BVwG W180 1416538-2

BVwGW180 1416538-219.8.2015

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W180.1416538.2.00

 

Spruch:

W180 1416538-2/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Georg PECH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, alias XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.01.2012, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX alias XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX alias XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsbürger der Volksgruppe der Pashtunen, stellte am 01.03.2010 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Im Rahmen seiner Erstbefragung am 04.03.2010 gab der Beschwerdeführer an, aus XXXX bei XXXX, im Distrikt XXXX aus der Provinz Baghlan in Afghanistan zu stammen, moslemischen Glauben zu haben und verheiratet zu sein.

Der Beschwerdeführer gab ferner an, bereits Ende 2005 nach London geflohen zu sein und dort um internationalen Schutz angesucht zu haben. Nach einem Aufenthalt von etwa vier Monaten habe er erfahren, dass seine Mutter schwer erkrankt sei und sei deshalb freiwillig 2006 nach Afghanistan zurückgekehrt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt führte er aus, dass im Jahr 2009 die Taliban in den Norden des Landes, dort wo er gelebt habe, zurückgekehrt seien. Da der Vater des Beschwerdeführers früher mit den Taliban zusammengearbeitet habe, seien sie mit dem Beschwerdeführer in Kontakt getreten, um Waffen und Fahrzeuge zu erhalten. Der Beschwerdeführer sei brieflich und telefonisch mehrmals zur Zusammenarbeit aufgefordert worden. Er habe aber vermieden, mit den Taliban in Kontakt zu treten, sei es, dass er die Telefonanrufe nicht angenommen, oder sich im Brunnen oder beim Onkel mütterlicherseits versteckt habe. Die Taliban hätten sich aber nicht abschütteln lassen, sogar der Dorfälteste und der Imam (Dorfvorsteher) hätten den Beschwerdeführer aufgefordert unverzüglich mit den Taliban zusammenzuarbeiten, sonst würden sie sein zukünftiges Leben erschweren. Da auch das Leben des Dorfältesten bedroht worden sei, habe man seiner Mutter aufgetragen, sie solle ihn mit den Taliban kooperieren lassen, widrigenfalls habe die ganze Familie das Dorf zu verlassen. Nach der Flucht zu Verwandten sei das Haus der Familie niedergebrannt worden, die Verwandten ausgeforscht und bedroht worden. Der Beschwerdeführer habe daraufhin den Entschluss gefasst, wieder nach Europa zu flüchten.

1.2. Die britischen Behörden teilten am 22.03.2010 und 31.03.2010 auf Anfrage mit, dass der Beschwerdeführer Ende Februar 2006 die Hilfe für die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan in Anspruch genommen habe. Sein Asylantrag war zuvor vom Home Office am 16.12.2005 abgewiesen worden.

1.3. In der Einvernahme vor der belangten Behörde am 14.07.2010 führte der Beschwerdeführer aus, seine Probleme hätten im Jahr 2009 mit der Rückkehr des Einflusses der Taliban in seinem Wohngebiet (wieder) begonnen. Einerseits hätten die Taliban, insbesondere XXXX und XXXX, ihn aufgefordert den Platz des Vaters, dieser wäre ein großer Unterstützer der Taliban gewesen, einzunehmen und in den heiligen Krieg zu ziehen. Als der Nachbarort an einem Wahltag (am 29.05.1388 des afghanischen Kalenders) von den Taliban angegriffen worden sei, habe andererseits XXXX, der Vorsteher des Nachbarortes, ihn beschuldigt, die Taliban zu unterstützen. XXXX habe versucht, eine Mittäterschaft des Beschwerdeführers an dem Talibanangriff nachzuweisen, um ihn wieder festnehmen zu können.

Bereits im Jahr 2005 sei er von XXXX in Halft genommen worden. XXXX habe damals versucht, den Aufenthaltsort des Vaters des Beschwerdeführers herauszubekommen, der zu diesem Zeitpunkt allerdings schon seit vier Jahren verschollen gewesen sei, was XXXX allerdings nicht gewusst habe.

Der Beschwerdeführer sei damals zwei Monate in Haft gewesen. Während seiner Haft sei er von den Männern der Dschonbesch-i Melli sexuell missbraucht worden. Der Talib XXXX sei zur selben Zeit inhaftiert gewesen und habe mitbekommen, dass der Beschwerdeführer vergewaltigt worden sei. Frei gekommen sei er damals dank eines Onkels, der Beziehungen zum Gefängnisleiter gehabt habe. Nach der Entlassung aus der Haft habe er seine Heimat (erstmals) verlassen und habe schlussendlich in England einen Asylantrag gestellt.

Er sei 2006 nach Afghanistan zurückgekehrt, habe zunächst ein Jahr lang in Kabul gelebt und ab 2007 wieder in seinem Heimatdorf, wo er die elterliche Landwirtschaft betrieben habe. Im Jahr 2009 habe er geheiratet.

Im November 2009 seien XXXX und andere Männer zu ihm nach Haus gekommen und hätten seine Mutter aufgefordert, dass der Beschwerdeführer sich ihnen anschließen solle, er habe sich währenddessen versteckt gehalten. Daraufhin sei er zu seinem Onkel mütterlicherseits gegangen und habe sich dort versteckt. Auch dorthin seien die Taliban gekommen und hätten den Onkel des Beschwerdeführers aufgefordert, dass sich der Beschwerdeführer ihnen anschließen solle. Auch in der Moschee hätten die Taliban ältere Leute aufgefordert, den Beschwerdefüher für die Taliban zu gewinnen. Nachdem er gesehen habe, dass der Druck der Taliban immer größer werde, hätten er und seine Familie beschlossen, dass er seine Heimat (wieder) verlassen müsse.

Der Talib XXXX habe auch damit gedroht, dass - würde er sich den Taliban nicht anschließen - er verraten würde, dass der Beschwerdeführer während seiner Haft im Jahr 2005 vergewaltigt worden und dadurch entehrt sei. Zwischenzeitlich habe dies XXXX in seinem Heimatdorf bereits bekannt gemacht. Der Onkel, welcher den Beschwerdeführer aus der Haft befreit und ihm auch bei der zweiten Flucht geholfen habe, habe in einem späteren Telefonat mit dem Beschwerdeführer gesagt, er hätte ihn nicht geholfen, wenn er über die Vergewaltigung früher Bescheid gewusst hätte. Sexuelle Beziehungen zu einem Mann würden in Afghanistan mit der Todesstrafe geahndet werden.

Der Rechtberater des Beschwerdeführers ergänzte in diesem Zusammenhang, Blutrache bzw. Blutfehe würde von den Pashtunen im hohen Maß angewendet werden. Aufgrund der Geschehnisse sei es auch möglich, dass der Beschwerdeführer von seinem eigenen Clan verfolgt werden könnte.

Der Bescherdeführer stellte in der Einvernahme den Antrag auf psychologisch gutachterliche Feststellung einer eventuell vorliegenden Traumatisierung durch die angegebenen sexuellen Übergriffe.

2.1. Mit Bescheid vom 04.11.2010 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchunkt I) sowie den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

Die vorgebrachten Fluchtgründe wurden vom Bundesasylamt mangels Plausibilität und Nachvollziehbarkeit als nicht glaubwürdig erachtet. Da der Beschwerdeführer in seiner Heimat über familiären Anschluss verfüge, sei auch nicht davon auszugehen, dass er im Falle seiner Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würde. Die Ausweisungsentscheidung begründete das Bundesasylamt mit einer zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessensabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK.

