BVwG I419 2176985-1

BVwGI419 2176985-19.2.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:I419.2176985.1.00

 

Spruch:

I419 2176985-1/6.E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA)vom 08.11.2017, Zl. XXXX, zu Recht:

 

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen,

dass der erste Satz des Spruchpunktes III wie folgt zu lauten hat:

"Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß § 57 AsylG 2005 wird Ihnen nicht erteilt."

 

und es in Spruchpunkt V "§ 18 Abs. 1 Z. 2" statt "§ 18 Absatz 1 Ziffer 5" zu lauten hat.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer nigerianischer Staatsangehörigkeit reiste illegal aus der Türkei nach Griechenland ein, wo er 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte. Später reiste er weiter nach Ungarn und tat dort 2013 das Gleiche, wobei der Antrag am 19.07.2013 zurückgewiesen wurde. Schließlich reiste er illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 05.10.2016 einen dritten Antrag auf internationalen Schutz.

 

Erstbefragt gab er an, drei Tage zuvor per Bahn aus Ungarn angekommen zu sein. Dort habe er sich von seinem Lebenspartner getrennt und die Wohnung verlassen müssen. Nigeria hätte er 2010 verlassen, da ihn sein Vater gezwungen habe, bei einer Sekte mitzumachen. Er hätte Angst gehabt, als Homosexueller aufzufliegen und deshalb verfolgt oder aufgrund "irgend welcher Rituale geopfert" zu werden.

 

In die Türkei sei er mittels eines Reisepasses geflogen, den er dort verloren habe. Nach drei Wochen sei er für drei Jahre nach Griechenland und habe anschließend drei Jahre in Ungarn verbracht.

 

2. Das LG XXXX verurteilte ihn am 13.07.2017 wegen des am oder vor dem 13.02.2017 begangenen Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften zu 4 Monaten Freiheitsstrafe, deren Vollzug bedingt auf drei Jahre nachgesehen wurde.

 

3. In der Einvernahme beim BFA am 05.10.2017 erklärte er, seit sieben Jahren HIV-positiv und seit zwei Monaten in Behandlung zu sein. Den Befund habe er von einem Arzt in der Türkei erfahren, dort sowie in Griechenland seien aber die Medikamente schlecht, und in Ungarn habe man ihn nicht beachtet, und er habe für sich selber sorgen müssen. Dort habe er einen "Sexfreund" gehabt, der ihn jedoch hinausgeworfen habe. Daher sei er nach Österreich gekommen.

 

Er habe zwei Jahre in der Türkei gelebt und in einem Hafen Container entladen. In der Zeit habe er eine Entzündung am Auge erlitten, weswegen er den Arzt aufgesucht habe, anschließend nicht mehr arbeiten können und Medikamente benötigt, weswegen er nach Griechenland aufgebrochen sei. Davor habe er glaublich seit 1994 mit Freunden in Lagos gelebt, sei dort zur Schule gegangen und habe gearbeitet. Dies deshalb, weil er seine Eltern und sein namentlich genanntes Dorf in Imo State verlassen habe, um ein Leben zu führen, das seinen Wünschen entspreche, aber nicht den Traditionen in dem Dorf. Konkret sei dort Sex unter Männern nicht erlaubt, sodass er das Dorf seiner Homosexualität wegen verlassen habe, und zwar auf Anraten seines Vaters.

 

Er sei damals zwar erst 10 gewesen, aber ein Mann habe ihn immer wieder mitgenommen und berührt, was im Dorf bekannt geworden sei. Den ersten Geschlechtsverkehr mit einem Mann habe er glaublich mit 16 gehabt, einen fixen Freund bis er 18 geworden sei. Später hätte er noch einen gehabt, sich aber getrennt, bevor er ausgereist sei.

 

Die Homosexualität sei dann auch der Grund dafür gewesen, Lagos zu verlassen, weil ihn die Gastfamilie zur Rede gestellt und er sich darauf geoutet habe. Andere Probleme habe er wegen dieser sexuellen Neigung nicht gehabt, außer eben das Haus verlassen zu müssen.

 

Während seiner Schulausbildung habe er im Laden der Gastfamilie mitgeholfen, wofür er unregelmäßig bezahlt worden sei, anschließend jedoch "jedes Angebot angenommen", einmal in einer Bar gearbeitet, einmal etwas Anderes. Er habe "einen permanenten Job und ein leichteres Leben" gewollt. Einer seiner Freunde, die reisen und ein besseres Leben führen wollen hätten, habe Visa besorgen können, mit denen sie in die Türkei geflogen seien. Dort habe er allerdings nach der Infektion "keine schwere Arbeit mehr" machen können.

 

Im Herkunftsstaat habe er niemals Schwierigkeiten oder Probleme mit dessen Behörden gehabt, sei nie in Haft gewesen oder festgenommen worden, und wüsste auch nicht, warum er verhaftet werden sollte. Weder dort noch andernorts sei gegen ihn ein Gerichtsverfahren anhängig.

 

Im Falle einer Rückkehr seien sein "Problem" die Medikamente. Wenn er diese nicht bekomme, würde er sterben. Sein Leben sei in Gefahr, weshalb er nach Österreich gekommen sei. Er könne "sonst nirgendwohin". Die Länderfeststellungen wolle er nicht erörtern. Auf die Frage, ob er dazu etwas angeben wolle, antwortete er: "Nein. Mir ist das egal." Sonst habe er nichts mehr zu sagen oder zu ergänzen.

 

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Nigeria (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich erteilte es dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen", erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III) und keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IV). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung aberkannte das BFA die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt V).

 

5. In der Beschwerde wird vorgebracht, dass es im Herkunftsstaat "zahlreiche aktuelle Berichte über willkürliche Festnahmen sowie Anzeigen aufgrund der sexuellen Orientierung durch die örtliche Polizei" und seit 2012 das "Anti-Homosexuellen"-Gesetz SSMPA gebe. Eine "Verheimlichung oder Unterdrückung seiner Sexualität" sei dem Beschwerdeführer nicht zumutbar. Zudem würde eine Rückkehr den Beschwerdeführer "als Christen mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine prekäre Lage versetzen", da das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen im Herkunftsstaat "äußerst gespannt" sei.

 

Schließlich sei die "bereits ausgebrochene HIV-Infektion" lebensnotwendig zu therapieren, was im Herkunftsstaat nicht gewährleistet werden könne.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

 

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria und Christ. Er gehört der Volksgruppe der Ibo an und spricht deren Sprache als Muttersprache sowie Englisch. Seine Identität steht nicht fest. In Österreich hält er sich seit spätestens 05.10.2016 auf.

 

Der Beschwerdeführer ist seit spätestens 2017 HIV-positiv und bedarf einer medikamentösen Therapie. Er ist nicht längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig und daher auch erwerbsfähig. Im August 2017 ließ er sich ärztlich untersuchen und erhielt den Ratschlag, täglich eine bzw. zwei Tabletten zweier näher bezeichneter Medikamente einzunehmen, nachdem er angegeben hatte, seit mehr als einem Jahr nichts wegen seine HIV-Infektion unternommen zu haben. Im Vordergrund der Konsultation stand ein Juckreiz, weitere Beschwerden habe er nicht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bereits 2016 oder früher HIV-positiv war.

 

Die Familie des Beschwerdeführers bestehend aus den Eltern, Anfang und Mitte 50, und zwei Schwestern, Anfang und Mitte 30, lebt in Nigeria. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

 

Der Beschwerdeführer besuchte 9 Jahre lang die Schule und arbeitete anschließend jahrelang in Lagos. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung in Nigeria und in der Türkei hat er die Möglichkeit, auch künftig am nigerianischen Arbeitsmarkt teilzunehmen.

 

Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung, gelegentlich stellt er auch - unangemeldet - gegen Geld Zeitungen zu.

 

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Er besucht einen Deutschkurs, hat aber keine Deutschprüfung nachgewiesen.

 

1.2 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass er in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

 

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass ihm aufgrund von Homosexualität oder wegen seines christlichen Bekenntnisses Verfolgung droht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer homosexuell ist. Der Beschwerdeführer war im Herkunftsland keiner Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung ausgesetzt.

 

Der Beschwerdeführer wird in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht verfolgt werden.

