VOG §1 Abs1
VOG §1 Abs3
VOG §3
B-VG Art.133 Abs4
VOG §1 Abs1
VOG §1 Abs3
VOG §3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W200.2012322.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Svoboda als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Tirol, vom 06.08.2014, GZ 810-600624-005, gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3 des Verbrechensopfergesetzes (VOG) zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin stellte am 31.01.2013 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Tirol (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Ersatz von Verdienstentgang.
Begründet wurde der Antrag im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin ein Opfer von schwerer Gewaltanwendung durch körperliche Gewalt und Vernachlässigungen sowie psychische Gewalt während ihres langjährigen Aufenthaltes im Kinderheim Martinsbühel in Zirl geworden sei. Sie habe die Jahre 1971 bis 1982 im Kinderheim in Martinsbühel mit andauernder Gewalterfahrung während des gesamten Heimaufenthaltes verbracht. Sie habe in der Kindheit mehrere Knochenbrüche erlitten und die damaligen Verhältnisse hätten nachhaltige Auswirkungen auf die aktuelle Lebenssituation. Sie habe die Misshandlungen während ihres Heimaufenthaltes in Martinsbühel nie überwunden und leide an Schlafstörungen, psychosomatischer Vulnerabilität, Kopfschmerzen und einem depressiven Rückzug, sodass sie über viele Jahre kaum ihr Haus verlassen habe. Aufgrund dieser negativen Einflüsse sei die Beschwerdeführerin nie in der Lage gewesen, eine Ausbildung zu absolvieren und sie sei Sonderschulabgängerin. Sie habe nie die Chance gehabt, einen Beruf zu ergreifen und es seien ihr aufgrund der Vorkommnisse im Kinderheim Martinsbühel jegliche Chancen auf eine Zukunft verbaut worden. Sie lebe derzeit von einer geringen Invaliditäts-, Waisen - und Witwenpension am Existenzminimum. Die erhebliche Gewaltanwendung, die auch nachweislich zu Brüchen bei der Beschwerdeführerin geführt habe, und physische Misshandlung seien kausal für die derzeitige Situation der Beschwerdeführerin, da diese bei ordentlicher Behandlung und gehöriger Förderung einen Lehrberuf hätte erlernen können und in der Lage gewesen wäre, für sich selbst ein Einkommen zu beziehen.
Dem Akt sind folgende Unterlagen zu entnehmen:
? Orthopädische Beurteilung im Verfahren PVA zur Gewährung der Invaliditätspension vom 27.05.1988 mit folgende Inhalt: "Die Pat. ist generell, auch ohne ihren Ellbogenbefund li von Seiten des Bewegungsapparates vermindert belastbar, in Frage kommen für sie nur leichte und zeitlich beschränkt mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, eine beständige körperlich mittelschwere oder bds. manuelle Tätigkeit scheidet wegen des allgemeinen Befundes und wegen des Befundes am li Ellbogen aus."
? Psychiatrisch-neurologische Beurteilung im Verfahren PVA zur Gewährung der Invaliditätspension vom 30.05.1988 mit folgendem Inhalt: "Beträchtliche Debilität. Verdacht auf durchgemachte frühkindliche Hirnschädigung. Zn wiederholten Knochenbrüchen (Osteoporose?) Zn Operation im Ellenbogengelenk li. mit schmerzhafter Stelle. Wird höchstens ganz einfache körperliche Arbeiten u. einfachste geistige Arbeiten verrichten können, wobei es vermutlich zu überdurchschnittlichen Pausen kommen wird. Im Grunde genommen minderleistungsfähig."
? Internistische Beurteilung im Verfahren PVA zur Gewährung der Invaliditätspension vom 22.06.1988 mit folgende Inhalt: "Die Pat. ist aus orthop. Sicht verminderte belastbar. So können ihr nur leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung auf dem AAM zugemutet werden. Hinzu kommt die geistige Behinderung, weswegen der Untersuchten theoretisch nur einfachste körperliche sowie geistige Tätigkeiten zugemutet werden können. Auch dabei wird es zu überdurchschnittlichen Pausen kommen müssen. Insgesamt gesehen ist die Pat. sicherlich als minderleistungsfähig zu beurteilen. Die weitere Verwendbarkeit wird wie bisher nur in einem Zentrum wie Martinsbühel bzw. in einer Einrichtung wie der Lebenshilfe möglich sein. Beschrieben wurde weiters eine dauernde Invalidität und "als HA arbeitsunfähig".
? Schreiben des AMS Tirol vom 30.07.2013, dass die Beschwerdeführerin an einer Arbeitstrainingsmaßnahme für Sonderschulabgänger von 10.11.1986 bis 25.01.1987 teilgenommen habe. Vom 19.10.1987 bis 06.01.1988 sei sie bei einer Arbeitserprobung im Verein Jugendland gewesen. Am 12.02.1988 sei abermals eine Maßnahme aufgenommen worden, diese sei aber am selben Tag beendet worden. Verwiesen wurde in diesem Schreiben auf das Ergebnis des Gutachten vom 16.08.1985 von Dr. XXXX (Amtsarzt): "Bei XXXX besteht ein schwerer geistiger Entwicklungsrückstand, wodurch die AW nicht in der Lage ist, selbstständig eine Arbeit anzunehmen."
Weiters wurde seitens der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie und Neurologie eingeholt, in dem eine angeborene leichte Intelligenzminderung (F 70) sowie ein verbrechenskausale "Zn generalisierter Angststörung" und "Zn depressiver Verstimmung (Tod des Partners)" diagnostiziert wurde. Die Beschwerdeführerin sei aufgrund der leichten Intelligenzminderung alleine schon nicht arbeitsfähig, im gleichen Gutachten wurde darauf hingewiesen, dass Personen mit leichter Intelligenzminderung grundsätzlich für leichte Tätigkeiten anlernbar seien.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.08.2014 wurde der Antrag vom 31.01.2013 auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3 sowie § 10 Abs. 1 des Verbrechensopfergesetzes (VOG) abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die kausale Gesundheitsschädigung den beruflichen Werdegang nicht maßgeblich beeinflusst habe. Aus medizinischer Sicht wäre auch ohne kausale Gesundheitsschädigung eine kontinuierliche Beschäftigung nicht möglich gewesen. Die Beschwerdeführerin sei aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen, eine Berufsausbildung erfolgreich zu absolvieren. Schon allein die akausalen Gesundheitsschädigungen hätten bewirkt, dass einer geregelten Arbeit nur in besonders geschützten Rahmen wie Lebenshilfe, geschützte Werkstatt, etc. nachgegangen hätte werden können.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 02.12.2014 wurde die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid abgewiesen.
Das Erkenntnis des BVwG wurde mit VwGH-Erkenntnis vom 27.04.2015 behoben und darin unter anderem wie folgt ausgeführt:
"So ist die medizinische Sachverständige in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, die Revisionswerberin leide unter einer "leichten Intelligenzminderung F70", wobei die Mehrzahl der davon Betroffenen "für eine Arbeit anlernbar" sei. Auch der ( ) psychopathologische Status der Revisionswerberin spricht nicht offensichtlich für eine Arbeitsunfähigkeit schon aufgrund der leichten Intelligenzminderung der Revisionswerberin. Es ist daher ohne weitere Befragung der Sachverständigen im Rahmen einer Verhandlung nicht nachvollziehbar, weshalb schon alleine die "leichte Intelligenzminderung" der Revisionswerberin – die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bereits als Büglerin gearbeitet hat – zur (gänzlichen= Arbeitsunfähigkeit /also nicht bloß zur Minderung ihrer Arbeitsfähigkeit) geführt haben sollte und die verbrechenskausale Gesundheitsschädigung der Revisionswerberin (Angststörung) als mögliche weitere wesentliche Ursache ausscheidet (vgl. zur Frage der Kausalität bei mehreren möglichen Ursachen und zur sog. Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2015, Zl. 2013(11(0021, mwN).
Da es im Übrigen nicht in den alleinigen Fachbereich des medizinischen Sachverständigen fällt, die Chancen einer unter Intelligenzminderung leidenden Person auf dem Arbeitsmarkt zu beurteilten, hätte außerdem, wie die Revisionswerberin zutreffend einwendet, das Gutachten eines für den Arbeitsmarkt zuständigen Sachverständigen eingeholt werden müssen. Hätte die Revisionswerberin nämlich trotz ihrer leichten Intelligenzminderung (deren medizinische Auswirkungen, insbesondere was die Verhaltensweisen der davon betroffenen Person anlangt, im ärztlichen Gutachten zu beschreiben sind) am Arbeitsmarkt wenigstens einer einfachen Beschäftigung nachgehen können, so spräche einiges dafür, dass ihre nunmehrige gänzliche Berufsunfähigkeit zumindest mit Wahrscheinlichkeit durch die verbrechenskausale Gesundheitsschädigung (Angststörung) (mit-)verursacht ist."
Im fortgesetzten Verfahren holte das BVwG neuerlich ein psychiatrisches Amtssachverständigengutachten ein, das Folgendes ergab:
"Die gutachterliche Stellungnahme bezieht sich auf das Aktenstudium und die persönliche Exploration am 25.9.2015 von 9:00 bis 10:00 in meiner Ordination in XXXX Tirol.
Seitens des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, ergeht an mich die Anfrage einer gutachterlichen Stellungnahme bezüglich des Zusammenhanges kausaler und akausaler psychischer Gesundheitsstörungen bei Frau XXXX und deren Auswirkungen auf das Erwerbsleben bzw. die Arbeitsfähigkeit.
Kurz zusammengefasst ist Frau XXXX vom vierten bis ins sechste Lebensjahr in einem Kinderheim in Scharnitz und schließlich vom sechsten bis ins 17. Lebensjahr im Kinderheim Martinsbühel wohnhaft gewesen; während sie sich an die Zeit im Kinderheim Scharnitz nicht erinnern kann, berichtet sie über psychische und körperliche Misshandlungen in Martinsbühel, allerdings auch über im Gespräch als noch belastender und noch präsenter beschriebene wiederholte Missbrauchserfahrungen durch den Vater und einen Freund des Vaters; diese hätten angeblich schon im Kleinkindesalter begonnen, erinnern könne sich an einen sexuellen Missbrauch im zwölften Lebensjahr; im
18. Lebensjahr sei sie von ihrem Vater schwanger geworden und habe in Deutschland eine Abtreibung machen müssen.
Nach eigener Aussage konnte sie weder einen Beruf erlernen noch eine normale Schule besuchen; sie besuchte elf Jahre eine Sonderschule und ging dann in verschiedenen geschützten Bereichen Arbeiten nach, unter anderem auch im Aufbauwerk der Jugend und in einer Einrichtung in Unken in Salzburg; sie hat nie am ersten, also allgemeinen Arbeitsmarkt gearbeitet gibt auch an, dass sie das aufgrund ihrer geringen Stressbelastbarkeit und der schlechten Belastbarkeit im zwischenmenschlichen Umgang auch gar nicht geschafft hätte. Sie habe dann im 23. Lebensjahr auch auf Anraten von Angehörigen mit der Arbeit aufgehört und sei im Mai 1988 schließlich pensioniert worden. Sie lebe nun seit 17 Jahren mit einem Lebensgefährte einer Wohnung, habe keine Kinder, komme mit ihrem Leben nicht schlecht zurecht. Sie ist in finanziellen Belangen besachwaltert".
Die vom BVwG gestellten Fragen beantwortete er Folgendermaßen:
1) Medizinisch exakte Bezeichnung der festgestellten psychiatrischen Gesundheitsschädigungen; falls klar voneinander trennbare psychiatrische Krankheitsbilder vorliegen ist dies unter Punkt 2 und 3 entsprechend zu berücksichtigen
2) Kausalität
2a) Welche der festgestellten psychiatrischen Gesundheitsschädigungen sind mit Wahrscheinlichkeit auf die Verbrechen (Kinderheim/Vater) zurückzuführen?
2b) Falls die Verbrechen nicht alleinige Ursache sind, wird um Beurteilung ersucht, ob das Verbrechen als wesentliche Ursache zum derzeitigen psychiatrischen Leidenszustand beigetragen hat.
Es wird ersucht ausführlich darzulegen, was für den wesentlichen Einfluss (vorzeitige Auslösung und/oder Verschlimmerung) der Verbrechens spricht und was dagegen.
"ad 1,2)
Das komplexe psychiatrische Krankheitsbild lässt sich in kausale und akausale psychische Gesundheitsstörungen differenzieren: Akausal liegt eine leichte Intelligenzminderung F70 mit einer Einschränkung der psychosozialen Fertigkeiten ist der Fähigkeiten zur selbstständigen Stress- und Lebensbewältigung vor. Die Unterscheidung, ob insbesondere für letztgenannte Folgen der Intelligenzminderung, so wie auch der gemischten Angststörung und der depressiver Verdichtungen (F41.2) (hier liegt allerdings gegenwärtig keine relevante Symptomatik vor) mehr durch die sexuellen Missbrauchserfahrungen durch den Vater und die sehr desolaten Familienverhältnisse überhaupt oder mehr durch die psychischen und körperlichen Misshandlungen im Kinderheim verursacht wurden, ist aus psychiatrischer Sicht heute nicht mehr verlässlich zu klären; am ehesten kommt hier ein zumindest gleichwertiges Zusammenwirken beider Faktoren zum Tragen.
ad 2a)
Die immer wieder im Leben auftretende Angststörung und die depressiven Phasen in der Vergangenheit, sowie auch die indirekt daraus folgenden Einschränkungen des Umganges mit Stress und Lebensbelastungen sind überwiegend auf die Verbrechen zurückzuführen.