2.2. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und focht ihn wegen Verfahrensfehler und inhaltlicher Rechtswidrigkeit im vollen Umfang an.

Auf die Feststellung des Bundesasylamtes, dass der Beschwerdeführer die Ereignisse nie erlebt hätte, wurde entgegnet, dass in drei Berichten auf der Website "Wikileaks" die Existenz von XXXX bestätigt worden sei. Trotz der Bestätigung der Existenz der Taliban XXXX und XXXX, sei die Bedrohung durch die Taliban, aufgrund des nur telefonischen Kontaktes, angezweifelt worden. Es würde nunmehr Druck auf die Mutter des Beschwerdeführers ausübt werden, um Kenntnis über den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers zu erlangen. Es sei weiters unverständlich, dass von einer mutmaßlich traumatisierten Person detailliertere Informationen über eine Vergewaltigung gefordert werden würden, sowie dass aufgrund fehlender fachlicher Eignung eine eventuelle Traumatisierung seitens des Einvernahmeleiters in Abrede gestellt werde. Der Beschwerdeführer habe sich in Therapie begeben und es würde sich der Verdacht einer Traumatisierung erhärten.

2.3. Am 18.11.2010 übermittelt die Diakonie des evangelischen Flüchtlingsdienstes die Bestätigung des Zentrums für Interkulturelle Psychotherapie - ANKYRA. Beim Erstgespräch habe sich der Verdacht auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund der beschriebenen und beobachteten Symptomatik erhärtet. Der Beschwerdeführer habe mit hoher Authentizität und Glaubwürdigkeit seine Beschwerden, die in Folge seiner Inhaftierung in Afghanistan aufgetreten wären, geschildert. Besonders schmerzhaft sei es für den Beschwerdeführer über die erlebte Vergewaltigung zu sprechen, da dies mit einem hohen Grad an schmerzhafter Erinnerung und Scham verbunden sei.

2.4. Am 16.07.2011 verwies der AsyslGH den Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

Der ermittelte Sachverhalt sei so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Verhandlung unvermeidlich erscheine. Der Bescheid würde keine schlüssig begründeten Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers enthalten, obwohl sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers eindeutig Hinweise darauf ergeben würden, dass er in seiner Heimat womöglich traumatischen Ereignissen ausgesetzt gewesen sei. Es sei an der belangten Behörde gelegen, im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflicht diesen Hinweisen in geeigneter Weise nachzugehen. Die vom Bundeasylamt aufgezeigten Ungereimtheiten im Vorbringen des Beschwerdeführers und die eigenen, jedoch nicht fachkundigen Beobachtungen des Organwalters zum Verhalten des Beschwerdeführers während der Einvernahme würden demgegenüber nicht ausreichen, um wie im angefochtenen Bescheid feststellen zu können, dass der Beschwerdeführer keine physischen oder psychischen Probleme habe. Dafür sei im gegenständlichen Fall die Erstellung eines umfassenden fachärztlichen Gutachtens unerlässlich, um mängelfreie detaillierte Feststellungen zur psychischen Verfassung des Beschwerdeführers treffen zu können, die allenfalls darauf schließen lassen, ob der Beschwerdeführer in der Heimat tatsächlich traumatischen Erlebnissen ausgesetzt gewesen wäre. Ohne eindeutige und unmissverständliche Feststellungen zur Gesundheitssituation des Beschwerdeführers - basierend auf einem fachärztlichen Gutachten - sei der Bescheid nicht rechtens. In der Folge erscheine eine mündliche Verhandlung unvermeidlich, um mit dem Beschwerdeführer das Ergebnis des einzuholenden fachärztlichen Gutachtens zu erörtern.

2.6. XXXX, klinischer Neuropsychologe, klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und psychologischer Psychotherapeut sowie allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger im Fachbereich Neuropsychologie erstellte am 28. September 2011 auf Anfrage der belangten Behörde ein Gutachten:

Es bestehe der Verdacht auf erhöhte Ängstlichkeit und Depressivität. Diese könnten aber nicht mit der notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden, da sämtliche Beschwerdevalidierungsverfahren (VLMT, ZN, TOMM) aufgezeigt hätten, dass der Beschwerdeführer seine Beschwerden übertrieben habe und nicht motiviert gewesen sei, seine Leistung voll einzusetzen. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung könnte nicht bestätigt werden. Des Weiteren wird auf die Unstimmigkeit der Rolle seines Onkels in der Geschichte hingewiesen. Einmal habe der Onkel wegen des behaupteten sexuellen Übergriffs ihn steinigen lassen wollen, dann habe der Onkel erst nach seiner Ausreise nach Österreich hiervon erfahren. Eine psychische Störung könnte mit gutachterlicher Sicherheit nicht nachgewiesen werden. Eine Rückkehr würde die Familie wieder zusammenführen und der Beschwerdeführer könnte seine Tochter das erste Mal sehen. Aus klinisch-psychologischer Sicht sei keine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder eines Dauerschadens, bzw. Spätfolgen durch eine Abschiebung zu erwarten.

2.7. Der Rechtsberater des Beschwerdeführers nahm in einer schriftlichen Stellungnahme zum eingeholten Gutachten dahingehend Stellung, dass in diesem nicht ausreichend mit kultursensitiven Verfahren auf die Problematik des Beschwerdeführers eingegangen worden sei. Bei vielen der angewandten Tests fließe auch die Schulbildung in die Vergleichsnorm ein, was ausreichend begründete Schlüsse erschwere. Das Gutachten könne nur einen ungefähren klinischen Vergleich bieten. Ein großer Teil der Tests würde sich auf Normen europäischer und nordamerikanischer Bevölkerungen beziehen. Der Beschwerdeführer stamme dagegen aus Afghanistan und habe nur 2 bis 4 Jahre eine Koranschule besucht und sei daher weit von europäischen Bedingungen entfernt. Die Fragen zu sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung würden höchste Sensibilität von Seiten des Gutachters erfordern. Kultursensibles Vorgehen in Diagnostik und Behandlung sei in einem Fall wie dem des Beschwerdeführers unbedingt erforderlich, da Vergewaltigung in Afghanistan in einem völlig anderen Kontext stehe wie beispielsweis in europäischen Ländern. Auch als Opfer der Vergewaltigung würde der Person das Vergehen als Schande angelastet und führe dadurch für die Betroffenen zu einer lebensbedrohlichen Situation. Das Gutachten würde hinsichtlich dieser Fakten keine Schlussfolgerungen ziehen, ebenso wenig wie aus den Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Schlafstörungen und der Träume aufgrund der Vergewaltigung. Die behandelnde Psychotherapeutin bezeichne diese Symptome in ihrem Bericht als posttraumatische Belastungsstörung. Die Negativfeststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung im von der belangten Behörde eingeholten Gutachten sei hingegen nicht nachvollziehbar.

