VfGH V428/2020

VfGHV428/20201.10.2020

Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung einer COVID-19-Lockerungsverordnung betreffend das Verbot von Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 mangels ausreichender Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen

Normen

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-MaßnahmenG §1, §2, §20, §32
EpidemieG 1950 §15
COVID-19-LockerungsV BGBl II 197/2020 §6, §10
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:V428.2020

 

Spruch:

I. 1. §10 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl II Nr 197/2020, war gesetzwidrig.

2. Die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

II. Die Behandlung des Antrages auf Aufhebung des §6 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl II Nr 197/2020, wird abgelehnt.

III. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, den antragstellenden Parteien zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 4.164,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG begehren die antragstellenden Parteien, §6 und §10 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung – COVID‑19‑LV), BGBl II 197/2020, als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die angefochtenen §§6 und 10 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, lauten:

"Gastgewerbe

§6. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.

(2) Abs1 gilt nicht für Gastgewerbetriebe [Gastgewerbebetriebe], welche innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:

1. Krankenanstalten und Kuranstalten,

2. Pflegeanstalten und Seniorenheime,

3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten,

4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen.

(3) Abs1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.

(4) Abs1 gilt nicht für Campingplätze und öffentliche Verkehrsmittel, wenn dort Speisen und Getränke ausschließlich an Gäste des Campingplatzes bzw des öffentlichen Verkehrsmittels verabreicht und ausgeschenkt werden.

(5) Hinsichtlich der Ausnahmen gemäß Abs2 bis 4 ist sicherzustellen, dass gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten wird.

(6) Die Abholung vorbestellter Speisen ist zulässig, sofern diese nicht vor Ort konsumiert werden und gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten wird sowie eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung getragen wird.

(7) Abs1 gilt nicht für beruflich erforderliche Zwecke und für Lieferservice.

 

[…]

Veranstaltungen

§10. (1) Veranstaltungen mit mehr als 10 Personen sind untersagt.

(2) Als Veranstaltung gelten insbesondere geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung, körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung. Dazu zählen jedenfalls kulturelle Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Hochzeiten, Filmvorführungen, Ausstellungen, Kongresse.

(3) Bei Begräbnissen gilt eine maximale Teilnehmerzahl von 30 Personen.

(4) Beim Betreten von Veranstaltungsorten gemäß Abs1 ist gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Weiters ist in geschlossenen Räumen eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen muss darüber hinaus pro Person eine Fläche von 10 m2 zur Verfügung stehen.

(5) Abs1 gilt nicht für

1. Veranstaltungen im privaten Wohnbereich,

2. Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz 1953, BGBl Nr 98/1953. Diese sind unter den Voraussetzungen des genannten Bundesgesetzes zulässig.

3. Zusammenkünfte zu beruflichen Zwecken, wenn diese zur Aufrechterhaltung der beruflichen Tätigkeit unbedingt erforderlich sind,

4. Betretungen nach §5."

2. §§15 und 43 Epidemiegesetz 1950, BGBl 186/1950, idF BGBl I 23/2020 lauten auszugsweise:

"II. HAUPTSTÜCK.

Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten.

[…]

Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen.

 

§15. Die Bezirksverwaltungsbehörde hat Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, zu untersagen, sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist.

[…]

V. HAUPTSTÜCK.

[…]

Behördliche Kompetenzen.

§43. (1) […]

(4a) Soweit in diesem Bundesgesetz eine Zuständigkeit zur Erlassung von Verordnungen durch die Bezirksverwaltungsbehörde vorgesehen ist, sind Verordnungen, deren Anwendungsbereich sich auf mehrere politische Bezirke oder das gesamte Landesgebiet erstreckt, vom Landeshauptmann zu erlassen. Einer Verordnung des Landeshauptmanns entgegenstehende Verordnungen der Bezirksverwaltungsbehörde treten mit Rechtswirksamkeit der Verordnung des Landeshauptmanns außer Kraft, sofern darin nicht anderes angeordnet ist.

