BVwG I402 2002120-1

BVwGI402 2002120-19.5.2014

AuslBG §15 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
AuslBG §15 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:I402.2002120.1.00

 

Spruch:

GZ.: I402 2002120-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M, als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichterinnen Mag. Nicole OKHOWAT-LEHNER und Maria WODOUNIK als Beisitzerinnen über die Beschwerde des XXXX, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Dr. Marie Lisa DOLL-AIDIN, Rudolfskai 54, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid der Regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Schwaz vom 30.07.2013, Zl. RGS Schwaz/BVD/08114/2013, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben. In Abänderung des angefochtenen Bescheides wird dem Beschwerdeführer, Herrn XXXX, befristet mit fünf Jahren ein Befreiungsschein gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 Bundesgesetz vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG), BGBl. 218/1975 in der Fassung BGBl. I Nr. 136/2004 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1.1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Am 12.04.2013 brachte er bei der Regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Schwaz (im Folgenden: belangte Behörde) ein eigenhändig ausgefülltes und unterschriebenes Formular mit dem Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheins ein, in dem er das für den Fall der Beantragung eines Befreiungsscheins nach (§ 15 Abs. 1) "Z 1" AuslBG vorgesehene Textfeld ausfüllte. Dem Antrag legte er Unterlagen, unter anderem zum Beleg seiner Staatsangehörigkeit und seiner bei Arbeitgebern in Österreich zurückgelegten Beschäftigungszeiten während der letzten 8 Jahre bei.

1.2. Mit Schreiben vom 13.05.2013 forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer zum Nachweis eines Aufenthaltstitels auf. Er beantwortete diese Aufforderung mit einer durch seine Rechtsvertreterin verfassten Stellungnahme vom 26.05.2013, in der er unter anderem vorbrachte, dass er sich seit über zehn Jahren (seit 2001) rechtmäßig in Österreich aufhalte, über ein gültiges Einreisevisum und über eine Aufenthaltserlaubnis verfüge und auch seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich habe. Er arbeite seither stets beim selben Arbeitgeber, verfüge über ein entsprechendes Einkommen sowie eine aufrechte Kranken- und Pensionsversicherung in Österreich und komme ua. auch seiner Steuerpflicht ordnungsgemäß nach. Er stütze seinen Antrag auf das Assoziationsabkommen EWG-Türkei vom 12.09.1963 und das dazu abgeschlossene Zusatzprotokoll vom 23.11.1970 sowie die hierzu ergangenen Assoziationsratsbeschlüsse, insbesondere den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 (im Folgenden: ARB 1/80), nach denen er ein Recht auf eine Arbeitserlaubnis habe. Seiner Stellungnahme legte er weitere Unterlagen bei, darunter insbesondere eine Kopie seines Reisedokuments und Kopien verschiedener ihm erteilter Aufenthaltserlaubnisse.

Im Verwaltungsakt findet sich ein (nicht unterschriebenes und

datiertes, aber offenkundig von der Landesgeschäftsstelle des

Arbeitsmarktservice Tirol stammendes) Schreiben, in der das

Verfahrensgeschehen zusammengefasst wird und u.a. festgehalten wird,

dass der Beschwerdeführer (vertreten durch seine Rechtsvertreterin)

"am 12.04.2013 ... einen Antrag auf Ausstellung eines normalen

Befreiungsscheines ... - keine Antragstellung nach § 4 c.2. (nach

Assoziationsabkommen)" gestellt hatte.

1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.07.2013 (der ausgewiesenen Vertreterin des Beschwerdeführers am 01.08.2013 zugestellt) wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers "auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Ziffer 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl 218/1975, in der geltenden Fassung" ab. Zur Begründung führte sie - nach Wiedergabe von § 15 Abs. 1 AuslBG in der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Fassung - aus, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass der Beschwerdeführer "nicht rechtmäßig nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) in Österreich niedergelassen" sei und "laut Reisepass" über kein dementsprechendes Visum oder einen diesbezüglichen Aufenthaltstitel verfüge. Eine "rechtmäßige NIederlasssung nach dem NAG" habe "nicht vorgelegt" werden können. Aus diesem Grund liege eine der Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG nicht vor, weshalb der Antrag abzuweisen sei.

2.1. Dagegen richtet sich die (bei der belangten Behörde am 09.08.2013 eingelangte) nunmehr als Beschwerde zu behandelnde Berufung, in der sich der Beschwerdeführer neuerlich auf das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei, das Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen und den Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80) beruft. Er trifft darin (unter anderem) nähere Ausführungen zur Rechtsprechung des EuGH zum ARB 1/80 und bringt unter anderem auch Folgendes vor: "In Anbetracht der jährlichen

Änderungen der fremdenrechtlichen Gesetze erfolgt eine ... sachlich

nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Fremden; dies sogar zwischen den türkischen Staatsangehörigen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass das Gesetz derart geändert wird, dass die Beschäftigungsbewilligung von der Niederlassungsbewilligung und [diese] wiederum von der Niederlassungsbewilligung abhängig ist, so dass ein [diesen] Normen Unterworfener nie in den Genuss des ARB 1/80 kommen kann".

2.2. Mit Schreiben vom 28.01.2013 (gemeint möglicherweise: 2014) sandte die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten und erstattete eine Stellungnahme, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Beschwerdeabweisung beantragt. Wann dieses Schreiben beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt ist, ist nicht mit Sicherheit feststellbar; einem im gerichtlichen Akt erliegenden "Protokollierungsvermerk" des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich entnehmen, dass die Rechtssache am 3.3.2014 protokolliert und zugeteilt wurde.

2.3. Mit Schreiben vom 13.03.2014 richtete das Bundesverwaltungsgericht an die Verfahrensparteien die Aufforderung, zum Sachverhalt und zu den im Verfahren maßgebenden Rechtsfragen näher Stellung zu nehmen. Zum Sachverhalt erging die Aufforderung "konkret darzustellen, in welchen Zeiträumen der Beschwerdeführer in den letzten 8 Jahren (dh. vom heutigen Zeitpunkt an zurückgerechnet) mit einer dem Geltungsbereich des AuslBG unterliegenden Tätigkeit erlaubt beschäftigt war". In rechtlicher Hinsicht wurden die Parteien dazu aufgefordert, sich zu den Auswirkungen der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 auf die Rechte von türkischen Staatsangehörigen zu äußern, dies einerseits hinsichtlich der gesetzlichen Änderung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 15 AuslBG durch die Novelle BGBl. I 101/2005 (Hinzukommen der Tatbestandsvoraussetzung "und rechtmäßig niedergelassen ist") und andererseits bezüglich der Änderung des § 15 AuslBG während des Beschwerdeverfahrens (gänzliche Beseitigung des § 15 AuslBG [alte Fassung] als Rechtsgrundlage für Befreiungsscheine; BGBl. I 72/2013).