2.8. Die Staatendokumentationsstelle beantwortete die Anfrage der belangten Behörde hinsichtlich einer Psychotherapie in Afghanistan, insbesondere in Kabul, dahingehend, dass in zwei Großkrankenhäusern in Kabul eine Behandlung für psychiatrische Patienten angeboten werden würde. Abhängig vom Einkommen und den finanziellen Bedingungen der Patienten und ihrer Familienanghörigen bestünden bezüglich des Zugangs zu den notwendigen Medikamenten jedoch finanzielle Hindernisse. Auf die Anfrage hinsichtlich einer Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung mit mittelgradiger depressiver Episode in Kabul antwortete die Staatendokumentation, dass diese mit Medikamenten behandelt werden könnten. Es gebe ein Psychotherapiezentrum in Kabul, hinsichtlich der Qualität der Behandlung und der Kapazitäten dieses Zentrum könnten keine Informationen übermittelt werden. Die Behandlung von Depressionen sei in Kabul höchst unzufriedenstellend und mangelhaft.

2.9. Der Rechtsberater verwies in seiner Stellungnahme zu den spezifischen und allgemeinen Länderfeststellungen auf die Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Taliban und durch Teile seiner Familie. Er führte UNHCR-Berichte bezüglich gezielter Verfolgung an. In diesem Fall würde keine praktikable interne Schutzalternative zur Verfügung stehen. Eine Integration in Afghanistan würde wesentlich vom Grad der sozialen Vernetzung sowie der Verwurzelung im Familienverband abhängig sein, der in diesem Fall nicht gegeben sei. Ausgehend davon sei mit Blick auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers zu erkennen, dass auch der Beschwerdeführer von der prekären Sicherheitslage in Afghanistan im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit individuell betroffen wäre und dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich sei, sich ohne reale Gefährdung insbesondere seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Güter nach Afghanistan zu begeben. Die Einreise und der Aufenthalt wären auch in einem anderen Landesteil nicht gefahrlos möglich bzw. unzumutbar.

3.1. Mit angefochtenem Bescheid vom 19.01.2012 wies das Bundeasylamt den Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 3 Abs.1 und § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchunkt I. und II.) neuerlich ab und wies den Beschwerdeführer gem. § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III).

Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle traf das Bundesasylamt in seiner Bescheidbegründung Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan und stellte die Volkgruppenzugehörigkeit und Religionsgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, nicht jedoch seine Identität fest. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers traf die belangte Behörde die Feststellung, dass er keine psychischen Probleme habe. Dazu führte die belangte Behörde beweiswürdigend aus, dass das in Auftrag gegebene psychologische Gutachten, welches schlüssig und nachvollziehbar sei, ergeben habe, dass der Beschwerdeführer an keiner posttraumatischen Belastungsstörung leide und auch sonst keine psychische Störung bei ihm nachgewiesen werden konnte. Der Kurzbericht der den Beschwerdeführenden behandelnden Psychotherapeutin enthalte dagegen weder Befund noch Gutachten und erfülle somit nicht die Voraussetzungen eines Sachverständigengutachtens. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen erachtete das Bundesasylamt als nicht glaubwürdig. Da kein asylrechtlich relevanter Sachverhalt festgestellt werden könne, sei der Antrag auf Asyl abzuweisen. Da der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge und jung, gesund und arbeitsfähig sei, sei seine Basisversorgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan und seine sonstige persönliche Sicherheit gewährleistet. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine aussichtslose Lage gedrängt werde. Die Ausweisungsentscheidung begründete die belangte Behörde damit, dass die Interessensabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehe.

3.2. Der Bescheid vom 19.01.2012 wurde vom Beschwerdeführer mit der vorliegenden, rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mängel im Verfahren sowie unrichtiger Beweiswürdigung angefochten.

Die in der Beweiswürdigung vorgeworfenen Umstände seien bereits in der Einvernahme am 14.07.2010 ausgeräumt worden, indem die Talibangruppierungen detailliert dargelegt worden seien. Auch die Argumentation der belangten Behörde, es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass die Taliban den Beschwerdeführer, dessen Mutter und seinen Onkel kontaktiert hätten, werde bestritten. Die Feststellung zum psychischen und physischen Zustand des Beschwerdeführers werde als unrichtig angesehen. Die Nichtbeachtung der Stellungnahmen des Rechtsberaters des Beschwerdeführers zum von der Behörde eingeholten psychologischen Gutachten und zu den Länderfeststellungen stelle eine wesentliche Verletzung des Parteiengehörs dar.

3.3. Mit Schriftsatz vom 27.02.2014 brachte der Beschwerdeführer - nunmehr vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer in Innsbruck - dem Bundesverwaltungsgericht die Bestätigung des Stadtmagistrats Innsbruck vom 21.02.2014 in Vorlage, in der bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer mit Wirksamkeit vom 21.02.2014 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten ist. Die Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bemerkten dazu, dass der Beschwerdeführer als Apostat im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in asylrelevanter Art und Weise verfolgt werden würde.

3.4. Am 17.07.2014 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, ein Zeuge und Frau MMag. Kathrin Kessler, Caritas, als Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers - bevollmächtigt mit Vollmacht vom 17.07.2014 - teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der mündliche Verhandlung entschuldigt fern. In der Verhandlung wurden im Wesentlichen die Fluchtgründe des Beschwerdeführers erneut erörtert.

Der Beschwerdeführer gab an, psychische Probleme zu haben und oft unter starken Kopfschmerzen zu leiden. Er befinde sich in psychotherapeutischen Behandlung, wobei er seine Therapeutin ein bis zweimal im Monat aufsuche. Der Beschwerdeführer legte eine diesbezügliche Bestätigung der behandelnden Psychotherapeutin vor. Auf Nachfrage, wonach in dieser Bestätigung angeführt sei, dass sich die psychische Situation des Beschwerdeführers mittlerweile gebessert habe, bemerkte der Beschwerdeführer, dass dies zutreffend sei; früher sei es ihm schlechter gegangen.

Der Beschwerdeführer führte aus, er sei Pashtune, verheiratet und habe eine Tochter. Auf die Frage nach seinem Religionsbekenntnis antwortete der Beschwerdeführer, dass er - als nach Österreich gekommen sei - angegeben habe, Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung zu sein, inzwischen sei er bekenntnislos. Er sei im Dorf XXXX, im Distrikt XXXX in der Provinz Baghlan, aufgewachsen. Dort würden nurXXXXleben, auch er gehöre diesem Stamm an. Eine Schule habe er nicht besucht, er sei aber vom 7. oder 8. Lebensjahr bis zum 16. oder 17. Lebensjahr in die Moschee gegangen, um dort zu lernen. Im Jahr 2005 habe er Afghanistan das erste Mal verlassen. 2006 sei er von England nach Afghanistan abgeschoben worden. Nach seiner Abschiebung habe er für die Dauer von circa einem Jahr in Kabul und dann im Dorf XXXX, etwa 10 bis 15 Autominuten von seinem Heimatdorf XXXX entfernt, bei seinem Onkel mütterlicherseits, gelebt. Ende 2009 habe er Afghanistan neuerlich verlassen. Seine Familie, bestehend aus Mutter, Bruder, Ehefrau und Tochter, sei 2009 - kurz bevor der Beschwerdeführer Afghanistan zum zweiten Mal verlassen habe - aus Angst vor den Taliban von XXXX zu seinem Onkel mütterlicherseits ins Dorf XXXX gezogen.

Zurzeit lebe er in einer Pension mit 20 anderen Personen, vormittags arbeite er in einem Altersheim und zweimal die Woche besuche er nachmittags einen Deutschkurs. Er beabsichtige eine Ausbildung zum Pfleger zu absolvieren. Durch seine Arbeit im Altersheim könne er einen Teil seines Unterhalts selbst bestreiten. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung mehrere Unterstützungsschreiben vor.