Ad 2b)
Die erlittenen Verbrechen haben als wesentliche Ursache zum derzeitigen psychiatrischen Leidenszustand beigetragen; hierfür spricht, dass zwar im Rahmen der Intelligenzminderung eine einfache geistige Strukturiertheit bereits akausal vorgelegen hat, die anhaltenden und nahezu ausschließlichen interpersonalen Traumatisierungen allerdings die Fähigkeit zum kompetenten zwischenmenschlichen Umgang, zur Konfliktlösung, auch zur Verarbeitung von Lebensbelastungen in erheblicher Weise durch die kausale Gesundheitsstörung bis zum heutigen Tage eingeschränkt ist. Es wird jedoch nochmals darauf hingewiesen, dass auch ohne das erlittene Unrecht insbesondere im Kinderheim derart desolate und instabile familiäre Verhältnisse vorgelegen haben müssen, dass auch bereits aufgrund dieser Umstände eine ähnlich mangelhafte psychosoziale Entwicklung abgelaufen wäre."
3) Falls die Kausalität unter Punkt 2a oder 2b verneint wird, wird um ausführliche Stellungnahme ersucht, worauf der festgestellte psychiatrische Leidenszustand zurückzuführen ist.ad 3)
"Wie erwähnt ist der psychische Leidenszustand teilweise eben auch auf die desolaten Familienverhältnisse, die dadurch bedingte mangelhafte Sozialisation und durch die Intelligenzminderung bedingt; dass auch über längere Zeiträume epileptische Anfälle erlitten wurden, könnte die Kritik- und Urteilsfähigkeit auch noch in der späteren Lebensgeschichte beeinträchtigt haben (z.B. im Rahmen einer epileptische Wesensänderung)"
4) Falls die festgestellte psychiatrische Gesundheitsschädigung mit Wahrscheinlichkeit durch kausale und akausale Ursachen herbeigeführt worden ist, wird ersucht zu Folgendem Stellung zu nehmen:
4a) Hat das erlittene Trauma die festgestellte psychiatrische Gesundheitsschädigung mit Wahrscheinlichkeit - vorzeitig (erheblich früherer Zeitpunkt)- ausgelöst, oder wäre diese auch ohne die angeschuldigten Ereignisse im - annähernd - selben Zeitraum entstanden?
4b) Hat das erlittene Trauma die festgestellte psychiatrische Gesundheitsschädigung mit Wahrscheinlichkeit verschlimmert?
Wenn ja in welchem Ausmaß?
Welche Gesundheitsschädigung läge ohne die angeschuldigten Ereignisse vor?
"ad 4a)
Diese Frage lässt sich auch mit psychiatrischem Fachwissen nicht mehr beurteilen, ohne spekulativ zu werden.
ad 4b)
Dass das erlittene Trauma (bzw. konkreter: die anerkannten Verbrechen, Traumatisierungen sind wohl auch darüber hinaus passiert) die kausale psychische Gesundheitsstörung verschlimmert hat, und zwar in einem relevanten Ausmaß, muss angenommen werden - sind doch vielfältige psychische und körperliche Verletzungen auf eine ohnehin schon einigermaßen wehrlose und verletzliche Persönlichkeit getroffen, deren psychosoziale Fähigkeiten schon alleine wegen der geistigen Grundstruktur beschränkt gewesen sind."
5) 5a) Ist die Beschwerdeführerin arbeitsfähig?
1. Falls Ja: Wie gestaltet sich die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin?
Welche Tätigkeiten könnte die Beschwerdeführerin beispielsweise durchführen?
2. Falls Nein: Welche der festgestellten Gesundheitsschädigungen verursacht die Arbeitsunfähigkeit?
5b) Für den Fall, dass u.a. eine angeborene leichte Intelligenzminderung (F40) festgestellt wird, wird um Konkretisierung ersucht, in welcher Ausprägung diese vorliegt.
Ist konkret die Beschwerdeführerin im Rahmen der Ausprägung ihrer Intelligenzminderung für eine Arbeit anlernbar? (VwGH-Erkenntnis Ra 2015/11/0004-5, S 9)
Falls ja: Warum? Für welche?
Falls nein: Warum?
5c) Hat das erlittene Trauma die festgestellte psychiatrische Gesundheitsschädigung mit Wahrscheinlichkeit in einem Ausmaß verschlimmert,
* dass der/die BF ohne die angeschuldigten Ereignisse arbeitsfähig wäre, in dem Sinne, dass die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des/der BF in deutlich geringerem Ausmaß bestünden?
* Oder wäre der/die BF ohne die angeschuldigten Ereignisse ebenfalls arbeitsunfähig, in dem Sinne, dass die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des/der BF ohne die angeschuldigten Ereignisse in annähernd gleichem Ausmaß bestünden?
"Ad 5a)
Fr. XXXX ist am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einmal halbschichtig arbeitsfähig, ist dies aufgrund ihres Fähigkeitsprofiles auch für einfache Arbeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt ohne ein besonderes Entgegenkommen - soweit retrospektiv einschätzbar- niemals gewesen.
ad 5b)
Die zweifelsfrei vorliegende leichte Intelligenzminderung beinhaltet einen Zustand von verzögerter oder unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, sie ist im Leben Obengenannter wiederholt mit anderen psychischen Störungen aufgetreten, die teilweise als kausal einzuschätzen sind. Viele, aber bei weitem nicht alle Erwachsene können mit dieser Störung arbeiten - grob entsteht der Eindruck, dass Frau XXXX hinsichtlich ihres geistigen Leistungsniveaus in etwa einem zwölfjährigen Mädchen entspricht.
Sie wäre grundsätzlich für eine Arbeit anlernbar, was die geistigen Leistungskapazitäten betrifft; sie wäre aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur, teilweise auch aufgrund der Ängste und der belastenden Erinnerungen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, auch den Belastungen des Arbeitslebens und den psychosozialen Anforderungen, die die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, Vorgesetzten usw. stellt, dauerhaft zu tolerieren.
Anlernbar wäre sie für eine einfache und sich wiederholende manuelle Tätigkeit in einem einigermaßen ruhigen und übersichtlichen Umfeld, anfänglich jedenfalls auch unter einem überdurchschnittlichen Entgegenkommen von Mitarbeitern und Vorgesetzten- also definitionsgemäß nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt (qualitativ und quantitativ).
5c)
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass Fr. XXXX ohne die angeschuldigten Ereignisse aufgrund der Intelligenzminderung und der ausgesprochen desolaten Herkunftsfamilie ebenfalls nicht in einem Ausmaße arbeitsfähig wäre, dass sie sich selbst versorgen könnte (also mehr als 20 h wöchentlich und ohne ein besonderes Entgegenkommen am Arbeitsplatz). Hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit bestünden die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit somit auch ohne die angeschuldigten Ereignisse in annähernd gleichem Ausmaß."
Weiters holte das BVwG auch ein Gutachten eines Sachverständigen aus den Fachgebieten Klinische Psychologie und Berufskunde unter Zugrundelegung der bereits eingeholten psychiatrischen Gutachten ein:
Gutachten vom 20.11.2016:
"Das Gutachten stützt sich: auf ein fachexploratives Gespräch mit Frau XXXX (12.05.2016);
auf eine psychodiagnostische Untersuchung von Frau XXXX (12.05.2016);
auf das Aktenstudium.
Vor Beginn der Untersuchung wurden die Betroffenen über den Sinn und Zweck der Untersuchung aufgeklärt. Die Betroffenen erklärten sich mit der Befundaufnahme durch den Sachverständigen einverstanden.
Die reine Untersuchungszeit erstreckte sich in der Regel, inkl. psychodiagnostischer Untersuchung, auf ca. 4 Einheiten pro Person (einzelne Zeitpunkte können leicht variieren). Einzelgespräche erstreckten sich in der Regel auf eine Einheit.
Telefonisch-informative Gespräche gestalteten sich nach Erreichbarkeit der jeweiligen Personen an den angegebenen Tagen und erstreckten sich in der Regel auf nicht über 0,5 Einheiten pro Person.
I Unterlagen und Informationen aus den Akten
In der Beschwerdeangelegenheit wurde um Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Durchführung einer Untersuchung unter Einbeziehung a) des Berichtes der Ombudsstelle für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch (AS 9 - AS 11), b) des von der belangten Behörde auf AS 92 - 94 festgestellten unstrittigen Sachverhalts, c) des im erstinstanzlichen Verfahren verwendeten ärztlichen GA (AS 109 - 129, AS 164 - 166), d) des vom BVwG eingeholten psychiatrischen GA (AS 243/20 -243/21) und e) der vorliegenden medizinischen Unterlagen (vgl. Pkt. 2.) ersucht.
Laut den von der belangten Behörde (AS 109 - 129) und vom BVwG eingeholten psychiatrischen GA (AS 243/20 -243/21) leidet die BF an einer leichten Intelligenzminderung (F 70).
Lt. GA der belangten Behörde (AS 109 - 129) litt die BF im September 2013 darüber hinaus an Zn generalisierter Angststörung und Zn depressiver Verstimmung (nach dem Tod des Mannes im Sinne einer Anpassungsstörung).
Lt. GA vom 5. 10.2015 (AS 243/20 -243/21) litt die BF darüber hinaus an einer gemischten Angststörung und depressiver Verdichtung (F41.2).
Befundergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchungen und Inhalte der Gespräche für die vorliegende fachliche Fragestellung fokussiert und kursorisch wiedergegeben. Die explorativen Fachgespräche basieren in ihrem Aufbau und der Strukturierung auf den oben skizzierten Punkten, auf der fachlichen Fragestellung, auf der Aktenlage und auf den vorliegenden Vorbefunden. Die Vorgangsweise ist hypothesengeleitet und multimethodal. Das klinischanamnestische, fachexplorative Gespräch erfolgte anhand der ICD-Kriterien. Die inhaltlich-fachlichen Prämissen ergeben sich aus der Fachliteratur und werden hier aufgrund der Leseökonomie bei Bedarf ausschnittsweise dargetan. Diese können an anderer Stelle nachgelesen werden.
Frau XXXX berichtet aktuell:
Am 02.06.1965 sei sie zur Welt gekommen, im Kinderheim Martinsbühl habe sie die Sonderschule besucht. In diesem Heim sei es ihr nicht gut ergangen, weil sie oft geschlagen worden sei.
Im Alter von 2,5 Jahren sei sie von ihrem Vater sexuell missbraucht worden und ihr Vater sei deswegen verurteilt worden. Die Jahre von 1968 bis 1980 habe sie im Kinderheim verbringen müssen. Dann sei sie in eine Einrichtung für Beschäftigungstherapie in Salzburg gekommen und habe dort 1,5 Jahre als Büglerin gearbeitet.
Nach dieser Zeit habe sie bei ihrer Schwester in Deutschland (Aschaffenburg) gelebt. Vom Mann ihrer Schwester sei sie leider auch geschlagen und sexuell missbraucht worden. Es sei ihr nicht gut ergangen.
Ihre Schwester habe ihr nicht geglaubt und sie habe sich gewünscht, wieder nach Hause zu ihrer Mutter zu ziehen. Sie habe es bei ihrer Schwester nicht mehr ausgehalten und sich mit einem Küchenmesser das Leben nehmen wollen.
Im Alter von 17 Jahren sei sie von ihrem eigenen Vater schwanger geworden. Ihre Schwester habe eine Abtreibung in Deutschland organisiert und der Schwangerschaftsabbruch habe im vierten Monat stattgefunden.
Herr XXXX in Innsbruck habe ihr dann eine Arbeit besorgt. Im Kinderheim Arzl sei sie ganztätig als Büglerin beschäftigt gewesen. Dort habe sie nicht lange gearbeitet, weil sie die Stiege hinuntergestürzt sei und sich die rechte Hand gebrochen habe. Es sei eine Glasknochenkrankheit vermutet worden und das Tragen von schweren Dingen sei ihr nicht gut möglich. Sie habe sich einer Operation unterziehen müssen, weil das Handgelenk verdreht gewesen sei.
Ein weiteres Jahr habe sie dann noch im Kinderheim Arzl gearbeitet. Durch die Knochenbrüche sei ihr zur Frühpension geraten worden. Als der Arzt ihr das empfohlen habe, sei sie 23 Jahre alt gewesen. Sie habe sich nicht pensionieren lassen wollen. Leider sei schon früh eine Osteoporose festgestellt worden. Deswegen lasse sie sich einmal pro Jahr ihre Knochendichte messen. Ein weiteres Mal habe sie sich die Hand gebrochen, weil sie aus der Badewanne gefallen sei.
Durch die Unfälle bzw. Stürze habe sie sich ca. 12 oder 13 Brüche zugezogen. Sie nehme Medikamente aufgrund von Osteoporose, einer COPD und Schilddrüsenunterfunktion und verwende einen Asthmaspray. Bei Bedarf nehme sie auch leichte Schlaftabletten.