2.4. Der Beschwerdeführer nahm dazu mit Schreiben vom 28.03.2014 Stellung. Die belangte Behörde äußerte sich mit Schreiben vom 18.04.2014.

2.5. In der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2014 wurde die Vertreterin des (selbst nicht anwesenden) Beschwerdeführers mit dem in der Stellungnahme vom 18.04.2014 erhobenen Einwand der belangten Behörde konfrontiert, dass sich der Beschwerdeführer deshalb nicht in "ordnungsgemäßer" Beschäftigung befand, weil er sich in Österreich jeweils nur aufgrund von Visa zu Erwerbszwecken im Sinne des § 24 iVm. 20 und 21 FPG 2005 aufgehalten und betätigt habe, weshalb er sich nicht auf Rechte nach dem ARB 1/80 berufen könne. Die belangte Behörde wurde vom Vorsitzenden befragt, ob sie Anhaltspunkte dafür habe, dass sich der Beschwerdeführer aufenthalts- oder fremdenrechtlich in einer nicht ordnungsgemäßen Situation befunden habe. Sie beantwortete dies mit dem Hinweis dem Hinweis auf ihre auf das Ausländerbeschäftigungsrecht beschränkte Kompetenz sowie darauf, dass gegen den Beschwerdeführer Verfahren nach dem Meldegesetz anhängig sei, weiters wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer eine Niederlassungsbewilligung beantragt habe, deren abweisliche Erledigung im Beschwerdeweg bekämpft werde. Die Behörde wies darauf hin, dass außer Streit stehe, dass der Beschwerdeführer über die seiner Beschäftigung als Saisonarbeiter entsprechenden Visa verfügt habe, es habe jedoch zu keiner Zeit eine durchgehend einjährige Beschäftigung gegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er war in den vergangenen acht Jahren (gerechnet seit Antragstellung, aber auch gerechnet seit dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts) mehr als fünf Jahre lang aufgrund von Beschäftigungsbewilligungen mit Tätigkeiten, die dem Geltungsbereich des AuslBG unterliegen, erlaubt in Österreich beschäftigt und dabei als "visumpflichtiger Saisonnier" auf Grund von Visa zu Erwerbszwecken im Sinne der § 24 iVm. §§ 20 und 21 FPG 2005 in Österreich aufhältig.

Diese Beschäftigungszeiten stellen sich wie folgt dar:

08.08.2001 - 30.11.2001

01.12.2001 - 10.12.2001

14.01.2002 - 11.04.2002

27.05.2002 - 14.10.2002

07.08.2002 - 07.08.2002

15.10.2002 - 20.10.2002

20.12.2002 - 06.05.2003

07.05.2003 - 12.05.2003

23.12.2003 - 24.04.2004

21.06.2004 - 21.10.2004

22.10.2004 - 27.10.2004

23.12.2004 - 07.05.2005

08.05.2005 - 12.05.2005

22.06.2005 - 20.10.2005

21.10.2005 - 25.10.2005

20.12.2005 - 01.05.2006

02.05.2006 - 06.05.2006

08.06.2006 - 24.10.2006

25.10.2006 - 30.10.2006

20.12.2006 - 06.05.2007

07.05.2007 - 10.05.2007

10.07.2007 - 24.10.2007

24.12.2007 - 01.05.2008

02.05.2008 - 04.05.2008

23.06.2008 - 20.10.2008

21.10.2008 - 23.10.2008

23.12.2008 - 25.04.2009

26.04.2009 - 28.04.2009

17.06.2009 - 25.10.2009

26.10.2009 - 28.10.2009

09.11.2009 - 30.11.2009

22.12.2009 - 26.04.2010

27.04.2010 - 29.04.2010

01.05.2010 - 31.05.2010

14.06.2010 - 24.10.2010

25.10.2010 - 27.10.2010

24.12.2010 - 27.04.2011

01.01.2011 - 01.01.2011

28.04.2011 - 30.04.2011

05.05.2011 - 05.05.2011

20.06.2011 - 24.10.2011

25.10.2011 - 27.10.2011

20.12.2011 - 27.04.2012

28.04.2012 - 30.04.2012

20.06.2012 - 27.10.2012

28.10.2012 - 30.10.2012

20.12.2012 - 26.04.2013

27.04.2013 - 29.04.2013

14.06.2013 - 26.10.2013

27.10.2013 - 29.10.2013

28.12.2013 - laufend

Der Beschwerdeführer verfügt derzeit über keinen Rechtstitel für eine Niederlassung oder einen Aufenthalt in Österreich. Die Ausführungen zur Schilderung des Verfahrensgangs werden als Sachverhalt festgestellt. Dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit (zumal in letzter Zeit ) ein Verhalten gesetzt hätte, das ihm als Verstoß gegen fremden- und aufenthaltsrechtliche Vorschriften oder gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz anzulasten wäre, kann nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Die türkische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und der Umstand, dass er derzeit über keinen Rechtstitel für eine Niederlassung oder einen Aufenthalt in Österreich verfügt, sind durch im Verwaltungsakt befindliche Urkunden belegt und zwischen den Parteien unstrittig. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in den vergangenen acht Jahren (gerechnet seit Antragstellung, aber auch gerechnet seit dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts) zumindest fünf Jahre lang aufgrund von Beschäftigungsbewilligungen mit Tätigkeiten, die dem Geltungsbereich des AuslBG unterliegen, erlaubt in Österreich beschäftigt war, ist zwischen den Verfahrensparteien ebenfalls unstrittig, zumal sie vom Beschwerdeführer im verfahrenseinleitenden Antrag (und in der Beschwerde) behauptet wurde und von der belangten Behörde nicht bestritten, sondern mit Schreiben vom 18.04.2013 (gemeint wohl: 2014) ausdrücklich betätigt und "außer Streit gestellt" wurde. Diesem Schreiben wurde auch ein von der belangten Behörde am 18.04.2014 aus Daten des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger generierter "Versicherungszeitenauszug" beigelegt, dem die einzelnen in den Feststellungen angeführten Beschäftigungszeiten zu entnehmen sind. Die ebenfalls als Sachverhalt festgestellte Schilderung des Verfahrensgangs ergibt sich aus dem (insofern unbedenklichen und unstrittigen Inhalt des Verwaltungsakts und dem (insofern übereinstimmenden) Inhalt der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstattenen Schriftsätze der Parteien. Unstrittig ist auch, dass der Beschwerdeführer als "visumpflichtiger Saisonnier" auf Grund von Visa zu Erwerbszwecken im Sinne der § 24 iVm. §§ 20 und 21 FPG 2005 in Österreich aufhältig war (vgl. auch § 31 Abs. 1 Z 6 FPG 2005). Die Feststellung, wonach keine fremden-, aufenthalts- bzw. ausländerbeschäftigungsrechtlichen Verstöße feststellbar sind, ergibt sich aus dem Akteninhalt, der Einlassung beider Parteien, insbesondere dem Umstand, dass ausschließlich die rechtliche Eignung der den Aufenthalten des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Visa zur Herstellung von Rechten nach dem ARB 1/80 angezweifelt bzw. lediglich auf ein melderechtliches Verfahren hingewiesen wurde, welches für dieses Beweisthema jedoch keine Relevanz hat. Insgesamt ist es für das Bundesverwaltungsgericht plausibel, dass Irregularitäten im angesprochenen Sinn nicht eingetreten sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Über Beschwerden gegen Bescheide der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice entscheidet gemäß § 20f Abs. 1 AuslBG in der seit 01.01.2014 geltenden Fassung das Bundesverwaltungsgericht. Die am 09.08.2013 bei der belangten Behörde eingebrachte Berufung blieb bis 31.12.2013 unerledigt. Daher ging die Zuständigkeit zur Weiterführung des Berufungsverfahrens (nunmehr: Beschwerdeverfahrens) auf ein Verwaltungsgericht, konkret (aufgrund von § 20f AuslBG) das Bundesverwaltungsgericht, über (Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG).