 

Er wird auch bei Rückkehr in seinen Heimatstaat die notwendige medizinische Versorgung erhalten. Sein Verbleib in Österreich ist dafür nicht erforderlich.

 

Zusammenfassend wird in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und auf-grund der allgemeinen Lage im Land festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

 

1.3 Zur Lage im Herkunftsstaat

 

Im angefochtenen Bescheid wurde das bis dato aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria mit Stand 07.08.2017 zitiert. Weitere Länderinformationen wurden einer Anfragebeantwortung der "Medical Country of Origin Information" (MedCOI) vom 15.05.2015 betreffend die Behandlung und Medikation von HIV-Patienten in Nigeria entnommen, und zwar die auf S. 92 des Bescheids (AS 208), welche unten in 1.3.4 und auf Deutsch wiedergegeben werden.

 

Im Beschwerdeverfahren sind keine Änderungen dieser entscheidenden Sachverhaltselemente bekannt geworden. Im gegebenen Zusammenhang sind daher mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

 

1.3.1 Grundversorgung/Wirtschaft

 

Mit einem Wachstum von 6,31 Prozent gehörte Nigeria Anfang 2014 noch zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt und hatte Südafrika als größte Volkswirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent überholt (GIZ 7.2017c). Nigeria verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, und konnte in den letzten Jahren auch dank verschiedener Reformen ein hohes einstelliges Wirtschaftswachstum verzeichnen. Wegen sinkender Öleinnahmen (Ölpreisverfall und Reduzierung der Ölfördermenge durch Anschläge auf Ölförderanlagen und Pipelines im Nigerdelta) befindet sich Nigeria zwischenzeitlich in einer Rezession, die sich 2017 voraussichtlich nur langsam erholen wird. Wachstum betrug 2015 noch 2,7 Prozent, für 2016 Negativwachstum von etwa -1,5 Prozent (AA 4 .2017c). Ab 2004 nutzte Nigeria den Ölgewinn, um seine Schulden zu bezahlen. Im Rahmen der wirtschaftlichen Reformen der Regierung Obasanjo konnte das Land 2005 mit dem Pariser Club, also den internationalen Gläubigern einen Schuldenerlass um 18 Mrd. US-Dollar von insgesamt 30 Mrd. US-Dollar aushandeln. Im Gegenzug zahlte die nigerianische Regierung 12 Mrd. US-Dollar zurück. Damit ist Nigeria das erste afrikanische Land, das gegenüber dem Pariser Club schuldenfrei geworden ist (GIZ 7.2017c).

 

Nigeria ist der zehntgrößte Erdölproduzent der Welt und der größte Erdölproduzent Afrikas. Über 70 Prozent der Staatseinnahmen und 90 Prozent der Exporterlöse stammen aus der Erdöl- und Erdgasförderung. Neben den Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügt Nigeria über umfangreiche natürliche Ressourcen (z.B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine und Phosphat), die gesamtwirtschaftlich gesehen jedoch von geringer Bedeutung sind (GIZ 7.2017c).

 

Neben der Öl- und Gasförderung sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet (AA 21.11.2016). Der Reichtum Nigerias ist das Öl, doch über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. In ländlichen Gegenden beträgt der Anteil über 90 Prozent (AA 4 .2017c). Der Sektor erwirtschaftete 2016 etwa 26 Prozent des BIP (GIZ 6.2016c). Nigeria ist Afrikas größter Yam- und Augenbohnenproduzent und der weltweit größte Produzent von Maniok (Kassava) (AA 4 .2017c).

 

Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft - mit Größen von einem bis fünf Hektar (AA 4 .2017c). Neben Millionen von Kleinbauern gibt es Großfarmen. In den letzten Jahren wuchs dieser Sektor mit zehn Prozent überdurchschnittlich, denn die Förderung der Landwirtschaft mittels finanzieller und technischer Anreize (Produktivitätssteigerung mittels Düngermittel und Ausbau des Transportnetzwerkes) stand im Mittelpunkt von Wirtschaftsreformen der Regierung (GIZ 7.2017c). Auch die Mais- und Reisproduktion wurde - durch Einwirken der Regierung - kräftig ausgeweitet. Die unterentwickelte Landwirtschaft ist nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft (AA 4 .2017c). Eine Lebensmittelknappheit war in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent, in vereinzelten Gebieten im äußersten Norden Nigerias (Grenzraum zur Republik Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen aber auch aufgrund der Flüchtlingsbewegungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere nordöstlichen Bundesstaaten nicht mehr aus (ÖBA 9.2016).

 

Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) macht ca. 20 Prozent des BIP im Jahr 2016 aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Haupthindernis für die industrielle Entfaltung ist die unzureichende Infrastrukturversorgung (Energie und Transport). Von den landesweit insgesamt 200.000 Straßenkilometer sind ca. 50 Prozent instandsetzungsbedürftig. Die Eisenbahnlinie Lagos-Kano (ca. 1.300 km) wurde 2013 mit chinesischer Hilfe modernisiert (GIZ 7.2017c).

 

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2016). Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut (BS 2016; vgl. AA 21.11.2016).

 

Über 20 Millionen junge Menschen sind arbeitslos. Der Staat und die Bundesstaaten haben damit begonnen, diesbezüglich Programme umzusetzen. Die Resultate sind dürftig (BS 2016). Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 7.2017b).

 

Verschiedene Studien haben ergeben, dass mehr als 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Nigerias arbeitslos sind und dass 60 Prozent der Arbeitslosen Abgänger der Haupt- oder Mittelschule ohne Berufsausbildung sind (IOM 8.2014). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige. Es kann allgemein festgestellt werden, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 9.2016).

 

Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen. Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit (BS 2016). Die überwiegende Mehrheit der Nigerianer ist im informellen Arbeitsmarkt tätig und bekommt somit keine Pension (TE 25.10.2014). Jedoch wurde das Pension Reform Act novelliert, um die Kosten und Nutzen für die Mitarbeiter des öffentlichen und privaten Sektors zu harmonisieren (BS 2016). Bis März 2016 waren es etwa 7,01 Millionen Arbeitnehmer die beim Contributory Pension Scheme registriert sind und dazu beitragen. Dies repräsentiert etwa 7,45 Prozent der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung und 3,95 Prozent der gesamten Bevölkerung. 26 von 36 Bundesstaaten haben das Contributory Pension Scheme übernommen (TD 2.5.2016).

 

Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene, die State Economic Empowerment Strategy (SEEDS), als auch auf lokaler Ebene, die Local Economic Empowerment and Development Strategy (LEEDS). Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 7.2017c).

 

Heimkehrer können gegen Gebühr eine Wohnung in jeder Region Nigerias mieten. Es gibt keine speziellen Unterkünfte für Heimkehrer. Reintegrationshilfe kann durch Regierungsprogramme wie etwa NDE, NAPEP, NAPTIP, COSUDOW, UBE, SMEDAN, NACRDB erhalten werden und nichtstaatliche Organisationen wie etwa die Lift above Poverty-Organisation (LAPO) bieten allgemeine Reintegrationshilfe (IOM 8.2014). Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten.

Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist je nach Region um 35-80 Euro zu erhalten. Saison- und regionalmäßig werden auch gebratene Maiskolben zusätzlich angeboten. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "Minifarming" eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare über Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖBA 9.2016).

 

1.3.2 Homosexualität

 

Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind - unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen - sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. Homosexuelle versuchen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen (AA 21.11.2016). Obwohl alle nigerianischen Bürger mit der Schwierigkeit konfrontiert sind, dass Förderung und Schutz ihrer Rechte gewährleistet werden sowie der Zugang zu grundlegenden Sozialdienstleistungen, haben Mitglieder der homosexuellen Gemeinschaft mit weiteren Herausforderungen zu kämpfen (TIERS 1.2017). Dabei treten Erpressung und Gewalt schon beim Verdacht auf, homosexuell zu sein (MSMA 17.11.2015; vgl. LLM 16.11.2015). Die meisten Menschenrechtsverletzungen gegen Homo-sexuelle gehen von nicht-staatlichen Akteuren aus (LLM 16.11.2015; vgl. MSMK 19.11.2015). Die Verfügbarkeit von staatlichem Schutz ist in Frage zu stellen, manchmal interveniert die Polizei gar nicht oder verhaftet das Opfer (MSMA 17.11.2015; vgl. DS3 18.11.2015; DS1 20.11.2015). TIERS berichtet, dass die Opfer Menschenrechtsverletzungen nicht bei der Polizei melden aus Angst vor Repressalien, Mangel an Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden, und weil die Polizei häufig selbst die Täter bei Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle sind (TIERS 1.2017).

