VfGH E2059/2020 ua

VfGHE2059/2020 ua10.3.2021

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aberkennung bzw Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie irakischer Staatsangehöriger mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der mehr als 17 Monate vorher mündlich verkündeten und nicht ausreichend begründeten Entscheidung

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VwGVG §29
AsylG 2005 §8, §9 Abs1, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:E2059.2020

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die Erkenntnisse werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.270,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak und sunnitische Muslime. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern der minderjährigen Dritt‑, Viert- und Fünftbeschwerdeführer.

2. Am 13. November 2013 reiste der Erstbeschwerdeführer in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10. Februar 2014 wurde dem Erstbeschwerdeführer gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 wurde schließlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. August 2016 (rechtskräftig) als unbegründet abgewiesen.

3. Die Zweit‑, Dritt- und Viertbeschwerdeführer stellten einen Antrag auf ein Familienverfahren und erhielten ein Visum zur Einreise nach Österreich. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte für sich sowie für ihre miteingereisten Kinder, die Drittbeschwerdeführerin und den Viertbeschwerdeführer, am 29. Dezember 2015 beim BFA Anträge auf internationalen Schutz ein. Für den in Österreich geborenen Fünftbeschwerdeführer stellte die Zweitbeschwerdeführerin am 22. November 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

4. Mit Bescheid des BFA vom 18. Juli 2018 wurde dem Erstbeschwerdeführer der mit Bescheid vom 10. Februar 2014 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt und die ihm erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß §9 Abs4 AsylG 2005 entzogen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Weiters wurde gemäß §10 Abs1 Z5 AsylG 2005 iVm §9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z4 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass sich die Sicherheitslage im Irak verbessert habe.

5. Mit am selben Tag, dem 18. Juli 2018, erlassenen Bescheiden wies das BFA die Anträge der Zweit‑, Dritt‑, Viert- und Fünftbeschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurden die Anträge auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Ferner wurde ausgesprochen, dass gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Bescheide des BFA vom 18. Juli 2018 eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit mündlich verkündeten Erkenntnissen vom 2. Oktober 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

6.1. Das gegenüber dem Erstbeschwerdeführer mündlich verkündete Erkenntnis wird wie folgt begründet:

"Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA wurde dem BF der Sta[t]us des subsidiär Schutzberechtigen entzogen, da sich die Sicherheitslage in der Herkunftsregion des BF deutlich verbessert hat und ihm überdies die innerstaatliche Fluchtalternative in den sunnitischen Teilen Bagdads offen stünde.

 

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen anhand der aktuellen Berichtslage nicht mehr vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

 

Es liegen keine Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargelegt.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des §9 BFA‑VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dessen persönliche Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Insbesondere hält sich der Beschwerdeführer im Vergleich zu seinem Lebensalter erst kurze Zeit im Bundesgebiet auf und kamen keinerlei Merkmale einer relevanten, außergewöhnlichen Integration in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht zu Tage."

6.2. Das gegenüber den Zweit‑, Dritt‑, Viert- und Fünftbeschwerdeführern mündlich verkündete Erkenntnis wird wie folgt begründet:

"Es konnte nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern in ihrem Heimatland Irak eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären. Insbesondere war das Vorbringen der erwachsenen Beschwerdeführerin zum Fluchtgrund nicht glaubhaft, widersprüchlich und zum Teil nicht plausibel.

 

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es kamen auch keine in der Person der Beschwerdeführer liegende Gründe, die einer Abschiebung entgegen stehen würden, wie beispielsweise eine lebensbedrohliche Erkrankung, zum Vorschein.

 

Es liegen keine Umstände vor, dass den Beschwerdeführern allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargelegt.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des §9 BFA‑VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet deren persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Insbesondere halten sich die Beschwerdeführer im Vergleich zum Lebensalter erst kurze Zeit im Bundesgebiet auf und kamen keinerlei Merkmale einer besonderen Integration in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht zu Tage."

7. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2018 beantragten die Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Erkenntnisse.

8. Der Erstbeschwerdeführer wurde am 6. Dezember 2018 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Schlepperei gemäß §114 FPG verurteilt. Am 6. Februar 2020 wurde er aus der Haft entlassen.

9. Mit Schreiben vom 18. Februar 2020 wiesen die Beschwerdeführer das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass die beantragte schriftliche Ausfertigung nach wie vor nicht zugestellt worden sei, und ersuchten daher um Zustellung der schriftlichen Ausfertigung.