3.2. Die nunmehr als Beschwerde zu behandelnde Berufung wurde rechtzeitig eingebracht; die Beschwerde ist auch sonst zulässig.

3.3. Gemäß § 20f Abs. 1 AuslBG erkennt das Bundesverwaltungsgericht in Beschwerdesachen nach diesem Bundesgesetz durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer, angehören. Diese haben über besondere Kenntnisse des Arbeitsmarktes und des Ausländerbeschäftigungsrechts zu verfügen und sind von der Bundesarbeitskammer und der Wirtschaftskammer Österreich in erforderlicher Anzahl vorzuschlagen (§ 20f Abs. 2 leg.cit).

3.4. Wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden (§ 28 Abs. 2 VwGVG). Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht auch dann in der Sache zu entscheiden, wenn es die Angelegenheit nicht wegen Unterlassung der notwendigen Ermittlungen durch die belangte Behörde unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides an die Behörde zurückverweist (§ 28 Abs. 3 VwGVG). Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache liegen daher vor.

3.5. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist (wie unter Punkt II.3.5.2. näher dargelegt wird) ein Antrag auf Erteilung eines Befreiungsscheins gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG. Da der Gesetzgeber diese Rechtsvorschrift im Laufe der Zeit mehrfach abgeändert hat und sie am 31.12.2013 außer Kraft gesetzt hat, ist es zur Beurteilung der Auswirkungen dieser Rechtsänderungen für den Beschwerdefall erforderlich, die Entwicklung dieser Gesetzesbestimmung näher darzustellen (dazu unten Pkt. II.3.7.1. bis II.3.7.4.).

Die (innerstaatliche) Rechtslage nach dem AuslBG und ihre Entwicklung werden sodann im Lichte der unionsrechtlichen Vorschriften des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei, des dazu abgeschlossenen Zusatzprotokolls sowie des ARB 1/80 zu würdigen sein (unten Pkt. II.3.13.). Die Relevanz der Darstellung der historischen Entwicklung der innerstaatlichen Rechtslage ist gegeben, weil es den Mitgliedstaaten durch die in Art. 13 ARB 1/80 festgelegte "Stillhalteklausel" untersagt ist, für türkische "Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in

ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, ... neue Beschränkungen der

Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einzuführen". Erst auf Grundlage dieser Würdigung (der Entwicklung) des innerstaatlichen AuslBG seit dem EU-Beitritt kann festgestellt werden, welche Teile der innerstaatlichen Rechtslage in unionsrechtskonformer Weise auf den Beschwerdefall angewendet werden dürfen (bzw. müssen). Dabei wird freilich vorweg die Frage zu klären sein, ob und inwiefern sich der Beschwerdeführer auf die betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften (wie insbesondere die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80) berufen und aus ihnen Rechtsansprüche ableiten kann (unten Pkt. II.3.10. bis II.3.12.)

3.5.1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Nach dem innerstaatlichen Recht (hier: dem AuslBG) kamen für türkische Staatsangehörige im Zeitpunkt der Antragstellung zwei Varianten der Erwirkung eines Befreiungsscheins in Betracht. Die beiden Varianten des Befreiungsscheins unterscheiden sich sowohl in ihren Rechtswirkungen als auch in ihren Voraussetzungen wesentlich voneinander (der Verwaltungsgerichtshof spricht von "gänzlich anderen Voraussetzungen", vgl. VwGH 23.05.2002, 2000/09/0212 [=VwSlg. 15.834 A/2002]).

3.5.1.1. Zum Einen bestand - bislang - die Möglichkeit, einen Befreiungsschein nach der allgemeinen Regelung des § 15 Abs. 1 AuslBG zu beantragen. Diese allgemeinere Art des Befreiungsscheins bezeichnete das (in Pkt. I.1.2.) erwähnte, im Verwaltungsakt befindliche Schreiben - ersichtlich in Abgrenzung zur besonderen Regelung des § 4c AuslBG - verkürzt auch als "normalen Befreiungsschein". Der Anwendungsbereich dieser Form des Befreiungsscheins war nicht auf türkische Staatsangehörige beschränkt; türkische Staatsangehörige waren aber von dieser Form des Befreiungsscheins auch nicht ausgeschlossen (vgl. auch § 4c Abs. 3 letzter Satz AuslBG). Ein Befreiungsschein nach § 15 AuslBG wirkte ausschließlich konstitutiv (dh. erst ab dem Zeitpunkt der Zustellung des entsprechenden Bescheides oder - gegebenenfalls - eines im Bescheid abweichend festgelegten Datums). Die Anspruchsvoraussetzungen waren abschließend im AuslBG geregelt:

Danach hatte der Antragsteller nachzuweisen, dass er in Summe während einer Dauer von fünf Jahren innerhalb der letzten acht Jahre erlaubt beschäftigt war. Bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen war der Befreiungsschein nach § 15 AuslBG befristet für 5 Jahre auszustellen (§ 15 Abs. 5 AuslBG). Bis 2006 waren die Anspruchsvoraussetzungen vom fremden- und aufenthaltsrechtlichen Status des Antragstellers unabhängig; es war daher nicht erforderlich nachzuweisen, dass der Antragsteller zum Aufenthalt oder zur Niederlassung in Österreich berechtigt war und der Befreiungsschein konnte somit unabhängig von und damit zB auch zeitlich vor der Ausstellung einer (neuerlichen) Berechtigung des Arbeitnehmers zur Einreise und zum Aufenthalt erteilt werden. Mit Wirkung vom 01.01.2006 legte der Gesetzgeber jedoch als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung für einen Befreiungsschein nach § 15 AuslBG (in Abs. 1 Z 1 leg.cit.) das Erfordernis fest, dass der Antragsteller "rechtmäßig niedergelassen ist" (Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz geändert wird, BGBl. I Nr. 101/2005).

