VwGH 2006/09/0032

VwGH2006/09/003218.10.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des TÖ in W, vertreten durch Mag. Klaus Heintzinger, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Schopenhauerstraße 39/7, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 2. Jänner 2006, Zl. LGSW/Abt. 3/08115/1393135/2006, betreffend Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG, zu Recht erkannt:

Normen

61998CJ0065 Eyüp VORAB;
62003CJ0230 Sedef VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6 Abs2;
ARB1/80 Art7;
ARB1/80;
AuslBG §4c Abs2 idF 1997/I/078;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
61998CJ0065 Eyüp VORAB;
62003CJ0230 Sedef VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6 Abs2;
ARB1/80 Art7;
ARB1/80;
AuslBG §4c Abs2 idF 1997/I/078;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 12. Juli 2005 den Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 1. August 2005 wurde dieser Antrag gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des Assoziationsratsbeschlusses 1/1980 (ARB) im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, im Prüfungszeitraum, das sei im Hinblick auf die Antragseinbringung der Zeitraum von 12. Juli 2001 bis 11. Juli 2005, sei der Beschwerdeführer lediglich vom 12. Juli 2001 bis 27. Oktober 2004 rechtmäßig, vom 28. Oktober 2004 laufend, jedoch ohne Beschäftigungsbewilligung, Befreiungsschein oder Arbeitserlaubnis, beschäftigt gewesen. Es fehle daher das Erfordernis einer vierjährigen ununterbrochenen ordnungsgemäßen Beschäftigung.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, welcher mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4c Abs. 2 AuslBG keine Folge gegeben wurde. Nach Darstellung der Rechtslage sowie des bisherigen Verfahrensganges führte die belangte Behörde begründend aus, vom 28. Oktober 1999 bis 27. Oktober 2004 sei dem Beschwerdeführer ein Befreiungsschein auf Grund einer Familienzusammenführung mit der dem regulären Arbeitsmarkt angehörigen Ehegattin ausgestellt worden. Laut Auszug der Versicherungszeiten des Beschwerdeführers beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sei der Beschwerdeführer bis 30. September 1997 selbständig gewesen. Im Anschluss daran sei er in der Zeit vom 1. Mai 2000 bis 14. August 2000, vom 23. Oktober 2000 bis 7. November 2000, vom 7. November 2000 bis 26. Jänner 2001 und vom 26. Februar 2001 laufend bei verschiedenen Arbeitgebern unselbständig beschäftigt gewesen. In den Zeiten vom 15. August 2000 bis 22. Oktober 2000 und vom 27. Jänner 2001 bis zum 25. Februar 2001 sei er dem Arbeitsmarktservice nicht als arbeitslos gemeldet gewesen. Während der Geltungsdauer des dem Beschwerdeführer ausgestellten Befreiungsscheines ergäben sich sohin insgesamt

vom 1. Mai 2000 bis 14. August 2000

106

Beschäftigungstage,

vom 23. Oktober 2000 bis 26. Jänner 2001

96

Beschäftigungstage, und

vom 26. Februar 2001 bis 27. Oktober 2004

1.340

Beschäftigungstage.

Aus Art. 6 Abs. 2 des ARB gehe hervor, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit, welche von den Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden seien, nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche berührten. Da der Beschwerdeführer nach der ersten und der zweiten Beschäftigung während der Unterbrechungen nicht beim Arbeitsmarktservice arbeitssuchend oder arbeitslos gemeldet gewesen sei, könnten die vor den Unterbrechungen zurückgelegten Beschäftigungszeiten für den Befreiungsschein nicht als Anspruch begründend angerechnet werden. Es verblieben daher lediglich die Beschäftigungszeiten zwischen dem 26. Februar 2001 und dem 27. Oktober 2004 von

