VfGH E2526/2019 ua

VfGHE2526/2019 ua28.11.2019

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine irakische Familie; keine Feststellungen zur Sicherheitslage für Kinder

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art2, Art3
AsylG 2005 §8,§10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:E2526.2019

 

Spruch:

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.357,60,‑ bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und sunnitische Muslime. Sie stellten am 6. September 2015 zwei Anträge auf internationalen Schutz und sind die Eltern zweier in Österreich geborener Kinder, für die in weiterer Folge ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz gestellt wurden.

2. Mit Bescheiden vom 28. Mai 2018 betreffend die Beschwerdeführer und ihren nicht beschwerdeführenden minderjährigen Sohn sowie vom 14. November 2018 betreffend ihre ebenfalls nicht beschwerdeführende minderjährigen Tochter wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurden die Anträge auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Weiters wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA‑VG Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen gesetzt.

3. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. Mai 2019 wurden die dagegen erhobenen Beschwerden abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht begründete die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten mit der mangelnden Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführer. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führte das Gericht aus, dass der Familie bei einer Rückkehr in die Stadt Bagdad keine Verletzung ihrer durch Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe, insbesondere bestehe für die Kinder die Möglichkeit des Schulbesuchs. Die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK wurde damit gerechtfertigt, dass bei den Beschwerdeführern noch keine gravierenden Integrationsmerkmale vorliegen würden, auch seien ihre Kinder in einem anpassungsfähigen Alter.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird dazu hauptsächlich ausgeführt, dass wesentliche Feststellungen zur Rückkehrmöglichkeit nach Bagdad, insbesondere zur Sicherheitslage sowie zum Aufenthalt der Familie jeweils der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers und der Fähigkeit jener, eine vierköpfige Familie zu versorgen, unterblieben sind.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vor-gelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak richtet, begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob sie unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage zu deren Beurteilung einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art1 (A) 2 und 1 (F) des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art24 Abs2 GRC bzw ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (VfGH 2.10.2013, U2576/2012 mit Verweis auf EuGH 6.6.2013, Rs. C‑648/11, MA ua, Rz 56 und 57).

Laut der "UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak" vom 14. November 2016, S 7‑8

"gilt [der Irak] als einer der weltweit gefährlichsten Orte für Kinder. Tötungen und Verstümmelungen sind die am häufigsten gemeldeten Formen von Gewalt gegen Kinder. Berichten zufolge ist ISIS für weitverbreitete Rechtsverletzungen gegenüber Kindern verantwortlich, einschließlich Entführung, körperlicher Misshandlung, sexueller Gewalt, Rekrutierung, körperlicher Züchtigung und Hinrichtung. Darüber hinaus wurde gemeldet, dass bewaffnete Gruppen, die gegen ISIS kämpfen, einschließlich Volksmobilisierungskräften (PMU), sunnitischer Stämme, Kurdischer Arbeiterpartei und sonstiger bewaffneter kurdischer Gruppen sowie turkmenischer und jesidischer Selbstverteidigungsgruppen, Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren. Kinder werden durch militärische Operationen verletzt und getötet, und Berichten zufolge sind sie von den sich verschlechternden humanitären Bedingungen unverhältnismäßig stark betroffen. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) sind im Irak mindestens 3,6 Mio. Kinder, d. h. eines von fünf Kindern, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt, getötet, sexuell misshandelt, entführt oder von bewaffneten Gruppen rekrutiert zu werden. Die Organisation Save the Children berichtet, dass über 600.000 Kinder infolge des Angriffs auf die Stadt Mossul Gefahr laufen, in Schusswechsel zu geraten, wenn keine sicheren Verkehrswege eingerichtet und andere Schutzvorkehrungen getroffen werden. Eine große und Berichten zufolge steigende Zahl von Kindern wird willkürlich festgenommen, für terroristische Handlungen verantwortlich gemacht und teilweise für lange Zeit ohne Kontakt zur Außenwelt, in Hafteinrichtungen, Polizeistationen und Rehabilitationszentren der irakischen Regierung und der KRG-Behörden untergebracht. Laut Berichten werden Kinder auch anstelle von Familienangehörigen, die einer Beteiligung an terroristischen Handlungen verdächtigt werden, in Haft genommen."

Im angefochtenen Erkenntnis fehlen sämtliche Feststellungen hinsichtlich der im Speziellen Kinder betreffenden Sicherheitslage. Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob den zum Zeitpunkt der Entscheidung knapp ein halbes Jahr und zweieinhalb Jahre alten Kindern der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht, nahezu vollständig unterlassen (vgl hiezu jüngst VfGH 27.2.2018, E3507/2017; 21.9.2017, E2130/2017 ua; 11.10.2017, E1734/2017 ua; 11.10.2017, E1803/2017 ua).

3.2. Zudem kommt gemäß den "International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq" des UNHCR vom Mai 2019, S 122, eine Rückkehr nach Bagdad nur für arabische, sunnitische oder schiitische, alleinstehende, gesunde Männer oder ebensolche kinderlose Paare im erwerbsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten in Betracht. Die Beschwerdeführer als Eltern zweier minderjähriger Kinder fallen jedoch nicht in diese Kategorien. Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin die spezifische Situation der Beschwerdeführer als Eltern zweier minderjähriger Kinder nicht ausreichend berücksichtigt und dadurch seiner Entscheidung nicht den konkreten Sachverhalt zu Grunde gelegt.

4. Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B‑VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Im Übrigen war die Behandlung der Beschwerde abzulehnen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abzutreten, ob die Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 218,– und Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60,‑ sowie Eingabengebühren gemäß §17a VfGG in der Höhe von insgesamt von € 480,– enthalten.

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