3.5.1.2. Zum Anderen bestand nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Antragstellung (und besteht auch heute nach wie vor) die - ausschließlich für türkische Staatsangehörige vorgesehene - Regelung des § 4c AuslBG, deren Absatz 2 einen Anspruch auf Ausstellung eines Befreiungsscheins vorsieht, wenn der Antragsteller "die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllt". Im Unterschied zu § 15 AuslBG resultieren die Anspruchsvoraussetzungen für diese Art von Befreiungsschein daher nicht aus den autonom vom innerstaatlichen Gesetzgeber geschaffenen Anspruchsgrundlagen des AuslBG, sondern unmittelbar aus den in § 4c AuslBG verwiesenen unionsrechtlichen Vorschriften der Art. 6 und 7 ARB 1/80. Die Rechtswirkungen eines solchen Befreiungsscheins im Sinne von § 4c AuslBG iVm. Art. 6 bzw. 7 ARB 1/80 sind dergestalt, dass die Berechtigung zur Arbeit und zum Aufenthalt nicht erst konstitutiv ab Erlassung des jeweiligen Bescheides entsteht: Der Anspruch entsteht also - im Unterschied zum Befreiungsschein nach § 15 AuslBG - bereits unmittelbar aufgrund des ARB 1/80 und ein diesbezüglicher Bescheid hat nur Beweisfunktion und rein deklaratorische Wirkung

(vgl. VwGH 23.05.2002, 2000/09/0212 [=VwSlg. 15.834 A/2002]; VwGH

28.10.2004, 2001/09/0058 [=VwSlg. 16.478 A/2004]; VwGH 18.10.2007,

2006/09/0032; VwGH 18.12.2012, 2010/09/0185). Weitere Unterschiede bestehen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen: Während die Ansprüche nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 im Wesentlichen nur dann entstehen, wenn der türkische Arbeitnehmer gewisse Anwartschaftszeiten ohne Unterbrechungen aufweisen kann, war ein Befreiungsschein nach § 15 Abs. 1 AuslBG zwingend zu erteilen, sobald der Antragsteller nachweisen konnte, dass er innerhalb der vorangehenden acht Jahre in Summe 5 Jahre in legaler Beschäftigung im Inland verbracht hat, ohne dass relevant wäre, von welcher Dauer und Qualität allfällige Unterbrechungen der Arbeitsaufenthalte während dieses achtjährigen Zeitraums waren.

3.5.2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu bemerken, dass der das Verfahren vor der belangten Behörde einleitende Antrag des Beschwerdeführers ausdrücklich auf die Ausstellung eines Befreiungsscheins gemäß § 15 Abs. 1 AuslBG gerichtet war, während die im Antragsformular enthaltene Rubrik betreffend § 4c leg.cit. frei gelassen wurde. Der Antrag wurde im angefochtenen Bescheid auch als Antrag gemäß § 15 AuslBG interpretiert, ohne dass dies in der Berufung (nunmehr: Beschwerde) als unzutreffend gerügt worden wäre. Es ist daher unrichtig, wenn der Beschwerdeführer erstmals in seiner an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten Stellungnahme vom 28.03.2014 den Satz äußert "Selbstverständlich wurde der Antrag sowohl als auch gestützt" (Hervorhebung durch das Bundesverwaltungsgericht), sofern damit gemeint sein sollte, dass der Beschwerdeführer bereits im Verfahren vor der belangten Behörde sowohl einen Antrag gemäß § 15 AuslBG als auch einen Antrag gemäß § 4c leg.cit. gestellt habe. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass in diesem Vorbringen des Beschwerdeführers auch keine (zulässige) Antragsänderung in dem Sinn erblickt werden kann, dass der Beschwerdeführer von seinem Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheins gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG im Stadium des Beschwerdeverfahrens nunmehr abrücken und den Prozessgegenstand dahingehend modifizieren möchte, dass nunmehr ausschließlich oder zusätzlich ein Befreiungsschein nach § 4c AuslBG Gegenstand des Verfahrens sein soll. Eine Antragserweiterung oder -änderung in diesem Sinne wäre allenfalls im Verfahren vor der belangten Behörde zulässig gewesen, ist im Stadium des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aber nicht mehr zulässig (vgl. zB die - insofern auf die Rechtslage nach dem VwGVG übertragbaren - Erkenntnisse VwGH 31.01.2001, 98/09/0079; VwGH 31.01.2001, 99/09/0131; VwGH 03.09.2002, 2001/09/0043, Hengstschläger/Leeb, AVG I [2. Ausgabe 2014] § 13 Rz 47 mit weiteren Judikaturnachweisen und dem Hinweis, dass "die ‚Sache' des unterinstanzlichen Verfahrens [durch die Rechtsmittelbehörde] jedenfalls durch Antragsänderungen verlassen [wird], welche die Anwendbarkeit einer anderen Norm zur Folge haben".).

3.5.3. Verfahrensgegenstand ist daher ausschließlich die Frage, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf einen Befreiungsschein nach § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG hat.

Daran ändert auch der - im Folgenden noch näher zu erörternde - Umstand nichts, dass der Gesetzgeber die Rechtsgrundlage für einen Befreiungsschein nach § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG mit Wirkung vom 31.12.2013 außer Kraft gesetzt hat (BGBl. I Nr. 72/2013).

3.6.1. Art. 13 und 14 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) sind Teil des Kapitels II, Abschnitt 1, des ARB 1/80 und haben folgenden Wortlaut:

"Artikel 13

Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Artikel 14

(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

(2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweiseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen keine günstigere Regelung vorsehen"

3.6.2. Bei Art. 13 ARB 1/80 handelt es sich um eine sogenannte Stillhalteklausel. Sie hat nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbare Wirkung und bewirkt, dass sich der Einzelne (sei es als Arbeitnehmer oder als Arbeitgeber) gegenüber einem Mitgliedstaat unmittelbar auf die Unterlassungspflicht nach der Stillhalteklausel berufen kann. Stillhalteklauseln (wie jene nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei) wirken verfahrensrechtlich, indem sie in zeitlicher Hinsicht festlegen, nach welchen Bestimmungen eines Mitgliedstaates die Situation eines türkischen Staatsangehörigen zu beurteilen ist. Es muss daher beurteilt werden, wie die Rechtslage zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Stillhalteklausel im jeweiligen Mitgliedstaat ausgestaltet war. In der Rechtssache Toprak hat der EuGH entschieden, dass einmal gewährte Rechte durch spätere Änderungen der Rechtslage nicht mehr zurückgenommen werden dürfen. Türkische Staatsangehörige dürfen in einem Mitgliedstaat keinen strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen werden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Stillhalteklausel im betreffenden Mitgliedstaat gelten (EuGH 09.12.2010, Toprak und Oguz, C-300/09 und C-301/09 ). Der Unterlassungsanspruch auf Grund der Stilhalteklausel erfasst nicht nur gesetzliche Regelungen, sondern auch die Verwaltungspraxis. Geschützt sind auch verfahrensrechtliche Vorschriften wie zB jene über die Erlangung eines Aufenthaltstitels etc. (vgl. zu all dem Zeran in Barwig/Beichel-Benedetti/Brinkmann [Hrsg.] Solidarität - Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 2012, 116 ff mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH).