Viele Tabletten habe sie bereits abgesetzt. Sie hätte gerne gearbeitet, es sei ihr aber nicht gestattet bzw. ermöglicht worden. Sie habe geheiratet und heiße nun XXXX. Ihr lediger Name sei XXXX und ihr Mann sei leider schon verstorben.
Zum Zeitpunkt des Pensionseintrittes habe sie psychiatrische Diagnosen gehabt. Vor über zehn Jahren sei sie in der Psychiatrie wegen eines Nervenzusammenbruchs behandelt worden. Stationär habe sie sich nie in der Psychiatrie befunden. Das Lesen und Schreiben falle ihr leicht, das Rechnen jedoch schwer.
Weitere Untersuchungsgrundlagen:
Beck-Depressions-Inventar (BDl-ll), Grundintelligenztest Skala 2 (CFT 20-R), Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest (MWT-A), Mehrfachwahl-Wortschatz- Intelligenztest (MWT-B), Cognitrone, VLT, NVLT (verbaler- und nonverbaler Intelligenztest)
Das BDl-ll stellt ein Instrument zur Beurteilung der Schwere der Depression bei psychiatrisch diagnostizierten Personen dar.
Interpretation:
Die Testperson erzielte einen Summenwert von 2, dieser liegt im normalen Bereich und ist somit als unauffällig zu bezeichnen.
Der CFT 20-R erfasst das allgemeine intellektuelle Niveau (Grundintelligenz) im Sinne der "General Fluid Ability" nach Cattell. Diese kann umschrieben werden als Fähigkeit, figurale Beziehungen und formal-logische Denkprobleme mit unterschiedlichem Komplexitätsgrad zu erkennen und innerhalb einer bestimmten Zeit zu verarbeiten. Da dies durch sprachfreie und anschauliche Testaufgaben geschieht, werden Personen mit schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache und mangelhaften Kulturtechniken nicht benachteiligt.
Interpretation:
Die Testperson erreichte im CFT-20-R welcher das allgemeine intellektuelle Niveau (Grundintelligenz) erfasst einen IQ von 58, was bedeutet, dass die Testperson deutlich unter dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe liegt.
Der Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest (MWT-A; MWT-B) misst das (prämorbide) allgemeine Intelligenzniveau einer Testperson, insbesondere wurde Wert darauf gelegt, dass situative Belastungen und Störeinflüsse innerhalb bestimmter Grenzen das Testergebnis nicht beeinflussen.
Interpretation:
Die Testperson erzielte im Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest MWT-A und MWT-B einen Rohwert von 16 bzw. 15, was auf ein niedriges allgemeines Intelligenzniveau schließen lässt und einem IQ-Bereich von 73 bis 90 entspricht.
Cognitrone
Das Cognitrone erfasst die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung. Diese Fähigkeiten beeinflussen die Leistung einer Person bei sowohl alltäglichen als auch anspruchsvollen Tätigkeiten in hohem Maße. Hierbei wurde ein unterdurchschnittlicher Prozentrang von 9 bzw. ein T-Wert von 37 bei der korrekten Zurückweisung erreicht.
VLT/NVLT
Der VLT erfasst die sprachgebundenen Lernfähigkeit mittels hoch- bzw. niedrigassoziativer Neologismen. Der Abruf des Gelernten erfolgt nach der Wiedererkennungsmethode. Im VLT wurde ein unterdurchschnittlicher T-Wert von 29 und im NVLT ein Wert von T= 27 in der Differenz richtiger minus falscher Antworten erreicht.
TH/IT
Das TMT ist ein Verfahren zur Erfassung allgemeiner (neuro-)psychologischer Funktionen wie Aufmerksamkeit, visuomotorische Verarbeitungsgeschwindigkeit und Exekutivfunktionen.
Die psychomotorische Geschwindigkeit (TMT-A) (PR=16-24) zeigte ein unterdurchschnittliches Ergebnis. Die Testperson erzielte beim Trail-Making- Test Teil A (TMT-A), also die kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit der Testperson betreffend, damit auch einen leicht unterdurchschnittlichen Intelligenzquotient (IQ=62) verglichen mit ihrer Altersgruppe.
Regensburger Wortflüssigkeitstest
Der RWT enthält eine Reihe von formallexikalischen und semantischen Wortflüssigkeitstests, die gemeinsam an einer deutschen Normstichprobe standardisiert wurden. Wortflüssigkeitsaufgaben haben sich in der neuropsychologischen Diagnostik zur Beurteilung des divergenten Denkens durchgesetzt. In den Untertest wurde jeweils ein unterdurchschnittlicher Prozentrang von < 10 erreicht.
KAI
Der KAI ist ein Leistungsverfahren zur Erfassung der gegenwärtig verfügbaren geistigen Leistungsfähigkeit (fluide Intelligenz). Als Grundgrößen dieser Leistungsfähigkeit werden Gegenwartsdauer und Geschwindigkeit des Informationsflusses gemessen.
Interpretation:
Die kognitive Leistungsfähigkeit/Lesegeschwindigkeit lag damit unter einem Bereich von IQ=72.
Im Jackson-Rechentest (Verfahren zur Zahlenverarbeitungsfähigkeit) wurde ein Rohwert von 3 erreicht. Dies deutet auf herabgesetzte, unterdurchschnittliche Rechenkapazität hin.
Ideomotorische Apraxie -de Renzi
Die Apraxie-Untersuchung nach de Renzi überprüft das Vorhandensein von Apraxien im Gesichtsbereich. Kennzeichnend für eine Apraxie sind Parapraxien. Der Verlust, feingesteuerte Bewegungen auszuführen, resultiert entweder daraus, dass schon ihre Planung misslingt (ideatorische Apraxie), oder daraus, dass die Planung zwar gelingt, aber nicht in korrekte Bewegungsfolgen und -abläufe umgesetzt werden kann (ideomotorische Apraxie).
Interpretation:
Die Probandin erreichte 68/72 mögliche Punkte bei einer Einmalpräsentation. Der Grenzscore für eine ideomotische Apraxie liegt bei 53 Punkten. Eine ideomotische Apraxie lag damit nicht vor.
Verhaltensbeobachtung
Die Untersuchte arbeitete über den gesamten Untersuchungszeitraum kooperativ mit. Das Aufgabenverständnis war nicht wesentlich eingeschränkt. Die Spontansprache zeigte sich linguistisch unauffällig (keine Wortfindungsstörungen oder Paraphasien). Die Daueraufmerksamkeit blieb über den Untersuchungszeitraum variabel. Die Untersuchte war in allen Qualitäten orientiert. Die Stimmung erschien zum Untersuchungszeitpunkt adäquat und in beiden Richtungen modifizierbar.
Aktuelle Medikation:
Pantoloc 40mg, Torasemid 10mg, Euthyrox 25 ug, Lendorm 0,25mg, Vertirosan 50mg, Propsan, Aeromuc 600mg, Simvastin 40mg, Foster DA
Psychischer Status:
In der Untersuchungssituation wach, zur Person zeitlich, örtlich und situativ voll orientiert. Phobische Symptome waren nicht explorierbar, die Stimmung war im Wesentlichen ausgeglichen mit nur sehr leichten dysphorischen Tendenzen, der Affekt war breit. Das Denken war unauffällig, in den logischen Verknüpfungen modulierbar, reflektiert. Wahninhalte im Sinne eines nicht realistisch einordenbaren Wahngebildes waren nicht explorierbar.
Bekannte Vordiagnosen:
Laut den von der belangten Behörde (AS 109 - 129) und vom BVwG eingeholten psychiatrischen GA (AS 243/20 -243/21) leidet die BF an einer leichten Intelligenzminderung (F 70).
Lt. GA der belangten Behörde (AS 109 - 129) litt die BF im September 2013 darüber hinaus an Zn generalisierter Angststörung und Zn depressiver Verstimmung (nach dem Tod des Mannes im Sinne einer Anpassungsstörung).
Lt. GA vom 5. 10.2015 (AS 243/20 -243/21) litt die BF darüber hinaus an einer gemischten Angststörung und depressiver Verdichtung (F41.2).
Aktuell ableitbare Diagnosen: Leichte Intelligenzminderung (F 70)
Gutachten und Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung
Folgende Punkte waren insbesondere unter Zugrundelegung des GA vom 5.10.2015 (AS 243/20 - 243/21) zu beurteilen:
1) Hätte die Beschwerdeführerin (BF) trotz ihrer leichten Intelligenzminderung am Arbeitsmarkt wenigstens einer einfachen Beschäftigung nachgehen können (VwGH-Erkenntnis Ra 2015/11/0004-5, 5 10, AS 243/6, Rückseite, Markierung)?
Falls diese Frage bejaht wird:
Welche Tätigkeitsbereiche kämen dafür in Frage. Stehen diese gegebenenfalls am ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung bzw. hätte die Beschwerdeführerin damit Erwerbseinkommen erzielen können?
Falls die Frage verneint wird, wurde um ausführliche Begründung ersucht.
2) Ist die Beschwerdeführerin im Rahmen der Ausprägung ihrer Intelligenzminderung für eine Arbeit anlernbar (VwGH-Erkenntnis Ra 2015/11/0004-5, 59, AS 243/6, Markierung)?
Falls diese Frage bejaht wird:
Welche Tätigkeitsbereiche kämen dafür in Frage?
Stehen diese gegebenenfalls am ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung bzw. hätte die Beschwerdeführerin damit Erwerbseinkommen erzielen können?
Falls die Frage verneint wird, wurde um ausführliche Begründung ersucht.
3) Im Falle der Arbeitsunfähigkeit:
Weiche der festgestellten Gesundheitsschädigungen (die leichte Intelligenzminderung, die gemischte Angststörung und die depressive Verdichtung) verursacht die Arbeitsunfähigkeit?
a) Verursacht bereits die bei der BF vorliegende Intelligenzminderung alleine für sich eine Arbeitsunfähigkeit?
b) Verursachen die gemischte Angststörung und die depressive Verdichtung die Arbeitsunfähigkeit?
4) Es wurde um Stellungnahme zu bzw. Auseinandersetzung mit
a) dem Beschwerdevorbringen, (AS 242/1-242/5) und
b) den Fragestellungen des VwGH (VwGH-Erkenntnis Ra 2015/11/0004-5,
S 9 und 10, (=AS 243/6 samt Rückseite)
ersucht.
Nach der ersten Befundaufnahme und Rückmeldung des SV an den BVwG wurden mit 17.06.2016 weitere Fragen an den SV wie folgt gestellt:
ad Pkt. 3:
Im Falle der Arbeitsunfähigkeit:
Welche der festgestellten Gesundheitsschädigungen (die leichte Intelligenzminderung, die gemischte Angststörung und die depressive Verdichtung) verursacht die Arbeitsunfähigkeit?
a. Verursacht bereits die bei der BF vorliegende Intelligenzminderung alleine für sich eine Arbeitsunfähigkeit?
b. Verursachen die gemischte Angststörung und die depressive Verdichtung die Arbeitsunfähigkeit?
c. Verursacht die bei der BF vorliegende Intelligenzminderung in Verbindung mit der gemischten Angststörung und der depressiven Verdichtung die Arbeitsunfähigkeit?
5. Im Fall der Arbeitsfähigkeit der BF:
Es wurde um Begründung für die Sachwalterbestellung gebeten.
Zur Person
Bei Frau XXXX zeigten sich aus der Analyse der chronobiologischen Befundlagen und dem Eindruck, der aus der klinischen Fachexploration gewonnen werden konnte, prinzipiell keine schweren kognitiven Einschränkungen.
Die intellektuelle Ausstattung war tlw. im Rahmen einer Borderline-Intelligenz und zusammenfassend im Rahmen einer leichten Intelligenzminderung anzusiedeln. Insbesondere zeigte Frau XXXX Auffälligkeiten in der Konzentration und Aufmerksamkeit, beim Rechnen und abstrakten Denken. Eine Gesprächsführung war jedoch weitestgehend uneingeschränkt möglich. Dies bestätigte damit auch die Befundlagen der kristallinen Intelligenz.
Die sogenannte Borderline-Intelligenz mit einem IQ 70 bis 84 (mehr als eine Standardabweichung unter dem Durchschnitt) wird in der ICD-10-Codierung nicht gesondert aufgeführt. Die Betroffenen lernen langsamer und haben Schwierigkeiten, sich den Lernstoff in der Schule anzueignen.
( )
Personen mit einer leichten geistigen Behinderung wie Frau XXXX können im Alter von 18 bis 19 Jahren das Niveau eines Grundschulabschlusses erreichen. Dies entspricht beim Erwachsenen etwa dem Intelligenzalter eines neun- bis zwölfjährigen Kindes. Frau XXXX ist sicherlich in einem höheren Bereich zu verorten (12-14 Jahre).
Die Intelligenzminderung führt oft zu Schwierigkeiten im Aneignen von Kenntnissen sowie beim Handeln und Denken (bedingt durch Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisschwäche), beschränktes Interesse und eine verzögerte intellektuelle Reife.
Betroffene sind schulbildungsfähig, meist allerdings nur in Förderschulen für Lernbehinderte. Zusätzlich kann zur Intelligenzminderung noch eine soziale und emotionale Unreife hinzukommen, sodass die Betroffenen eigenständig den Anforderungen einer Ehe oder der Kindererziehung nicht nachkommen können. Frau XXXX war hingegen verheiratet und lebt auch heute noch in einer Beziehung.
