Bett angewiesen, Essen und verbale Kommunikation möglich“), bei welcher es zu einer kontinuierlichen funktionellen Verschlechterung kommt, wobei es auch gelegentliche Schübe und kleinere Remissionen geben kann. Sie verfügt über an einen 80%igen Grad der Behinderung und bezieht Pflegestufe 6.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zum Verfahrensgang:
Die Feststellungen zu den Verfahren des minderjährigen Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und das Grundversorgungs-Informationssystem.
2.2. Zu den Feststellungen zur Person des minderjährigen Beschwerdeführers:
Die Feststelllungen zu der Identität, dem Geburtsort, der Staatsangehörigkeit und der Volksgruppen- sowie Religionszugehörigkeit des minderjährigen Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten und den Familienangehörigen des minderjährigen Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und das Grundversorgungs-Informationssystem.
2.3. Zu den Feststellungen zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des minderjährigen Beschwerdeführers sowie der Anhaltung des minderjährigen Beschwerdeführers in Strafhaft ergeben sich aus den dem gegenständlichen Verwaltungsakt und den dem gegenständlichen Gerichtsakt einliegenden Strafurteilen (OZ 8, OZ 26; AS 241ff, 255ff und 575ff) und einer Haftbestätigung (AS 785) in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Strafregister und das Zentrale Melderegister.
Die Feststellungen zu den Verfahren über die Anträge des minderjährigen Beschwerdeführers und seiner Mutter auf internationalen Schutz und den Gründen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ergeben sich ebenso wie die Feststellung, dass der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers nach wie vor der Status der subsidiär Schutzberechtigten zukommt und diesbezüglich kein Aberkennungsverfahren eingeleitet wurde aus dem Akteninhalt (insbesondere Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS – AS 95ff; Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.09.2008, ZI. 07 05.904-BAS – AS 1ff; Protokoll der Erstbefragung vom 29.06.2007 – AS 7ff in 770590504/3095367) in Verbindung mit einer Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers ergeben sich aus dem in Vorlage gebrachten Entlassungsbriefs eines österreichischen Landeskrankenhauses vom 27.11.2020 in Zusammenschau mit dem ebenfalls in Vorlage gebrachten Behindertenausweise und einer Nachschau auf der Internetseite https://www.msges.at/multiple-sklerose/diagnose/edss-skala-expanded-disability-status-scale/. Die EDSS-Skala gibt Auskunft über den Behinderungsgrad von Menschen mit Multipler Sklerose und verfügt (in Halbschritten) über 10 Gradwerte, von welchen die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers mittlerweile die vorvorletzte erreicht hat (die Stufe 10.0 wird mit „Tod infolge der Erkrankung“ beschrieben).
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Beschwerde ist zulässig und rechtzeitig.
3.2. Zu A.) Behebung des angefochtenen Bescheides:
3.2.1. Der mit „Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten“ betitelte § 9 AsylG 2005 lautet auszugsweise:
„§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. 1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. 2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. 3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
[…]“
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stützte im gegenständlichen Fall die Aberkennung des dem minderjährigen Beschwerdeführer mit Bescheid vom 17.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS, zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten im Bescheidspruch auf die Bestimmung des § 9 Abs. 1 AsylG 2005. Der Bescheidbegründung ist zu entnehmen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sich auf § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 stützt; auf welchen Fall (erster Fall „nicht“ oder zweiter Fall „nicht mehr“) sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezieht, ist nicht klar ersichtlich – zusammengefasst führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass nach der Judikatur des Asylgerichtshofes in Fallkonstellationen, in denen der Bezugsperson eines Schutzberechtigten eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht zumutbar sei, nach dem Ausscheiden aus dem Familienverband zu prüfen sei, inwiefern die von der Bezugsperson ableitende Person selbst im Fall der Rückkehr mit schutzrelevanten Schwierigkeiten konfrontiert wäre. Der minderjährige Beschwerdeführer sei jung, gesund und arbeitsfähig und werde im Stande sein, sich fortgeschrittene Kenntnisse der russischen sowie der tschetschenischen Sprache anzueignen und ein menschenwürdiges Leben zu führen. Zudem sah das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aufgrund der Verurteilungen des minderjährigen Beschwerdeführers wegen Verbrechenstatbeständen auch den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 als erfüllt an, welcher kein behördliches Ermessen vorsehe und bei einer gerichtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechenstatbestandes zwingend die Aberkennung des Schutzstatus vorsehe (AS 1143 und 1253).