1.340 Beschäftigungstagen, welche jedoch das Erfordernis von insgesamt 1.460 Beschäftigungstagen (vier Jahren) im Sinne des Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB nicht erreichten. Damit läge die Voraussetzung für die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In Ausführung der Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die von der Behörde herangezogene Interpretation des Art. 6 Abs. 2 ARB sei soweit unrichtig, als übersehen werde, dass er durch die jeweils vor den Unterbrechungen liegenden Beschäftigungszeiten noch gar keine Ansprüche erworben habe, weshalb es dahingestellt bleiben könne, ob er durch Zeiten nicht gemeldeter Arbeitslosigkeit Ansprüche verloren habe. Faktum sei, dass der Anspruch erst nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung entstehe und vor der Erfüllung dieser Voraussetzung noch keine Ansprüche erworben worden sein könnten, weshalb der Hinweis bzw. das Argument e contrario aus Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 in diesem Zusammenhang ins Leere gehen müsse. Alle ordnungsgemäßen Beschäftigungszeiten seien zusammenzurechnen, es bestehe keine rechtliche Grundlage für die Annahme, lediglich zusammenhängende Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung seien im Sinne des dritten Unterabsatzes des ARB Nr. 1/80 anspruchsbegründend. Die von der belangten Behörde gepflogene Interpretation, welche jeden unselbständig Beschäftigten, der in die Arbeitslosigkeit gerate und Eigeninitiative zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt entwickle, mit dem Verlust der vor der Arbeitslosigkeit liegenden Beschäftigungszeiten "bestrafe", sei auch weder mit den Intentionen der geltenden Rechtsordnung noch mit dem Interesse der Allgemeinheit vereinbar, weil dadurch ohne jegliche sachliche Notwendigkeit ein zusätzlicher Arbeitsloser bzw. Sozialhilfeempfänger "produziert" werde.

Gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975 in der Fassung BGBl. I Nr. 78/1997, ist türkischen Staatsangehörigen von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

(Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 7 zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/1980 wurde weder im Antrag noch im weiteren Verwaltungsverfahren behauptet und kann schon aus diesem Grund im Beschwerdefall außer Betracht bleiben.)

Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) hat folgenden Wortlaut:

"Art. 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit, werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Abs. 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

Zur Frage der - schrittweisen - Entstehung von Ansprüchen nach dem Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seinem Urteil vom 10. Januar 2006, C-230/03 - Sedef, Rz 34 ff, wie folgt ausgeführt:

"34 Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die Rechte in dem Bereich der Beschäftigung und damit einhergehend im Bereich des Aufenthalts, die den türkischen Arbeitnehmern durch die Bestimmungen in den drei Gedankenstrichen des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehen werden, nach der Dauer einer ordnungsgemäßen Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in abgestufter Weise erweitert werden und bezwecken, die Situation der Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat schrittweise zu festigen. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung sind die nationalen Behörden nicht befugt, diese Rechte Bedingungen zu unterwerfen oder ihre Ausübung einzuschränken, weil dies die praktische Wirksamkeit dieses Beschlusses beeinträchtigen würde (vgl. Urteile vom 30. September 1997 in der Rechtssache C 36/96 , Günaydin, Slg. 1997, I 5143, Randnrn. 37 bis 40 und 50, vom 26. November 1998 in der Rechtssache C 1/97 , Birden, Slg. 1998, I 7747, Randnr. 19, vom 19. November 2002 in der Rechtssache C 188/00 , Kurz, Slg. 2002, I 10691, Randnr. 26, und vom 21. Oktober 2003 in den Rechtssachen C 317/01 und C 369/01 , Abatay u. a., Slg. 2003, I 12301, Randnr. 78).

35 Wie sich des Näheren bereits aus dem Wortlaut der drei Gedankenstriche des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, sind die Rechte, die den türkischen Arbeitnehmern nach diesen Bestimmungen zukommen, unterschiedlich und Bedingungen unterworfen, die je nach der Dauer der Ausübung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat verschieden sind (vgl. Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C 355/93 , Eroglu, Slg. 1994, I 5113, Randnr. 12, sowie die genannten Urteile Tetik, Randnr. 23, Eker, Randnr. 21, Günaydin, Randnr. 25, und Ertanir, Randnr. 25).

