Normen
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z1, Art139 Abs1 Z2
COVID-19-MaßnahmenG §1
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 §3
VfGG §7 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V188.2021
Spruch:
I. §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020, war gesetzwidrig.
II. Die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
III. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren und Anträge
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E4135/2020 eine auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 2. Juli 2020 wurde über den Beschwerdeführer im Anlassverfahren (im Folgenden: Beschwerdeführer) wegen einer Übertretung der §§3 und 1 COVID‑19-Maßnahmengesetz (COVID‑19-MG) iVm §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (im Folgenden auch: COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96) eine Geldstrafe in Höhe von € 3.000,– (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt. Dem Beschwerdeführer wurde zusammengefasst zur Last gelegt, er habe als gemäß §9 Abs1 VStG nach außen berufenes Organ am 26. März 2020, 13:00 Uhr, nicht dafür Sorge getragen, dass die Betriebsstätte der Betriebsart Gastgewerbe nicht betreten werde, als er durch den sogenannten "Gassenverkauf" vor der Betriebsstätte Essensbestellungen angenommen habe.
1.2. Mit Erkenntnis vom 23. Oktober 2020 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde insoweit Folge, als es die verhängte Geldstrafe auf € 1.450,– (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 12 Stunden) herabsetzte.
Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien im Wesentlichen aus, das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe sei gemäß §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 in der Zeit von 17. März 2020 bis 13. April 2020 untersagt gewesen. Der Rechtsansicht des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) folgend umfasse der Kundenbereich von Betriebsstätten nicht nur die Betriebsstätte selbst, sondern auch die im Schreiben des BMSGPK beispielhaft aufgezählten Orte (Drive In, Vorplätze von Imbissständen, Gastgärten etc.). Der Beschwerdeführer, der im Türbereich innerhalb des Lokals einen Tisch aufgestellt und von dort die Kunden bedient habe, sei sohin innerhalb der Betriebsstätte tätig gewesen und sei ein Betreten der Betriebsstätte des Gastgewerbes für die Kunden unumgänglich gewesen.
2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 8. Juni 2021 beschlossen, diese Verordnungsbestimmung von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.
3. Mit seinen auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten, zu V206/2021 bis V210/2021, V214/2021 und V215/2021 protokollierten Anträgen begehrt das Landesverwaltungsgericht Kärnten, der Verfassungsgerichtshof möge erkennen, dass §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, in der Stammfassung BGBl II 96/2020, gesetzwidrig war. Diesen Anträgen liegt ein ähnlicher Sachverhalt (Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung der §§1 und 3 COVID-19-MG iVm §3 Abs1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) wie jenem Fall zugrunde, der den Verfassungsgerichtshof dazu veranlasst hat, von Amts wegen ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten.
4. Mit seinem auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten, zu V217/2021 protokollierten Antrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, dass §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, gesetzwidrig war. Auch diesem Antrag liegt ein ähnlicher Sachverhalt (Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung der §§1 und 3 COVID-19-MG iVm §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) wie jenem Fall zugrunde, der den Verfassungsgerichtshof dazu bewogen hat, von Amts wegen ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten.
II. Rechtslage
1. Der zur Gänze in Prüfung gezogene §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, lautete wie folgt:
"§3. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.
(2) Abs1 gilt nicht für Gastgewerbetriebe, welche innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:
1. Kranken- und Kuranstalten;
2. Pflegeanstalten und Seniorenheime;
3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten;
4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen.
(3) Abs1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.
(4) Abs1 gilt nicht für Campingplätze und öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn dort Speisen und Getränke ausschließlich an Gäste des Campingplatzes bzw öffentlicher Verkehrsmitteln verabreicht und ausgeschenkt werden.
(5) Abs1 gilt nicht für Lieferservice."
2. §1 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl I 12/2020, idF BGBl I 16/2020 lautete wie folgt:
"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte
§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind."
III. Prüfungsbeschluss, Bedenken und Vorverfahren
1. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, ausgesprochen, dass der Gesetzgeber mit §1 COVID‑19‑MG [idF BGBl I 23/2020] dem Verordnungsgeber (Bundesminister für Soziales, Gesund-heit, Pflege und Konsumentenschutz – BMSGPK) einen Einschätzungs- und Prognosespielraum, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, überträgt, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Kunden zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID-19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote oder Betretungsbeschränkungen von Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 geeignete (der Zielerreichung dienliche) erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.
Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung des §1 COVID‑19‑MG vorgesehen und auch gefordert ist.
Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet §1 COVID-19-MG vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B‑VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.
Mit Erkenntnis vom 9. März 2021, V530/2020, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass näher bezeichnete Wortfolgen in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 96/2020 gesetzwidrig waren. Diese genügten den Vorgaben des §1 COVID‑19-MG nicht, weil die Entscheidungsgrundlagen, die im vom BMSGPK vorgelegten Verordnungsakt zur COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 in der Stammfassung BGBl II 96/2020 dokumentiert sind, nicht ausreichen, um den aus §1 COVID‑19-MG folgenden Anforderungen an die Dokumentation einer auf diese Gesetzesbestimmung gestützten Verordnung im Hinblick auf §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 Rechnung zu tragen. Die angefochtenen Wortfolgen in §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl II 96/2020 verstießen somit gegen §1 COVID-19-MG, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat.
Weiters hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V405/2020, zur weitgehend gleichlautenden "Nachfolgeregelung" der in Prüfung gezogenen Bestimmung ausgesprochen, dass §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 130/2020 gesetzwidrig war. Auch diese Bestimmung verstieß gegen §1 COVID‑19-MG, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat.
Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des vom Bundesminister für Gesundheit, Soziales, Pflege und Konsumentenschutz in bisherigen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten bzw für maßgeblich erklärten Verwaltungsaktes betreffend das Zustandekommen der Stammfassung der COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl II 96/2020, geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 96/2020 den Vorgaben des §1 COVID‑19‑MG nicht genügt und daher gesetzwidrig war."
2. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten verweist in seinem Antrag im Wesentlichen auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2020, V405/2020, in der der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 130/2020 gesetzwidrig war, weil dieser Bestimmung die aktenmäßige Dokumentation der für die Verordnungserlassung maßgeblichen Grundlagen gefehlt hat. Dies scheine aber auf Grund der durch den Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis getroffenen Feststellungen auch auf die vom Landesverwaltungsgericht Kärnten anzuwendende Stammfassung des §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020, zuzutreffen.
3. Das Verwaltungsgericht Wien vertritt in seinem Antrag – unter Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2020, V405/2020, und nach Einsichtnahme in die ihm vom BMSGPK übermittelten Kopien des Verordnungsaktes – ebenfalls die Ansicht, dass die angefochtene Bestimmung des §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl II 96/2020, mangels entsprechender aktenmäßiger Dokumentation seiner Entscheidungsgrundlagen gesetzwidrig gewesen sei.
4. Der BMSGPK hat auf die zu den Zahlen V350-354/2020 vorgelegten Beilagen verwiesen und Äußerungen erstattet, in denen er ausführt, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl II 96/2020 (siehe VfGH 9.3.2021, V530/2020), erachte er ein inhaltliches Vorbringen für aussichtslos. Damit solle jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 inhaltlich als gesetz- oder verfassungswidrig angesehen werde.
5. Die beteiligten Parteien in den zu V206/2021 bis V210/2021, V214/2021 und V215/2021 protokollierten Verfahren erstatteten eine Äußerung, in der sie sich den Anträgen des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vollinhaltlich anschließen und zusammengefasst darauf verweisen, dass seitens des Verordnungsgebers nicht festgehalten worden sei, auf welcher Informationsbasis die Bezug habende Verordnungsentscheidung fuße und welche gesetzlich vorgeschriebenen Abwägungen bei der Entscheidung über die Verordnungserlassung getroffen worden seien.
6. Weitere Äußerungen wurden nicht erstattet.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat im von Amts wegen eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren zu V188/2021 und über die – mit V188/2021 in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung verbundenen – zu V206/2021 bis V210/2021, V214/2021, V215/2021 und V217/2021 protokollierten Gerichtsanträge erwogen:
1. Zur Zulässigkeit
In den Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Auch sonst sind keine Prozesshindernisse hervorgekommen.
2. In der Sache
2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken haben sich als zutreffend erwiesen:
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach zur Verordnungsermächtigung des §1 COVID‑19-MG (idF BGBl I 12/2020 bzw BGBl I 23/2020) erkannt, dass diese Bestimmung den Verordnungsgeber auch verpflichtet, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraumes im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist; damit ist für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes der Zeitpunkt der Erlassung der entsprechenden Verordnungsbestimmungen und die diesen zugrunde liegende aktenmäßige Dokumentation maßgeblich (vgl statt vieler VfGH 23.2.2021, V533/2020, mwN).
2.3. In dem – vom BMSGPK in den zu den Zahlen V350‑354/2020 geführten Verordnungsprüfungsverfahren vorgelegten und auch für die vorliegenden Verfahren für maßgeblich erklärten – Verwaltungsakt, der der Erlassung der Stammfassung der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020, zugrunde liegt, wird unter der Rubrik "Sachverhalt" ausgeführt: "Die BReg hat auf Grund der aktuellen Situ[at]ion beschlossen, das Betreten von Geschäften ab MO 16.3. (mit Ausnahmen) zu verbieten, und den Betrieb von GastroUnternehmen mit 17.3.2020". Darüber hinaus finden sich in diesem Verwaltungsakt keine weiteren, im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage des §1 COVID‑19‑MG relevanten Ausführungen oder Unterlagen.
2.4. Damit genügt die Bestimmung des §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 den Vorgaben des §1 COVID‑19-MG nicht:
2.5. Die Entscheidungsgrundlagen, die im Verordnungsakt zur COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 in der Stammfassung BGBl II 96/2020 dokumentiert sind, reichen nicht aus, um den aus §1 COVID‑19‑MG folgenden Anforderungen an die Dokumentation einer auf diese Gesetzesbestimmung gestützten Verordnung im Hinblick auf §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 Rechnung zu tragen (vgl VfGH 1.10.2020, V405/2020; 9.3.2021, V530/2020). §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020, verstößt somit gegen §1 COVID‑19-MG, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat.
2.6. Da §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 bereits außer Kraft getreten ist (siehe §13 Abs2 Z1 COVID‑19-LV, BGBl II 197/2020), hat sich der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs4 B‑VG auf die Feststellung zu beschränken, dass §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung, BGBl II 96/2020, gesetzwidrig war.
V. Ergebnis
1. Die COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 ist durch §13 Abs2 Z1 COVID‑19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B‑VG auf die Feststellung zu beschränken, dass §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, gesetzwidrig war.
2. Der Ausspruch, dass die unter Punkt 1. genannte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art139 Abs6 zweiter Satz B‑VG.
3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche in Punkt 1. und 2. erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B‑VG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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