Normen
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art2, Art3
AsylG 2005 §8, §10, §34 Abs4, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:E2838.2018
Spruch:
I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14‑tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.139,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Iraks und lebten in Bagdad. Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet stellten der Erstbeschwerdeführer am 26. März 2015 und die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen am 30. Dezember 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1. September 2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
2. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. Juni 2018 abgewiesen.
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer damit, dass seinem Fluchtvorbringen keine Glaubwürdigkeit zukomme. Für die Zweit-, sowie die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden.
2.2. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten stellt das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass die Beschwerdeführer in Bagdad gelebt haben. Aus einer Zusammenschau der wiedergegebenen Länderberichte sowie der festgestellten persönlichen Umstände und familiären Verhältnisse sei nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage gerieten. Die Sicherheitslage im Irak, insbesondere in Bagdad, habe sich zuletzt verbessert.
Bei dem Erstbeschwerdeführer handle es sich um einen arbeitsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Er verfüge auch über eine mehrjährige Schulbildung und sei zuletzt im Irak erwerbstätig gewesen. Auch bei der Zweitbeschwerdeführerin könne eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. In der Beschwerde wird außerdem der Antrag gestellt, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und erstattete eine Äußerung zu dem in der Beschwerde gestellten Antrag, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seinen Entscheidungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
Die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis betreffen ua die (Entwicklung der) Sicherheitslage im Irak, insbesondere in Bagdad, die wirtschaftliche Lage sowie die Situation von Binnenflüchtlingen und Rückkehrern. Die Feststellungen basieren ausweislich der Beweiswürdigung auf unterschiedlichen Berichten verschiedener, teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen. In den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Berichten finden sich überdies auch überblicksartige Abschnitte zur Lage von Kindern. Diese führen etwa aus, dass Kinder "Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre [waren und sind]" und "nach Angaben der Vereinten Nationen in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen [sind]" (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 7. Februar 2017, S. 13); dass die diesbezügliche Situation speziell in Bagdad anders gelagert wäre, ergibt sich nicht.
Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte in den Herkunftsländerinformationen hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit der Situation von Minderjährigen auseinanderzusetzen. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua; 11.10.2017, E1803/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua; 13.3.2019, E1480/2018 ua).
Das Bundesverwaltungsgericht trifft im angefochtenen Erkenntnis keine Aussagen ausdrücklich in Bezug auf die Minderjährigkeit der Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Weder trifft es Feststellungen zur Versorgungs- und Gefährdungslage für Minderjährige im Irak im Allgemeinen oder Bagdad im Besonderen, noch erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Tatsache der Minderjährigkeit der Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen in der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Begründung. Damit unterbleibt auch eine Klärung der Frage, ob die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen durch die Rückkehrentscheidungen in ihren gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bedroht sind (vgl zB VfGH 21.9.2017, E2130/2017 ua; 11.10.2017, E1734/2017 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua).
Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen und – daran anknüpfend – auf die Rückkehrentscheidungen bzw auf die Zulässigerklärung der Abschiebungen in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua) und belastet auch diese mit objektiver Willkür (VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich der Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen – aufzuheben.
4. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit jeweils die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B‑VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 523,20 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag zuzusprechen. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.
5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)