Der Beschwerdeführer sagte aus, dass er seit Februar 2014 kein Moslem mehr sei, da er aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten sei. Über diesen Schritt habe er in Österreich während der letzten vier Jahre nachgedacht. Er glaube nicht mehr an Allah. Begründend führte der Beschwerdeführer auf Nachfrage aus, dass die Taliban ihm gesagt hätten, dass sie ihn nach islamischen Recht, also nach dem Recht Allahs, bestrafen wollten. Wenn ihn dieses Gesetz aber zum Tode verurteile, könne er dieses Recht nicht akzeptieren und auch nicht an Allah glauben. Er bete nicht mehr. Auf Nachfrage, wann der Beschwerdeführer das letzte Mal in Österreich eine Moschee besucht habe, antwortete der Beschwerdeführer, dies sei im August oder September 2013 gewesen, allerdings habe er die Moschee nicht aufgesucht, um zu beten, sondern er habe an einer Trauerfeier für einen Afghanen teilgenommen. Den Fastenmonat Ramadan habe er zuletzt im Jahr 2011 eingehalten. Seine Mutter, seine "Wahloma" - eine frühere Quartiergeberin des Beschwerdeführers, zu der er weiterhin in gutem Kontakt stehe -, die Betreuer im Heim und Mitarbeiter der Security im Heim würden darüber Bescheid wissen, dass er kein Moslem mehr sei. In Afghanistan würde er wegen seines fehlenden Religionsbekenntnisses und Glaubens getötet werden. Ein Widerruf seines Austritts käme für ihn nicht in Frage.

Der Zeuge gab an, seit März 2002 in Österreich und österreichischer Staatsbürger zu sein und in Vorarlberg zu leben. Afghanistan habe er im Jahr 2001 verlassen. Er stamme aus einem Nachbardorf des Beschwerdeführers. Er habe die Telefonnummer des Beschwerdeführers von einem Freund in London erhalten, der ihm mitgeteilt habe, dass der Beschwerdeführer in Österreich leben würde. Da er den Beschwerdeführer als Kind zuletzt gesehen habe, habe er ihn vor etwa drei Jahren bei einem Treffen in Österreich nicht sofort wiedererkannt. Er selbst und sein Vater seien aus Angst vor den Taliban geflohen. Den Vater des Beschwerdeführers habe er namentlich gekannt, er wisse aus Erzählungen der Dorfbewohner und vom Beschwerdeführer, dass dessen Vater mit den Taliban zusammengearbeitet habe. Er sei sich sicher, dass der Beschwerdeführer die angegebene Person sei. Der Zeuge sagte ferner aus, dass XXXX der Distriktvorsteher des Distriktes XXXX und XXXX seines Wissens nach Kommandant der Taliban im Dorf des Beschwerdeführers sei.

Befragt, warum er im Jahr 2009 Afghanistan ein zweites Mal verlassen habe, wiederholte der Beschwerdeführer, dass die Taliban seine Unterstützung im Kampf gegen die Regierung und die Amerikaner eingefordert hätten. Da sein Vater Talib gewesen sei, seien die Taliban auch an ihm interessiert gewesen. Er habe jedoch eine Zusammenarbeit abgelehnt. Die Taliban hätten ihn sowohl im Haus seiner Mutter als auch bei seinem Onkel mütterlicherseits gesucht, auch den Imam der Moschee hätten die Taliban wegen des Beschwerdeführers angesprochen und ihm einen an den Beschwerdeführer gerichteten Brief übergeben. Nachdem sie seine Telefonnummer ausfindig gemacht hätten, sei er zwei bis dreimal auch von den Taliban angerufen worden. XXXX habe ihn zudem aufgrund des Vorfalls im Gefängnis im Jahr 2005 zum Tode verurteilen wollen. Aus Angst um sein Leben wäre er geflohen. XXXX habe seinem Onkel mütterlicherseits nach seiner Ausreise von dem Vorfall im Gefängnis erzählt. Sein Onkel habe ihm telefonisch mitgeteilt, dass er die Hilfe verweigert hätte, hätte er von diesem Vorfall Kenntnis gehabt.

Der Beschwerdeführer korrigierte in der mündlichen Verhandlung die Schreibweise seines Namens auf XXXX und sein Geburtsdatum auf XXXX.

3.5. Der Beschwerdeführer brachte dem Bundesverwaltungsgericht per Faxnachricht vom 21.07.2014 den Widerruf seiner den Anwälten Dr. Martin Dellasaga und Dr. Max Kapferer erteilten Vollmacht bekannt.

3.6. Mit Schriftsatz vom 31.07.2014 erstattete der Beschwerdeführer, vertreten durch MMag. Kathrin Kessler, eine Stellungnahme zu Asyl, subsidiären Schutz und zu den in der mündlichen Verhandlung ausgehändigten Länderberichten. Es sei dem Beschwerdeführer aus religiösen-politischen Gründen Asyl zu gewähren, da er vom Islam abgefallen sei und ihm in Afghanistan als Apostat Verfolgung durch afghanischen Behörden und Dritte (Familienangehörige, Dritte etc.) drohe, wobei zur Glaubwürdigkeit seines Vorbringens, wonach er vom islamischen Glauben abgefallen sei, - neben der Bestätigung der Bezirksverwaltungsbehörde Innsbruck - auf näher bezeichnete Stellen der Verhandlungsschrift verwiesen wurde. Weiters drohe dem Beschwerdeführer politisch-religiöse Verfolgung durch XXXX, seinen Onkel bzw. anderer Personen, die mittlerweile von der während der Haft 2005 an ihm verübten Vergewaltigung erfahren hätten. Zum Umstand, dass der Beschwerdeführer in seinem Asylverfahren im Vereinigten Königreich nicht erwähnt habe, dass er im Gefängnis vergewaltigt worden sei, wurde angemerkt, dass der Beschwerdeführer zur Zeit des Asylverfahrens im Vereinigten Königreich noch nicht in der Lage gewesen sei, diesen Vorfall anzusprechen. Mittlerweile, wohl auch unter dem positiven Einfluss der Psychotherapie in Österreich, schaffe der Beschwerdeführer, über dieses für ihn mit viel Scham, Stigma und Gefahr verbundene Erlebnis zu sprechen. Darüber hinaus drohe dem Beschwerdeführer Verfolgung durch die Taliban, da er sich deren Forderungen, sich ihnen anzuschließen, widersetzt habe und er geflüchtet sei, womit er sich klar politisch gegen die Taliban positioniert habe. Schließlich drohe ihm staatliche Verfolgung auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters und der ihm unterstellten politischen Gesinnung der Unterstützung der Taliban. Der Beschwerdeführer sei bereits 2005 von XXXX, einem Gegner des Vaters des Beschwerdeführers, wegen des Umstandes, dass sein Vater ein Talib gewesen sei, verhaftet worden. Im Jahr 2009 habe XXXX ihm vorgeworfen, an einem Anschlag der Taliban beteiligt gewesen zu sein. Der in der mündlichen Verhandlung einvernommene Zeuge habe bestätigt, dass der Vater des Beschwerdeführers ein Talib und dass XXXX Distriktvorsteher gewesen sei. In eventu sei dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz wegen der schlechten Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz Baghlan sowie seiner psychischen Erkrankung zu gewähren, wobei hinsichtlich letzteren auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation verwiesen und zur Sicherheitslage in Baghlan zusätzlich eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 13.11.2013 vorgelegt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Pashtunen an, ist unbescholten und hat am 01.03.2010 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer bekannte sich früher zum islamischen Glauben. Er ist in Österreich vom islamischen Glauben abgefallen und hat am 21.02.2014 gegenüber dem Stadtmagistrat Innsbruck als Bezirksverwaltungsbehörde seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft erklärt. Der Beschwerdeführer betet nicht mehr und fastet nicht mehr. Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthalts in Österreich aus freier Überzeugung vom Islam abgewandt, ist nunmehr bekenntnislos und es ist davon auszugehen, dass er auch im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan seine Bekenntnislosigkeit nicht verbergen würde, indem er zum Schein an Gebeten teilnimmt oder die Moschee aufsucht. Auch ist davon auszugehen, dass sein - in Österreich erfolgter - Abfall vom islamischen Glauben in Afghanistan bekannt geworden ist oder bekannt werden könnte, da der Umstand, dass der Beschwerdeführer weder betet, noch fastet, noch eine Moschee aufsucht, in seiner Unterkunft, in der zu einem großen Teil Afghanen untergebracht sind, bereits aufgefallen ist.