Die Sache des Beschwerdeverfahrens ist nur der Inhalt des Spruches, nicht der Grund, warum es zum Inhalt des Spruches gekommen ist; das bedeutet, dass das Verwaltungsgericht alle Gründe, die zum von der Behörde ausgesprochenen Ergebnis führen könnten, zu prüfen hat (VwGH 21.01.2016, Ra 2015/12/0027). „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist nicht nur die Klärung der Frage, ob die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angenommene Änderung der Umstände nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 tatsächlich vorlag, sondern sie umfasst sämtliche Prüfschritte und Aussprüche, die im Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 vorzunehmen sind; es ist dem Bundesverwaltungsgericht daher nicht verwehrt, bei Verneinung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 zu prüfen bzw. ist das Bundesverwaltungsgericht bei entsprechenden Anhaltspunkten für das Vorliegen eines derartigen Tatbestands zu einem solchen Vorgehen auch verpflichtet (VwGH 29.06.2020, Ro 2019/01/0014).
3.2.2. Zu prüfen sind daher alle in § 9 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungsgründe.
Nach der Systematik dieser Bestimmung ist im Verfahren über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten folgendes Prüfschema zu befolgen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist vorrangig zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt.
Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, so hat – subsidiär – eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist. In diesen Fällen ist die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, weil dies eine der in § 9 Abs. 2 letzter Satz AsylG 2005 angeführten Gefahren begründen würde (zu dieser Gesetzessystematik ausdrücklich VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005).
3.2.2.1. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob im Fall des minderjährigen Beschwerdeführers eine der in § 9 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegt:
Der minderjährige Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger und hält sich seit seiner Einreise im Jahr 2007 in Österreich auf; weder hat er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat noch hat er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt. Der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 liegt demnach ebenso wenig vor wie der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005.
Hinsichtlich § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sind folgende Erwägungen relevant:
§ 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 enthält zwei unterschiedliche Aberkennungstatbestände: Dem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) „nicht“ oder „nicht mehr“ vorliegen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat (vgl. VwGH 14.08.2019, Ra 2016/20/0038). Damit ist eine Konstellation gemeint, in der sich ergibt, dass der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ohne dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung im Entscheidungszeitpunkt erfüllt gewesen sind, weil die Entscheidung sich auf Tatsachen gestützt hat, die sich in der Folge als unzutreffend erwiesen haben (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/19/0309).
Dieser Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 ist im vorliegenden Fall, in dem der minderjährige Beschwerdeführer seinen Schutzstatus im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens von seiner Mutter ableitete, die nach wie vor über den Status der subsidiär Schutzberechtigten verfügt, nicht erfüllt.
Die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 betrifft Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 77). Im Falle des Vorliegens von Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist für die Anwendung des genannten Aberkennungstatbestands zu beurteilen, ob sich die maßgeblichen Umstände seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung geändert haben, weil mit einer solchen Entscheidung – auch wenn die Ermittlungspflichten einer Behörde dabei nicht überspannt werden dürfen (17.10.2019, Ra 2019/18/0353; 27.05.2019, Ra 2019/14/0153) – vor dem Hintergrund der dafür nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen zum Ausdruck gebracht wird, dass weiterhin jene Umstände gegeben sind, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblich waren (vgl. VwGH 08.04.2020, Ra 2020/20/0052; 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Für die Beurteilung, ob maßgebliche Sachverhaltsänderungen vorliegen, sind allerdings nicht nur isoliert jene Umstände zu berücksichtigen, die nach dem Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern auch davor liegende Ereignisse, um die Situation des Fremden ganzheitlich bewerten zu können (dies ist z.B. für Fälle relevant, in denen die maßgebliche Änderung in einer bestimmten Entwicklung des Fremden liegt).