 

In Nigeria ist nach der Unterzeichnung durch den Präsidenten am 7.1.2014 bundesweit der über mehrere Jahre diskutierte "Same Sex Marriage Prohibition Act" (SSMPA) in Kraft getreten (HRW 29.1.2015; vgl. CNN 16.1.2014; TT 14.1.2014). Seither ist das Eingehen homosexueller Verbindungen oder das Mitwirken daran mit bis zu 14 Jahren Haft unter Strafe gestellt. Die Organisation oder Unterstützung von Homosexuellen-Clubs, Vereinigungen oder Kundgebungen sowie öffentliches zur Schau stellen gleichgeschlechtlicher Liebesbeziehungen werden mit bis zu zehn Jahren Haft bedroht (AA 5.7.2017 vgl. HRW 20.10.2016). Laut Telegraph seien schon "Gruppen" von zwei Homosexuellen verboten (TT 14.1.2014). Human Rights Watch erklärt, dass jegliches öffentliches homosexuelles Verhalten zwischen Paaren kriminalisiert worden sei ("who directly or indirectly make public show of same-sex amorous relationship"). Auch Personen, die Zeugen, Unterstützter oder Beihelfer einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder Ehe sind, können mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden (HRW 15.1.2014; vgl. HRW 20.10.2016). Die Rechtsänderung hat aber bisher nicht zu einer spürbar verschärften Strafverfolgung geführt: Bisher ist es nach Kenntnis der deutschen Botschaft noch nicht zu Anklagen bzw. Verurteilungen nach dem neuen Gesetz gekommen (AA 21.11.2016). Auch Human Rights Watch hat keine Beweise dafür gefunden, dass Personen im Rahmen des SSMPA strafrechtlich verfolgt oder verurteilt wurden (HRW 20.10.2016). Laut einem Bericht von Human Rights Watch hat das Gesetz zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen in Nigeria geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt und von der Bevölkerung gemobbt und per Selbstjustiz verfolgt (GIZ 7.2017b).

 

Seit der Unabhängigkeit Nigerias gab es nur wenige Fälle von Verurteilungen Homosexueller nach dem Strafgesetzbuch, die Zahl ist einstellig (HL1 16.11.2015). Mit der zunehmenden Öffentlichkeit im Zuge der Diskussion um den SSMPA hat sich zwar die Zahl der Verhaftungen gesteigert. Es kam aber zu keinen Verurteilungen (HL1 16.11.2015; vgl. HRW 20.10.2016). Überhaupt gibt es keine systematische Verfolgung Homosexueller (DS4 20.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015). Die Community wird nicht überwacht (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015; DS2 19.11.2015). Die Polizei wird nicht aus eigenem Antrieb aktiv und sucht gezielt nach Homosexuellen (HL1 16.11.2015; vgl. DS2 19.11.2015). Es gibt keine Haftbefehle nur aufgrund von Homosexualität - weder nach dem Strafgesetzbuch, noch nach der Scharia oder dem SSMPA (LLM 16.11.2015).

 

Aus dem Zeitraum 12.2014-11.2015 wurden 48 Vorfälle berichtet, in welche die Polizei involviert war, 27 davon waren willkürliche Verhaftungen. Insgesamt wurden im genannten Zeit-raum 172 Übergriffe bzw. (Menschen‑)Rechtsverletzungen an Homosexuellen gemeldet. Allerdings wird davon ausgegangen, dass viele Fälle nicht erfasst wurden (TIERS 3.2016). Für das Jahr 2016 wurden von TIERS 152 Menschenrechtsverletzungen gegen LGBT-Personen gemeldet. Die meisten Übergriffe fanden in den Bundesstaaten Rivers und Lagos statt. 35 davon waren willkürliche Verhaftungen, 27 rechtswidrige Inhaftierungen, 51 Fälle von Erpressung, 33 Fälle von Körperverletzung, 21 Fälle von Diffamierung, zwölf Morddrohungen, zwei Fälle von Folter (TIERS 1.2017).

 

Laut TIERS gab es im Jahr 2016 auch Positives zu vermelden, so z.B. hat das NHRC öffentlich Stellung gegen Gewalt gegen Homosexuelle genommen. Auch hat sich der ehemalige Präsident, der das Gesetz unterzeichnete, von der Geisteshaltung hinter der Entstehung des Gesetzes distanziert (TIERS 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Im Jänner 2016 hat der General-inspektor der Polizei Polizisten davor gewarnt, illegal auf Mobiltelefone der Bürger ohne Gerichtsbeschluss zuzugreifen. Dennoch verletzte die Polizei Privatsphäre von Homosexuellen und verwendete ihre persönlichen Daten, um sie rechtswidrig zu verhaften, damit sie dann für Geld und andere Wertsachen im Gegenzug zu ihrer Freiheit erpresst werden können (TIERS 1.2017).

 

Im April 2017 hat die nigerianische Polizei erklärt, dass sie in der im Norden des Landes gelegenen Stadt Zaria 53 junge Männer verhaftet hat, weil sie an einer homosexuellen Hochzeit teilgenommen hatten. Die Festgenommenen wurden laut Polizei einem Richter vorgeführt (NBC 20.4.2017). Die Männer werden wegen Verschwörung, illegaler Versammlung und Zugehörigkeit einer illegalen Gesellschaft angeklagt. Diese Straftaten verstoßen gegen den Criminal Procedure Code (PT 7.6.2017). Alle hatten sich nicht schuldig bekannt und konnten bei Zahlung einer Kaution wieder freigelassen werden (NBC 20.4.2017). Am 29.7.2017 wurden über 40 Personen festgenommen, da sie verdächtigt wurden bei einer privaten Feier in einem Hotel in Lagos homosexuelle Handlungen durchgeführt zu haben. Der erste Gerichtstermin war noch ausstehend (Reuters 31.7.2017).

 

Hinsichtlich des SSMPA gab es keinen Anklagen oder Verurteilungen (DS3 18.11.2015; vgl. DS2 19.11.2015; VA1 16.11.2015; DS1 20.11.2015; DS4 20.11.2015). Die Polizei verhaftet Verdächtige in erster Linie mit dem Ziel, Geld zu erpressen. Grundsätzlich kommen Verdächtige nach der Zahlung einer "Kaution" wieder frei (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015). Aufgrund der bei der Polizei herrschenden Korruption ist es einfach, sich aus der Haft freizukaufen (VA1 16.11.2015).

 

Auch für betroffene Homosexuellen-NGOs hatte der SSMPA kaum Auswirkungen, keine der Organisationen musste die Arbeit einstellen (LLM 16.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015; DS2 19.11.2015). Im Gesundheitsbereich tätige NGOs mit Fokus auf Homosexuelle (v.a. HIV/AIDS) stellten zwar Anfang 2014 kurzfristig den Betrieb ein, doch wurde dieser nach wenigen Wochen wieder aufgenommen und läuft seither wie vor Inkrafttreten des SSMPA (IO1 20.11.2015).

 

UK Home Office gibt an, dass es seit der Einführung des SSMPA einige Berichte über die Verhaftung von LGBT-Personen gab. Es gab auch einige Berichte über Gewalt und Schläge gegenüber den Verhafteten. Allerdings gibt es nur wenige Berichte über Verfolgung oder Verurteilung von LGBT-Personen. Es gibt nur begrenzte Anzeichen dafür, dass die Regierung gezielt gegen LGBT-Organisationen vorgehen würde; allerdings scheint es indirekte Auswirkungen auf diese Gruppen zu geben. So gibt es etwa Berichte über eine Reduzierung der Angebote bezüglich HIV/AIDS-Behandlung (UKHO 3.2015).