3.7.1. § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG hatte bis 31.12.2005 folgenden Wortlaut:

"Befreiungsschein

Voraussetzungen

§ 15. (1) Einem Ausländer ist, sofern er noch keinen Niederlassungsnachweis hat, auf Antrag ein Befreiungsschein auszustellen, wenn er

1. während der letzten acht Jahre mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet mit einer dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Tätigkeit erlaubt beschäftigt war ..."

3.7.2. Mit einer 16.08.2005 kundgemachten Novelle des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (kundgemacht durch BGBl. I Nr. 101/2005) fügte der Gesetzgeber als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung für die Erlangung eines Befreiungsscheins die Voraussetzung einer rechtmäßigen Niederlassung hinzu. Nach § 34 Abs. 28 AuslBG trat diese Novelle am 01.01.2006 in Kraft.

Nach dieser Novellierung hatte § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG folgenden Wortlaut (Hervorhebung durch das Bundesverwaltungsgericht):

"Befreiungsschein

Voraussetzungen

§ 15. (1) Einem Ausländer, der noch keinen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt hat (§ 17), ist auf Antrag ein Befreiungsschein auszustellen, wenn er

1. während der letzten acht Jahre mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet mit einer dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Tätigkeit erlaubt beschäftigt war und rechtmäßig niedergelassen ist ..."

3.7.3. Mit einer am 01.01.2014 in Kraft getretenen Novelle, BGBl. I Nr. 72/2013, wurde das Instrument des Befreiungsscheins gänzlich aus dem AuslBG entfernt. Eine vergleichbare Bewilligung, die auf Grund der gleichen Anspruchsvoraussetzungen (fünf Jahre erlaubte Beschäftigung während der letzten acht Jahre) ausgestellt werden kann, ist im Gesetz nicht mehr vorgesehen.

3.7.4. Gemäß § 3 Abs. 1 und 2 AuslBG darf ein Ausländer von einem Arbeitgeber nur beschäftigt werden, wenn dem Arbeitgeber für diesen eine Beschäftigungsbewilligung (oder einer der anderen in § 3 Abs. 1 leg.cit genannten Rechtstitel) ausgestellt wurde oder wenn der Ausländer einen Befreiungsschein (oder eine andere in dieser Bestimmung genannte Berechtigung) besitzt. Seit der mit 01.01.2014 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 72/2013 nimmt § 3 AuslBG nicht mehr auf "Befreiungsscheine" (als solche) Bezug, sondern nennt nur noch Befreiungsscheine gemäß § 4c AuslBG.

3.8. Für den Beschwerdefall stellt sich daher die Frage, ob die Änderungen der Rechtslage, konkret die durch BGBl. I 101/2005 vorgenommene "Verschärfung" der Anspruchsvoraussetzungen für den Befreiungsschein gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG sowie die gänzliche Abschaffung dieses Rechtsinstruments durch die Novelle BGBl. I 72/2013, von der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB erfasst sind. Sollte dies der Fall sein, dürften diese Rechtsänderungen im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich auf Art. 13 ARB 1/80 berufen kann, nicht angewendet werden und es müsste ihm jene Rechtslage zugute kommen, die vor diesen Rechtsänderungen gegolten hat.

3.9. In Beantwortung der Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts, mit Blick auf Art. 13 ARB 1/80 zur (Entwicklung) der innerstaatlichen Rechtslage Stellung zu nehmen (s Pkt. I.2.3.), hat die belangte Behörde vorgebracht, dass "§ 15 AuslBG betreffend die Voraussetzungen auf Erteilung eines Befreiungsscheines mit 31.12.2013 außer Kraft getreten ist". Sie gibt damit die Entwicklung der innerstaatlichen Rechtslage richtig wieder, geht jedoch nicht auf die Frage ein, inwiefern der Entfall von § 15 AuslBG (ebenso wie frühere gesetzgeberische Änderungen dieser Bestimmung) in Bezug auf türkische Arbeitnehmer mit der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 vereinbar ist.

3.10. Die belangte Behörde setzt sich in ihrer Stellungnahme mit der Frage auseinander, ob der Beschwerdeführer die Anspruchsvoraussetzungen des § 4c AuslBG in Verbindung mit den dafür maßgeblichen Art. 6 und 7 ARB 1/80 erfüllt und verweist insbesondere auf das Erfordernis des Art. 6 ARB 1/80, wonach während der in dieser Bestimmung normierten Zeiträume "sowohl die Beschäftigung des Arbeitnehmers mit den arbeitserlaubnisrechtlichen, als auch sein Aufenthalt im Einklang mit den nicht nur eine vorübergehende Position sichernden aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaates gestanden haben muss".

3.11. Dazu ist vorweg zu bemerken, dass die Frage, ob der Beschwerdeführer die Anspruchsvoraussetzungen des § 4c AuslBG (und damit der Art. 6 und 7 ARB 1/80) erfüllt, nicht Gegenstand des Verfahrens ist, sondern allenfalls Gegenstand eines Verfahrens nach dieser Bestimmung sein könnte (vgl. dazu das bereits die Ausführungen unter Pkt. II.3.5.2.). Im vorliegenden Verfahren ist hingegen zu klären, ob der Beschwerdeführer die - von § 4c AuslBG (iVm. Art. 6 und 7 ARB 1/80) völlig unterschiedlichen - Anspruchsvoraussetzungen des § 15 AuslBG erfüllt.

Sollte die belangte Behörde mit ihrem Vorbringen gemeint haben, dass sich die Frage nach den Auswirkungen der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 deshalb erübrigt, weil der Beschwerdeführer die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 ARB 1/80 nicht erfülle, kann ihrer rechtlichen Prämisse nicht vollständig gefolgt werden. Art. 13 ARB 1/80 ist nämlich nicht auf Sachverhalte beschränkt, die die Voraussetzungen der Art. 6 oder 7 ARB 1/80 erfüllen, sondern erstreckt sich auch auf Rechtsvorschriften, die ein Mitgliedstaat - zusätzlich zu seinen ohnehin aus Art. 6 und 7 ARB 1/80 resultierenden Verpflichtungen - in seiner nationalen Rechtsordnung erlassen hat. In diesem Sinne hat der EuGH ausgeführt, dass es "der

Anwendung von Art. 13 [ARB 1/80] ... in keiner Weise

entgegen[steht], dass die betreffenden Arbeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsmarkt [des betreffenden Mitgliedstaats] integriert sind, also die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht erfüllen" (EuGH 09.12.2010, Toprak und Oguz, C-300/09 und C-301/09 , Rn 45; vgl. auch VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180). Der EuGH hat dabei auf seine bisherige Rechtsprechung verwiesen, wonach "die Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht dazu dient, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten soll, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art. 6 Abs. 1 dieses Beschlusses genießen" (mit Hinweisen auf EuGH 21.10.2003, Abatay u. a., C-317/01 und C-69/01 , Slg. I-12301, Rn 83, und EuGH 29.04.2010, Kommission/Niederlande, C-92/07 , Slg. I-3683, Rn 45).