1.2. Zur allgemeinen Situation in Afghanistan

1.2.1. Allgemeines:

Afghanistan ist eine islamische Republik und hat schätzungsweise 24 bis 33 Millionen Einwohner. Die afghanische Verfassung sieht ein starkes Präsidialsystem mit einem Parlament vor, das aus einem Unterhaus und einem Oberhaus, deren Mitglieder von den Provinz- und Distriktsräten sowie vom Präsidenten bestellt werden, besteht (Country Report des U.S. Department of State vom 19.4.2013).

Seit Jahrzehnten ist Afghanistan Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen, die zu 2 Millionen Toten und 700.000 verwitweten oder verwaisten Personen geführt haben (Congressional Research Service vom 11.7.2014). Afghanistan befindet sich 13 Jahre nach dem Ende der Herrschaft der Taliban in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Anstrengungen, die zur Sicherung bisheriger Stabilisierungserfolge und zur Verbesserung der Zukunftsperspektiven der Bevölkerung beitragen, werden noch lange Zeit notwendig sein (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

Am Nato-Gipfeltreffen im Mai 2012 in Chicago wurden der schrittweise Abzug der internationalen Truppen bis 2014 sowie die Grundzüge des Nachfolgeeinsatzes diskutiert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012). Nach einer Strategie der Übergabe der Sicherheitsverantwortung ("Transition") haben die afghanischen Sicherheitskräfte schrittweise die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan von den internationalen Streitkräften übernommen. Es wird eine Intensivierung des Konflikts zwischen regierungstreuen und -feindlichen Kräften infolge des Abzugs der internationalen Truppen erwartet, sofern nicht vorher eine Friedensvereinbarung geschlossen wird (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Die afghanische Regierung ist weiterhin weit davon entfernt, ihren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit, effiziente Regierungsinstitutionen, Rechtsstaatlichkeit, soziale Basisdienstleistungen und Schutz vor Menschenrechtsverletzungen bieten zu können (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013). Mittlerweile reklamieren die Taliban mit der systematischen Einrichtung parallelstaatlicher Strukturen in immer weiter nördlich gelegenen Gebieten den Anspruch für sich, als legitime Regierung Afghanistans betrachtet zu werden. Die regierungsähnlichen Strukturen in den von den Taliban kontrollierten Gebieten (mit Schattengouverneuren und in wichtigeren Gebieten mit verschiedenen Kommissionen z.B. für Justiz, Besteuerung, Gesundheit oder Bildung) sind relativ gut etabliert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012).

1.2.2. Sicherheitslage:

In vielen Landesteilen Afghanistans gilt die Sicherheitslage als prekär. Bereits im Frühjahr 2013 hatte sich eine besorgniserregende Zunahme militärischer Konfrontationen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und afghanischen Sicherheitskräften in den bevölkerten Gegenden abgezeichnet. 2014 eskalierten diese weiter in allen Regionen des Landes (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5.10.2014). Im Frühjahr 2013 waren die Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen im Vergleich zum Vorjahr um 47% angestiegen. War das Jahr 2013 mittlerweile als das gewaltreichste seit 2001 bezeichnet worden, so nahm zuletzt die Besorgnis über den drastischen Anstieg getöteter und verletzter Zivilisten zu, die im Kreuzfeuer bei Gefechten zwischen aufständischen und afghanischen Truppen oder aufgrund von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen, die regierungsfeindliche Gruppen gezielt platzierten, ums Leben kamen oder verletzt wurden. Der Anstieg der Gewalt wird unter anderem auch im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen gesehen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 22.7.2014). Noch nie zuvor forderten militärische Gefechte so viele Opfer unter der Zivilbevölkerung wie 2014 (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5.10.2014).

Mittlerweile betrifft der Konflikt, der sich zuvor auf den Süden und Osten des Landes konzentrierte, die meisten Landesteile, insbesondere den Norden, aber auch Provinzen, die zuvor als die stabilsten im Land gegolten hatten (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

1.2.2.1. Sicherheitslage im Raum Kabul:

Der Fokus des Terrors liegt nicht auf Kabul oder allgemein auf städtischen Zentren, sondern der Großteil der Gewalt passiert in ländlichen Gegenden. Dennoch verüben die Taliban (einschließlich das Haqqani-Netzwerk) in Kabul weiterhin öffentlichkeitswirksame Angriffe und demonstrieren, dass die Aufständischen überall im Land zuschlagen und selbst den "Stahlring" der afghanischen Sicherheitskräfte um die Zentren großer Städte überwinden können (Ruttig, After the "operational pause", vom 2.6.2013). So verübten sie beispielsweise einen Angriff auf ein bekanntes libanesisches Restaurant im Januar 2014 und auf das Serena Hotel im März 2014. Im Juli 2014 griffen Taliban den internationalen Flughafen an, auf dem sich auch ein NATO-Stützpunkt befindet. Ebenfalls im Juli 2014 setzten Angehörige der Taliban am Rande der Hauptstadt dutzende von Tanklastzügen in Brand (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5.10.2014).

1.2.2.2. Sicherheitslage im Westen und Norden des Landes:

Im Jahr 2013 hat die Zahl der Anschläge in Nordafghanistan im Vergleich zum Vorjahr massiv zugenommen, was zu einer dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage im Norden des Landes geführt hat. Enge Verstrickungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen, lokalen Machthabern und Kräften der organisierten Kriminalität sind im Norden bedeutsam (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5.10.2014).

Baghlan liegt im Nordosten Afghanistans und wird als eine der industriellen Provinzen Afghanistans gesehen. Sie ist von strategischer Bedeutung, da sie an sieben weitere Provinzen, inklusive Kabul, angrenzt.

Baghlan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans (Länderinformationblatt der Staatendokumentation vom 28.1.2014 und vom 19.11.2014). Jedoch haben regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische ihre Aktivitäten in einer Anzahl von Bezirken in den letzten Monaten erhöht (Khaama Press 24.9.2014; vgl. Khaama Press 15.9.2014).