Mit der sogenannten Zweikomponententheorie von Raymond Cattell wird die menschliche Intelligenz in die Bereiche kristalline und fluide Intelligenz unterteilt. Das erlernte Wissen als Teil der Intelligenz wird der kristallinen Intelligenz zugeschrieben. Vererbungsfaktoren wirken auf die fluide Intelligenz.
Die kristalline Intelligenz ergibt sich aus Lernprozessen im Laufe eines Lebens. Die Allgemeinbildung des Menschen und das Schulwissen sind Faktoren, die erhebliche Bestandteile der kristallinen Intelligenz bilden. Auch Erfahrungen, Erinnerungen und ein großer Wortschatz formen diesen Bereich der Intelligenz.
Erfolge im sozialen und finanziellen Bereich sind wesentlich von der kristallinen Intelligenz beeinflusst und steigern sich, wenn diese zunimmt. Sie ist somit von der Umgebung und den persönlichen Vorlieben eines Menschen zur Wissensaneignung und vom Bestreiten von Lernprozessen abhängig.
Die fluide Intelligenz wird auch flüssige oder geistige Intelligenz genannt. Die Schnelligkeit, mit der eine Person Situationen verstehen und sich ihnen anpassen kann, Problemlösefähigkeiten und das logische Denken fallen in den Bereich dieser geistigen Flexibilität. Aber auch die Intuition und das Entwickeln neuer Ideen sind Fähigkeiten, die in die fluide Intelligenz mit einfließen. Hierin zeigte Frau XXXX doch vermehrt Einschränkungen.
Hinweise auf das Vorliegen einer Erkrankung aus dem endogenen Formenkreis bestanden nicht Eine andauernde Persönlichkeitsstörung (ICD F 62) oder ein Trauma PTBS (F 43.1) waren auszuschließen. Eine tiefgreifende Störung in der Persönlichkeit von Frau XXXX konnte ebenso nicht festgestellt werden.
Zu den fachspezifischen Fragen
Hätte die BF trotz ihrer leichten Intelligenzminderung am Arbeitsmarkt wenigstens einer einfachen Beschäftigung nachgehen können (VwGH- Erkenntnis Ra 2015/11/0004-5, 5 10, AS 243/6, Rückseite, Markierung)?
Mit den vorhandenen Befunden kann dies klar bejahrt werden. Die von Frau XXXX angegebene Tätigkeit als Büglerin entspricht dabei der Berufserfahrung des SV.
Frau XXXX hätte im Rahmen ihrer kognitiven Voraussetzungen und Stärken auch als einfache Küchenhilfe, Büglerin, Aufräumerin, Putzerin, Wäschemädchen, Etagenkraft, Toilettenfrau, Heimhelferin, einfache Anlernarbeiterin etc. tätig sein können.
Die Beschwerdeführerin hätte damit ein Grund-Erwerbseinkommen erzielen können. Der Grundgehalt wäre berufsrealistisch zwischen 1000-1300€ brutto/Monat zu veranschlagen.
Ist die Beschwerdeführerin im Rahmen der Ausprägung ihrer Intelligenzminderung für eine Arbeit anlernbar (VwGH-Erkenntnis Ra 2015/11/0004-5, 59, AS 243/6, Markierung)?
Frau XXXX hätte aufgrund ihrer grundsätzlichen kognitiven Ressourcen für einfache und einfachste Arbeit angelernt werden können.
Das Arbeitslosigkeitsrisiko für Personen, die keinen über die Pflichtschule hinausgehenden Bildungsabschluss vorweisen können, streut im Bundesländervergleich mit Mai/Juni/Juli 2016 zwischen 15,0% (Vorarlberg) und 36,5% (Wien). Die Arbeitslosenquote für Personen mit Lehrabschluss ist in Wien mehr als dreimal so hoch wie in Oberösterreich.
Das mit Abstand höchste Arbeitslosigkeitsrisiko im Mai/Juni/Juli 2016 ergibt sich für Personen, die keinen über die Pflichtschule hinausgehenden Bildungsabschluss vorweisen können. Im Mai 2016 lag diese Quote bei 24,9%, für Frauen betrug sie 22,4%, für Männer 27,6%.
Frau XXXX hätte im Rahmen ihrer kognitiven Voraussetzungen und Stärken auch als einfache Küchenhilfe, Büglerin, Abwäscherin, Aufräumerin, Putzerin, Wäschemädchen, Etagenkraft, Toilettenfrau, Heimhelferin, einfache Anlernarbeiterin etc. tätig sein können.
Nimmt man etwa eine Arbeit als Küchenhilfe bei Frau XXXX an so ergibt die aktuelle AMS Situation folgendes Bild:
Küchenhilfskräfte sind in gastgewerblichen Betrieben für die Reinigung des Geschirrs und Bestecks sowie für Hilfstätigkeiten bei der Zubereitung von Speisen (z.B, Waschen und Schälen von Lebensmitteln, Überwachung der Koch- bzw. Backzeiten, Teigzubereitung etc.) zuständig.
Beschäftigungsmöglichkeiten
Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es prinzipiell in allen gastgewerblichen Betrieben. Das durchschnittliche Einstiegsgehalt liegt zwischen Euro 1320 und 1460 brutto pro Monat.
Verursacht bereits die bei der BF vorliegende Intelligenzminderung alleine für sich eine Arbeitsunfähigkeit?
Die vorhandene Intelligenzminderung bewirkt per se keine Arbeitsunfähigkeit der BF. Über 80% aller Intelligenzminderungen liegen im Bereich leichter Intelligenzminderung, wobei die meisten dieser Personen eine volle Unabhängigkeit in der Selbstversorgung (Essen, Waschen, Anziehen, Darm- und Blasenkontrolle) und in praktischen und häuslichen Tätigkeiten haben, was auch auf Frau XXXX zutrifft.
Die Hauptschwierigkeiten treten bei der Schulausbildung auf, viele Betroffene, wie auch Frau XXXX, haben Probleme beim Rechnen, Lesen oder Schreiben.
Durch spezielle Fördermaßnahmen sind die meisten dieser Personen für eine Arbeit anlernbar (Werkstätte etc.) und können eine dauerhafte Arbeitsleistung bis ins hohe Alter erbringen.
Verursachen die gemischte Angststörung und die depressive Verdichtung die Arbeitsunfähigkeit?
Nein. Gemischte Angststörungen oder depressive Verdichtungen können psychopharmakologisch gut beherrscht werden. Leichte bis mittlere depressive Episoden verursachen kaum Arbeitsunfähigkeit oder lang andauernde Krankheitsausfälle. Die Leistungsfähigkeit oder soziale Ansprechbarkeit mag, je nach Zustandsbild, wohl temporär, aber nicht dauerhaft herabgesetzt sein. Ausgenommen davon müssen schwere körperliche Misshandlungen, Traumen oder andere Formen der sexuellen Misshandlung werden.
Stellungnahme zu bzw. Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen (AS 242/1- 242/5) und den Fragestellungen des VwGH (VwGH-Erkenntnis Ra 2015/11/0004-5, S 9 und 10 (=AS 243/6 samt Rückseite)
Das Gutachten der Dris. med. XXXX vom 05.10.2013 enthält, aus Sicht des beauftragten SV, eine bemerkenswerte Auffälligkeit.
Das Gutachten attestiert der BF richtigerweise eine leichte Intelligenzminderung (S 19 bzw. ON 127). Dris. XXXX argumentiert richtig weiter, dass die meisten Personen mit einer derartigen Beeinträchtigung eine volle Unabhängigkeit in der Selbstversorgung und praktischen häuslichen Tätigkeit erlangen. Die Mehrzahl der Personen wäre für eine praktische Arbeit anlernbar, die eher praktische als schulische Fähigkeiten einschließt.
Auf Seite 20/21 bzw. in ON 128 und 129 wird im Gutachten aber, in diametralem Gegensatz zu den eigenen vorhergehenden Ausführungen, nunmehr weiter argumentiert, dass die Arbeitsunfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Folge der Verbrechen sei. Die Arbeitsunfähigkeit resultiere insbesondere aus der intellektuellen Minderbegabung (siel).
Im Ergänzungsgutachten der Dris. XXXX vom 20.06.2014 wird weiter ergänzt, dass die abgeklungene Angststörung und die Depression der BF mit "Wahrscheinlichkeit" (sic!) auf die Verbrechen zurückzuführen seien. Diese Störungen haben mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mögliche Ausbildung nicht verhindert, hätten diese aber möglicherweise "etwas" (sic!) erschwert. Das Hauptproblem der Berufsausbildung wäre jedenfalls die geistige Behinderung der BF.
Es kommt in der Folge wieder zum gleichen Argumentationszirkel der Dris XXXX. Wie im Vorgutachten wird wieder sich selbst widersprechend argumentiert, dass die BF für ihre Population bei einer adäquaten Ausbildung angelernte Tätigkeiten, über kurze Zeit (sic!) (Büglerin) durchführen könnte, doch derartig einfache Tätigkeiten es der BF nie erlaubt hätten davon zu leben.
Hierbei übersieht Dris. XXXX die berufsrealistischen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes, welche es sehr wohl erlauben, auch bei einfachen und einfachsten Tätigkeiten (Berufswürdigung siehe oben), von einem solchen Einkommen leben zu können. Bei zu niedrigem Einkommen wären ohnehin soziale Unterstützungen möglich gewesen (Heizkostenzuschuss, Telefonbefreiung, Mietzinsbeihilfe etc.).
Es darf der guten Ordnung halber auch ergänzt werden, dass die Tätigkeit der BF als Büglerin lt. Aktenlage nicht unbedingt kurz war, sondern wohl durch einen Arbeitsunfall unterbrochen schien.
( ) Im Kinderheim Arzl sei sie ganztätig als Büglerin beschäftigt gewesen. Dort habe sie nicht lange gearbeitet, weil sie die Stiege hinuntergestürzt sei und sich die rechte Hand gebrochen habe. Es sei eine Glasknochenkrankheit vermutet worden und das Tragen von schweren Dingen sei ihr nicht gut möglich. Sie habe sich einer Operation unterziehen müssen, weil das Handgelenk verdreht gewesen sei. Ein weiteres Jahr habe sie dann noch im Kinderheim Arzl gearbeitet. Durch die Knochenbrüche sei ihr zur Frühpension geraten worden...
Ein Abbruch der Arbeit wegen geistiger Behinderung kann aufgrund der Aktenlage nicht nachgezeichnet werden (Beweiswürdigung obliegt dem erkennenden Gericht). Auch ergeben sich dahingehend, aufgrund der aktuellen Befundlagen, keine nachvollziehbaren Evidenzen.
Im Falle der Arbeitsunfähigkeit:
Liegt nicht prinzipiell vor.
Im Falle der Arbeitsfähigkeit der BF wurde um Begründung für die Sachwalterbestellung ersucht
Bereits ab dem Jahre 1995 zeigen die Akten eine Besachwaltung der Frau XXXX. Die damalige Besachwaltung umfasste die Vermögensverwaltung, Vertretung vor Ämtern und Behörden und den Abschluss von Rechtsgeschäften aller Art.
Wie die bisherigen Ergebnisse der Befundaufnahmen zeigten, ist Frau XXXX im abstrakten Denken sowie in den rechnerischen Fähigkeiten eingeschränkt. Sie ist gutgläubig, hilfsbereit und vertrauensselig. Komplexere Zusammenhänge oder das Lesen von langen Texten und deren Verständnis würden sie kognitiv vollkommen überfordern."
Im Ergänzungsgutachten vom 25.11.2016 führte der der Sachverständige für klinische Psychologie und Berufskunde aus:
"Ergänzend zum Vorgutachten darf wie folgt ausgeführt werden:
Mit 25.09.2016 erstattete Dr. XXXX ein psychiatrisches Kurz-Gutachten ohne Bestimmung der Fähigkeiten und Fertigkeiten zu Frau XXXX.
Die gutachterliche Stellungnahme bezog sich auf das Aktenstudium und die persönliche Exploration am 25.9.2015 von 9:00 bis 10:00 in Hall in Tirol.
Das psychiatrische Krankheitsbild von Dr. XXXX wird in kausale und akausale psychische Gesundheitsstörungen differenziert:
Akausal läge eine leichte Intelligenzminderung F70 mit einer Einschränkung der psychosozialen Fertigkeiten und der Fähigkeiten zur selbstständigen Stress- und Lebensbewältigung vor. Dabei wurden aber die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Frau XXXX seitens Dr. XXXX keiner eigentlichen Testung in der Begutachtung unterzogen. Diese Schlussfolgerung bezieht sich daher nur auf eine Annahme ohne objektivierbare Gegenprüfung, wie sie aber etwa im gegenständlichen Gutachten hingegen erfolgte.
Das Gutachten des Dr. XXXX enthält, aus Sicht des beauftragten SV, weitere Auffälligkeiten bzw. Widersprüche zu den aktuellen Befunden. Seitens Dr. XXXX werden ebenso die berufsrealistischen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes bei Menschen mit Behinderung übersehen.