 

Die vom Home Office zitierte Homosexuellen-NGO Erasing 76 Crimes schätzt, dass sich im August 2014 23 Personen aufgrund von Homosexualität in Haft befanden. 15 weitere würden auf freiem Fuß auf ihren Prozess warten. Die NGO gibt auch an, dass es unmöglich sei, eine vollständige Liste von Personen zu erstellen, die sich aufgrund von Verstößen gegen Anti-Homosexuellen-Gesetzen in Nigeria in Haft befinden würden. Nigerianische Medien berichten oft nur von Verhaftungen, manchmal auch von der Eröffnung von Prozessen, nie aber von Urteilen bezüglich LGBT-Personen. Die gleiche NGO schätzt im Oktober 2014, dass seit der Einführung des Same Sex Marriage (Prohibition) Act in ca. vier Bundesstaaten ca. 38 Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verhaftet worden sind. Alleine im Bundesstaat Bauchi seien es zwölf (UKHO 3.2015). Das Gesetz ist vor allem unter dem Gesichtspunkt zu verstehen, dass man dem wachsenden Druck aus dem westlichen Ausland für die Gleichberechtigung Homosexueller die Stirn bieten möchte, da in Nigeria noch nie zwei Männer oder zwei Frauen versucht haben zu heiraten. Im Rahmen der Verabschiedung des Gesetzes und der negativen internationalen Reaktion kam es zu vermehrten Vorfällen von Verhaftungen und physischer Gewalt gegen vermeintlich Homosexuelle. Eine generelle "staatliche Verfolgung" ist allerdings derzeit nicht gegeben. Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem zur Schau stellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖBA 9.2016).

 

Laut bereits bestehenden Gesetzen wird "Geschlechtsverkehr, der gegen die Ordnung der Natur geht" mit einer Haft von 14 Jahren bestraft. In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, werden homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tode durch Steinigung bestraft. Aktivisten sind keine Fälle bekannt, bei denen die Todesstrafe umgesetzt wurde. Auch unter der Scharia kam es also nur zu wenigen Verurteilungen (HL1 16.11.2015; vgl. DS1 20.11.2015).

 

Die meisten Homosexuellen-NGOs haben ihre Basis in den Hauptstädten der Bundesstaaten (DS3 18.11.2015; vgl. DS2 19.11.2015; MSMA 17.11.2015). Üblicherweise sind die Homosexuellen-NGOs den Betroffenen auch bekannt (DS3 18.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015). Es existieren auch eigene HIV/AIDS-Kliniken, die gezielt für Homosexuelle Patienten eingerichtet wurden (IO1 20.11.2015; MSMA vgl. 17.11.2015).

 

Es existieren Netzwerke von Menschenrechtsanwälten, welche - im Falle der Verhaftung eines Homosexuellen - unmittelbar kontaktiert werden und die Person gegen "Kaution" freizukaufen versuchen (IO1 20.11.2015). Die Anwälte sind organisiert, es gibt unterschiedliche Vereine, z.B. Lawyers League for Minorities, Lawyers Alert oder die Coalition of Human Rights Lawyers (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015).

 

Homosexuellen-Netzwerke verschiedener Landesteile bzw. Städte sind miteinander in Kontakt. Die Netzwerke und Organisationen bieten auch Unterstützung und sogar Zufluchtsmöglichkeiten an (MSMA 17.11.2015; vgl. LLM 16.11.2015).

 

1.3.3 Medizinische Versorgung/HIV

 

Nigeria verfügt über ein sehr kompliziertes Gesundheitssystem. Das öffentliche Gesundheitssystem wird von den drei Regierungsebenen geleitet (VN 14.9.2015) und das Hauptorgan der Regierung für das Gesundheitswesen ist das Bundesgesundheitsministerium (IOM 8.2014). Die Bundesregierung ist zuständig für die Koordination der Angelegenheiten in den medizinische Zentren des Bundes und Universitätskliniken. Die Landesregierung ist zuständig für allgemeine Spitäler, die Kommunalregierung für die Medikamentenausgabestellen (VN 14.9.2015).

 

Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkliniken, und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik, die vom Bundesgesundheitsministerium finanziert wird (IOM 8.2014).

 

Öffentliche (staatliche Krankenhäuser): Diese umfassen die allgemeinen Krankenhäuser, die Universitätskliniken und die Fachkliniken. Die Gebühren sind moderat, doch einigen Krankenhäusern fehlt es an Ausrüstung und ausreichendem Komfort. Es treten oftmals Verzöge-rungen auf und vielfach werden Untersuchungen aufgrund der großen Anzahl an Patienten nicht sofort durchgeführt (IOM 8.2014). Die Kosten von medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden; die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, soferne vorhanden (ÖBA 9.2016).

 

Private Krankenhäuser: Hierbei handelt es sich um Standard-Krankenhäuser. Diese Krankenhäuser verfügen nur teilweise über eine ausreichende Ausstattung und müssen Patienten für Labortests und Röntgenuntersuchungen oftmals an größere Krankenhäuser überweisen. Diese Krankenhäuser sind im Allgemeinen teurer (IOM 8.2014).

 

Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen. Sie ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 4.7.2017). Es besteht keine umfassende Liste der Krankenhäuser und Ausstattungen, aber zahlreiche Krankenhäuser in Nigeria sind gut ausgestattet und in der Lage, zahlungsfähige Patienten medizinisch zu versorgen. Verschiedene Krankenhäuser in Nigeria haben sich auf unterschiedliche Krankheiten spezialisiert und Patienten suchen diese Krankenhäuser entsprechend ihrer Erkrankung auf. Allgemeine Krankenhäuser in Nigeria behandeln Patienten mit verschiedenen Krankheiten, verfügen jedoch üblicherweise über Fachärzte wie etwa Kinderärzte, Augenärzte, Zahnärzte, Gynäkologen zur Behandlung bestimmter Krankheiten. Zu den Fachkliniken zählen orthopädische Kliniken, psychiatrische Kliniken etc. (IOM 8.2014).

 

Aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate von rund 90.000 Neugeborenen jährlich, die während der ersten 28 Tage nach ihrer Geburt sterben, rangiert Nigeria auf Platz 12 von 176 unter-suchten Ländern und gilt auch innerhalb des südlichen Afrikas als "einer der gefährlichsten Orte" um geboren zu werden (GIZ 7.2017b). Die aktuelle Sterberate unter 5 beträgt 128 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Die mütterliche Sterblichkeit liegt bei 545 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten (ÖBA 9.2016).

 

Laut dem Gesundheitsministerium gibt es weniger als 150 Psychiater in Nigeria (IRIN 13.7.2017). Insgesamt gibt es in Nigeria acht psychiatrische Krankenhäuser, die von der Regierung geführt und finanziert werden. Sechs weitere psychiatrische Kliniken werden von Bundesstaaten unterhalten (SFH 22.1.2014; vgl. WPA o.D.). In diesen psychiatrischen Kliniken werden unter anderem klinische Depressionen, suizidale Tendenzen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Schizophrenie und Psychosen behandelt (SFH 22.1.2014). Es existiert kein mit deutschen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau, in denen Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht werden, aber nicht adäquat behandelt werden können (AA 21.11.2016; vgl. SFH 22.1.2014). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker nigerianischer Staatsangehöriger an, die abgeschoben werden sollen. Die Kosten für den Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Zudem ist dort auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 21.11.2016).

 

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten dagegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.11.2016). Gemäß dem Exekutivsekretär des National Health Insurance Scheme (NHIS) beträgt nach zwölf Jahren die Zahl der Nigerianern, die durch das NHIS krankenversichert sind, 1,5 Prozent (Vanguard 22.6.2017). Hilfsorganisationen, die für notleidende Patienten die Kosten übernehmen, sind nicht bekannt. Aufwändigere Behandlungsmethoden, wie Dialyse oder die Behandlung von HIV/AIDS, sind zwar möglich, können vom Großteil der Bevölkerung aber nicht finanziert werden (AA 21.11.2016). Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 7.2017b).

 

Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 21.11.2016). Wenn ein Heimkehrer über eine medizinische Vorgeschichte verfügt, sollte er möglichst eine Überweisung von dem letzten Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, vorlegen (IOM 8.2014). Heimkehrer, die vorher nicht in ärztlicher Behandlung waren, müssen lediglich dem Krankenhaus eine Registrierungsgebühr zahlen und in der Lage sein, ihre Behandlungskosten selbst zu tragen (IOM 8.2014; vgl. AA 21.11.2016). Hat eine Person keine Dokumente, führt dieser Umstand nicht zur Verweigerung medizinischer Versorgung oder zum Ausschluss von anderen öffentlichen Diensten (z.B. Bildung) (USDOS 3.3.2017).