Daraus folgt auch, dass es für die Anwendbarkeit der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 auf den Fall des Beschwerdeführers nicht von Belang ist, ob die vom Beschwerdeführer in Österreich verbrachten Beschäftigungszeiten ohne Unterbrechungen verlaufen sind bzw. ob er die in Art. 6 und 7 ARB 1/80 festgelegten Zeiträume ohne ungerechtfertigte Unterbrechungen durchgehend in Beschäftigung verbracht hat.

3.12. Auch wenn demnach die Erfüllung der besonderen Anspruchsvoraussetzungen der Art. 6 und 7 ARB 1/80 für die Anwendbarkeit von Art. 13 ARB 1/80 nicht Voraussetzung ist, ist der belangten Behörde darin beizupflichten, dass das Kriterium der "ordnungsgemäßen Beschäftigung" von Bedeutung ist. Art. 13 ARB 1/80 bezieht sich seinem klaren Wortlaut zufolge nur auf Arbeitnehmer "deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind". Die belangte Behörde verneint die Erfüllung des einschlägigen Kriteriums in ihrer Stellungnahme vom 18.04.2014 mit dem Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer ausschließlich als Saisonarbeitskraft im Rahmen von Visa zu Erwerbszwecken gemäß § 24 FPG 2005 tätig gewesen sei.

3.12.1. Ob das Kriterium im Einzelfall erfüllt ist, ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichthofes "anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates zu prüfen, die die Voraussetzungen regeln, unter denen der türkische Staatsangehörige in das nationale Hoheitsgebiet gelangt ist und dort eine Beschäftigung ausübt" (vgl. EuGH vom 06.06.1995, C-434/93 , Bozkurt). Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats voraus (vgl. EuGH 20.09.1990, C-192/89 , Sevince, EuGH 08.11.2012, C-268/11 , Gülbahce, Rn 39 und die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH 07.11.2013, Demir, C-225/12 , Rn 46).

3.12.2. Verneint wurde eine solche "gesicherte und nicht nur vorläufige Position" in Fällen innerstaatlicher Erlaubnisse zum vorläufigen Aufenthalt, die rechtlich so ausgestaltet waren, dass sie nur (gleichsam mit einstweiliger Wirkung) bis zur endgültigen Entscheidung über das Aufenthaltsrecht des Betreffenden galten (EuGH 29.09.2011, C-187/10 , Unal, Slg. I-9045, Rn 47). Verneint wurde eine "gesicherte und nicht nur vorläufige" Position weiters im Fall eines Aufenthalts während des Zeitraums, in dem eine Klage des Arbeitsnehmers gegen eine Entscheidung, durch die ihm eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wurde, aufschiebende Wirkung hatte und ihm auf Grund dessen bis zum Ausgang des Rechtsstreits (nur) vorläufig der Aufenthalt und die Ausübung einer Beschäftigung im betreffenden Mitgliedstaat gestattet waren (EuGH 20.09.1990, C-192/89 , Sevince, Slg. I-3461). Verneint wurde das Vorliegen einer "gesicherten und nicht nur vorläufigen" Position auch in Fällen, in denen dem Betreffenden ein Aufenthaltsrecht nur aufgrund einer nationalen Regelung eingeräumt war, nach der der Aufenthalt während des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmeland erlaubt ist, da er das Recht, sich bis zu einer endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Staat aufzuhalten und dort zu arbeiten, nur vorläufig erhalten hatte (EuGH 16.12.1992, C-237/91 , Kus, Slg. I-6781; EuGH 30.09.1997 Ertanir Rn 48 bis 50). Darüber hinaus verneinte der EuGH die Einstufung eines Aufenthalts als "gesichert und nicht nur vorläufig" im Fall von Beschäftigungszeiten, die aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden, die der Betreffende allein durch eine Täuschung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, erwirkt hat (vgl. u. a. EuGH 05.06.1997, C-285/95 , Kol, Slg. I-3069, Rn 27, und EuGH 11.05.2000, C-37/98 , Savas, Slg. I-2927, Rn 61). Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles bei Fernfahrern, die sich im Gebiet eines Mitgliedstaates aufhalten, um aus der Türkei stammende Waren dorthin einzuführen oder aufzunehmen, verneinte der EuGH die Anwendbarkeit von Art. 13 ARB 1/80 (trotz der "ordnungsgemäßen Lage" der Betroffenen) mit der Begründung, dass sie sich "nur für sehr kurze Zeit [im Mitgliedstaat] befinden" und daher nicht die Absicht hätten, sich im Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats zu integrieren (EuGH 21.10.2003, Abatay u. a., C-317/01 und C-69/01 , I-12301, Rn 89). Hingegen bejahte der EuGH die Voraussetzung der ordnungsgemäßen Beschäftigung (wenn auch implizit, zumal im Zusammenhang mit Art. 6 ARB 1/80) im Fall eines als Seemann tätigen türkischen Arbeitnehmers, dessen Beschäftigungszeiten in einem Mitgliedstaat deshalb wiederholt unterbrochen waren, weil er "jeweils nur befristet angeheuert hatte" (EuGH 10.01.2006, C-230/03 , Sedef, Slg. I-157, Rn. 56 ff).

3.12.3. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine "gesicherte und nicht nur vorläufige Position" in Konstellationen, in denen der Aufenthalt des Fremden nicht im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften stand, weil seine Niederlassungsbewilligung bloß eingeschränkt auf unselbständige Erwerbstätigkeiten, die vom sachlichen Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen sind, erteilt gewesen war (VwGH 24.02.2009, 2008/22/0410). Er verneinte sie weiters im Fall eines vorläufigen asylrechtlichen Aufenthaltsrechtes, weil dieses mit dem zu einem ungewissen Zeitpunkt eintretenden Abschluss des Asylverfahrens endet (VwGH, 01.06.2001, 2001/19/0035, mwN) und implizit auch für einen nach § 24 Abs. 1 lit. a des Passgesetzes 1969 erteilten Sichtvermerk, mit Hinweis auf dessen Geltungsdauer (VwGH aaO). Demgegenüber bejahte der Verwaltungsgerichthof die Anwendbarkeit der Stilhalteklausel nach Art. 13 ARB 1/80 in Fällen, in denen der Antragsteller noch keinen Aufenthaltstitel inne hatte, in denen gerade jene (innerstaatlichen) Regelungen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Art. 13 ARB 1/80 zur Beurteilung standen, die dem beantragten Aufenthaltstitel entgegenstanden (VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180, in Anwendung der Grundsätze des Urteils des EuGH vom 15.11.2011, C-256/11 , Dereci).