Damit bleibt die Frage, wie § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf Fälle anzuwenden ist, in denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten ursprünglich allein im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens von einer Bezugsperson abgeleitet worden war. Bezüglich des Asylaberkennungsgrunds des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK (im Folgenden auch als „Wegfall der Umstände“-Klausel bezeichnet; vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059) hat der Verwaltungsgerichtshof diese Frage in Bezug auf den Status des Asylberechtigten bereits beantwortet: Zu einer Sachverhaltskonstellation, in der ein Fremder den Asylstatus (nur) im Wege des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 von einer Bezugsperson erhalten hatte, sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, grundlegend aus, dass im Unterschied zu allen anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene „Wegfall der Umstände“-Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden könne. Es sei nämlich bei einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukomme, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar. Unter Verweis auf sowohl den Telos der Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK als auch den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG2005 kam der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis, dass für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände es darauf ankommt, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Herkunftsstaates zu stellen. Diese Frage ist ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.
Diese Rechtsprechung erachtet die zuständige Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes auch für die Anwendung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf Fälle, in denen der subsidiär Schutzberechtigte seinen Status allein durch Ableitung im Familienverfahren von einer Bezugsperson erhielt, für maßgeblich: Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK stellt nämlich ebenso wie der in Rede stehende Tatbestand auf eine Änderung der für die Schutzgewährung maßgeblichen Umstände seit Rechtskraft der (letzten) inhaltlichen Entscheidung ab. Gleichermaßen kommen die Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes im angeführten Erkenntnis betreffend den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 auch in der Konstellation einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zum Tragen.
Dem minderjährigen Beschwerdeführer wurde als minderjährigem Sohn seiner Mutter mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.09.2008 allein im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 Abs. 3 AsylG 2005 (in der damaligen Fassung) subsidiärer Schutz gewährt; eigene Schutzgewährungsgründe lagen im Fall des minderjährigen Beschwerdeführers nicht vor.
Nach der dargelegten – aus Sicht der zuständigen Richterin auch auf den vorliegenden Fall übertragbaren – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die entscheidungswesentliche Frage für die Anwendung § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf den minderjährigen Beschwerdeführer darin, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an seine Mutter als Bezugsperson nicht mehr vorliegen.
Der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.09.2008 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, weil sie an Multipler Sklerose erkrankt ist und eine ausreichende ärztliche Versorgung sowie ein menschenwürdiges Leben in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt waren. Der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers kommt nach wie vor der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu. Es wurde kein Aberkennungsverfahren eingeleitet; die erteilte Aufenthaltsberechtigung wurde regelmäßig verlängert. Wie bereits oben festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, leidet die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers an einer sekundär progredienten Form der Multiplen Sklerose, EDSS 9.0, bei welcher es zu einer kontinuierlichen funktionellen Verschlechterung kommt, wobei es auch gelegentliche Schübe und kleinere Remissionen geben kann. Die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers ist bettlägerig, 24 Stunden auf Betreuung angewiesen, zu 80% behindert und bezieht Pflegestufe 6. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers der Status der subsidiär Schutzberechtigten aberkannt werden kann, da sich an deren Situation seit Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht nur nichts verbessert, sondern sich deren Zustand in den letzten Jahren sogar massiv verschlechtert hat.
Es sind keine Hinweise ersichtlich, aus denen zu schließen wäre, dass die Umstände, auf Grund deren der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sind, nicht mehr bestehen würden.
Auch der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ist somit nicht erfüllt.
Im Fall des minderjährigen Beschwerdeführers liegt demnach keiner der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vor.
3.2.2.2. Da dem minderjährigen Beschwerdeführer somit der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen ist, ist in weiterer Folge zu prüfen, ob eine der in § 9 Abs. 2 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegt:
Im Fall des minderjährigen Beschwerdeführers sind zunächst keine Hinweise dafür hervorgekommen, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne jener internationalen Einrichtungen, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen, begangen hätte, vor Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen oder sich Handlungen schuldig gemacht hätte, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten würden. Der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 (iVm Art. 1 Abschnitt F GFK) ist somit nicht erfüllt.