Die erlittenen Verbrechen hätten lt. Dr. XXXX als wesentliche Ursache zum psychiatrischen Leidenszustand beigetragen. Hierfür spräche, dass zwar im Rahmen der Intelligenzminderung eine einfache geistige Strukturiertheit bereits akausal vorgelegen hat, die anhaltenden und nahezu ausschließlichen interpersonalen Traumatisierungen allerdings die Fähigkeit zum kompetenten zwischenmenschlichen Umgang, zur Konfliktlösung, auch zur Verarbeitung von Lebensbelastungen in erheblicher Weise durch die kausale Gesundheitsstörung bis zum heutigen Tage eingeschränkt sei.
Dieser Befund wiederspricht aber der gesamten bekannten Resilienz Forschung. Frau XXXX hat zwar zweifelsohne Traumatisierungen erlebt, war aber dennoch in der Lage eine mehrjährige Ehe wie auch eine Partnerschaft zu führen, welche ein zumindest annehmbares und einigermaßen funktionierendes soziales Niveau auf der zwischenmenschlichen Ebene voraussetzt.
Insofern hat Frau XXXX nachweislich die von Dr. XXXX angenommenen desolaten Familienverhältnisse zumindest im Rahmen einer Ehe und Partnerschaft aufarbeiten oder kompensieren können. Andernfalls wäre eine Ehe/Partnerschaft nicht einmal grundsätzlich möglich gewesen.
Fr. XXXX sei, so Dr. XXXX, am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einmal halbschichtig arbeitsfähig gewesen. Die zweifelsfrei vorliegende leichte lntelligenzminderung beinhalte einen Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten. Viele, aber bei weitem nicht alle Erwachsene können mit dieser Störung arbeiten - grob entsteht der Eindruck, dass Frau XXXX hinsichtlich ihres geistigen Leistungsniveaus in etwa einem zwölfjährigen Mädchen entspricht.
Der nunmehr beauftragte Sachverständige konnte aktuell bei Frau XXXX auch eine leichte Intelligenzminderung (F 70) feststellen.
Die intellektuelle Ausstattung war aber durch die weiteren Untersuchungen auch tlw. im Rahmen einer Borderline-Intelligenz anzusiedeln. Insbesondere zeigte Frau XXXX zwar Auffälligkeiten in der Konzentration und Aufmerksamkeit, beim Rechnen und abstrakten Denken. Eine Gesprächsführung war jedoch weitestgehend uneingeschränkt möglich. Dies bestätigte damit auch die Befundlagen der kristallinen Intelligenz.
Die sogenannte Borderline-Intelligenz mit einem IQ 70 bis 84 (mehr als eine Standardabweichung unter dem Durchschnitt) wird in der ICD-10-Codierung nicht gesondert aufgeführt. Die Betroffenen lernen langsamer und haben Schwierigkeiten, sich den Lernstoff in der Schule anzueignen.
Personen mit einer leichten geistigen Behinderung wie Frau XXXX können im Alter von 18 bis 19 Jahren das Niveau eines Grundschulabschlusses erreichen. Dies entspricht beim Erwachsenen etwa dem Intelligenzalter eines neun- bis zwölfjährigen Kindes. Frau XXXX war aber sogar in einem höheren Bereich zu verorten (12-14 Jahre).
Die bei Frau XXXX vorhandene Intelligenzminderung geringer Ausprägung führt zu Schwierigkeiten im Aneignen von Kenntnissen sowie beim Handeln und Denken. Zusätzlich kann zur Intelligenzminderung noch eine soziale und emotionale Unreife hinzukommen, so dass die Betroffenen eigenständig den Anforderungen einer Ehe oder einer Kindererziehung nicht nachkommen können.
Dies kann aber ebenso bei Frau XXXX nicht verortet werden, da sie ja eine Ehe führte und sich auch gegenwärtig in einer Partnerschaft befindet.
Frau XXXX wäre, so Dr. XXXX, grundsätzlich für eine Arbeit anlernbar, was die geistigen Leistungskapazitäten betrifft; sie wäre aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur, teilweise auch aufgrund der Ängste und der belastenden Erinnerungen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, auch den Belastungen des Arbeitslebens und den psychosozialen Anforderungen, die die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, Vorgesetzten usw. stellt, dauerhaft zu tolerieren. Anlernbar wäre sie für eine einfache und sich wiederholende manuelle Tätigkeit in einem einigermaßen ruhigen und übersichtlichen Umfeld, anfänglich jedenfalls auch unter einem überdurchschnittlichen entgegenkommen von Mitarbeitern und Vorgesetzten- also definitionsgemäß nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt (qualitativ und quantitativ).
Der beauftragte Sachverständige konnte nun eine Arbeitsfähigkeit feststellen. Psychosoziale Einschränkungen waren aber entweder bei Frau XXXX gegenwärtig psychopharmakologisch gut kompensiert oder zeigten sich zumindest nicht in einem derartigen Ausmaße, sodass seinerzeit eine Arbeitsfähigkeit nicht vollkommen unmöglich gewesen wäre.
Frau XXXX ging auch seinerzeit einer entsprechenden Arbeitstätigkeit als Zimmermädchen bzw. Büglerin nach. Allein diese widerlegt bereits die oben getroffenen Annahmen im psychiatrischen Kurz-Gutachten aus praktischer Sicht im Leben der Frau XXXX.
Durch spezielle Fördermaßnahmen wären die meisten dieser Personen, wie auch Frau XXXX, für eine Arbeit anlernbar (Werkstätte etc.) und können eine dauerhafte Arbeitsleistung bis ins hohe Alter erbringen.
Über 80% aller Intelligenzminderungen liegen im Bereich leichter Intelligenzminderung, wobei die meisten dieser Personen eine volle Unabhängigkeit in der Selbstversorgung (Essen, Waschen, Anziehen, Darm- und Blasenkontrolle) und in praktischen und häuslichen Tätigkeiten haben, was auch auf Frau XXXX zutrifft.
Mit den vorhandenen Befunden kann auch hier angenommen werden, dass die BF trotz ihrer leichten Intelligenzminderung am Arbeitsmarkt wenigstens einer einfachen Beschäftigung nachgehen hätte können. Die von Frau XXXX angegebene Tätigkeit als Büglerin entspricht dabei der Berufserfahrung des SV.
Frau XXXX hätte aufgrund ihrer grundsätzlichen kognitiven Ressourcen für einfache und einfachste Arbeit angelernt werden können. Frau XXXX hätte somit im Rahmen ihrer kognitiven Voraussetzungen und Stärken auch als einfache Küchenhilfe, Büglerin, Aufräumerin, Putzerin, Wäschemädchen, Etagenkraft, Toilettenfrau, Heimhelferin, einfache Anlernarbeiterin etc. tätig sein können.
Gemischte Angststörungen oder depressive Verdichtungen wie bei Frau XXXX können psychopharmakologisch gut beherrscht werden. Leichte bis mittlere depressive Episoden verursachen kaum Arbeitsunfähigkeit oder lang andauernde Krankheitsausfälle. Die Leistungsfähigkeit oder soziale Ansprechbarkeit mag, je nach Zustandsbild, wohl temporär, aber nicht dauerhaft herabgesetzt sein."
Im Rahmen der am 05.04.2017 durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung erfolgte eine Zeugeneinvernahme des für die Beschwerdeführerin jahrelang zuständigen Sachwalters, die inhaltlich ergab, dass der emotionale Zustand der Beschwerdeführerin "eher gleichbleibend" war. Es sei gleichbleibend mit wenigen Ausschlägen gewesen, seine Themen seien die Betreuung und die Gesundheit gewesen. Er hätte auch durch die durchgeführten Therapien keine Änderungen im Benehmen der Beschwerdeführerin wahrnehmen können. Ihm gegenüber wäre die Beschwerdeführerin eine sehr angenehme und ruhige Klientin.
Sie sei drauf bedacht immer das Ihre dazu beizutragen, dass sie gesund bleibe. Ihr Gesundheitszustand hätte sich in den letzten Jahren verschlechtert. Sie sei fülliger geworden und hätte COPD entwickelt. Sein Bezug zur Beschwerdeführerin sei immer der gleiche geblieben. Durch den körperlichen Zustand sei sie auch psychisch beeinträchtigter. Die Beschwerdeführerin suche sich in vielen Dingen Hilfe sucht und wisse auch, wo sie sich die Hilfe holen könne. In manchen Bereichen benötige sie Unterstützung, in manchen Bereichen sei sie vollkommen selbstständig.
Zu den im Gutachten von Dr. XXXX beschriebenen Problemen in der Konfliktlösung befragt, konkret, ob er solche wahrgenommen hätte, gab er an, nie mit der Beschwerdeführerin Konflikte gehabt zu haben. Er wisse, dass sie mit ihrem Bruder nicht immer im Reinen sei. Wenn jemand nachgebe, dann sei es die Beschwerdeführerin. Es sei ihre Art Konflikte zu lösen. Ihn wundere, dass die Beschwerdeführerin so stabil sei, wenn man ihre Vergangenheit betrachte, und diese misslichen Situationen (Finger gebrochen, sexueller Missbrauch, ) so gut verkraftet hätte oder verarbeite.
Befragt, ob diese Erfahrungen, die die Beschwerdeführerin gemacht hätte, auch im Zeitraum seiner Sachwalterschaft spürbar gewesen seien, schilderte er, dass alles mit der Klasnic-Kommission begonnen hätte und dann "hätte es durch "Viel-darüber-Reden" Ungeheuerlichkeiten herausgearbeitet". Laut der Beschwerdeführerin seien die therapeutischen Angebote eine große Hilfe gewesen.
Befragt, ob er seit dem Jahr 2010, als die Probleme aufgebrochen seien, eine Änderung bemerkt hätte, antwortete er, dass es früher gar kein Thema gewesen wäre. Als die Beschwerdeführerin es ihm erstmalig erzählt hätte, sei es zum Thema geworden. Der nächste Schritt sei dann von seiner Seite der Schritt an die Klasnic-Kommission gewesen. Sie hätten es dann besprochen. Wenn er es nicht angesprochen hätte, wäre es nicht angesprochen worden.
Die Frage, ob für ihn die Beschwerdeführerin immer als Ansprechpartner gleich im Umgang vom Benehmen her gewesen sei, bejahte er. Sie sei auch mit guter Motivation führbar.
Zu ihren Berufswünschen befragt, gab er an, dass sie gerne Büglerin geblieben oder Babysitterin geworden wäre.
Seines Wissens hätte die Beschwerdeführerin im Heim im Martinsbühl gebügelt. Sie hätte in Salzburg den Beruf Büglerin gelernt, dann hätte sie im "Jugendland Tirol" als Büglerin und Zimmermädchen gearbeitet. In dieser Einrichtung würden Beschäftigungen für Personen wie die Beschwerdeführerin angeboten. Beendet worden sei es aufgrund eines Sturzes über die Stiege und eines Armbruchs.
Die Gutachtenserörterung mit dem bestellten Sachverständige für klinische Psychologie und Berufskunde wird wörtlich wiedergegeben (Schreibfehler korrigiert):
"VR: Ist das Gutachten vom 20.11.2016 auf Seite 24 so zu verstehen, dass zwar generell eine gemischte Angststörung bzw. depressive Verdichtung keine Arbeitsunfähigkeit bewirken muss, dies aber dann nicht gilt, wenn solche Zustandsbilder nach erlebten schweren körperlichen Misshandlungen, Traumen oder anderen Formen der sexuellen Misshandlung auftreten?
SV: Es ist so: Wenn ein sexueller Missbrauch stattgefunden hat oder schwere körperliche Misshandlungen, so ist das getrennt zu sehen. Nach erlebten körperlichen oder sexuellen Handlungen kann ich natürlich arbeitsfähig sein. Es handelt sich dabei nicht um dauerhafte Arbeitsunfähigkeit. Das hängt ganz speziell von der Person ab, welche Ressourcen sie hat und welche Resilienz sie hat.
Das war mit diesem Absatz gemeint. Umgelegt auf den konkreten Fall:
Wie der Z bereits ausgeführt hat, wenn man die BF "anstupst", dann kommt eine Antwort. Sie würde von alleine aber nie etwas sagen. Die BF hat gelernt im Leben einfach diese Sachen wegzuschieben. Aufgrund ihrer Struktur und ihres kognitiven Substrates hat sie es einfach so damit umzugehen gelernt, dass keine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit entstanden ist z.B. sexueller Missbrauch mit 2,5 Jahren. Davon wissen wir aus den Akten, aber es gibt keine Erinnerung. An die Abtreibung mit 17 Jahren gibt es natürlich eine Erinnerung, sowie an die Schläge im Heim, an das "Erbrochene-Essen-Müssen" und an den Jesus. Es ist typisch für Personen der Klasnic-Kommission, dass die das in sich hineingefressen haben. Diese Menschen haben so gelernt damit umzugehen.
VR: Kann nicht, auch wenn keine Erinnerung an den kindlichen Missbrauch besteht, man eine Belastung davontragen?
SV: Ja. Man muss sich das so vorstellen: Je kleiner das Kind, desto mehr fehlt ihm die Sprache. Kinder fangen an etwas zu psychosomatisieren. Es kommt in Extremfällen zu einer Veränderung des Blutbildes, zu Haarausfall, Einnässen, Verhaltensauffälligkeiten, die man sich prima Vista nicht erklären kann, da sie es nicht ausreichend artikulieren können. Die forensische Verwertbarkeit der Aussagen von Kindern, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, liegt in Abhängigkeit vom Entwicklungsgrad des Kindes bei drei bis vier Jahren, wobei die untere Grenze in der Literatur variiert.