Afghanische Sicherheitskräfte haben in der nördlichen Provinz Baghlan militärische Operationen geführt, um diese noch vor Abhaltung der Wahlen von Aufständischen zu befreien. Gleichzeitig führten Sicherheitskräfte Operationen in Gegenden, in denen sich die Sicherheitsbedrohung erhöht hat, durch (Tolo News 1.3.2014). Es wird erwartet, dass ein Großteil der Sicherheitsverantwortung in Baghlan an die afghanischen Truppen übergeben wird. Aus diesem Grund werden, laut offiziellen Vertretern, massive militärische Operationen geführt, um die Aufständischen zu eliminieren oder sie zu veranlassen ihren Aufstand aufzugeben (ATN 30.6.2014).

Im Zeitraum Jänner bis 31. Oktober 2014 wurden in der Provinz Baghlan laut Informationen eines westlichen Sicherheitsvertreters 355 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. In der Provinz sind die Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-e Islami sowie die IMU (Islamic movement of Uzbekistan) aktiv; die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle hat im Jahr 2014 zugenommen (EASO 1.2015).

In den westlichen Provinzen haben die Anschläge ebenfalls weiter zugenommen. In der Provinz Faryab, in welcher die Taliban um strategisch wichtige Gebiete zur Verbindung ihrer Fronten im Westen und Norden der Provinz entlang der turkmenischen Grenze kämpfen, gilt die Sicherheitslage in gewissen Distrikten als "überwiegend nicht kontrollierbar" (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5.10.2014). Auch die Zahl der Vorfälle in Ghor und Herat erhöhten sich vergleichsweise (Länderinformationblatt der Staatendokumentation vom 28.1.2014).

1.2.3. Menschenrechte:

Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden, können willkürlichen Festnahmen (inklusive Inhaftierung ohne Anklage) sowie Misshandlungen durch internationale Truppen oder durch afghanische Behörden ausgesetzt sein (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Was Repressionen Dritter anbelangt, geht die größte Bedrohung der Menschenrechte von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handelt sich hierbei meist um Anführer von Milizen, die nicht mit staatlichen Befugnissen, aber mit faktischer Macht ausgestattet sind. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Urheber von Menschenrechtsverletzungen praktisch keinen Einfluss und kann sie weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder verurteilen. Wegen des desolaten Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen daher häufig ohne Sanktionen. Immer wieder kommt es zu Entführungen, die entweder politisch oder finanziell motiviert sind (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

Regierungsfeindliche Kräfte greifen systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationalen humanitären Hilfs- und Entwicklungsakteure unterstützen bzw. mit diesen verbunden sind. Zu den primären Zielen solcher Anschläge zählen u.a. politische Führungskräfte, Lehrer und andere Staatsbedienstete, ehemalige Polizisten und Zivilisten, die der Spionage für regierungstreue Kräfte bezichtigt werden. Auch afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, werden von Taliban bedroht und angegriffen. In Gebieten, die ihrer tatsächlichen Kontrolle unterliegen, nutzen regierungsfeindliche Kräfte Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Rekrutierungsmaßnahmen auf der Grundlage von Zwang. Personen, die sich einer Rekrutierung widersetzen, sind gefährdet, der Spionage für die Regierung angeklagt und getötet oder bestraft zu werden (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Personen, denen Verstöße gegen die Scharia - wie Apostasie, Blasphemie, freiwillige, gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch - vorgeworfen werden, sind nicht nur der Gefahr ihrer Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte ausgesetzt. Dies gilt sowohl für Frauen als auch für Männer (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die größeren Städte bieten aufgrund ihrer Anonymität eher Schutz als kleine Städte oder Dorfgemeinschaften (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014). UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Akteuren ausgeht, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius der regierungsfeindlichen Kräfte existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine sinnvolle interne Schutzalternative. Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass die Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-e-Islami Hekmatyar sowie andere bewaffnete Gruppierungen die operativen Kapazitäten haben, Angriffe in allen Teilen des Landes auszuführen, darunter auch in solchen Gebieten, die nicht von den regierungsfeindlichen Kräften kontrolliert werden, wie anhand des Beispiels von öffentlichkeitswirksamen Anschlägen in urbanen Gebieten, die sich unter der Kontrolle regierungsfreundlicher Kräfte befinden, ersichtlich wird (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Exkurs: Zwangsrekrutierungen

Zwangsrekrutierungen durch Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen, konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

Grundsätzlich scheint die Zwangsrekrutierung im Sinn einer Rekrutierung durch Waffengewalt eher ein Randphänomen zu sein. Es muss jedoch festgehalten werden, dass die allgemeine Quellenlage bezüglich Erlebnisberichte über Rekrutierungen durch die Taliban rar sind (Analyse der Staatendokumentation vom 2.4.2012). Folglich werden derartige Fälle u.a. auch als "Ausnahmefälle", die in Helmand, Kunduz, Kunar, Uruzgan und in bestimmten Gebieten Pakistans stattgefunden haben sollen, bewertet (EASO Report über Taliban Strategies - Recruitment vom Juli 2012), wogegen von anderer Stelle auf den eingeschränkten Zugang von Journalisten und NGO-Vertretern in Teilen Afghanistans und die damit verbundene Limitierung vorhandener Informationen sowie darauf hingewiesen wird, dass ein Fehlen glaubwürdiger Informationen über Zwangsrekrutierungen nicht das Fehlen solcher Praktiken überhaupt bedeutet (Stellungnahme von UNHCR vom Juli 2012).

Auffällig ist, dass sich die Fälle von Zwangsrekrutierungen mit Waffengewalt fast ausschließlich in Pakistan zutragen. Es gibt keine Berichte von konkreten Fällen aus jüngerer Zeit. Die vorliegenden Belege über Zwangsrekrutierungen durch die Taliban sind meist älteren Datums. Die Mehrheit der Kämpfer scheint sich freiwillig den aufständischen Gruppen anzuschließen. Geht man davon aus, dass die Taliban in einem nicht geringen Ausmaß auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung beim Kampf gegen die Regierung und die internationalen Truppen angewiesen sind und die Zuverlässigkeit von zwangsrekrutierten Kämpfern sehr zweifelhaft ist, wäre eine Politik der Zwangsrekrutierung kontraproduktiv. Dies würde die eigene Schlagkraft schwächen und den Widerstand der Bevölkerung provozieren. Dieser Befund deckt sich auch mit der Feststellung, dass die Taliban bemüht sind, Konflikte mit der lokalen Bevölkerung weitestgehend zu vermeiden, indem sie die lokalen Würdenträger vor dem Beginn ihrer Aktivitäten in einem bestimmten Gebiet davon in Kenntnis setzen und ihre Zustimmung für ihre Aktivitäten einholen bzw. indem sie gezielt lokale Kommandanten einsetzen, um sich so der Unterstützung der lokalen Gemeinschaften zu versichern.

Erst nachdem sich die Taliban in einem Gebiet etabliert haben, wird verstärkt Druck auf Andersdenkende ausgeübt. So kam es in Kandahar relativ früh zu gezielten Tötungen von Mullahs und Stammesführer, die sich gegen die Taliban aussprachen. Es wird deshalb auch davon ausgegangen, dass es nur in Gemeinschaften, die von den Taliban kontrolliert wurden, zu Zwangsrekrutierungen gekommen sein kann. Falls sich dort Familien gegen die Taliban stellen, könnten die Taliban zu Zwangsmaßnahmen greifen, um diese Familien zu zwingen, ihre Söhne dem Kampf zur Verfügung zu stellen (Analyse der Staatendokumentation vom 2.4.2012).