Bezüglich § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sind nachstehende Erwägungen maßgeblich:
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 22.10.2020, Ro 2020/20/0001, Folgendes ausgeführt:
„Eine Prognose, ob infolge jener Handlungen, derentwegen ein Fremder rechtskräftig wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, auch eine von ihm ausgehende Gefahr besteht, ist allerdings nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht vorzunehmen. Mit der Bestimmung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005, die der Umsetzung des Art. 17 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) dient, verfolgte der Gesetzgeber vielmehr das Ziel, einen Fremden allein schon wegen der Verurteilung aufgrund einer schweren Straftat von der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszuschließen. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsprechung, wonach bei der Prüfung, ob der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erfüllt ist, allein auf das Bestehen einer Verurteilung wegen eines Verbrechens abzustellen und weder eine Einzelfallprüfung in Bezug auf die Umstände der Taten vorzunehmen noch eine Gefährdungsprognose anzustellen sei, im Hinblick auf die Judikatur des EuGH nicht vollumfänglich aufrechterhalten (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0295). Es ist aber (weiterhin) von § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 (ebenso wie nach Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie) nicht gefordert, über die Einzelfallprüfung im genannten Sinn hinaus auch eine Gefährdungsprognose vorzunehmen.
[…]
Bei der Beurteilung, ob eine schwere Straftat im Sinn des Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie – nach dessen Wortlaut wird auf den Umstand einer strafgerichtlichen Verurteilung nicht abgestellt – vorliegt, darf sich die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats erst dann auf den in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausschlussgrund berufen, nachdem sie im Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfüllt, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen (vgl. EuGH 13.8.2018, Ahmed, C-369/17, Rn. 55). Mit dem hier in Rede stehenden Grund für den Ausschluss vom subsidiären Schutz wird der Zweck verfolgt, Personen auszuschließen, die als des sich aus der Zuerkennung dieses Status ergebenden Schutzes unwürdig angesehen werden, und die Glaubwürdigkeit des gemeinsamen europäischen Asylsystems zu erhalten (vgl. EuGH C-369/17, Rn. 51). Es ist demnach zur Erfüllung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 hinreichend, dass – wie von dieser Bestimmung ausdrücklich gefordert – eine rechtskräftige Verurteilung des Fremden wegen eines Verbrechens vorliegt und – wie in Beachtung der Rechtsprechung des EuGH geboten – die vollständige Prüfung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls ergibt, dass eine schwere Straftat (im Sinn des Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie) gegeben ist.“
Der minderjährige Beschwerdeführer wurde in Österreich kurz vor bzw. nach der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2018, ZI. 770590504-3095367, insgesamt fünfmal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, davon dreimal wegen Verbrechenstatbeständen, was zweifelsfrei ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung darstellt; dieses Kriterium allein reicht jedoch nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung für eine Aberkennung nicht aus (VwGH 22.10.2020, Ra 2020/20/0274).
Den Verurteilungen des minderjährigen Beschwerdeführers liegen Taten zugrunde, die zwischen März 2018 und Juni 2019 begangen wurden. Erstmals wurde der minderjährige Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 26.09.2018, XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß §§ 12 3. Fall, 15 Abs. 1, 127 und 129 Abs. 1 Z 3 StGB verurteilt; diesem Urteil liegt zugrunde, dass der minderjährige Beschwerdeführer am 26.06.2018 „Schmiere stand“, während B. D. versuchte, das Schloss des Fahrrades des F. K. aufzubrechen und mit Bereicherungsvorsatz wegzunehmen. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 11.10.2018, XXXX , wurde der minderjährige Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB verurteilt; diesem Urteil liegt zugrunde, dass der minderjährige Beschwerdeführer am 13.03.2018 der N. S. zumindest einen Faustschlag in das Gesicht versetzte, was eine starke Schwellung im Stirnbereich in Form einer Beule zur Folge hatte. In beiden Fällen handelt es sich um Verurteilungen nur wegen Vergehen und wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftaten zu verhängenden Strafe gemäß § 13 JGG jeweils für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten (jedoch wurde anlässlich der vierten und fünften Verurteilung des minderjährigen Beschwerdeführers auf die jeweiligen Schuldsprüche dieser Urteile Bedacht genommen, siehe unten).