BR: Haben sich die schweren körperlichen Misshandlungen und die mehrfachen sexuellen Missbräuche der BF irgendwie auf ihre Arbeitsfähigkeit ausgewirkt?
SV: Ich glaube, dass sich diese Erfahrungen auf die psychische Befindlichkeit der BF ausgewirkt haben. Ich glaube, dass die Intelligenzstruktur der BF ein Vorteil für die Verarbeitung gewesen ist. Das heißt, die BF hat mit ihrem IQ Vorteile gehabt, die Sachen einfacher wegstecken zu können, auch wenn sie dennoch belastend waren. Die BF hat sich einfach auf die wesentlichen Dinge des Lebens konzentriert. Sie intellektualisiert nicht so wie eine kognitiv durchschnittliche Person.
BFV: Können Sie konkretisieren, in welcher Ausprägung sich das auf die psychische Befindlichkeit der BF ausgewirkt hat?
SV: Ich glaube, dass die BF emotionale Belastungen (Depressionen, Unwohlsein,..) gehabt hat. Natürlich haben die Misshandlungen etwas mit dem Kind und der Jugendlichen gemacht. Es hat sie aber nicht auf Dauer arbeitsunfähig gemacht. Man darf hier aber keine emotionale Erlebniswelt absprechen. Natürlich erlebt sie Trauer und Freude.
BFV: Zur Aussage von Dr. XXXX im zweiten Gutachten 2b: (Die Fähigkeit der BF zum kompetenten zwischenmenschlichen Umgang, zur Konfliktlösung, auch zur Verarbeitung von Lebensbelastungen sei in erheblicher Weise durch die kausale Gesundheitsstörung bis zum heutigen Tag eingeschränkt.)
SV: Es ist immer auf den Einzelfall abzustellen. Wenn sie die Ausführungen der BF hören, dass ihr die Gespräche mit ihren Therapeuten gut tun und über das Erlebte zu sprechen, so zeigt das den Umgang, dass sie in zwischenmenschlichen Situationen durchaus kompetent ist und auch die Verarbeitung ihrer Lebensbelastungen in kompetenter Art und Weise angegriffen werden können.
BR: Kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob die BF ohne die schweren körperlichen Misshandlungen und mehrfachen sexuellen Missbräuche in der Lage gewesen wäre, eine höherwertige besser bezahlte Tätigkeit ausüben zu können?
SV: Ich glaube, dass das kognitive Substrat der BF unabhängig ist von den äußeren Erlebnissen oder Missbrauchserfahrungen. Wenn man die Frühpädagogik damals so wie heute beherrscht hätte, würde man vielleicht einen leicht höheren IQ erzielt haben. Man kann auch heute Kinder, die einen niedrigen IQ haben, durch Förderung hinaufbringen. Das war damals aber nicht möglich.
VR: Hat dieser Missbrauch einen relevanten Einfluss auf den IQ?
SV: Ich glaube nicht auf die kristalline Intelligenz. Die BF hat ihre Lebenserfahrungen trotzdem gemacht. Die BF hat gebügelt, war Zimmermädchen. Ich glaube, dass die BF immer
zugängig für Zuwendung war, weshalb es keinen Einfluss auf die kristalline Intelligenz hatte. Die BF hat ja auch eine Ehe geführt. Ihr Partner ist verstorben.
VR: Ist in jenen Fällen, in denen gemischte Angststörungen und depressive Verdichtungen nach erlebten körperlichen Misshandlungen, Traumen oder anderen Formen der sexuellen Misshandlung auftreten, davon auszugehen, dass diese eine Arbeitsunfähigkeit (mit)verursachen können?
SV: Temporär schon, aber in der Regel nicht dauerhaft. Wenn jemand ein schweres Trauma erlebt, beginnt man dieses zu verarbeiten, man geht dann davon aus, dass das Trauma immer weiter abnimmt und die ursprüngliche Persönlichkeit wieder aufscheint. Dann kann man die Person wieder in den normalen Kontext stellen. Nach einer gewissen Aufarbeitungszeit ist es sogar wieder gut, eine Arbeitstätigkeit wieder aufzunehmen.
BFV: Haben Sie Erfahrungswerte, wie lange so eine Aufarbeitung dauert?
SV: Wenn Kinder ein Trauma erleben, zeigen 50% keine Folgen und 50% schwerste Folgen. Das hängt immer vom Einzelfall ab, manche müssen gar nichts aufarbeiten. Es ist alles ganz individuell.
VR: Verstehe ich Ihr Gutachten folgendermaßen richtig: Zum Zeitpunkt der durch Sie durchgeführten Untersuchung litt die BF nur an einer "leichten Intelligenzminderung (F 70)". Die von Dr. XXXX im September 2015 diagnostizierte "gemischte Angststörung und depressive Verdichtung" sowie die von Dr. XXXX noch früher diagnostizierte "Zn generalisierter Angststörung" und "Zn depressiver Verstimmung (Tod des Partners)" war zum Untersuchungszeitpunkt (12.05.2016) nicht schlagend?
SV: Ja.
VR: Dr. XXXX beschreibt in seinem GA, dass die BF aufgrund der Ängste und der belastenden Erinnerungen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage ist, die Belastungen des Arbeitslebens und die psychosozialen Anforderungen, die die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, Vorgesetzten, usw. stellt, dauerhaft zu tolerieren. Sie schreiben in Ihrem Ergänzungs-GA, dass bei der BF psychosoziale Einschränkungen gegenwärtig psychopharmakologisch gut kompensiert waren oder sich zumindest nicht in einem derartigen Ausmaß gezeigt haben, sodass seinerzeit eine Arbeitsfähigkeit nicht vollkommen unmöglich gewesen wäre.
Welchen Zeitpunkt meinen Sie mit "seinerzeit"?
BF: Mit Seinerzeit meine ich damals, in den 80er Jahren. Ich möchte dem Dr. XXXX nicht Unrecht tun. Das ist ein Gutachten, welches in einer halben Stunde erstellt wird. Aufgrund der mangelnden Zeit fehlt es dem Gutachten an Tiefe.
VR: Im konkreten Fall war die BF unstrittig Opfer schwerer körperlicher und sexueller Misshandlungen. Hatten diese Verbrechen eine Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit der BF im konkreten Fall – d. h. in früheren Jahren und haben sie eine Auswirkung auf den Zustand der BF konkret ab Jänner 2013?
SV: Jetzt ist die BF eine ältere Dame, die auch polymorbid geworden ist. Eine Arbeitsfähigkeit ist gänzlich nicht mehr erreichbar. Die BF hatte über 20 Knochenbrüche erlitten. Ich glaube aber, dass die BF in jungen Jahren arbeitsfähig gewesen wäre. Die BF hat ja auch gerne gearbeitet, sie wollte nicht in Pension geschickt werden. Ich glaube auch, dass die BF einfache Arbeiten wie Büglerin erledigen hätte können, wenn sie entsprechend angelernt worden wäre.
VR: Die Ausführungen von Dr. XXXX, dass die BF nicht in der Lage ist, Konflikte kompetent zu bewältigen, sowie einen kompetenten zwischenmenschlichen Umgang zu pflegen – dies insbesondere in einem Arbeitsbereich – können Sie nicht teilen?
SV: Ja. Ich bin nicht dieser Ansicht.
BFV: Zur heute vorgelegten medizinischen Unterlage: Ist die Panikattacke, die darin vermerkt ist, nur eine Vermutung?
SV: Ja, das steht auf der zweiten Seite dieses Arztbriefes. (DD) Die Ärzte wussten es nicht.
BFV: Hatten die Erfahrungen, die die BF machen musste, Auswirkungen auf die fluide Intelligenz?
SV: Die BF zeigt teilweise eine Borderline Intelligenz. Die liegt zwischen dem IQ 70 und 84. Die leichte Intelligenzminderung (F 70) liegt zwischen IQ 50 und 69. Die BF hat nicht nur durchgehend eine leichte Intelligenzminderung (F 70), sondern kommt auch teilweise darüber. Das spiegelt sich auch in den sozialen Fertigkeiten wieder (Ehe, Trauer). Ich würde sie nicht durchgehend im Alter von 9-12 Jahren eines Kindes einordnen, sondern auch teilweise leicht darüber. Die BF ist freundlich, ausgeglichen, sie antwortet auf Fragen so gut sie kann. Auch von der Konzentration und Aufmerksamkeit her folgt sie uns soweit sie kann. Ich glaube, wenn man mit der BF damals die Misshandlungen aufgearbeitet hätte, wäre sicherlich kognitiv noch einiges möglich gewesen.
BFV: Welche Bereiche der Intelligenz sind für Sie ausschlaggebend dafür, dass eine Person am Arbeitsmarkt dauerhaft bestehen kann?
SV: Primär die fluide Intelligenz. Die Fähigkeit, sich auf wechselnde Anforderungen einstellen zu können. In zweiter Linie das Erfahrungswissen. Primär muss sich jeder auf wechselnde Arbeitsbedingungen einstellen können.
BFV: Würden Sie feststellen, dass die BF diese Voraussetzungen mitbrachte in den 80ern?
SV: Ich bin der Ansicht, dass die BF es damals in den 80er Jahren mitbrachte
VR verliest die Beurteilung im Gutachten der PVA vom 27.05.1988 (AS104) sowie AS91.
SV: Eine schwere Intelligenzminderung ist ein IQ von 20-34. Das wäre ein 3-6 Jahre altes Kind. Ich glaube nicht, dass die BF 1988 dieses Verhalten präsentiert hat.
BFV: Verstehe ich richtig, dass das Wort Entwicklungsrückstand aus dem Gutachten der PVA sich nur auf die Intelligenz bezieht und nicht auf sonstige psychosoziale Kompetenzen?
SV: Ja. Ich glaube, dass die BF auch damals genau so war wie heute. Freundlich, zugänglich, ansprechbar.
BVF: Können Sie ausschließen, dass der damals festgestellte Entwicklungsrückstand auf die Misshandlungen zurückzuführen ist?
SV: Das habe ich schon beantwortet. Es wäre bei entsprechender Förderung mehr möglich gewesen. Ich glaube, dass die Entwicklungsrückstände teilweise angelegt sind und dass diese in einem weiten Bereich plastisch sind, auch ein biologisches Substrat ist veränderbar, aber es gibt eine biologische Obergrenze. Ich glaube auch, dass die BF in einem entsprechenden Umfeld in ihrer Art und Weise eine entsprechende Leistung erbringen kann. Natürlich darf man sie nicht anschreien wie ein Bauarbeiter auf dem Bau. Man muss mit ihr anders umgehen.
BFV: Warum muss ich mit ihr anders umgehen?
SV: Weil sie kognitiv eine Einschränkung hat.
BFV: Welche kognitiven Einschränkungen meinen Sie?
SV: Die kognitive Leistungskurve, die sie präsentiert.
VR: Die Leistungskurve, von der Sie sprechen, beinhaltet die leichte Intelligenzminderung (F 70) samt den erlittenen Misshandlungen?
SV: Ja, ich meine alles.
BFV: Kann man davon ausgehen, dass die Misshandlungen einen Einfluss auf die von Ihnen angegebene Leistungskurve hatten?
SV: Ja.
VR: Wie groß war der Einfluss? Wäre die BF ohne die Misshandlungen in der gleichen Lage ihrer Arbeitsfähigkeit betreffend wie mit den erlittenen Misshandlungen?
SV: Ohne die Misshandlungen wäre sie in einer besseren Lage.
VR: Welche Arbeit hätte die BF bekommen, wenn sie nicht misshandelt worden wäre. Wie hoch wäre der Kapazitätsunterschied gewesen?
SV: Ich denke schon, dass die BF 10-15% mehr Verdienst hätte bekommen können als sie am Ende ihrer Berufstätigkeit lukriert hat. Sie wäre flexibler gewesen und hätte mehr Ressourcen gehabt. Das hätte sich monetär niedergeschlagen. Ich glaube, dass die BF flexibler gewesen wäre. Die BF wäre damals aber trotzdem jedenfalls arbeitsfähig gewesen.
BFV: Aber in einem höher entlohnten Bereich?
SV: Ja. Ich denke die BF hätte Büglerin sein können, Zimmermädchen...
VR: Erklären Sie das näher.
SV: Sie hätte vom selben Arbeitgeber aufgrund ihrer besseren Leistungen mehr erhalten.
BFV an Z: Ist die BF jemals einer vollwertigen Beschäftigung nachgegangen?
Z: Das Ganze war vor meiner Zeit.
BFV: Die BF war nie in einem normalen Arbeitsverhältnis tätig. Es hat sich um Schulungsmaßnahmen usw. gehandelt. Hätte sie ohne die Misshandlungen in einem normalen Arbeitsverhältnis tätig sein können?
SV: Ja.
VR: Hätte Sie damals auch grundsätzlich im normalen Arbeitsmarkt bestehen können und war das damals eine Fehleinschätzung?
SV: Ich weiß, dass einige in Martinsbühl in einer Wäscherei für das Bundesheer tätig waren. Ich glaube, dass es damals eine Fehleinschätzung war, weil die Diktion, die vorgenommen wurde, auf einen weit niedrigeren IQ hinweist, als er tatsächlich vorliegt. Ich beziehe mich auf Dr. XXXX.