1.2.4. Religionsfreiheit:

Die Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert. Dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Nach offiziellen Schätzungen sind 84% der Bevölkerung sunnitische Muslime und 15% schiitische Muslime. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus und Christen machen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin durch das geltende Recht diskriminiert (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Hindus und Sikhs werden auch im Alltag diskriminiert und bei der Ausübung ihrer religiösen Zeremonien bedroht oder angegriffen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5.10.2014). Christen und Angehörige der Baha'i vermeiden es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Die afghanische Regierung schützt religiöse Minderheiten vor Übergriffen nicht (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Die Situation der größten religiösen Minderheit des Landes, der afghanischen schiitisch-muslimischen Gemeinde, hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert, ist jedoch noch immer mit gesellschaftlichen Diskriminierungen konfrontiert, wobei die Beziehungen zur sunnitischen Mehrheit sich verschlechtert hat (International Religious Freedom Report 2012 des U.S. Department of State vom 20.5.2013).

Exkurs: Konversion

Der Abfall vom islamischen Glauben (Apostasie) kann in Afghanistan mit dem Tode bestraft werden. Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte (Mord, Entführung und gewisse Straftaten gegen die nationale Sicherheit) vorgesehen. Unter dem Einfluss der Scharia wird die Todesstrafe aber auch bei anderen Delikten, z.B. bei Blasphemie und Apostasie, verhängt (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und wird gemäß einigen Auslegungen des islamischen Rechts in Afghanistan mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten", die laut Strafgesetzbuch nach der Hanafi-Rechtslehre bestraft werden (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Allein der Verdacht einer Abkehr vom Islam kann bereits zu Verfolgung führen (Anfragebeantwortung des deutschen Auswärtigen Amtes vom 7.5.2014).

Ein Konvertit kann den Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion innerhalb von drei Tagen widerrufen, andernfalls kann ihm Tod durch Steinigung drohen, er kann enteignet und seine Ehe annulliert werden (International Religious Freedom Report 2012 des U.S. Department of State vom 20.5.2013). Konvertiten riskieren ferner, von ihren eigenen Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen zu werden und ihre Arbeit zu verlieren. Wer vom Islam zum Christentum konvertiert, ist außerdem durch die Taliban gefährdet, die jeden mit dem Tode bedrohen, der sich zum Christentum bekehren lässt. Personen, die vermeintlich versuchen, andere zu einer Konversion zu bewegen, sind ebenfalls gefährdet, verhaftet und inhaftiert zu werden (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Dort, wo Apostasie nicht vor Gericht verhandelt wird - und das scheint die Mehrheit der Fälle zu sein -, erleidet der Konvertit häufig Verfolgung durch die eigene Familie und Gesellschaft, manchmal sogar den Tod durch Verwandte, die die Schande des Abfalls von der Familie abwaschen möchten. Konvertiten müssen damit rechnen, beschimpft und bloßgestellt oder geschlagen zu werden, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, ins Gefängnis zu kommen oder auch umgebracht zu werden (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.2.2012).

1.2.5. Ethnische Minderheiten:

Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat, über den es aufgrund der seit Jahrzehnten schwierigen Sicherheitslage kaum gesicherte statistische Daten gibt (ÖIF-Länderinfo vom Februar 2010). Der Anteil der Volksgruppen im Vielvölkerstaat wird auf ca. 38% Paschtunen, ca. 25%, Tadschiken, ca. 19% Hazara, ca. 6% Usbeken sowie zahlreiche kleinere ethnische Gruppen (Aimak, Turkmenen, Baluchi, Nuristani u. a.) geschätzt. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen dort ein offizieller Status eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser anderen Sprache spricht.

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten (mehrheitlich schiitischen) Hazara hat sich die Lage deutlich verbessert. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung zwar nach wie vor unterrepräsentiert, aber es erscheint unklar, ob dies eher eine Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014). In diesem Sinne sind Angehörige der Hazara weiterhin gesellschaftlich diskriminiert und Berichten zufolge Opfer von Schikanierung, Einschüchterung und Tötungen durch die Taliban sowie andere regierungsfeindliche Kräfte (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Andererseits verbessert sich die Minderheit der Hazara ökonomisch und politisch durch Bildung: Viele Hazara schließen Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in den Bereichen Informationstechnologie oder Medizin ein (Congressional Research Service vom 22.11.2013). Grundsätzlich sind Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten im Alltagsleben in Afghanistan selten (Anfragebeantwortung des deutschen Auswärtigen Amtes vom 7.5.2014).

In der Provinz Ghazni errangen Vertreter der Ethnie der Hazara sämtliche Sitze, die im Unterhaus für diese Provinz reserviert waren, was jedoch u.a. auch auf die niedrige Wahlbeteiligung in den paschtunisch besiedelten Distrikten aufgrund der prekären Sicherheitslage zurückzuführen war (D-A-CH-Bericht zur Sicherheitslage vom März 2011). Beispielsweise kann es in Dörfern, die nahe von durch Paschtunen besiedelten Gebieten im Distrikt Qarabagh liegen, durchaus vorkommen, dass Hazara Anfeindungen ausgesetzt sind (Anfragebeantwortung des deutschen Auswärtigen Amtes vom 7.5.2014).

In einer besonderen Lage befinden sich die ca. eine Million Kuchi-Nomaden, die unter ungeklärten Boden- und Wasserrechten in besonderem Maße leiden. De facto kommt es immer wieder zu einer Diskriminierung dieser Gruppe, da sie aufgrund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter gelten und so die Gefahr laufen, Opfer einer diskriminierenden Verwaltungspraxis oder strafrechtlicher Sanktionierung zu werden. Immer wieder werden Nomaden rasch einer Straftat bezichtigt und verhaftet, wenngleich sie oft auch genauso schnell wieder auf freiem Fuß sind (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

1.2.6. Justiz und (Sicherheits‑)Verwaltung:

Verwaltung und Justiz funktionieren nur sehr eingeschränkt. Neben der fehlenden Einheitlichkeit in der Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia und Gewohnheitsrecht), werden auch rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien nicht regelmäßig eingehalten. Einflussnahme und Zahlung von Bestechungsgeldern durch mächtige Akteure verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014). Die Justiz ist in Afghanistan unterfinanziert, unterbesetzt, nicht adäquat ausgebildet, ineffektiv, Drohungen ausgesetzt, befangen, politisch beeinflusst und durchdringender Korruption ausgesetzt (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 1.12.2014).

Die Urteile zahlreicher Gerichte basieren auf einem Gemisch von kodifiziertem Recht, Schari'a, lokalen Gebräuchen und Stammesgesetzen. Gerichtsprozesse entsprechen in keiner Weise den internationalen Standards für faire Verfahren. Die Haftbedingungen liegen weiterhin unter den internationalen Standards; sanitäre Einrichtungen, Nahrungsmittel, Trinkwasser und Decken sind mangelhaft, ansteckende Krankheiten verbreitet (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die systematisch nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht festzustellen. Fälle von Sippenhaft sind allerdings nicht auszuschließen (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014). Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Pashtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Racheakte nicht an Frauen und Kinder verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann die Blutfehde ruhen, bis die Familie des Opfers sich in der Lage sieht, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters durch das formale Rechtssystem schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).