Der minderjährige Beschwerdeführer wurde ungeachtet dieser Verurteilungen wegen Vergehen bereits am 11.07.2018 und weiters am 17.01.2019 neuerlich straffällig, indem er am 11.07.2018 gemeinsam mit zwei Mittätern F. K. durch einen Faustschlag und einen Schlag mit der flachen Hand jeweils in das Gesicht in Form einer Blutung am Innenohr und einer Schwellung am Ohr am Körper verletzte und weiters am 17.01.2019 von N. Z. verlangte, er solle zugeben, dass er hinter dem Instagram-Account A. stehe oder „stecke“, wobei er zuvor mit geballten Fäusten und einem auf der rechten Faust ersichtlichen Schlagring auf N. Z. zuging, etwa einen Meter vor ihm stehenblieb und seine geballten Fäuste nach unten vom Körper weghielt.
Der minderjährige Beschwerdeführer wurde wegen dieser Taten mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2019, XXXX , rechtskräftig wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB, des Vergehens der Nötigung gemäß §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens des Besitzes einer verbotenen Waffe gemäß § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG unter Anwendung des § 28 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach dem Strafsatz des § 84 Abs. 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Der Strafrahmen des § 84 Abs. 4 StGB beträgt sechs Monate bis fünf Jahre; im konkreten Fall des Beschwerdeführers aufgrund der Anwendung des JGG betrug der Strafrahmen somit zweieinhalb Jahre, ein Mindestmaß entfiel. Bei der Strafbemessung ergab sich zwar ein Überwiegen der Erschwerungs- über die Milderungsgründe (so wurden mildernd das Geständnis, erschwerend die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und eines Verbrechens gewertet); die konkret über den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe bewegt sich dennoch deutlich in der unteren Hälfte des zur Verfügung stehenden Strafrahmens und wurde zudem nur bedingt verhängt.
Trotz dieser Verurteilung wurde der Beschwerdeführer schließlich im Juni 2019 neuerlich straffällig. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 06.02.2020, XXXX , rechtskräftig wegen des Verbrechens des Raubes gemäß §§ 15 Abs. 1, 142 Abs. 1 als Beteiligter im Sinn des § 12 3. Fall, des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 15 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB und des Vergehens der Hehlerei gemäß § 164 Abs. 1 und 2 StGB unter Einbeziehung der Schuldsprüche des Landesgerichtes XXXX vom 26.09.2018, XXXX , und des Bezirksgerichtes XXXX vom 11.10.2018, XXXX , unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs. 1 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2019, XXXX , unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1 und 40 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von einundzwanzig Monaten verurteilt. Dem Urteil liegt zunächst zugrunde, dass der Beschwerdeführer in der Nacht zum 02.06.2019 an drei Gelegenheiten beigetragen hat, mit Gewalt gegen die Opfer fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen, indem er sich der vorherigen Absprache entsprechend in unmittelbarer Nähe des Tatgeschehens positioniere, um einerseits die Umgebung zu beobachten und Aufpasserdienste zu leisten, andererseits bei Bedarf einzuschreiten, in das Tatgeschehen einzugreifen und entweder selbst tätlich zu werden oder die Tatausführung des unmittelbaren Täters sonst wie zu fördern. Der Beschwerdeführer versuchte weiters in der Nacht zum 02.06.2019 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern, E. K. durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten gegen den gesamten Körper, auch nachdem dieser bereits zu Boden gestürzt war, und A. B. durch Versetzen von Faustschlägen gegen das Gesicht an sich schwer am Körper zu verletzen. Der Beschwerdeführer kaufte schließlich zwischen 31.05.2019 und 03.06.2019 ein Mobiltelefon, das G. G. als Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen erlangt hatte. Auch bezüglich dieser Verurteilung ergab sich zwar ein Überwiegen der Erschwerungs- über die Milderungsgründe; so wurden bei der Strafbemessung mildernd das teilweise Geständnis und der Umstand, dass es überwiegend beim Versuch geblieben ist, erschwerend das Zusammentreffen von insgesamt sechs Verbrechen mit fünf Vergehen, die (leichten) Verletzungen von insgesamt drei Raubopfern und die Tatbegehung während Anhängigkeit eines Verfahrens gewertet. Die – unter Bedachtnahme auf die Schuldsprüche der beiden ersten Verurteilungen des Beschwerdeführers – konkret verhängte (Zusatz-)Freiheitsstrafe von einundzwanzig Monaten ist aber wiederum deutlich im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Strafrahmens angesiedelt (der maßgebliche Strafrahmen gemäß § 142 Abs. 1 StGB beträgt ein bis zehn Jahre; im konkreten Fall des Beschwerdeführers betrug der zur Verfügung stehende Strafrahmen gemäß § 5 Z 4 JGG demnach – unter Entfall eines Mindestmaßes – fünf Jahre). Zudem ist bezüglich dieser Verurteilung des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass es hinsichtlich beider Verbrechenstatbestände beim Versuch blieb.