 

Medikamente sind verfügbar, können aber je nach Art teuer sein (IOM 8.2014). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst auf-kommen (AA 21.11.2016). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/Aids können teils kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖBA 9.2016).

 

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 21.11.2016).

 

Es gibt zahlreiche Apotheken in den verschiedenen Landesteilen Nigerias. Die National Agency for Food and Drug Administration and Control (NAFDAC) hat ebenfalls umfangreiche Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass diese Apotheken überwacht werden und der nigerianischen Bevölkerung unverfälschte Medikamente verkaufen (IOM 8.2014). Trotzdem bliebt die Qualität der Produkte auf dem freien Markt zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt wirken (AA 21.11.2016).

 

Der Glaube an die Heilungskräfte der traditionellen Medizin ist bei den Nigerianern nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher die traditionellen Heiler als die Schulmediziner nach westlichem Vorbild konsultiert (GIZ 7.2017b).

 

In den letzten Jahren wurden mehrere Massenimpfungen gegen Polio und Meningitis durch-geführt. Ende 2016 kam es zu einem akuten Meningitis-Ausbruch, bei dem 745 Menschen gestorben sind und mehr als 8.000 Verdachtsfälle registriert wurden (GIZ 7.2017b).

 

HIV / AIDS:

 

Nigeria hat die zweitgrößte HIV-Epidemie der Welt (NACA 2015; vgl. UNAIDS 10.2.2016). Für das Jahr 2015 schätzt UNAIDS, dass etwa 3,5 Millionen (2,6-4,5 Millionen) Menschen mit HIV in Nigeria leben. Davon sind etwa 1,9 Millionen (1,4-2,4 Millionen) Frauen im Alter ab 15 Jahren an HIV erkrankt. Die Anzahl der Kinder im Alter bis 14 Jahren wird auf 260.000 (190.000 bis 360.000) geschätzt (UNAIDS 2015).

 

Es wird geschätzt, dass im Jahr 2014 etwa 1.665.403 HIV-erkrankte Menschen antiretrovirale Medikamente (ARV) benötigten. Die Anzahl der an HIV erkrankten schwangeren Frauen, die ARV-Prophylaxen bekamen, um die Mutter-Kind-Übertragung von HIV zu verhindern, stieg von 57.871 im Jahr 2013 auf 63.350 im Jahr 2014 (NACA 2015). Laut UNAIDS wurden bis März 2017 1.336.383 Menschen mit HIV und Aids für Behandlungen eingeschrieben. Der UNAIDS Landesdirektor berichtet, dass Nigeria diesen Fortschritt erreichen konnten, da sie eine "Testen und Behandeln Strategie" eingeführt haben. Menschen, die einen positiven Test haben, werden sofort behandelt unabhängig ihrer CD4Werte (DP 1.6.2017). Medikamente gegen HIV/Aids können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖBA 9.2016).

 

Laut jüngsten Schätzungen sinkt die Zahl der Neuinfektionen stetig. Im Jahr 2012 waren es 253.506 Neuinfektionen während die Anzahl im Jahr 2014 auf 227.518 sank. Im Jahr 2014 gab es 174.253 AIDS-bedingte Todesfälle (NACA 2015).

 

Die internationale Organisation AVERT führt vielfältige Kampagnen zur Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit, Aufklärung und Prävention durch. Zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung von HIV-AIDS wurde 2002 von Seiten der Regierung die National Agency for the Control of HIV/AIDS (NACA) gegründet (GIZ 7.2017b). NACA ist für die Umsetzung des nationalen HIV/AIDS Programms zuständig. Sie koordiniert und kontrolliert die Aktivitäten auf der Ebene der Bundesstaaten und LGAs. Das Programm zielt einerseits auf Aufklärung und Prävention und anderseits auf die Behandlung von HIV/AIDS (SF 26.3.2014; vgl. NACA 2015). Laut NACA gibt es in Nigeria im Jahr 2014 1.047 Zentren (im Jahr 2013 waren es 820), in denen antiretrovirale Behandlung angeboten wird (NACA 2015). Im Jahr 2014 gab es 8.114 HIV-Test- und Beratungszentren in Nigeria (NACA 7.2015). Im Bundesstaat Lagos gab es im Jahr 2013 laut MedCOI 57 kostenlose HIV-Test- und Beratungszentren (UKHO 5.2015).

 

Für 2016 bis 2020 gibt es von NACA eine eigene Strategie für Jugendliche und junge Erwachsene, nämlich die National HIV Strategy for Adolescents and Young People 2016-2020. Das Ziel dieser Strategie ist es, die Anzahl neuer HIV-Infektionen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Nigeria zu verringern (UNESCO o. D.; vgl. NACA 2016).

 

Personen mit HIV/AIDS verlieren oft ihre Jobs oder es wird ihnen Gesundheitsversorgung verweigert (USDOS 3.3.2017). Der damalige Präsident, Goodluck Jonathan, unterzeichnete 2014 ein neues Gesetz, das Menschen mit HIV und AIDS vor Diskriminierungen schützen soll. Laut dem HIV/AIDS Anti-Discrimination Act 2014 ist es illegal, Menschen aufgrund ihrer Infektion zu diskriminieren. Arbeitgebern, Einzelpersonen oder Organisationen ist es unter-sagt, einen HIV-Test als Voraussetzung für eine Anstellung oder Zugriff auf Dienste zu fordern (UNAIDS 11.2.2015).

 

1.3.4 Verfügbarkeit von Behandlungsmöglichkeiten und Medikamenten für HIV-positive Patienten

 

Sowohl stationäre als auch ambulante Behandlung durch Fachärzte für innere Medizin und durch HIV-Spezialisten ist verfügbar. Solche Fachärzte und Spezialisten praktizieren unter anderem in Lagos in den Einrichtungen Lagos state University Teaching Hospital, Reddington Hospital und St. Nicholas Hospital. Laboruntersuchungen zur Bestimmung der Viruslast und der Anzahl der CD-4-Blutzellen werden beispielsweise in Lagos in den Pathcare-Laboratorien angeboten. Eine Vielzahl an einschlägigen Medikamenten, Wirkstoffen und Kombinationspräparaten ist in den Anstaltsapotheken, den speziellen HIV-Behandlungszentren oder privaten Apotheken erhältlich.

 

1.3.5 Behandlung nach Rückkehr

 

Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann aufgrund der dargelegten Gründe kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen generell festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Der pauschale Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemein herrschende Situation in Nigeria reicht nicht aus, um eine Bedrohung iSv Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen. Es kann allgemein festgestellt werden, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse, aus selbstständiger Arbeit, sichern kann, insbesondere dann wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 9.2016).

 

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden. Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen. Die Einwanderungsbehörde führt ein Fahndungsbuch, anhand dessen bei aus dem Ausland zurückkehrenden Nigerianern eine Überprüfung bereits bei Ankunft am Flughafen erfolgt: Bei Notierung im Fahndungsbuch wird der Betreffende noch im Flughafengebäude verhaftet; im anderen Fall wird der betroffenen Person ein vorläufiges Identifikationspapier durch die nigerianische Einwanderungsbehörde ausgestellt, wenn sie lediglich über einen vorläufigen Reiseausweis einer nigerianischen Botschaft verfügt (AA 21.11.2016).

 

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Verhaftung bei Rückkehr aus politischen Gründen oder andere

 

außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig ausgereisten Asylbewerbern aus Deutschland sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der Nigerianischen Immigrationsbehörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch der Drogenpolizei (National Drug Law Enforcement Agency/NDLEA) befragt und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 21.11.2016). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als "lead nation". Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen. Die Rückgeführten verlassen das Flughafengebäude und steigen meistens in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Probleme, Anhaltungen oder Verhaftungen von rückgeführten Personen bei ihrer Ankunft am Flughafen Lagos wurden im Rahmen des Monitoring der Ankunft und des ungehinderten Verlassens des Flughafengeländes durch Vertreter der Botschaft nicht beobachtet. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit offiziellen Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖBA 9.2016).