(5) […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.1. Die antragstellenden Parteien würden jeweils Betriebe des Gastgewerbes in Form von Diskotheken bzw in Form von Barbetrieben betreiben und seien als Diskotheken- bzw Barbetreiber unmittelbar durch das in §6 Abs1 COVID‑19-LV, BGBl II 197/2020, festgelegte Verbot, Betriebsstätten des Gastgewerbes zu betreten, in ihrer Rechtssphäre betroffen.

Die in §6 Abs2 bis 4 vorgesehenen Ausnahmen vom Betretungsverbot würden nur für spezifische Gastgewerbe, die im Wesentlichen der Versorgung von Personen, die am Ort des Gastgewerbes untergebracht seien (vgl §6 Abs2 Z1 bis 3, Abs3 und Abs4 erster Fall COVID-19-LV), die als Versorgungseinrichtung einem betrieblichen Zweck (§6 Abs2 Z4 COVID-19-LV) oder der Versorgung Reisender (§6 Abs4 zweiter Fall COVID-19-LV) dienen, gelten. Ausnahmen bestünden auch dann, wenn Speisen nicht am Ort des Gastgewerbes konsumiert würden (§6 Abs6 und Abs7 COVID-19-LV). Diskotheken und Bars, wie sie von den antragstellenden Parteien betrieben würden, seien von den Ausnahmen jedoch nicht erfasst.

Zudem erachten sich die antragstellenden Parteien durch §10 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, dessen Abs1 die Abhaltung von Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen untersage, unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen. §10 Abs2 COVID-19-LV definiere Veranstaltungen insbesondere als geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung, körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung. Dazu zählten jedenfalls kulturelle Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Hochzeiten, Filmvorführungen, Ausstellungen und Kongresse. Mangels einer abschließenden Definition des Begriffes der "Veranstaltung" erfasse dieser auch Veranstaltungen in den von den antragstellenden Parteien betriebenen Diskotheken und Bars. In den Betrieben der antragstellenden Parteien werde während des regelmäßigen Betriebes Musik dargeboten. Es würden zu gewissen Tagen und Zeiten unterschiedliche Musikrichtungen diverser Künstler angeboten. Von den in §10 Abs5 COVID‑19‑LV vorgesehenen Ausnahmen seien die antragstellenden Parteien nicht erfasst. Der Betrieb einer Bar oder Diskothek mit musikalischer Unterhaltung, wie sie die antragstellenden Parteien betreiben, mit maximal zehn Personen sei nicht gewinnbringend, sodass das Veranstaltungsverbot einem vollständigen Betriebsverbot für die antragstellenden Parteien gleichkomme.

§§6 und 10 COVID-19-LV würden daher jeweils für sich den antragstellenden Parteien die Ausübung ihres Betriebes unmöglich machen. Ein anderer zumutbarer Weg, die Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, sei nicht gegeben.

1.2. Die antragstellenden Parteien hegen Bedenken, dass die angefochtenen Bestimmungen, §§6 und 10 COVID-19-LV idF BGBl II 197/2020, gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art2 StGG, Art7 B‑VG), das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 StGG) und das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK) verstießen:

1.2.1. Dazu machen sie im Hinblick auf §10 COVID-19-LV geltend, dass zwar §15 Epidemiegesetz 1950 die gesetzliche Grundlage für das in §10 COVID‑19-LV festgelegte Veranstaltungsverbot darstelle, dieser aber in der Fassung BGBl I 114/2006 die Bezirksverwaltungsbehörden dazu ermächtige, Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, zu untersagen, sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich sei. Das Epidemiegesetz 1950 sehe aber keine Verordnungsermächtigung für den Bundesminister vor. Schließlich enthalte auch das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 keine geeignete Rechtsgrundlage zur Untersagung oder Beschränkung von Veranstaltungen, sodass §10 COVID-19-LV auch dort keine Deckung finde.