Letztmalig wurde der minderjährige Beschwerdeführer wegen einer bereits am 27.08.20218 begangenen Bestimmungstat verurteilt: Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 31.03.2021, XXXX , wurde er rechtskräftig wegen des Vergehens der Körperverletzung nach den §§ 12 zweiter Fall und § 83 Abs. 1 StGB als Beteiligter unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG unter Bedachtnahme gemäß § 31 und § 40 StGB auf die Urteile des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2019, XXXX , vom 06.02.2020, XXXX und des Bezirksgerichtes XXXX vom 11.10.2018, XXXX , verurteilt, wobei von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde. In diesem Fall handelt es sich erneut um eine Verurteilung nur wegen eines Vergehens.
Bei beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Verbrechenstatbeständen ergibt sich in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht, dass es sich um „schwere Straftaten“ im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung handeln würde. Auch in einer Kumulation der Verurteilungen des Beschwerdeführers ist nicht zu erkennen, dass diese im konkreten Fall eine „schwere Straftat“ darstellen würden; insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die ersten beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie auch die letzte einzig wegen Vergehen erfolgten und sich die in weiterer Folge (einmal nur bedingt, einmal unbedingt) verhängten Freiheitsstrafen trotz der wiederholten und raschen Rückfälligkeit des Beschwerdeführers jeweils im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens bewegten. Alle Verurteilungen des Beschwerdeführers erfolgten zudem wegen Jugendstraftaten unter Berücksichtigung des JGG. Der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ist daher nicht erfüllt.
Zu § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sind weiters folgende Überlegungen wesentlich:
Abweichend von der in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 geforderten formalen Grenze des „Verbrechens (§ 17 StGB)“ kann der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 auch dann erfüllt sein, wenn mehrere minderschwere Straftaten vorliegen, welche für sich das Kriterium des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht erfüllen (vgl. ErläutRV 330 BlgNR 24. GP 9).
Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose. Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/20/0387, Rz 13, mwN).
Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 13.12.2011, U 1907/19 (VfSlg. 19591), aus, dass eine Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit eines Landes nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen. Zur Begründung verwies er darauf, dass § 9 Abs. 2 (Z 2) AsylG 2005 in Umsetzung der Statusrichtlinie ergangen sei und daher richtlinienkonform interpretiert werden müsse. Gemäß Art. 17 Abs. 1 der Statusrichtlinie seien Personen vom Genuss des subsidiären Schutzes auszuschließen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (lit. a) bzw. schwere Straftaten (lit. b) begangen hätten oder sich Handlungen zuschulden kommen hätten lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen würden (lit. c). Angesichts der schweren Natur dieser Ausschluss- bzw. Aberkennungstatbestände könne nach dem Grundsatz der richtlinienkonformen Interpretation Art. 17 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie (Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit eines Landes) nur dahingehend verstanden werden, dass zur Verwirklichung dieser Bestimmung zumindest die Begehung einer Straftat von vergleichbarer Schwere wie die in lit. a bis c des Art. 17 der Statusrichtlinie genannten Handlungen vorliegen müsse. Diese Sicht werde auch dadurch bestätigt, dass die Statusrichtlinie selbst bzw. die Materialien zur Statusrichtlinie auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Bezug nehmen würden und sich aus der zu den einschlägigen Bestimmungen der GFK ergangenen Judikatur bzw. Literatur ergebe, dass eine „Gefahr für die Sicherheit oder für die Allgemeinheit eines Landes“ nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen (vgl. auch VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 19).
Auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner Rechtsprechung erkannt, dass nur ein Flüchtling, der wegen einer „besonders schweren Straftat“ rechtskräftig verurteilt worden sei, als eine „Gefahr für die Allgemeinheit eines Mitgliedstaats“ angesehen werden könne (EuGH vom 24.06.2015, C-373/13, H.T. gegen Land Baden-Württemberg).