3.12.4. Im Beschwerdefall ist daher die Frage zu beurteilen, ob die bisherigen in Beschäftigung auf Grund von befristeten Bewilligungen als "Saisonarbeitskraft" (zuletzt) auf Grund von Visa zu Erwerbszwecken im Sinne der § 24 iVm. §§ 20 und 21 FPG 2005 dem Beschwerdeführer eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position im Sinne der angeführten Rechtsprechung vermittelt haben.

3.12.5. Dass dem Beschwerdeführer bereits infolge der rechtlichen Qualität dieser Bewilligungen eine fremden- und aufenthaltsrechtliche Unregelmäßigkeit vorzuwerfen wäre, die eine Qualifikation seiner bisherigen Aufenthalte in Österreich als im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 nicht "ordnungsgemäß" ("nicht "gesichert" oder "nur vorläufig") einstufen ließe, kann nicht gefunden werden. Es mag sein, dass sich der Beschwerdeführer - wie von der belangten Behörde vorgebracht - während der in Österreich als Arbeiter verbrachten Zeiträume jeweils nur befristet und "als ‚visumpflichtiger Saisonnier' ausschließlich aufgrund von Visa zu Erwerbszwecken iSd. § 24 iVm. §§ 20 und 21 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) in Österreich aufgehalten hat". Allein aus den genannten innerstaatlichen Rechtsnormen lässt sich jedoch kein Hinweis darauf entnehmen, dass diese vom innerstaatlichen Gesetzgeber konstruierte Rechtsposition schon ihrem Wesen nach als "nicht gesichert" oder nur "vorläufig" im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des EuGH einzustufen wäre.

Vorweg lässt sich dazu feststellen, dass die Rechtsposition des Beschwerdeführers nicht mit jenen Berechtigungen vergleichbar war, denen die Rechtsprechung die Eigenschaft als "gesicherte, nicht nur vorläufige" Position deswegen abspricht, weil ihnen bereits von ihrer gesetzlichen Konzeption her das Moment der "Vorläufigkeit" bzw. der Unsicherheit innewohnt, wie es beim asylrechtliche Aufenthaltsrecht während eines Asylverfahrens (zB VwGH, 01.06.2001, 2001/19/0035) oder bei einer im innerstaatlichen Recht explizit als vorläufiges Aufenthaltsrecht ausgestaltete Berechtigung der Fall ist (vgl. dazu jüngst EuGH 07.11.2013, C-225/12 , Demir, insb. Rn 15 und 43 sowie die darin genannte Rechtsprechung).

Es ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer seine Berechtigungen zweckwidrig genutzt oder durch illegalen Verbleib in Österreich zeitlich überschritten hätte, so dass sich der Beschwerdefall insbesondere von jener Konstellation unterscheidet, wie sie etwa dem Erkenntnis des VwGH vom 22.09.2009, 2008/22/0064, zugrunde lag, in dem eine entsprechende Rechtsposition deswegen verneint wurde, weil sich der (damalige) Beschwerdeführer während bestimmter Zeiträume rechtsgrundlos in Österreich aufgehalten hatte. Auch wenn der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis zur Frage, ob Tätigkeiten im Rahmen einer Bewilligung als Saisonarbeitskraft eine gesicherte und nicht vorläufige Position vermitteln, nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, ist zu bemerken, dass er die entsprechende (auf Grund einer mit weniger als 5 Monaten befristeten Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Saisonarbeitskraft" nach dem Fremdengesetz 1997 verbrachte) Beschäftigungszeit in diesem Erkenntnis nicht schon kraft der Befristung oder der Rechtsnatur dieser Bewilligung als "nicht gesichert" oder nur "vorläufig" unberücksichtigt gelassen hat, sondern wegen der (nicht den Anforderungen des Art. 6 ARB 1/80 entsprechenden) Dauer dieser Tätigkeit. Aus rechtlicher Sicht ist in diesem Zusammenhang zudem daran zu erinnern, dass die Einstufung sämtlicher Zeiträume (also die gesamte Dauer) der Beschäftigung und des Aufenthalts als "ordnungsgemäß" zwar für die Rechte nach Art 6 und 7 ARB 1/80 relevant wäre, dass es aber für den Zweck von Art. 13 ARB 1/80 nicht auf die Erfüllung solcher Anwartschaftszeiten in ordnungsgemäßer Beschäftigung ankommt (vgl. das bereits in Punkt. II.3.11. zitierte Urteil Toprak). Insofern ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, soweit sie im Zusammenhang mit Art. 6 (oder 7) ARB 1/80 auf die "Ordnungsgemäßheit" der Beschäftigung und des Aufenthalts während bestimmter Mindestzeiträume abstellt, auf die Frage der Anwendbarkeit von Art. 13 ARB 1/80 im Beschwerdefall nicht übertragbar und erübrigt sich damit auch ein Eingehen auf die in der mündlichen Verhandlung dazu gestellten weiteren Beweisanträge. Ebenso erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit dem gegen den Beschwerdeführer geführten (für die hier zu beurteilende Frage irrelevanten) Verfahren nach dem Meldegesetz und dem Verfahren auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung".

Im Erkenntnis des VwGH vom 22.02.2007, 2005/09/0096 (=VwSlg. 17.130 A/2007) ließ es der VwGH sodann ausdrücklich dahingestellt, ob ein Arbeitnehmer, auf Grundlage von auf § 5 AuslBG gestützten Saisonbewilligungen in Österreich arbeitet "als dem regulären Arbeitsmarkt zugehörig" angesehen werden kann. In dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Verfahren war unstrittig, dass der (damalige) Zweitbeschwerdeführer ausschließlich aufgrund von Beschäftigungsbewilligungen im Rahmen von Kontingentverordnungen für die befristete Zulassung von Ausländern gemäß § 5 AuslBG beschäftigt gewesen ist. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte die Qualifikation als "ordnungsgemäße Beschäftigung" nicht deswegen, weil derartige Bewilligungen bereits dem Grunde nach nicht in Betracht kommen könnten, sondern weil der damalige Zweitbeschwerdeführer sich auf die in § 7 Abs. 7 AuslBG geregelte Fiktion der Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung berufen hatte, jedoch über die Geltungsdauer der Verlängerung der (fingierten) Beschäftigungsbewilligung hinaus (also ohne ausländerbeschäftigungsrechtliche Grundlage) weiter gearbeitet hatte.