 

Im Ausland straf- oder polizeilich auffällig gewordene Personen, insbesondere Prostituierte, werden in ihren Herkunfts-Bundesstaat überstellt. Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten. Im Mai 2012 erhielt die Deutsche Botschaft in Abuja ein Schreiben des nigerianischen Justizministers mit der Bestätigung der Nichtanwendung des "Decree 33" (AA 21.11.2016). Da die österreichische Botschaft stets "overstay" als Abschiebungsgrund angibt, sind Verhaftungen bei Ankunft in Nigeria unwahrscheinlich. Dadurch ist das "Dekret 33" nicht geeignet, ein Rückschiebungshindernis für eine Person darzustellen (ÖBA 9.2016).

 

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z. B. eine ausreichende Versorgung von minderjährigen Rückkehrern dort nicht ohne weiteres gewährleistet wäre (AA 21.11.2016).

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1 Zum Verfahrensgang:

 

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

 

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Feststellungen zu seiner Volljährigkeit, seinem Familienstand, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Konfession gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des BFA zur Person des Beschwerdeführers aufkommen ließe.

 

Da der Beschwerdeführer keine identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt hat, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Die Feststellungen über seine Arbeitsfähigkeit und zu den Sprachkenntnissen sind auf seine glaubhaften Ausführungen zurückzuführen, und gründen zur Ersteren auch darauf, dass er angab, bei Bedarf als Zeitungsausträger zu arbeiten. Die Feststellungen zu Schulbildung und Lebensunterhalt des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat resultieren ebenfalls aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben.

 

Die Feststellungen zu seinen privaten und sozialen Beziehungen und Anknüpfungspunkten sowie seinen Deutschkenntnissen ergeben sich aus seinen Angaben. Aus diesen ergibt sich auch, dass er sich in Österreich weder in sprachlicher noch in kultureller oder beruflicher Hinsicht integriert hat. Er hat keine Bestätigungen über Aktivitäten oder Mitgliedschaften vorgelegt. Aus all dem sowie dem Umstand seines kurzen Aufenthalts ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt.

 

Die zum Gesundheitszustand und zur ärztlichen Untersuchung des Beschwerdeführers getroffenen Feststellungen beruhen darüber hinaus auf dem Arztbrief / Patientenbrief ("Epikrise") vom 10.08.2017 (AS 79). Eine - wie in der Beschwerde ausgedrückt - "ausgebrochene HIV-Infektion" festzustellen, schied deshalb aus, weil nach dem notorischen Wissen über den Zusammenhang von HIV und AIDS die HIV-Erkrankung eine vorübergehende, in den ersten Wochen nach der Ansteckung stattfindende ist, wohingegen im vorliegenden Fall der HIV-Nachweis bereits bei der eben erwähnten Untersuchung gelang. Die HIV-Erkrankung muss demnach bereits bis August 2017 oder früher stattgefunden haben. Eine Erkrankung des Beschwerdeführers an AIDS wurde nicht behauptet.

 

Die Feststellung über die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Strafregister und der Mitteilung des Gerichts. Sein Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ist durch eine Einsichtnahme in das Betreuungsinformationssystem des Bundes belegt.

 

2.3 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer brachte ursprünglich vor, homosexuell zu sein, nicht aber, dass er deshalb Nigeria verlassen habe. Erst die Beschwerde verknüpft die Ausreise mit der sexuellen Orientierung (S. 3 f, AS 237 f). Schon das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ist aber - wie es auch das BFA beurteilt hat - nicht glaubwürdig. Wie das BFA schlüssig ausführt (S 94 ff des Bescheids, AS 210 ff), konnte der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht nachvollziehbar darlegen.

 

Es widerspricht - auch bei Annahme großer kultureller Unterschiede der Gesellschaften - dem gegenwärtig unter Menschen Üblichen, dass ein Vater seinem 10-jährigen Kind rät, die Eltern und den Heimatort zu verlassen, und es unbegleitet in eine rund 500 km entfernte Stadt übersiedeln lässt. Dies gilt nicht minder, wenn es sich um einen wiederholt von Erwachsenen unsittlich berührten Knaben und eine christliche Familie handelt.

 

Ebenso unglaublich mutet an, dass einem noch nicht einmal pubertierenden Buben Homosexualität angemerkt oder vorgeworfen werden sollte, wenn anschließend derselbe Junge bei einer Gastfamilie wohnt, die davon fünf oder sechs Jahre lang nichts mitbekommt, sowie, dass diese ihn aber nach so langer Zeit als Reaktion auf die Bekanntgabe seiner Neigung prompt hinauswirft.

 

Näher liegend erscheint die erste in der Einvernahme präsentierte Version, dass er die Familie in Lagos nach dem Schulabschluss verlassen müssen habe, weil er von dieser wegen der anderen Kinder keine Unterstützung mehr bekommen hätte (AS 88), was vom Zeitpunkt her mit der Fluchtgeschichte aus der Erstbefragung harmoniert (AS 25). Wie lange und warum er wirklich dort war, muss offen bleiben, zumal er in der Erstbefragung sogar angab, die Schule schon ab 1990 in Lagos besucht zu haben.

 

Während er angeblich in Ungarn bereits nach drei Monaten die Beziehung mit einem Einheimischen einging, brachte er im Verwaltungsverfahren auch nach einem Jahr keinerlei überprüfbare Tatsachen seine sexuelle Neigung betreffend vor, wie etwa eine Beziehung, die Mitgliedschaft in einer Interessensgruppe oder den Besuch themenbezogener Lokale und Veranstaltungen. Die Tatsache einer HIV-Infektion alleine ist wegen der unterschiedlichen Übertragungsmöglichkeiten kein Hinweis auf die sexuelle Neigung der infizierten Person.

 

Auch nach der Negativfeststellung des BFA (S. 14 des Bescheids, AS 130) bringt die Beschwerde lediglich vor, der Beschwerdeführer wäre "ferner bereit gewesen, weiter an der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken", und die Behörde habe "nicht mit der erforderlichen Tiefe" ermittelt (S. 3 f, AS 237 f).

 

Der artikulierte Wunsch nach Reisen, einem "permanenten Job" und einem "besseren", "leichteren" Leben (AS 87 f) deutet daneben auf eine wirtschaftliche Motivation zum Verlassen des Herkunftslandes hin.

 

Die - neben der betreffend die sexuelle Neigung - weitere Negativfeststellung bezüglich der Dauer seiner HIV-Infektion beruht auf dem teils widersprüchlichen, teils nicht nachvollziehbaren Vorbingen des Beschuldigten dazu. In der Türkei, wo er den Befund darüber bekommen haben will, war er nach den Angaben der Erstbefragung etwa drei Wochen (AS 23), nach seinen Angaben in der Einvernahme dagegen erst "viele Jahre" (AS 87), dann zwei Jahre (AS 88) lang.

 

Wegen schlechter Medikamente in der Türkei sei er nach Griechenland gereist, wo es "gleich" gewesen sei. Deshalb sei er nach Ungarn. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass der Beschuldigte vorerst in Griechenland drei Jahre den Zustand erduldet, der ihn zum Verlassen der Türkei bestimmt haben soll. Anschließend ergibt sich die analoge seltsame Abfolge für Ungarn, wo der Beschwerdeführer "auch nicht beachtet" worden sein will, und für sich selbst habe sorgen müssen. Dennoch hat der Antragsteller nach seinen Angaben auch dort drei Jahre verbracht. Von einem HIV-positiven Antragsteller wäre dabei zu erwarten, dass er sich meldet und die Krankenversicherung in Anspruch nimmt, wie das zu Recht in der Beweiswürdigung des BFA aufgezeigt wird (S. 94 des Bescheids, AS 210).

 

Letztlich widerspricht es auch der vorgebrachten Sorge des Antragstellers um die Qualität seiner Therapie, wenn er nach seiner Antragstellung im Oktober 2016 erst im August 2017 ärztlichen Rat sucht, obendrein wegen eines Juckreizes ("Pruritus", "Sonst keine Beschwerden", AS 79), und dabei angibt, zeit seines Aufenthalts und schon davor keine Therapie in Anspruch genommen zu haben. Selbst diese Bestätigung erlangte das BFA nicht vom Beschwerdeführer, sondern zwei Monate später auf dem Umweg über die für Flüchtlingswesen zuständige Dienststelle der Landesverwaltung (AS 77).