Ferner ermögliche §15 Epidemiegesetz 1950 nur die Untersagung einer Veranstaltung, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringt. Zehn Personen seien aber noch keine größere Menschenmenge. Aus der Historie ergebe sich, dass eine größere Menschenmenge erst dann anzunehmen sei, wenn sie in etwa das Ausmaß einer Menschenmenge annehme, die auf einem Markt oder im Rahmen von Festlichkeiten zu erwarten sei. Auch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu §169 Abs3 StGB (OGH 7.11.2001, 13 Os 90/01) sei unter dem Begriff "viele Menschen" eine unüberschaubare Zahl von Menschen zu verstehen, die einer Menschenmenge gleichkomme, wobei als Richtwert eine jedenfalls zehn Opfer übersteigende Zahl anzunehmen sei. Zu §274 StGB judiziere der Oberste Gerichtshof, dass 100 Personen jedenfalls eine Menschenmenge darstellten. Zwar sei die Strafrechtsjudikatur nicht auf das Epidemiegesetz 1950 übertragbar, der Vergleich mit dieser lasse aber jedenfalls den Schluss zu, dass eine größere Menschenmenge (nicht bloß eine Menschenmenge) mehr als zehn Personen betragen müsse, sodass die generelle Untersagung von Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen in §10 Abs1 COVID‑19‑LV nicht von der gesetzlichen Ermächtigung in §15 Epidemiegesetz 1950 gedeckt sein könne.

1.2.2. Eine dem Gleichheitsgrundsatz widersprechende Behandlung sowie eine unverhältnismäßige Beschränkung der Unverletzlichkeit des Eigentums und der Freiheit der Erwerbsausübung würden ferner aus der fehlenden Entschädigung für das in §6 COVID-19-LV angeordnete Betretungsverbot der Betriebsstätten der antragstellenden Parteien resultieren. Die Verordnung basiere auf §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz, der es – wie das bereits zum Zeitpunkt der Erlassung bestehende Epidemiegesetz 1950 – erlaube, Betriebe zu schließen und zu beschränken. Im Unterschied zum COVID‑19‑Maßnahmengesetz sehe aber §20 iVm §32 Epidemiegesetz 1950 im Falle der Betriebsschließung oder ‑beschränkung eine Entschädigungsleistung vor. Wesentliche Intention dürfte es bei der Erlassung des COVID-19-Maßnahmengesetzes sohin gewesen sein, diese Entschädigungszahlungen zu umgehen. Denn der historische Gesetzgeber sei im Epidemiegesetz 1950 noch davon ausgegangen, dass eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit einen Ausgleich des dadurch erlittenen Schadens erfordere. Für die im Epidemiegesetz 1950 vorgesehene Entschädigungszahlung biete das Bundesgesetz über die Errichtung des COVID‑19-Krisenbewältigungsfonds iVm dem Bundesgesetz über die Einrichtung einer Abbaubeteiligungsaktiengesellschaft des Bundes (ABBAG-Gesetz) keinen adäquaten Ersatz, weil es keine Kriterien für die Mittelvergabe gebe, der erlittene Schaden nicht annähernd abgedeckt werde und §3b Abs2 ABBAG-Gesetz einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Finanzmitteln ausschließe.

Selbst unter der Annahme, dass im Falle umfassender Betriebsschließungen eine Entschädigungsleistung nicht geboten erscheine, sei sie jedenfalls dann geboten, wenn lediglich einzelne Betriebe zum Wohl der Allgemeinheit beschränkt werden würden und von diesen sohin ein "Sonderopfer" abverlangt werde. Das sei vorliegend der Fall. Den bekanntgegebenen Plänen der Bundesregierung zum Umgang mit der COVID‑19‑Krise zufolge sei davon auszugehen, dass Diskotheken und Barbetriebe für einen längeren Zeitraum geschlossen bleiben müssten. Hingegen dürften andere Betriebe bereits unter Einhaltung von Hygienevorschriften und Abstandsregelungen nach §2 COVID-19-LV wieder öffnen. Auch werde anderen Gastronomiebetrieben ein Weiterbetrieb Mitte Mai in Aussicht gestellt. Zur Eindämmung der Epidemie werde damit insbesondere Unterhaltungsbetrieben, wie Diskotheken und Barbetrieben, eine besondere Belastung aufgebürdet, die der Allgemeinheit zu Gute komme. Eine derartige Sonderbelastung sei vor dem Hintergrund des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums und im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes nur dann zulässig, wenn diese eine Entschädigung erhalten würden.