36 Nach diesen Bestimmungen hat ein türkischer Arbeitnehmer nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht, weiterhin eine unselbständige Erwerbstätigkeit bei demselben Arbeitgeber auszuüben (erster Gedankenstrich). Nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein anderes Stellenangebot zu bewerben (zweiter Gedankenstrich). Nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er das uneingeschränkte Recht, sich für jede frei gewählte Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu bewerben und Zugang zu ihr zu erhalten (dritter Gedankenstrich) (vgl. Urteile Eroglu, Randnr. 12, Tetik, Randnr. 26, und Nazli, Randnr. 27).

37 Aus der Systematik und der praktischen Wirksamkeit dieses mit Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 geschaffenen Systems einer abgestuften Eingliederung der türkischen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats folgt, dass die in den drei Gedankenstrichen dieser Bestimmung jeweils aufgestellten Bedingungen von den Betroffenen nacheinander erfüllt werden müssen. Jede andere Lösung könnte die Kohärenz des Systems zerstören, das der Assoziationsrat eingerichtet hat, um die Situation der türkischen Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat schrittweise zu festigen."

Sodann setzt der EuGH nach Verweis auf seine Urteile Eroglu und Eker fort:

"43 Folglich setzt die Inanspruchnahme der Rechte, die einem türkischen Arbeitnehmer nach Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 zustehen, grundsätzlich voraus, dass dieser zuvor den Tatbestand des Absatzes 1 zweiter Gedankenstrich erfüllt hat.

44 Somit kann ein türkischer Wanderarbeitnehmer generell ein Recht nach Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 nicht allein aufgrund der Tatsache geltend machen, dass er im Aufnahmemitgliedstaat mehr als vier Jahre lang rechtmäßig eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt hat, wenn er nicht, erstens, mehr als ein Jahr bei demselben Arbeitgeber und, zweitens, zwei weitere Jahre für diesen gearbeitet hat."

Zur Frage der Unterbrechung der Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung stellt der EuGH in seinem bereits bezeichneten Urteil C-230/03 - Sedef, fest:

"46 Daher hängt die Rechtsstellung eines türkischen Arbeitnehmers, der in der Vergangenheit den Tatbestand des Artikels 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses erfüllt hat, nicht mehr davon ab, dass die Voraussetzungen der in den drei Gedankenstrichen dieses Absatzes genannten Rechte weiterhin erfüllt sind. Vielmehr ist ein solcher Arbeitnehmer als hinreichend in den Aufnahmemitgliedstaat integriert anzusehen, so dass er sein Arbeitsverhältnis vorübergehend unterbrechen kann. Jede andere Auslegung würde das Recht des Arbeitnehmers auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aushöhlen (vgl. Urteile Tetik, Randnr. 31, und Dogan, Randnrn. 14, 18 und 19).

47 Dagegen muss ein türkischer Arbeitnehmer, der das in diesem dritten Gedankenstrich vorgesehene Recht noch nicht erworben hat, grundsätzlich ohne Unterbrechung eine ordnungsgemäße Beschäftigung von ein, drei und vier Jahren ausüben (vgl. Urteil Dogan, Randnr. 18).

48 Um die Härte dieser letztgenannten Regel abzumildern, führt Artikel 6 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 für die Zwecke der Berechnung der unterschiedlichen Zeiten einer ordnungsgemäßen Beschäftigung, die Voraussetzung für die Entstehung der abgestuft erweiterten Rechte nach Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich sind, bestimmte legitime Gründe für die Unterbrechung der unselbständigen Erwerbstätigkeit auf (Urteile Bozkurt, Randnr. 38, Tetik, Randnr. 36, Nazli, Randnr. 40, und Dogan, Randnr. 15).

49 Dabei unterscheidet Artikel 6 Absatz 2 nach Maßgabe der Art und der Dauer der Zeiten der Nichtausübung der Berufstätigkeit des türkischen Arbeitnehmers.