 

Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber, der bemüht ist, in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, bestrebt ist, alles diesem Wunsch Dienliche vorzubringen und die Kernfluchtgeschichte möglichst umfassend und gleichbleibend schildert, sodass der Behörde erkennbar ist, welchen Bedrohungen er im Herkunftsland ausgesetzt ist. Es ist damit naheliegend, dass das BFA das Fluchtvorbring als unglaubwürdig einstuft. Die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung sind also nicht zu beanstanden.

 

Da der Beschwerdeführer dem Bescheid nicht substantiiert entgegentrat, und sich die Beschwerdebegründung im Kern darin erschöpfte, seine Fluchtgründe aufrechtzuhalten, ergeben sich auch keine Zweifel am Zutreffen der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen und an ihrer Beweiswürdigung.

 

Mit dem in der Beschwerde erstmals erstatteten Vorbringen, die Rückkehr würde den Beschwerdeführer "als Christen mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine prekäre Lage versetzen", da das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen im Herkunftsstaat "äußerst gespannt" sei, verstößt diese nicht nur gegen das Neuerungsverbot des § 20 BFA-VG, sondern vermag auch inhaltlich nichts zu gewinnen, da nicht ausgeführt wird, worin diese Lage bestehen und warum sie nicht durch eine geeignete innerstaatliche Ortswahl vermieden werden könnte.

 

Das Gericht kommt daher - wie auch schon das BFA - zu dem Schluss, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung oder Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

 

2.4 Zu den Länderfeststellungen

 

Bei den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat aus-gewählten Quellen handelt es sich um eine ausgewogene Auswahl sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs, die es ermöglicht, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann.

 

Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des Gerichts bei den Feststellungen im angefochtenen Bescheid um ausreichend ausgewogene und aktuelle.

 

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen.

 

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Das Gericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde

 

3.1 Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I):

 

3.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der GFK droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

3.1.2 Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, sein Vorbringen betreffend Homosexualität glaubhaft zu machen. Eine konkrete Verfolgung hat er bis zur Beschwerde nicht behauptet, im Gegenteil:

Aufgrund der Homosexualität habe er abgesehen vom Hausverweis keine Probleme in Nigeria gehabt. Er fürchte im Falle seiner Rückkehr nur, dass er nicht die notwendigen Medikamente bekommen werde und sterben müsste. Die außerdem erwähnten wirtschaftlichen Gründe und der Wunsch nach einem besseren Leben erreichen keinerlei Asylrelevanz.

 

3.1.3 Im vorliegenden Fall liegt daher die Voraussetzung einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht vor. Daraus ergibt sich rechtlich gesehen, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Nigeria keine Verfolgung nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und daher der Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides zu bestätigen ist.

 

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II):

 

3.2.1 Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser Antrag in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab-gewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 zu verbinden.

 

3.2.2 Die Rechtsprechung betont, dass die Entscheidung, "einen Fremden in ein Land abzuschieben, wo die Einrichtungen zur Behandlung [einer] Krankheit den im Konventionsstaat verfügbaren unterlegen sind" sogar dann wenn es sich "einen an einer schweren mentalen oder körperlichen Krankheit leidenden Fremden" handelt "nur in einem sehr außergewöhnlichen Fall" "in dem die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind" ein Problem in Bezug auf Art. 3 EMRK aufwerfe. Selbst die Tatsache, dass die Lebenserwartung eines Beschwerdeführers im Falle seiner Ausweisung deutlich herabgesetzt würde, reicht für sich genommen nicht aus, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu begründen. (VwGH 23.09.2009, 2007/01/0515)

 

Fremde, gegen die eine Ausweisung verhängt wird, können also, so der EGMR, grundsätzlich keinen Anspruch geltend machen, im Territorium eines Konventionsstaates zu bleiben, um weiterhin in den Genuss von medizinischer, sozialer oder sonstiger Unterstützung und Leistungen zu kommen, die vom ausweisenden Staat gewährt werden. Hinreichende "außergewöhnliche Umstände" hat der EMRK in einem Fall darin gesehen, "dass der Beschwerdeführer todkrank war, ihm in seinem Heimatland keine Pflege oder medizinische Versorgung garantiert war und er dort keine Familie hatte, die ihn hätte pflegen oder ihn mit den nötigsten Dingen wie Essen, Unterkunft und sozialer Unterstützung versorgen hätte können" (VwGH 23.09.2009, 2007/01/0515).

 

Davon kann bei der hier vorliegenden medikamentösen HIV-Therapie aber nicht gesprochen werden, zumal der Beschwerdeführer seine Eltern und erwachsene Geschwister im Herkunftsstaat hat, auch wenn er angibt, mit den Geschwistern seit drei Jahren keinen Kontakt gehabt zu haben, und in Lagos, wo er sich nach eigenen Angaben zuletzt aufhielt, die oben unter 1.3.4 angeführten Krankenhäuser und Laboratorien sowie Apotheken vorhanden sind, die einschlägige Gesundheitsleistungen anbieten und erbringen.

 

3.2.3 Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage wie allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse liegen nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes nach Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

 

3.2.4 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits öfters erkannt, dass die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.

 

Das gilt auch dann, wenn eine Unterstützung durch Angehörige des Beschwerdeführers unterbleibt. Der Beschwerdeführer ist mit seiner Schulbildung und seiner Zweisprachigkeit im Arbeitsmarkt integrierbar, sei es wie vor seiner Ausreise im Einzelhandel oder im Gastgewerbe, sei es wie in der Türkei als Hafenarbeiter, sei es in einem Wirtschaftszweig mit körperlich leichterer Arbeit.

 

Es ist dem Beschwerdeführer auch unbenommen, gegebenenfalls Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden. Aufgrund all dessen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät, sodass auch der Ausspruch in Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

 

3.3 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III):

 

3.3.1 Nichterteilung eines Aufenthaltstitels

 

Im ersten Satz des Spruchpunkts III im angefochtenen Bescheid sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt werde. Damit war offensichtlich das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemeint. Dem war durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.

 

Von den alternativen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 liegt hier keine vor und wurde vom Beschwerdeführer auch keine behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

 

3.3.2 Rückkehrentscheidung

 

Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl betreffend den Status des Asyl-, als auch auf jenen des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, wie im bekämpften Bescheid geschehen, ist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG vorgesehen, dass das BFA eine Rückkehrentscheidung erlässt.

 

Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

 

Dabei ergibt im Fall des Beschwerdeführers eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.

 

Der Beschwerdeführer ist nach seinen Angaben kurz vor der Antragstellung eingereist. Seither sind 16 Monate vergangen. In dieser Zeit konnte keine relevante Bindung oder Beziehung aufgebaut werden. Unter den gegebenen Umständen kann vom Vorhandensein eines Privatlebens über den Umgang mit anderen Menschen beim Einkaufen und anderen alltäglichen Verrichtungen sowie die Deutschkurse und die dort Lehrenden und Teilnehmenden hinaus kaum ausgegangen werden, zumal der Beschwerdeführer kein Privatleben vorbringt (AS 85, 87).

 

Die fallweisen bezahlten Einsätze als Zeitungsausträger sind schon deshalb nicht als gravierender Bestandteil des Privatlebens zu werten, weil diese bisher unangemeldet und damit als "Schwarzarbeit" stattfanden.

 

Der Beschwerdeführer führt keine Lebensgemeinschaft und kein Familienleben in Österreich und hat das auch nicht behauptet, sondern, dass sein Ex-Freund in Ungarn sei. Es fehlen alle Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz gewisser unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens relevanter Bindungen allenfalls hätte ergeben können. Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbrachte, nämlich rund 25 von 33 Jahren, sprachliche und kulturelle Verbindungen und auch familiäre Anknüpfungspunkte sowie die Möglichkeit, alte oder neue soziale Kontakte zu pflegen.

 

Es liegen auch keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen solchen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde. Der Beschwerdeführer übt in Österreich keine erlaubte Berufstätigkeit aus und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er konnte auch keine eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen.

 

Angenommen werden kann, dass der Beschwerdeführer ein privates Interesse an der HIV-Therapie hat, die ihm derzeit hier nicht nur gratis und niederschwellig zugänglich zur Verfügung steht, sondern auch im Rahmen der bekanntermaßen hochmodernen und den Stand der medizinischen Wissenschaften abbildenden österreichischen Gesundheitsversorgung.