BFV: Ist es für Sie möglich zu beurteilen ob die Einschätzung damals falsch war?
SV: Mir sind schon einige dieser Fehler untergekommen. Man hat sich damals mit diesen Menschen nicht viel Mühe gegeben. Mehr kann ich dazu jetzt nicht sagen.
Die Verhandlung wird um 16:10 Uhr für eine kurze Pause unterbrochen.
VH wird um 16:20 Uhr fortgesetzt.
BFV: Wissen Sie was sie damals im Jugendland verdient haben?
BF: Ich habe damals 8000 Schilling verdient.
BFV: Halten Sie diese Einschätzungen aufrecht, dass der Einkommensunterschied im fiktiven schadensfreien Verlauf 10-15% betragen hätte bzw. hätten sich auch noch andere Auswirkungen auf eine Einstellung (Art des Beschäftigungsvertrages,..) ergeben können?
SV: Ich glaube, dass 30 Jahre später eine solide Einschätzung sehr schwer ist. Ich bleibe bei den 10-15%. Es fehlen sonstige Daten oder Anhaltspunkte, um eine sichere Aussage zu treffen.
VR: Wäre Ihrer Ansicht nach die BF ohne die erlebten Misshandlungen im Jahr 1988 arbeitsfähig gewesen?
SV: Ja.
VR: Wäre Ihrer Ansicht nach die BF mit den erlebten Misshandlungen im Jahr 1988 arbeitsfähig gewesen?
SV: Ich glaube, dass die Arbeitsfähigkeit sich um 10-15% gesenkt hatte, aber die BF wäre arbeitsfähig gewesen. Man hat sich damals halt keine Gedanken gemacht.
VR: Sie schreiben im Gutachten auf S. 21, dass die BF ein Grunderwerbseinkommen von 1000-1300 brutto pro Monat erreichen hätte können. Sie listen da einige Berufe auf, die dieses Einkommen lukrieren. Ist die BF im unteren oder im höheren Rahmen dieser Spanne zu finden?
SV: Im unteren Rahmen.
VR: Kann man das mit 1000-1100 € beziffern?
SV: Ja.
BFV: Gibt es einen Kollektivvertrag für diese Berufe?
SV: Ja. An diesen orientiere ich mich.
BFV: Diese Einschätzungen zu den jetzigen kognitiven Fähigkeiten der BF und wäre dazu ein Betrag von 10-15% zuzuschlagen vom fiktiven schadensfreien Verlauf?
SV: Ja. Das hängt aber vom Arbeitgeber ab, ob der bereit ist, vom Kollektivlohn abzuweichen und von der Flexibilität der Arbeitnehmerin.
BFV: Auf Seite 23 Ihres Gutachtens nehmen Sie Bezug auf Küchenhilfskräfte. Hätte die BF das ausführen können.
SV: Ja, in einfacher Form sicher.
BFV: Wäre ihr dann ein Gehalt zugestanden, dass sich dann am Kollektivvertrag im Gastgewerbe orientiert?
SV: Ja.
BFV an BF: Wollen Sie noch etwas sagen?
BF: Mir ist es gleich."
Laut orthopädischem Gutachten des Bundessozialamtes Tirol vom 12.05.2006 leidet die Beschwerdeführerin an einem mäßiggradigen Handgelenksleiden rechts nach Bruch des Kahnbeins und Zustand nach Brüchen beider Ellbogengelenke und des linken Handgelenks ohne Einschränkungen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die am 02.06.1965 geborene Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin, hat die Sonderschule absolviert, hat keine Lehre absolviert. Die Beschwerdeführerin nahm von 10.11.1986 bis 25.01.1987 an einer Arbeitstrainingsmaßnahme für Sonderschulabgängerinnen nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz teil. Laut Auskunft des AMS war die Beschwerdeführerin vom 19.10.1987 bis 06.01.1988 im Rahmen einer Arbeitserprobung im Verein "Jugendland" tätig. Die Beschwerdeführerin war dort im Kinder- und Jugendheim Arzl ganztätig als Büglerin beschäftigt, erlitt im Zuge eines Sturzes am linken Ellbogen eine knöcherne Verletzung (vermutlich Bruch des Condylus/Epicondylus ulnaris, der mit einer Plattenosteosynthese versorgt wurde.) Nach der Operation arbeitete sie ein weiteres Jahr als Büglerin im Kinder- und Jugendheim Arzl. Am 12.02.1988 wurde abermals eine AMS-Maßnahme aufgenommen, diese wurde aber am selben Tag beendet. Die Beschwerdeführerin bezieht seit 01.05.1988 eine Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension.
Die Beschwerdeführerin wurde im Alter von 2 ¿ Jahren von ihrem Vater sexuell missbraucht. Sie war – nach einem Heimaufenthalt im Kinderheim Scharnitz von 1969 bis 1971 - von 1972 bis 1982 im Heim Martinsbühel, Zirl, untergebracht, wo sie Opfer physischer und psychischer Gewalt wurde und ebenfalls sexuell missbraucht wurde. Die Beschwerdeführerin wurde im Alter von 17 Jahren von ihrem Vater vergewaltigt. Die Vergewaltigung hatte eine Schwangerschaft zur Folge.
Sie erlitt dadurch durch - mit mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohte - rechtswidrige und vorsätzliche Handlungen eine schwere Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung.
Der Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges ist am 05.02.2013 beim Bundessozialamt eingelangt.
Die Beschwerdeführerin leidet aktuell aus psychologischer bzw. psychiatrischer Sicht an einer leichten Intelligenzminderung, aus orthopädischer Sicht an einem mäßiggradigen Handgelenksleiden rechts nach Bruch des Kahnbeins und Zustand nach Brüchen beider Ellbogengelenke und des linken Handgelenks ohne Einschränkungen sowie nach eigenen Angaben an COPD und einer Schilddrüsenunterfunktion.
Die Beschwerdeführerin war aus klinisch-psychologischer Sicht immer arbeitsfähig. Die angeborene Intelligenzminderung in Verbindung mit den erlittenen Missbräuchen verursachte und verursacht aktuell bei der Beschwerdeführerin keine Arbeitsunfähigkeit. Die Beschwerdeführerin hätte trotz ihrer Intelligenzminderung und der Misshandlungen aufgrund ihrer grundsätzlichen kognitiven Ressourcen für einfache und einfachste Arbeiten angelernt werden können (Tätigkeiten wie die einer Büglerin, eines Zimmermädchen, ..).
Die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt beruht auf akausalen Ursachen. Die Arbeitsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Gewährung der Invaliditätspension wurde durch den körperlichen Zustand - die wiederholten Knochenbrüche (unter anderem Ellenbogengelenk links) - verursacht.
Ein verbrechenskausaler Verdienstentgang kann mit erforderlicher Wahrscheinlichkeit nicht festgestellt werden.
2. Beweiswürdigung
Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde, ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,
5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, ( )".
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin über die erlittenen Misshandlungen werden den Feststellungen zu Grunde gelegt.
Unstrittig für den erkennenden Senat ist, dass die Beschwerdeführerin an einer leichten Intelligenzminderung (F 70) leidet, wobei die intellektuelle Ausstattung teilweise im Rahmen einer Borderline-Intelligenz (IQ 70 – 84) anzusiedeln ist. Dies ergibt sich aus der äußerst detailreich durchgeführten Testung der Beschwerdeführerin durch den vom BVwG bestellten Sachverständige für klinische Psychologie und Berufskunde. Von diesem Gutachter wird auch nachvollziehbar im Gutachten ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin am Arbeitsmarkt wenigstens einer einfachen Beschäftigung nachgehen hätte können (einfache Küchenhilfe, Büglerin, Aufräumerin, vgl I. Verfahrensgang) und damit ein Grunderwerbseinkommen erzielen hätte können. Sie hätte auch aufgrund ihrer grundsätzlichen kognitiven Ressourcen für einfache und einfachste Arbeiten angelernt werden können. Der Sachverständige beschreibt in seinem Gutachten, dass die Hauptschwierigkeiten von Personen mit Intelligenzminderung vor allem bei der Schulausbildung auftreten – so hat auch die Beschwerdeführerin Probleme beim Rechnen, Lesen oder Schreiben. Er führt nachvollziehbar aus, dass durch spezielle Fördermaßnahme die meisten dieser Personen für eine Arbeit anlernbar seine und eine dauerhafte Arbeitsleistung bis ins hohe Alter erbringen können.
Grundsätzlich führt er zu der – von einem Facharzt für Psychiatrie diagnostizierten – immer wieder auftretenden gemischten Angststörung und depressiven Verdichtung aus, dass diese psychopharmakologisch gut beherrschbar seien und leichte bis mittlere depressive Episoden kaum Arbeitsunfähigkeit oder lang andauernde Krankheitsausfälle verursachen würden. Die Leistungsfähigkeit oder soziale Ansprechbarkeit mag wohl temporär, aber nicht dauerhaft herabgesetzt sein. Ausgenommen davon müssten schwere körperliche Misshandlungen, Traumen oder andere Formen der sexuellen Misshandlungen werden.
Im Rahmen der Verhandlung vom 05.04.2017 konkretisierte er, dass nach erlebten körperlichen oder sexuellen Handlungen man natürlich arbeitsfähig sein könne. Es handle sich dabei nicht um dauerhafte Arbeitsunfähigkeit. Das hänge ganz speziell von der missbrauchten Person ab, welche Ressourcen und welche Resilienz sie habe. Wenn jemand ein schweres Trauma erlebe, beginne man dieses zu verarbeiten, man gehe dann davon aus, dass das Trauma immer weiter abnehme und die ursprüngliche Persönlichkeit wieder aufscheine. Dann könne man die Person wieder in den normalen Kontext stellen. Nach einer gewissen Aufarbeitungszeit sei es sogar wieder gut, eine Arbeitstätigkeit wieder aufzunehmen.
Speziell zur Person der Beschwerdeführerin führt er in diesem Zusammenhang nachvollziehbar aus, dass diese gelernt hätte im Leben einfach diese Sachen wegzuschieben. Aufgrund ihrer Struktur und ihres kognitiven Substrates hätte sie einfach gelernt so damit umzugehen, dass keine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit entstanden ist. Es hätten sich natürlich diese Erfahrungen auf ihre psychische Befindlichkeit ausgewirkt. Seiner Ansicht nach sei die Intelligenzstruktur der Beschwerdeführerin ein Vorteil für die Verarbeitung gewesen ist. Das bedeute, die Beschwerdeführerin hätte mit ihrem IQ Vorteile gehabt, die Sachen einfacher wegstecken zu können, auch wenn sie dennoch belastend waren. Sie hätte sich einfach auf die wesentlichen Dinge des Lebens konzentriert. Sie intellektualisiere nicht so wie eine kognitiv durchschnittliche Person.
Die Beschwerdeführerin habe wohl emotionale Belastungen (Depressionen, Unwohlsein,..) gehabt. Natürlich hätten die Misshandlungen etwas mit dem Kind und der Jugendlichen gemacht, aber nicht auf Dauer arbeitsunfähig gemacht.
Zu den Ausführungen von Dr. XXXX, dass die Fähigkeit der Beschwerdeführerin zum kompetenten zwischenmenschlichen Umgang, zur Konfliktlösung, auch zur Verarbeitung von Lebensbelastungen in erheblicher Weise durch die kausale Gesundheitsstörung bis zum heutigen Tag eingeschränkt sei, verwies er auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin selbst, dass ihr die Gespräche mit ihren Therapeuten und über das Erlebte zu sprechen gut tun würden, die Art und Weise ihres Umgangs mit dem Erlebten zeigen würden, dass sie in zwischenmenschlichen Situationen durchaus kompetent sei und auch die Verarbeitung ihrer Lebensbelastungen in kompetenter Art und Weise angegriffen werden könne. Dies entspricht auch dem persönlichen Eindruck des erkennenden Senats im Rahmen der Verhandlung sowie den Ausführungen des Zeugen zur Persönlichkeit der Beschwerdeführerin. Schlüssig sind auch die Ausführungen des Sachverständige für klinische Psychologie und Berufskunde auch insbesondere deshalb, da er sich mit der Beschwerdeführerin umfangreich und zeitintensiv, auch ernsthaft in einem mehrstündigen Gespräch mit ihr auseinandergesetzt hat und ein 42-seitiges schriftliches Gutachten erstellt hat, während das eingeholte psychiatrische Gutachten aus drei Seiten besteht, die persönliche Exploration darin mit einer Dauer einer Stunde beschrieben wird.
Die konkrete Frage, ob er die Ausführungen von Dr. XXXX, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sei, Konflikte kompetent zu bewältigen, sowie einen kompetenten zwischenmenschlichen Umgang zu pflegen – dies insbesondere in einem Arbeitsbereich –nicht teilen könne, bejahte er: Er sei nicht dieser Ansicht.
Unstrittig ist für den erkennenden Senat auch, dass die Beschwerdeführerin zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund Polymorbidität nicht mehr arbeitsfähig ist und dass die Beschwerdeführerin 1988 gerne weiter gearbeitet hätte und nicht pensioniert werden hätte wollen. Sie dürfte den Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension auf Anraten Dritter gestellt haben.