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich diesen zitierten rechtlichen Erwägungen angeschlossen, wonach ein Fremder jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 darstellt, wenn sich diese aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155 mit Verweis auf VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556).
Wie oben dargelegt, sind im gegenständlichen Fall weder die einzelnen Verbrechen noch die kumulierten Straftaten des Beschwerdeführers in einer Gesamtbetrachtung der Umstände des konkreten Einzelfalles als „schwere Straftat“ im Sinn des Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie zu werten. Es handelt sich dabei somit auch nicht um besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße im Sinn der oben zitierten Judikatur. Der Beschwerdeführer ist zudem seit seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft am 06.07.2020 nicht mehr straffällig geworden, was zwar noch nicht als langer Zeitraum des Wohlverhaltens zu werten ist. Da seine letzte Straftat jedoch fast zwei Jahre zurückliegt und er davor nahezu im Dreimonatsrhythmus Straftaten setzte, kann hier durchaus ein Gesinnungswandel erkannt werden. Unter Berücksichtigung obiger Erwägungen ist aktuell nicht zu erkennen, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich im Sinn der oben wiedergegebenen Judikatur darstellen würde. Der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ist daher nicht gegeben.
3.2.3. Im Fall des Beschwerdeführers liegt sohin kein Aberkennungsgrund vor, weder gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 noch gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. ist demnach stattzugeben. Da somit auch die Voraussetzungen für die weiteren Absprachen (Spruchpunkte II. bis VII.) wegfallen, ist der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.
3.2.4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) – folgend: GRC – hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, u.a. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich grundlegend mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 (vgl. zur seitdem ständigen Rechtsprechung zuletzt etwa VwGH vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0410; 20.09.2018, Ra 2018/20/0173), mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Auf den vorliegenden Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass die belangte Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt vollständig ermittelt und ein durchwegs mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Aufgrund des noch kurzen Zeitraumes von sechs Monaten zwischen Erlassung des angefochtenen Bescheides und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist davon auszugehen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt die gebotene Aktualität aufweist. Weiters hat die belangte Behörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und teilt das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung. Der Beschwerde ist kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt zu entnehmen.
Der gegenständliche Sachverhalt ist sohin im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt und konnte trotz des diesbezüglich in der Beschwerde gestellten Antrages eine mündliche Verhandlung unterbleiben. Die mündliche Erörterung lässt keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt.
3.3. Zu B) Zulässigkeit der Revision:
3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
3.3.2. 2. In diesem Sinne kommt der Frage der Auslegung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in der vorliegenden Konstellation grundsätzliche Bedeutung zu:
Das Bundesverwaltungsgericht geht in der gegenständlichen Entscheidung davon aus, dass die Anwendung des Tatbestands des „nicht mehr“-Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Konstellationen, in denen der betroffene Fremde seinen Schutzstatus allein im asylrechtlichen Familienverfahren von einer Bezugsperson ableitete, in gleicher Weise wie in der durch den Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, vorgenommenen Auslegung des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zu erfolgen hat (vgl. Punkt II.3.2.2.1.).
Dies ist jedoch nicht zwingend: So stützte der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis seine Überlegungen nicht nur auf den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005, sondern auch spezifisch auf den Telos der Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK, der im vorliegenden Zusammenhang der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus nicht einschlägig ist. Außerdem enthält § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in seinem ersten Fall auch den Tatbestand des „nicht“-Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten; der Verwaltungsgerichtshof legte diesen Tatbestand in seiner Rechtsprechung zwar bereits näher aus (siehe Punkt II.3.2.2.1.), sah sich bislang aber noch zu keinen Aussagen im Zusammenhang mit der vorliegenden Konstellation veranlasst. So ist denkbar, dass § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 (über die bisherige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung hinaus) auch die Möglichkeit eröffnet, für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, den der betreffende Fremde nur im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens von einer Bezugsperson ableitete, dessen aktuelle, eigene Gefährdung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK zu prüfen, ohne die Situation seiner (ehemaligen) Bezugsperson in den Blick nehmen zu müssen.
Zur aufgezeigten Frage ist – soweit ersichtlich – noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorhanden, weshalb eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Diese geht auch insoweit über die gegenständliche Rechtssache hinaus, als die vorliegende Fallkonstellation häufiger auftritt.
Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
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