Die Taliban haben in den von ihnen kontrollierten Gebieten ihre eigenen parallelstaatlichen Justizsysteme eingerichtet. Ihre Rechtsprechung basiert auf einer äußerst strikt ausgelegten Interpretation der Shari'a; die von ihnen ausgeführten Bestrafungen umfassen auch Hinrichtungen und körperliche Verstümmelungen und werden von UNAMA teilweise als Kriegsverbrechen eingestuft (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).

Innerhalb der Polizei sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung - ebenso wie in der Justiz - endemisch (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Die Afghanische Nationale Polizei (ANP) gilt als korrupt und verfügt bei der afghanischen Bevölkerung kaum über Vertrauen. Die afghanischen Sicherheitskräfte, die inzwischen praktisch im ganzen Land an vorderster Front kämpfen, werden auch künftig auf internationale Unterstützung sowie Beratung und Ausbildung angewiesen sein. Ein weiteres schwerwiegendes Problem stellt die hohe Ausfallquote dar: Rund 35% der Angehörigen der Afghanischen Sicherheitskräfte schreiben sich jedes Jahr nicht mehr in den Dienst ein. Die Desertionsrate in der Armee wird nur noch von jener der ANP übertroffen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).

1.2.7. Versorgungslage:

Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Für Rückkehrer gilt dies naturgemäß verstärkt. Eine hohe Arbeitslosigkeit wird verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen. Das World Food Programme reagiert das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch. Auch der Norden des Landes ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheiten, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es an vielen Orten an grundlegender Infrastruktur für Transport, Energie und Trinkwasser (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

Die medizinische Versorgung ist trotz erkennbarer Verbesserungen landesweit aufgrund ungenügender Verfügbarkeit von Medikamenten, Ausstattung der Kliniken, Ärzten und Ärztinnen sowie mangels gut qualifizierten Assistenzpersonals (v.a. Hebammen) immer noch unzureichend. Die Behandlung psychischer Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet (abgesehen von einzelnen Pilotprojekten) nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

1.2.8. Rückkehrfragen:

Die Fähigkeit Afghanistans, Rückkehrer aufzunehmen, bleibt gering (Country Report des U.S. Department of State vom 19.4.2013). Gemäss UNHCR waren rund 40% der Rückkehrenden nicht in der Lage, sich in ihren Heimatgemeinden wieder zu integrieren, was zu einer signifikanten zweiten Vertreibung geführt hat. Bis zu 60% der Rückkehrenden kämpfen mit Schwierigkeiten, sich in Afghanistan wieder einzugliedern. Erschwert wird die Wiedereingliederung durch die anhaltend prekäre Sicherheitslage, den Verlust der Lebensgrundlage, den fehlenden Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie durch die Herausforderungen bei der Einforderung von Land und Besitz (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).

Bei der Rückkehr von Frauen, Kindern, alten Menschen oder Alleinerziehenden stellt die Reintegration in ein religiöses und sozial traditionelles Umfeld oft eine Herausforderung dar (Bericht von IOM vom Oktober 2012). Rückkehrer können auf Schwierigkeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art vor allem dann stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit aus dem (westlich geprägten) Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.3.2014).

UNHCR spricht sich gegen eine Rückkehr von Personen an einen Ort aus, der weder dem Herkunftsort noch früheren Wohnorten entspricht, wo keine tatsächlichen Familien- oder Stammesstrukturen und entsprechende Unterstützung bestehen (Anfragebeantwortung des UNHCR vom 11.11.2011).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers und zu seinem früheren religiösen Bekenntnis ergeben sich aus seinen diesbezüglich gleichbleibenden und im Ergebnis glaubhaften Angaben. Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage geeigneter Dokumente nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zum Abfall vom Islam und seinem Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und aus der Bestätigung des Stadtmagistrats Innsbruck als Bezirksverwaltungsbehörde vom 21.02.2014, wonach sein Anbringen betreffend die Erklärung des Austritts aus der islamischen Glaubensgemeinschaft rechtswirksam entgegengenommen wurde.

Dem Beschwerdeführer ist es in der mündlichen Verhandlung gelungen, glaubhaft darzutun, dass er in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung vom Islam abgefallen ist, nicht mehr an Allah glaubt und bekenntnislos ist und dass er auch im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat seinen Abfall vom Islam nicht widerrufen würde. Als glaubwürdig erwiesen sich auch seine Angaben, wonach der Umstand, dass er an keinem Gebet teilnehme, nicht faste und nicht in die Moschee gehe, anderen Afghanen in seiner Unterkunft bereits aufgefallen sei.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Reupblik Österreich.

2.2. Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Angaben besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. 68/2013, sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende zu führen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine derartige Regelung in den hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen wird, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht.

Die Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 GFK (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 6.10.1999.Zl.99/01/0279, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 23.7.1999, 99/20/0208; 26.2.2002, 99/20/0509; 28.10.2009, 2006/01/0793; 24.02.2015, Ra 2014/18/0063 mwN) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539; 17.3.2009, 2007/19/0459).

Bei einer erst nach Verlassen des Herkunftsstaates erfolgten Konversion eines Fremden vom Islam zum Christentum ist auch zu prüfen, ob die Konversion allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. Hat der Fremde nicht behauptet, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wieder vom christlichen Glauben zum Islam übertreten zu wollen, und ist der Fremde nicht nur zum Schein zum Christentum konvertiert, kommt es nicht auf die Frage an, welche Konsequenzen der Asylwerber wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte. Vielmehr ist maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion - allenfalls sogar mit der Todesstrafe - belegt zu werden (VwGH 30.6.2005, Zl. 2003/20/0544).

Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 05.09.2012 in den verbundenen Rechtssachen C 71/11 und C 99/11 , Bundesrepublik Deutschland gegen Y und Z, ist Artikel 2 Buchstabe c der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragsstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragsstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten (siehe diesbezüglich auch VfGH 12.6.2013, U 2087/2012-17).

Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gemäß Art. 9 EMRK und Art. 10 EU-GRC umfasst auch die sogenannte negative Religionsfreiheit, also die Freiheit, eine Religion nicht zu haben bzw. bekennen zu müssen oder auszuüben (vgl. etwa Grabenwarter in Pabel/Schmahl, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 9, Rdn 55ff).

Aus dem festgestellten Sachverhalt zur Person des Beschwerdeführers sowie aus den Feststellungen zur Religionsfreiheit in Afghanistan ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als früherer Moslem, der vom Islam abgefallen ist, und nunmehr Bekenntnisloser im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen im persönlichen Bereich auf Grund der Apostasie ausgesetzt sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass ihm in dieser Hinsicht allerdings staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre. Wie oben unter den Feststellungen ausgeführt droht einem Apostaten bei Anwendung des Scharia-Rechts die Todesstrafe. Für die Erfüllung des Tatbestandes der Apostasie kommt es nicht auf die Zuwendung zu einer anderen Religionsgemeinschaft (zB zum Christentum) an, sondern auf den Abfall vom Islam, der beim Beschwerdeführer - wie festgestellt - vorliegt.

Aufgrund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts (Scharia) und der in der Praxis angewandten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und der Intoleranz gegenüber Apostaten und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan ergibt, weshalb keine inländische Fluchtalternative besteht.

Angesichts dieses Umstandes war auf die übrigen vom Beschwerdeführer erstatteten Fluchtgründe nicht weiter einzugehen.

Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Ein Asylausschlussgrund im Sinne § 6 Abs. 1 AsylG liegt nicht vor.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der bisherigen, oben zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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