Zu bemerken ist, dass das zitierte Erkenntnis des VwGH, in dem die rechtliche Qualifikation von Beschäftigungen im Rahmen befristeter Saisonbewilligungen im Lichte der Kriterien des ARB 1/80 ausdrücklich offen gelassen wurde, zeitlich vor der Erlassung des Urteils des EuGH in der Rechtssache Payir (EuGH 24.1.2008, C-294/06 ) ergangen ist. Im Urteil Payir hat der EuGH ausgesprochen, dass weder die Befristung eines Arbeitsverhältnisses bzw. einer Aufenthaltserlaubnis (aaO Rn 42 und 44) noch eine spezifische Zweckbindung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung, auf deren Grundlage eine Beschäftigung (zulässigerweise) ausgeübt wird (aaO, Rn 35), dazu führen können, dass die Rechtsposition des Arbeitnehmers als "nicht gesichert" oder "nur vorläufig" anzusehen und daher vom Anwendungsbereichs der einschlägigen Bestimmungen des ARB 1/80 ausgeschlossen wäre. Bezug nehmend (unter anderem) auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Payir entschied der Verwaltungsgerichtshof in weiterer Folge, dass es für die Qualifikation der Tätigkeit als "ordnungsgemäß" im Sinne des ARB 1/80 nicht schädlich ist, wenn eine Tätigkeit auf Grundlage von befristeten (aber wiederkehrend verlängerten) Aufenthaltsbewilligungen mit dem Zweck "Sonderfälle unselbständige Erwerbstätigkeit" als Seelsorger verrichtet wird, auch wenn diese Tätigkeit insofern (vgl. § 1 Abs. 2 lit. d leg.cit) vom Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen war (VwGH 18.12.2012, 2010/09/0185).

Eine sachliche Rechtfertigung für die Annahme, dass jene Schlussfolgerungen, die der EuGH im Urteil in der Rechtssache Payir für den Fall von Au-Pair-Kräften und Studenten (und der VwGH für den Fall von Seelsorgern) aus dem ARB 1/80 gezogen hat, gerade im Fall von Arbeitern auf Grundlage von befristeten Saisonbewilligungen nicht gelten sollten, ist nicht zu sehen (vgl. zur Qualifikation von Saisonarbeitnehmern idS auch M. Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei, 89-91). Die Lage des Beschwerdeführers ist auch nicht mit jener eines Fernfahrers vergleichbar, der sich nur für Lieferungen im Mitgliedstaat aufhielt, um diesen sodann gleich wieder zu verlassen (vgl. EuGH 21.10.2003, Abatay u. a., C-317/01 und C-69/01 , Slg. I-12301), abgesehen davon, dass der EuGH den Anwendungsbereich von Art. 13 ARB 1/80 im zitierten Urteil nur wegen der extremen Kurzfristigkeit der Aufenthalte bei internationalen Lieferungsfahrten verneinte (aaO, Rn. 89 und 90), eine "ordnungsgemäße Situation" der Betroffenen aber ausdrücklich bejahte (aaO, Rn. 87). Der Fall des Beschwerdeführers gleicht vielmehr jenem, der dem Urteil Sedef zugrunde lag, in dem der EuGH die Anwendbarkeit des ARB 1/80 für einen Arbeitnehmer bejaht hat, obwohl dieser - bedingt durch die Natur seiner jeweils befristeten Beschäftigungsverhältnisse - den Mitgliedstaat immer wieder verlassen hat (EuGH 10.01.2006, C-230/03 , Sedef, Slg. I-157).

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdefall vom Anwendungsbereich des Art. 13 ARB 1/80 erfasst ist und sich der Beschwerdeführer darauf berufen kann.

3.13. Nach der Rechtslage bis 31.12.2005 hatte eine Person wie der Beschwerdeführer bei Erfüllung der (damaligen) Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG Anspruch auf Ausstellung eines Befreiungsscheins, ohne dass sie (im Verfahren zur Erlangung des Befreiungsscheines) nachzuweisen hatte, dass sie bereits rechtmäßig niedergelassen war. Eine solche Person konnte daher auf Basis des Befreiungsscheines weiterhin als Saisonarbeitskraft tätig werden und war dadurch insofern begünstigt, als sie nicht mehr davon abhängig war, ob ein Kontingent für Saisoniers zur Verfügung stand und ob ihr eine Beschäftigungsbewilligung (gemäß § 5 AuslBG) im Rahmen eines solchen Kontingents erteilt wird.

Nach der seit 01.01.2006 geltenden Rechtslage war die Erlangung eines solchen Befreiungsscheins ohne Vorliegen einer Niederlassungsbewilligung hingegen nicht mehr möglich.

Nach der Rechtslage seit 01.01.2014 werden Befreiungsscheine überhaupt nicht mehr ausgestellt.

Das Bundesverwaltungsgericht zweifelt nicht daran, dass die oben dargestellten Rechtsänderungen als "neue Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt" im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 angesehen werden müssen.

3.14. Der Beschwerdeführer hat - unstrittig - die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für einen Befreiungsschein erfüllt, zumal er innerhalb der letzten acht Jahre jedenfalls in Summe während einer Dauer von 5 Jahren rechtmäßig als Saisonnier beschäftigt war. Die Stattgabe seines Antrags auf Ausstellung eines Befreiungsscheines scheiterte ausschließlich daran, dass er die Voraussetzung einer "rechtmäßigen Niederlassung" in Österreich nicht erfüllt. Da diese Voraussetzung erst im Jahr 2006 als zusätzliche Bedingung hinzugetreten ist, war sie auf Grund der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 unangewendet zu lassen. Das Gleiche gilt für die durch Bundesgesetz BGBl. I 72/2013 vorgenommene gänzliche Beseitigung der Berechtigung des Befreiungsscheins nach § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG.

3.15. Folglich war dem Beschwerdeführer ein Befreiungsschein nach § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG in der Fassung BGBl. I Nr. 136/2004 (dh. in der Fassung vor der Änderung durch BGBl. I 101/2005) zu gewähren.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil es an einer (jedenfalls einheitlichen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt. Der VwGH hat zwar mit Erkenntnis 21.03.2013, 2011/09/0186, über eine Beschwerde eines türkischen Staatsangehörigen wegen eines Befreiungsscheines gemäß der nach 2006 geltenden Rechtslage entschieden. Dass im damaligen Verfahren eine Verletzung der Stillstandsklausel des Art. 13 ARB 1/80 releviert worden wäre, ist jedoch nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist dieses Erkenntnis zu einer Rechtslage ergangen, nach der das Rechtsinstitut des Befreiungsscheines zumindest noch vorhanden war. Das Erkenntnis ist für den Beschwerdefall daher nicht einschlägig. Andere Erkenntnisse zu der hier relevanten Fragestellung sind nicht ersichtlich.

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