AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W221.2017289.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.12.2014, Zl. 1048533004-140299290, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.05.2015 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 144/2013 (AsylG 2005), der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Somalias, wurde als Tochter der Beschwerdeführer zu den Zlen. W221 1425725-1 und W221 2006045-1, am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren. Ihr Vater als gesetzlicher Vertreter stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren und erklärte dabei, dass die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe habe, sondern er auf seine eigenen Ausreisegründe verweise. Zum Nachweis der Identität der Beschwerdeführerin wurde die österreichische Geburtsurkunde vorgelegt.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.12.2014, zugestellt am 02.01.2015, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 21.03.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Vater der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat nicht verfolgt worden sei und für die Beschwerdeführerin keine individuellen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien. Da den Eltern der Beschwerdeführerin der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, habe auch die Beschwerdeführerin den gleichen Schutz erhalten.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 30.12.2014 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, sich bezüglich der Beschwerdeführerin mit der Lage der Mädchen, insbesondere im Hinblick auf die herrschende Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung, in Somalia auseinanderzusetzen.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 19.01.2015 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Mit Schreiben vom 24.04.2015 wurden die Eltern der Beschwerdeführerin und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.05.2015 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in Somalia geladen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 28.04.2015 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.05.2015 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
Im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung gaben die Eltern der Beschwerdeführerin an, dass sie ihre Tochter nicht beschneiden lassen wollen, dies in Somalia aber auch zwangsweise durchgeführt werde. Ihre anderen drei Töchter seien vor der Ausreise aus Somalia gegen den Willen der Mutter in der schlimmsten Form beschnitten worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom XXXX, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.05.2015, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die minderjährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Somalias.
Die Beschwerdeführerin ist am XXXX als Tochter der Beschwerdeführer zu den Zlen. W221 1425725-1 und W221 2006045-1 im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.
Der Beschwerdeführerin würde im Falle einer Rückkehr nach Somalia landesweit mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Genitalverstümmelung drohen.
Die minderjährige Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Relevante Länderberichte zur Situation in Somalia:
"Weibliche Genitalverstümmelung (FGM):
FGM ist in ganz Somalia nach wie vor weit verbreitet (UKFCO 10.4.2014). Früher lag die Verbreitung von FGM bei rund 99 Prozent. Diese Rate ist zurückgegangen. In einigen Landesteilen sind FGM bzw. drastische Formen von FGM gesetzlich verboten worden (so etwa in der Übergangsverfassung). Trotzdem werden noch immer die meisten Mädchen diesem Eingriff unterzogen (MV 24.1.2014). 63 Prozent der Beschnittenen erlitten die weitreichendsten Form (pharaonische Beschneidung/Infibulation). Der Eingriff findet bei mehr als 80 Prozent im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; in 10 Prozent zwischen neun und vierzehn Jahren; und in 7 Prozent zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014).
In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten und kommt dort auch nicht vor (MV 24.1.2014). Auch die Gruppe al Islah und andere Islamisten setzen sich gegen FGM ein (C 18.6.2014).
Generell stößt eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen will, in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Auch in urbanen Gebieten kann es zu großem sozialen Druck kommen, damit die Tochter beschnitten wird (MV 24.1.2014). Unbeschnittene Frauen sind in der somalischen Gesellschaft sozial stigmatisiert (EASO 8.2014).
Quellen:
- C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.
- EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf , Zugriff 14.10.2014
- MV - Migrationsverket/Lifos (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539 , Zugriff 22.9.2014
- UKFCO - UK Foreign and Commonwealth Office (10.4.2014): Human Rights and Democracy Report 2013 - Section XI: Human Rights in Countries of Concern - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/273711/402748_de.html , Zugriff 26.8.2014"
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Bei den zitierten Passagen handelt es sich um einen Auszug aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (04.11.2014), die gemäß § 5 Abs. 1 BFA-Einrichtungsgesetz beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingerichtet ist und verpflichtet ist, eine allgemeine Analyse nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten. Diese Länderberichte wurden den Parteien des Verfahrens im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgehalten und es ist ihnen nicht entgegengetreten worden.
2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und zu ihrem Fluchtvorbringen:
Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin und ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Eltern der Beschwerdeführerin sowie auf die vorgelegte österreichische Geburtsurkunde.
Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Bei der Beschwerdeführerin wurde bisher keine Beschneidung durchgeführt.
Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass in Somalia landesweit an fast allen Mädchen ab einem Alter von fünf Jahren Genitalverstümmelungen praktiziert werden. 63 Prozent der Beschnittenen erleiden die weitreichendste Form dieser Beschneidung (pharaonische Beschneidung/Infibulation). Hinweise, die dem widersprechen oder die darauf hindeuten würden, dass gerade im Falle der Beschwerdeführerin die Gefahr einer Genitalverstümmelung nicht vorläge, haben sich keine ergeben. Zwar verbietet die somalische Übergangsverfassung diese Praktik, die Bemühungen zur Aufklärung zeigen aber angesichts der unverändert hohen Durchführungsrate offensichtlich kaum Wirkung.
Die Eltern der Beschwerdeführerin haben glaubhaft versichert, dass sie eine solche Genitalverstümmelung ablehnen. Auch bei der Mutter der Beschwerdeführerin wurde eine Beschneidung durchgeführt; bei den Schwestern der Beschwerdeführerin (W221 2006046-1 bis 2006048-1) wurde vor deren Ausreise aus Somalia sogar die weitreichendste Form dieser Beschneidung (Infibulation) durchgeführt.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus dem Umstand, dass die minderjährige Beschwerdeführerin noch nicht strafmündig ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG iVm § 12 VwGVG ist die Beschwerde von der Partei binnen zwei Wochen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einzubringen.
Der gegenständlich angefochtene Bescheid wurde der gesetzlichen Vertretung der Beschwerdeführerin am 02.01.2015 zugestellt. Die Beschwerde ging am 12.01.2015, somit innerhalb der Frist von zwei Wochen, bei der belangten Behörde ein. Sie ist somit rechtzeitig.
Zu A)
Die Beschwerde ist auch begründet:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, 99/01/0256 mwN).
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Die Behörde hat bei einem Antrag eines Familienangehörigen in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen ist. Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines Familienangehörigen überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063).
Aufgrund der oben getroffenen Feststellungen geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass bei der Beschwerdeführerin als unbeschnittenes Mädchen in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (siehe VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199) die Gefahr gegeben wäre, Opfer eines Eingriffs von massiver Intensität in ihre körperliche und sexuelle Integrität, nämlich einer weiblichen Genitalverstümmelung, zu werden.
Dies stellt eine drohende Verfolgung der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe - jener der unbeschnittenen Mädchen - iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention dar. Da entsprechend der oben getroffenen Feststellungen Genitalverstümmelungen in Somalia landesweit praktiziert werden, steht der Beschwerdeführerin auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
Das Bundesverwaltungsgericht geht im Einklang mit den Länderberichten außerdem nicht davon aus, dass zur Vermeidung einer solchen Misshandlung auf die Schutzwilligkeit oder -fähigkeit der somalischen Regierungskräfte zurückgegriffen werden könnte.
Es sind auch im Zuge des Verfahrens keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.
Die Beschwerdeführerin konnte somit glaubhaft machen, dass ihr im Herkunftsstaat insbesondere aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Beschwerde ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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