Zudem verstoße die fehlende Entschädigung gegen den Vertrauensgrundsatz. Denn über 45 Jahre habe §20 iVm §32 Epidemiegesetz 1950 für den Fall, dass beim Auftreten übertragbarer Krankheiten einzelne Betriebe behördlich beschränkt oder Betriebsstätten geschlossen werden müssten, eine Entschädigung vorgesehen. Mit Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS-CoV-2 ("2019 neuartiges Coronavirus"), BGBl II 74/2020, wurde der Anwendungsbereich des §20 Epidemiegsetz 1950 auf "Infektion[en] mit SARS‑CoV‑2 ('2019 neuartiges Coronavirus')" erweitert. Mit Erlassung des COVID‑19-Maßnahmengesetzes sei schließlich die im Epidemiegesetz 1950 vorgesehene Entschädigungspflicht ausgehebelt worden und zwar insbesondere durch §4 Abs2 COVID‑19-Maßnahmengesetz. Hätten die antragstellenden Parteien gewusst, dass in dem Moment, in dem die gesetzlich vorgesehene Entschädigungspflicht schlagend werden würde, der Gesetzgeber dieser Bestimmung den Anwendungsbereich entziehen würde, hätten sie eine einschlägige Versicherung abgeschlossen.

2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (in der Folge: BMSGPK) hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den Bedenken der antragstellenden Parteien wie folgt entgegentritt (ohne Hervorhebungen im Original):

"[…] Zum behaupteten Verstoß gegen §15 Epidemiegesetz

 

[…] Die Antragstellerin behauptet, dass es §10 der Verordnung BGBl II Nr 197/2020 an der gesetzlichen Grundlage fehle, da §15 Epidemiegesetz 1950 weder eine Verordnungsermächtigung für den Bundesminister enthalte noch eine Beschränkung auf 10 Personen erlaube.

[…] Mit der Behauptung, §10 der Verordnung BGBl II Nr 197/2020 beschränke sie in ihrem ordentlichen Geschäftsbetrieb, verkennen die Antragsteller zunächst die Rechtslage: Wie die Antragsteller zutreffend ausführen, zielt die angefochtene Bestimmung nicht auf den regelmäßigen Bar- und Diskobetrieb, sondern nur auf darüber hinausgehende geplante Zusammenkünfte im Sinne des §10 Abs2 leg cit ab. Soweit der Verfassungsgerichtshof den Antrag nicht schon aus diesem Grund für unzulässig befindet […], ist den geäußerten Bedenken Folgendes zu erwidern:

 

[…] Was die behauptete fehlende Verordnungsermächtigung des BMSGPK für eine bundesweite Regelung von Veranstaltungen betrifft, weist der BMGSPK auf die Novelle des Epidemiegesetzes 1950, BGBl I Nr 43/2020, mit der sowohl in §43 Abs4a eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für Verordnungen des BMSGPK geschaffen wurde als auch §15 leg cit novelliert wurde. Aufgrund beider Bestimmungen ist nunmehr eine Verordnungsermächtigung des BMSGPK klargestellt. Die Änderungen durch BGBl II Nr 43/2020 traten aufgrund von Verzögerungen im Gesetzgebungsprozess mit 15.5.2020 in Kraft (vgl §50 Abs10 Epidemiegesetz 1950). Selbst wenn man wie die Antragsteller der Ansicht ist, dass §15 Epidemiegesetz in der Fassung vor der Novelle BGBl II Nr 43/2020 keine Verordnungsermächtigung des BMSGPK enthielt, ist die Verordnung mit diesem Zeitpunkt konvalidiert (vgl nur VfSlg 12.325/1990).