50 Der erste Satz dieser Bestimmung betrifft die Zeiten der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers, die regelmäßig nur zu einer kurzen Unterbrechung der Beschäftigung führen, wie Abwesenheit wegen Jahresurlaub, Mutterschaftsurlaub, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit, also Ereignissen, die generell als Bestandteil jedes Arbeitsverhältnisses anzusehen sind. Derartige Abwesenheiten des Arbeitnehmers werden daher so behandelt, als handele es sich dabei uneingeschränkt um Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80.

51 Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 betrifft Zeiten der Nichtbeschäftigung wegen langer Krankheit oder unverschuldeter Arbeitslosigkeit. Nach dieser Bestimmung können derartige Zeiten der Nichtbeschäftigung, die zu einer längeren Abwesenheit oder zu einer solchen von nicht vorhersehbarer Dauer führen, zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt werden, dürfen jedoch auch nicht dazu führen, dass der türkische Arbeitnehmer die aufgrund früherer ordnungsgemäß zurückgelegter Beschäftigungszeiten erworbenen Rechte verliert.

52 Diese Bestimmung verhindert daher, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der die Arbeit wieder aufnimmt, nachdem er seine Berufstätigkeit vorübergehend aus einem legitimen Grund unterbrechen musste, die in Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vorgeschriebenen Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung wie ein türkischer Arbeitnehmer, der in dem betreffenden Mitgliedstaat noch keiner Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgegangen ist, erneut zurücklegen müsste.

53 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der noch nicht das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nach Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 in Anspruch nehmen kann, im Aufnahmemitgliedstaat grundsätzlich eine ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung während der erforderlichen Zeit ausüben muss, sofern er keinen legitimen Grund der in Artikel 6 Absatz 2 genannten Art für die Unterbrechung seiner Beschäftigungszeiten anführen kann."

Der EuGH kam daher im genannten Urteil zu dem Ergebnis, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der noch kein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nach Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich hat, durch die in den Unterabsätzen genannten Zeiträume von einem, drei bzw. vier Jahren im Aufnahmemitgliedstaat einer ununterbrochenen ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgehen muss, sofern er sich nicht auf einen legitimen Grund der in Artikel 6 Absatz 2 genannten Art berufen kann, der seine vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt rechtfertigt.

Der Beschwerdeführer stand nach den Feststellungen der belangten Behörde vom 26. Februar 2001 "laufend" (nach dem Akteninhalt bis 30. September 2005) in einem Beschäftigungsverhältnis zur A KEG.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 28. Oktober 2004, Zl. 2001/09/0058, unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 22. Juni 2000, in der Rechtssache Eyüp, C 65/98 , Slg. 2000, I-4747 ff (Rz 45; und sein Erkenntnis vom 23. Mai 2002, Zl. 2000/09/0212), dargelegt hat, kommt den in Art. 7 ARB Nr. 1/1980 eingeräumten Rechten unmittelbare Wirkung zu. Daher werden die daraus erfließenden subjektiven Rechte nicht erst durch die Ausstellung einer behördlichen Erlaubnis begründet. Einem nach dem nationalen Recht dennoch vorgesehenen behördlichen Dokument - etwa einem Befreiungsschein wie im vorliegenden Fall - ist daher für die Anerkennung der aus dem ARB Nr. 1/1980 erfließenden subjektiven Rechte lediglich "deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion" beizumessen. Damit wies der Beschwerdeführer aber auch im Zeitpunkt seiner Antragstellung (12. Juli 2005) bereits die zeitliche Voraussetzung des dritten Unterabsatzes des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 auf, weil der Beschwerdeführer auch nach Ablauf seines Befreiungsscheines am 27. Oktober 2004 weiterhin jedenfalls auf Grund der ersten beiden Unterabsätze des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 weiterhin beim selben Arbeitgeber ordnungsgemäß beschäftigt war. Dies hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 18. Oktober 2007

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