Befragt, ob die Erfahrungen der Beschwerdeführerin Auswirkungen auf ihre fluide Intelligenz gehabt hätten, antwortete er entsprechend dem bereits schriftlich erstatteten Gutachten, dass sie teilweise eine Borderline Intelligenz zeige (IQ 70 und 84). Die leichte Intelligenzminderung (F 70) liege zwischen IQ 50 und 69. Sie hätte nicht nur durchgehend eine leichte Intelligenzminderung (F 70), sondern komme auch teilweise darüber. Dies spiegle sich auch in den sozialen Fertigkeiten wieder (Ehe, Trauer). Er würde sie nicht durchgehend im Alter von 9-12 Jahren eines Kindes einordnen, sondern auch teilweise leicht darüber. Sie sei freundlich, ausgeglichen, sie antworte auf Fragen so gut sie könne. Auch von der Konzentration und Aufmerksamkeit her folgt sie der Verhandlung soweit sie könne. Bei einer Aufarbeitung der Misshandlungen wäre sicherlich kognitiv noch einiges möglich gewesen.
Nachvollziehbar beschrieb er, dass für das dauerhafte Bestehen einer Person am Arbeitsmarkt primär die fluide Intelligenz relevant sei, die Fähigkeit, sich auf wechselnde Anforderungen einstellen zu können; in zweiter Linie das Erfahrungswissen. Primär müsse sich jeder auf wechselnde Arbeitsbedingungen einstellen können. Diese Voraussetzungen hätte die Beschwerdeführerin in den 80ern mitgebracht.
Dem verlesenen Befund des Amtsarztes des städtischen Gesundheitsamtes vom 16.08.1985 entgegnete er schlüssig, dass eine schwere Intelligenzminderung ein IQ von 20-34 entspricht (=ein 3-6 Jahre altem Kind) und er nicht glaube, dass die Beschwerdeführerin damals dieses Verhalten präsentiert hat. Er glaube, dass die Beschwerdeführerin auch damals genauso gewesen sei wie heute, freundlich, zugänglich, ansprechbar.
Zur Frage der Vertreterin, ob er ausschließen könne, dass der damals festgestellte Entwicklungsrückstand auf die Misshandlungen zurückzuführen sei, antwortete er, dass bei entsprechender Förderung mehr möglich gewesen sei. Entwicklungsrückstände seien teilweise angelegt und in einem weiten Bereich plastisch sind. Auch ein biologisches Substrat sei zwar veränderbar, aber es gebe eine biologische Obergrenze. Seiner Ansicht nach könne die Beschwerdeführerin in einem entsprechenden Umfeld in ihrer Art und Weise eine entsprechende Leistung erbringen. Natürlich dürfe man sie nicht anschreien wie ein Bauarbeiter auf dem Bau. Man müsse mit ihr wegen ihrer kognitiven Leistungskurve anders umgehen.
Die Leistungskurve beinhalte die leichte Intelligenzminderung (F 70) samt den erlittenen Misshandlungen.
Er wiederholte, dass seiner Ansicht nach damals eine Fehleinschätzung stattgefunden hätte, weil die Diktion von Dr. XXXX, die vorgenommen wurde, auf einen weit niedrigeren IQ hinweise, als er tatsächlich vorliegt.
Es seien ihm schon einige dieser Fehler untergekommen. Man hätte sich damals mit diesen Menschen nicht viel Mühe gegeben. Mehr könne er dazu jetzt nicht sagen.
Die konkret Frage, ob die Beschwerdeführerin ohne die erlebten Misshandlungen im Jahr 1988 arbeitsfähig gewesen wäre, bejahte er ebenso wie die Frage, ob die Beschwerdeführerin mit den erlebten Misshandlungen im Jahr 1988 arbeitsfähig gewesen wäre, allerdings wäre ihre Arbeitsfähigkeit um 10-15% herabgesetzt gewesen.
Man hätte sich damals halt keine Gedanken gemacht.
Der erkennende Senat schließt sich den Ausführungen des Sachverständige für klinische Psychologie und Berufskunde nach einer Abwägung der ihm vorliegenden Gutachten und des vorliegenden Aktes an. Der Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die Beschwerdeführerin - mit den oder ohne die stattgefundenen Missbräuche/n und Misshandlungen – jedenfalls zum Zeitpunkt der Pensionierung aus psychologischer und auch aus kognitiver Sicht arbeitsfähig gewesen ist. Ein Fehler in der Beurteilung des geistigen Zustandes der Beschwerdeführerin durch den Amtsarzt im Jahr 1985 lässt sich insbesondere aus dessen Diktion, dass bei der Beschwerdeführerin ein schwerer geistiger Entwicklungsrückstand vorliege, ableiten, die im Hinblick auf die Beurteilung des Zustandes der Beschwerdeführerin schlichtweg falsch ist.
Auch die Beurteilung "Beträchtliche Debilität" im Gutachten vom 30.05.1988 entsprach und entspricht ebenfalls keinesfalls den tatsächlichen Gegebenheiten.
Der erkennende Senat schließt sich den Schlussfolgerungen des Sachverständigen für Berufskunde an, dass man sich "mit der Beschwerdeführerin nicht viel Mühe gegeben hat". Vielmehr scheint die Pensionierung der Beschwerdeführerin im Jahr 1988 entweder aus orthopädischen Gründen erfolgt zu sein (orthopädisches Gutachten vom 27.05.1988: "Die Pat. ist generell, auch ohne ihren Ellbogenbefund li von Seiten des Bewegungsapparates vermindert belastbar, in Frage kommen für sie nur leichte und zeitlich beschränkt mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, eine beständige körperlich mittelschwere oder bds. manuelle Tätigkeit scheidet wegen des allgemeinen Befundes und wegen des Befundes am li Ellbogen aus.") oder als arbeitsmarktpolitisches Lenkungsinstrument zur Entfernung einer etwas schwerer vermittelbaren Person aus dem Arbeitsmarkt verwendet worden sein.
Zum gegenwärtigen Zustand der Beschwerdeführerin schließt sich der erkennende Senat ebenfalls den Ausführungen des Sachverständige an, konkret dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Polymorbidität nicht mehr arbeitsfähig ist, keinesfalls steht jedoch ihre leichte Intelligenzminderung alleine oder mit den Missbrauchserlebnissen im Vordergrund.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des VOG durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Zu Spruchpunkt A)
Zu A)
§ 1 Abs. 1 Z. 1 VOG besagt:
Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.
Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 2 des VOG ist Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist.
Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn
1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder
2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird (§ 1 Abs. 3 VOG).
Gemäß § 2 Z. 1 ist als Hilfeleistung der Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges vorgesehen.
Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG ist - soweit im gegenständlichen Fall betreffend den Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges relevant - zunächst das wahrscheinliche Vorliegen einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung, durch die wahrscheinlich eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten wurde, sowie weiters gemäß § 1 Abs. 3 VOG, dass dadurch die Erwerbsfähigkeit mindestens sechs Monate gemindert ist oder eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wurde.
Verdienstentgang ist gemäß § 3 VOG bis zur normierten Einkommensgrenze jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der dem Beschädigten durch die verbrechenskausal erlittene Körperverletzung als Verdienst entgangen ist oder künftighin entgeht.
Für die Beurteilung ist sohin der fiktive schadensfreie Verlauf maßgebend.
Im konkreten Fall konnte objektiviert werden, dass die Beschwerdeführerin zwar im Jahr 1988 pensioniert wurde, die stattgefundenen Misshandlungserlebnisse in der Kindheit und Jugend nicht als wesentliche Ursache zur Pensionierung der Beschwerdeführerin geführt haben.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23.5. 2002, Zl. 99/09/0013 und vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113) dargelegt hat, ist bei der Kausalitätsbeurteilung im Bereich der Sozialentschädigungsgesetze von der Theorie der "wesentlichen Bedingung" auszugehen.
Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch ein vom Gesetz erfasstes schädigendes Ereignis zurückgehen könnte - erforderlich, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Dies ist das Ereignis dann, wenn es nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung.
Die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Bedingung (mittels der genannten Theorie) ist keine Sachverhalts-, sondern eine Rechtsfrage. Die Zurechnung ist im Wesentlichen davon abhängig, dass die aus dem geschützten Bereich stammende Ursache zu einer Verfrühung oder Erschwerung des Schadens führte. (VwGH vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113 zu § 2 HVG).
Relevant ist nunmehr, ob die Berufslaufbahn der Beschwerdeführerin bei fiktivem schadensfreien Verlauf – d.h. ohne die zweifellos stattgefundenen Misshandlungen –anders verlaufen wäre.
Auch hier ist abermals die Theorie der "wesentlichen Bedingung" anzuwenden, in der Form, ob die Misshandlungen die Berufslaufbahn der Beschwerdeführerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit soweit beeinträchtigt haben, dass diese einen Verdienstentgang erlitten hat. Zu prüfen ist, ob die Misshandlungen eine wesentliche Bedingung für den von der Beschwerdeführerin als ungünstig erachteten Berufsverlauf sind und ob die Beschwerdeführerin bei fiktivem schadensfreien Verlauf ein höheres Einkommen lukrieren hätte können.
Im Lichte der Gesetzesmaterialien (GP XIII RV 40 . S. 8) zum VOG 1972, die auf das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG) verweisen, ist es nicht rechtswidrig, wenn sich die Behörde auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum KOVG 1957 beruft. (VwGH vom 21.11.2013, Zl. 2011/11/0205, vom 26.04.2013, Zl. 2012/11/0001)
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Begründung eines Versorgungsanspruches nur die Wahrscheinlichkeit, nicht die bloße Möglichkeit einer Verursachung der Gewissheit gleichgestellt. Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. (vgl. u.a. VwGH zu § 4 KOVG vom 19.10.2005, Zl. 2002/09/0132, 15.12.1994, Zl. 94/09/0142 mit Hinweis E 18.2.1988, 87/09/0250)
Diesen Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit konnten die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht begründen.
Dass ein Zusammenhang nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, also grundsätzlich die Möglichkeit besteht, reicht für die Anerkennung nicht aus. (VwGH 86/09/0085, 19.11.1986, zu § 4 KOVG)
Es bietet die Gesetzeslage keine Handhabe dafür, dass bei nicht geklärter Ursache einer Gesundheitsschädigung d.h. "im Zweifel" grundsätzlich für den Beschädigten zu entscheiden sei. (VwGH vom 23.09.1993, Zl. 93/09/0221)
Die Beschwerdeführerin begründet ihr Begehren im Wesentlichen damit, dass sie derzeit eine Berufsunfähigkeitspension beziehe, jedoch bei fiktivem schadensfreien Verlauf - ohne die zweifellos stattgefundenen Misshandlungen – einen Beruf (wie Zimmermädchen, Küchenhilfe,..) ausüben hätte können bzw. eine langjährige Berufsausübung (anstelle des Bezugs der Berufsunfähigkeitspension) in weiterer Folge zu einer die jetzige Berufsunfähigkeitspension übersteigenden Pension geführt hätte bzw. führen würde.
Die Ausführungen des Gutachters Univ. Prof. MMag DDr. XXXX sind ausreichend, detailreich und nachvollziehbar. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, lag zum Zeitpunkt der Pensionierung der Beschwerdeführerin keine Arbeitsunfähigkeit aus psychologischer und kognitiver Sicht vor, sondern erfolgte diese – soweit 30 Jahre später nachvollziehbar – aus orthopädischen Gründen oder wurde die Pensionierung als arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Entfernung einer aus akausalen Gründen vielleicht etwas schwerer vermittelbaren Person aus dem Arbeitsmarkt eingesetzt.
Unter Zugrundelegung des Gutachtens des Sachverständigen für klinische Psychologie und Berufskunde liegen keine objektiven Anhaltspunkte vor, welche auf eine durch das verbrechenskausale psychiatrische Leiden verursachte maßgebend geminderte Leistungsfähigkeit schließen lassen. Im Gegenteil wird durch den Gutachter sowohl für das Jahr 1988 als auch gegenwärtig eine maßgebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aus psychischen Gründen ausgeschlossen.
Vielmehr ist die Pensionierung aus anderen Gründen erfolgt – ob rechtmäßig oder nicht sei dahingestellt. Wenn nunmehr die Pensionierung aus akausalen Gründen erfolgt ist, so ist auch die nunmehr daraus resultierende geringere Pensionsleistung darauf zurückzuführen.
Aus dem schlüssigen Sachverständigengutachten des Sachverständige für klinische Psychologie und Berufskunde und der mündlichen Erörterung dieses Gutachtens geht hervor, dass die Beschwerdeführerin – nicht nur aufgrund der Missbrauchserlebnisse – zum Zeitpunkt der Pensionierung nicht arbeitsunfähig war.
Die jetzige Arbeitsunfähigkeit ist nunmehr auf die Polymorbidität der Beschwerdeführerin zurückzuführen (vielfache Knochenbrüche, COPD, Asthma, )
Die Folgen der erlittenen Misshandlungen treten als Ursache für den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Verdienstentgang in den Hintergrund.
Nicht festgestellt werden kann somit, dass die Misshandlungen den beruflichen Werdegang mit Wahrscheinlichkeit wesentlich beeinträchtigt haben, das Vorliegen eines verbrechenskausalen Verdienstentganges im fiktiven schadensfreien Verlauf zum Zeitpunkt der Antragstellung kann mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht angenommen werden.
Die Voraussetzungen für die Gewährung des Ersatzes des Verdienstentganges sind nicht gegeben.
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die gegenständliche Entscheidung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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