 

Dem bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber. Zuerst steht ihm das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

 

Es würde eine Benachteiligung jener Fremden gleichkommen, die die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen in Österreich beachten, wenn sich der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen könnte, obwohl er seinen Aufenthalt lediglich durch die illegale Einreise und einen unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz erzwungen hat. In letzter Konsequenz würde ein solches Verhalten zu einer unsachlichen und damit verfassungswidrigen Differenzierung der Fremden untereinander führen.

 

Im Fall des Beschwerdeführers kommt neben dem mangelnden Vorweis von Integrationsschritten in Österreich hinzu, dass er bereits im ersten Halbjahr nach seiner Einreise durch die begangene Straftat ein Verhalten gesetzt hat, das keine Achtung der rechtlich in Österreich - und insgesamt in der Union - geschützten Werte zeigt.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden.

 

3.3.3 Zulässigkeit der Abschiebung

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, die Festlegung eines solchen Staates wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

 

§ 50 Abs. 3 FPG erklärt die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria einer realen Gefahr der Folter, der unmenschlichen Strafe oder Behandlung oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre.

 

Es fehlt auch jedes Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr durch einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt Gefahr laufen würde in seinem Leben beeinträchtigt oder gar getötet würde.

 

Zudem liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und damit die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

 

Der Beschwerdeführer wird aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes in der Lage sein, in Nigeria zumindest notdürftig leben zu können. Er ist dort aufgewachsen und hat die ersten etwa 25 Jahre seines Lebens dort verbracht. Er spricht Igbo und Englisch und hat im Heimatland und außerhalb auch schon Berufserfahrung gesammelt. Es ist dem Beschwerdeführer durchaus möglich, sich durch Annahme einer Tätigkeit eine, wenn auch nur bescheidene, Existenz zu sichern.

 

Die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz werden jedenfalls im konkreten Fall gedeckt werden können. Es genügt nicht für die Annahme, der Beschwerdeführer würde nach seiner Rückkehr keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können, dass er möglicherweise in Österreich wirtschaftlich besser leben kann als im Herkunftsland. Somit fehlen im vorliegenden Fall Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

 

Zudem besteht in Nigeria keine so extreme Gefahrenlage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.

 

Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass in Nigeria das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch in der Beschwerde nicht konkret behauptet.

 

Eine der Abschiebung nach Nigeria entgegenstehende Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht nicht.

 

Daher erwiesen sich die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung als rechtmäßig und die Beschwerde daher insoweit als unbegründet.

 

Die Beschwerde war daher - von der Richtigstellung abgesehen - auch betreffend den Spruchpunkt III abzuweisen.

 

3.4 Zum Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV):

 

Das BFA hat die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt und dies mit den im folgenden Punkt zu erörternden Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 BFA-VG begründet. Wie zu zeigen sein wird, hat es diese Bestimmung zu Recht angewendet.

 

Bereits unmittelbar aus § 55 Abs. 1a FPG ergibt sich, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nach einer nach § 18 BFA-VG durchführbaren Entscheidung nicht besteht, was hier nach dem Spruchpunkt V des angefochtenen Bescheides der Fall ist.

 

Daher war die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

3.5 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V):

 

Mit Spruchpunkt V des angefochtenen Bescheides hat das BFA der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Nach dieser Bestimmung ist die Voraussetzung dafür, dass das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation "offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht".

 

Dazu ist es erforderlich, dass Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Dazu reicht es nicht, dass das BFA das Vorbringen eines Asylwerbers als unglaubwürdig wertet. Nur dann, wenn "unmittelbar einsichtig" ist und sich das Urteil quasi "aufdrängt", dass die maßgeblichen Schilderungen tatsächlich wahrheitswidrig sind, reicht das Maß an Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hin (vgl. zur gleichlautenden Bestimmung des § 6 Z. 3 AsylG 1997 VwGH 06.05.2004, 2002/20/0361; 21.08.2001, 2000/01/0214).

 

Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, das "Problem" seien die wegen seiner HIV-Infektion erforderlichen Medikamente. Er würde sterben, wenn er diese Medikamente nicht bekäme. Diese Schlussfolgerung ist - wörtlich genommen und auf einen langen Zeitraum bezogen - nicht unrichtig, sondern Stand des Wissens über HIV. Angesprochen ist inhaltlich die schließlich am Ende der Beschwerde auch explizit behauptete Gefahr einer Menschenrechtsverletzung wegen unzureichender Therapiemöglichkeit im Herkunftsstaat. Das BFA verweist dazu auf die festgestellten Therapiemöglichkeiten in diesem Herkunftsstaat. Für diese Feststellungen musste das BFA neben der Länderinformation der Staatendokumentation auch noch einen Bericht der "Medical Country of Origin Information" heranziehen, um eine konventionsrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers auszuschließen. Unter diesen Umständen kann nicht von der nötigen "Offensichtlichkeit" der unrichtigen Angaben ausgegangen werden.

 

Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Z. 5 BFA-VG sind daher unzutreffender Weise vom BFA angenommen worden, wobei aus der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt V (S. 113 des Bescheids, AS 229) klar hervorgeht, dass es sich nicht um einen Schreibfehler im Spruch handelt.

 

Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann allerdings gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung auch dann aberkannt werden, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt.

 

Dabei ergibt die erforderliche Prognoseentscheidung (vgl. VwGH 13.12.2017, Ro 2017/19/0003; 15.12.2011, 2011/21/0237), dass die Voraussetzung vorliegt. Aus dem Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften lässt sich ablesen, dass der Beschwerdeführer die rechtlich geschützten Werte nicht ausreichend verinnerlicht hat, woraus sozial inadäquates Verhalten folgte. Der Tatzeitpunkt lag nur wenig außerhalb der Grenze des § 53 Abs. 3 Z. 2 FPG, nach welchem von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit auszugehen ist, wenn eine Vorsatztat binnen drei Monaten nach Einreise erfolgt und zu einer rechtskräftigen Verurteilung führt.

 

Ein weiterer Grund für die Annahme, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt, ist das aktenkundige Verhalten in Ungarn. Dort hat er sich kurz nach Antragstellung den Behörden entzogen und - den eigenen Angaben nach - dennoch jahrelang gelebt. Mit einem solchen Verhalten ist daher wieder zu rechnen, wenn der Beschwerdeführer eine subjektiv bessere Alternative zur offiziellen Unterkunft hat, wobei ein Entfall der Grundversorgung die Gefahr neuerlicher Drogendelinquenz erhöhen würde.

 

Zusammen wiegen diese Gründe schwer im Sinne des § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG. Die Abwägung zwischen den Interessen des Beschwerdeführers und jenen Österreichs ergibt einen Überhang der Interessen Österreichs an der unverzüglichen Vollstreckung des bekämpften Bescheides, zumal jene des Beschwerdeführers kaum ins Gewicht fallen, weshalb die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen den Bescheid zulässig war.

 

Damit ergibt sich, dass das BFA seine Entscheidung zwar zu Unrecht auf die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z. 5 BFA-VG gestützt hat, jedoch die aufschiebende Wirkung zu Recht aberkannte, weil ein anderer Tatbestand des § 18 Abs. 1 BFA-VG erfüllt ist, der diese Rechtsfolge vorsieht. Der Spruch war indes aus diesem Grund richtigzustellen.

 

Die Beschwerde war daher - von der Richtigstellung abgesehen - auch betreffend den Spruchpunkt V abzuweisen.

 

Nach § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Ein Antragsrecht, das auf diese Entscheidung gerichtet wäre, ist nicht vorgesehen. Der in der Beschwerde gestellte Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erweist sich damit als unzulässig, weshalb er mit Beschluss zurückzuweisen wäre, würde er nicht mit der Erlassung der vorliegenden inhaltlichen Entscheidung ohnehin gegenstandslos.

 

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

 

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung relevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist.

 

Außerdem muss die Verwaltungsbehörde ihre die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Gericht diese tragenden Erwägungen in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

Die genannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Gericht rund drei Monate liegen - die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Gericht, von den für die Entscheidung nicht maßgeblichen Neuerungen im Vorbringen abgesehen, zur Gänze angeschlossen.

 

Das Gericht musste sich auch keinen persönlicher Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).

 

Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

 

Zu B) - Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Relevanz von Krankenbehandlungen bei Rückkehrentscheidungen.

 

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

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