10. Am 4. März 2020 ergingen die schriftlichen Ausfertigungen der am 2. Oktober 2018 mündlich verkündeten Erkenntnisse.

11. In der vorliegenden, auf Art144 B‑VG gestützten Beschwerde behaupten die Beschwerdeführer die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie im Recht, keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass es willkürlich sei, einen Zeitraum von über eineinhalb Jahren zwischen mündlicher Verkündung der Erkenntnisse und deren schriftlicher Ausfertigung verstreichen zu lassen. Die schriftliche Ausfertigung müsse sich auf Grund dieser Vorgehensweise auf Lebensumstände der Beschwerdeführer und auf Verhältnisse im Herkunftsstaat beziehen, die schon lange nicht mehr aktuell seien. Zudem ließen die mündlich verkündeten Entscheidungen eine nachvollziehbare Begründung vermissen; insbesondere seien keine Ausführungen zur Vulnerabilität der Beschwerdeführer als Familie mit kleinen Kindern getroffen worden. Die spezifische Situation Minderjähriger sowie von Frauen im Irak sei auch in der schriftlichen Ausfertigung nicht berücksichtigt worden.

12. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist bezüglich der Erlassung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der Zustellung einer Entscheidung ihre mündliche Verkündung gleichzuhalten (vgl VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082; s. auch VfSlg 19.965/2015, wonach der Verfassungsgerichtshof keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §29 VwGVG hegt und sich auch der Verfassungsgerichtshof insofern der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes anschließt). Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung (§29 Abs4 VwGVG) rechtlich existent (VwGH 27.6.2016, Ra 2016/11/0059; 14.9.2016, Fr 2016/18/0015; 4.4.2017, Ra 2017/02/0050), wenn sowohl der Inhalt einer Entscheidung als auch die Tatsache ihrer Verkündung in der Niederschrift festgehalten werden (VwGH 13.10.2015, Fr 2015/03/0007; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082). Bereits an die Verkündung einer Entscheidung knüpfen sich daher deren Rechtswirkungen (vgl VfGH 11.6.2019, E671/2019; VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558). Daher kann die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung mit Beschwerde gemäß Art144 B‑VG angefochten werden, sofern mindestens ein hiezu Berechtigter einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung der Entscheidung gemäß §29 Abs4 VwGVG gestellt hat (§82 Abs3b letzter Satz VfGG; siehe VfGH 20.6.2015, E163/2014; VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082).

3.2. Unabhängig von der Möglichkeit, die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung anzufechten, ist der Rechtsschutzsuchende in der Regel auf die – nähere und ausführliche – Begründung der Entscheidung in der schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG angewiesen, um die Entscheidung auf Grund der maßgebenden Erwägungen gegebenenfalls mit einer Beschwerde gemäß Art144 B‑VG bekämpfen zu können. Aus der rechtsstaatlich gebotenen Pflicht zur Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen folgt daher im Zusammenhang mit der Regelungssystematik des §29 VwGVG auch die Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung, weil andernfalls dem Rechtsschutzsuchenden effektiver Rechtsschutz verwehrt sein könnte (zum Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes siehe zB VfSlg 11.196/1986, 15.218/1998, 17.340/2004, 20.107/2016), was rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung gerichtlicher Entscheidungen widerspricht.

3.3. Die schriftliche Ausfertigung der am 2. Oktober 2018 mündlich verkündeten Entscheidungen erfolgte vorliegend am 4. März 2020 und somit mehr als 17 Monate nach der mündlichen Verkündung. Eine derart lange Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung der Entscheidungen, für die im Beschwerdeverfahren auch keine besonderen Umstände hervorgekommen sind, welche diese Verzögerung rechtfertigen könnten, widerspricht jedenfalls der Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidungen und somit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen.

3.4. Zudem hat es das Bundesverwaltungsgericht sowohl in der mündlichen Verkündung als auch in der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidungen unterlassen, die spezifische Situation der Beschwerdeführer als Familie mit drei Kindern ausreichend zu berücksichtigen. Angaben zur Lage von Minderjährigen im Irak fehlen in den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Länderfeststellungen gänzlich. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher auch aus diesem Grund mit Willkür belastet (vgl VfGH 7.10.2020, E1524/2020 ua; 24.11.2020, E3373/2020 ua).

3.5. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht insbesondere die durch ihre Minderjährigkeit indizierte Vulnerabilität der Dritt‑, Viert- und Fünftbeschwerdeführer und allgemein die (Rückkehr‑)Situation der Beschwerdeführer als Familie mit drei minderjährigen Kindern zu berücksichtigen haben (vgl zB VfGH 28.11.2019, E2526/2019 ua; 23.9.2019, E512/2019 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua; 7.10.2020, E1524/2020 ua; 24.11.2020, E3373/2020 ua).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Die Erkenntnisse sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 545,– und Umsatzsteuer in der Höhe von € 545,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.

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