 

[…] Was die behauptete Überschreitung der gesetzlichen Grundlage des §15 Epidemiegesetz 1950 im Hinblick auf die Beschränkung von Veranstaltungen auf 10 Personen betrifft, so sieht §15 Epidemiegesetz 1950 hinsichtlich des Vorliegens einer 'größeren Menschenmenge' keine zahlenmäßige Beschränkung vor. Auch lassen sich den von den Antragstellern zitierten Materialien zur Vorgängerbestimmung des §15 Epidemigesetz 1913 keine näheren Hinweise auf die diesbezügliche Vorstellung des historischen Gesetzgebers entnehmen. Zutreffend ist auch, dass die bis zur Novelle BGBl II Nr 114/2006 geltende Fassung des §15 Epidemiegesetz 1950 nicht bloß von Veranstaltungen, sondern von 'Märkten, Festlichkeiten und anderen besonderen Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen', sprach. Es findet sich kein Hinweis in den Materialien zu dieser Novelle, dass der Veranstaltungsbegriff selbst geändert werden sollte (IA 822/A 22. GP  3).

 

[…] Der Hinweis auf Märkte, Festlichkeiten und andere besondere Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, vermag aber die Ansicht, dass 10 Personen dafür zu wenig seien, nicht zu stützen. Denn anders als Märkte, die üblicherweise mit mehr als 10 Besuchern einhergehen, lässt der Bezug auf Festlichkeiten und besondere Veranstaltungen keine Rückschlüsse auf eine Mindestzahl an Personen für eine 'größere Menschenmenge' zu. Aus dem Tatbestandselement der 'besonderen' Veranstaltungen lässt sich allenfalls schlussfolgern, dass allgemeine und regelmäßige Zusammenkünfte (wie etwa der Schulbesuch) nicht unter §15 Epidemiegesetz 1950 fallen.

[…] Vielmehr ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber – entsprechend dem seuchenrechtlichen Regelungsbedarf […] – dem Verordnungsgeber diesbezüglich keine festen Vorgaben machen wollte. In Anbetracht der Mannigfaltigkeit der meldepflichtigen Krankheiten, an die §15 Epidemiegesetz 1950 anknüpft, müssen diesbezüglich der Verwaltung entsprechende Spielräume belassen werden. Die Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ('sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist') stellt dabei – noch zielgerichteter als eine bestimmte Personengrenze – ein jeweils dem epidemiologisch und medizinisch Notwendigen angepasstes Vorgehen sicher.

[…] Vor dem Hintergrund des seuchenrechtlichen Regelungszusammenhangs vermag auch der Verweis auf die strafrechtliche Judikatur zu §169 Abs3 und §274 StGB nicht zu überzeugen. Parallelen zu anderen Gesetzen werden den spezifischen Gefahrenlagen des Seuchenrechts nicht gerecht (vgl auch Hiersche, Sanitätspolizeiliche Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, Wiener Rechtswissenschaftliche Dissertation [2010] 186, nach dem ein Abstellen auf ähnlich lautende Wortfolgen in anderen Gesetzen wenig zweckmäßig ist).

[…]"

IV. Erwägungen

A. Zum Antrag auf Aufhebung des §10 COVID-19-LV:

1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

2. Der Antrag ist zulässig:

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG gestützten Antrag begehren die antragstellenden Parteien, §10 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, als gesetzwidrig aufzuheben, weil sie das Veranstaltungsverbot in ihren Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK), Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 StGG) und Gleichheit vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B‑VG) verletze.

2.1. Die antragstellenden Bar- und Diskothekenbetreiber machen geltend, im Rahmen ihres regulären Betriebes an gewissen Tagen und zu gewissen Zeiten Musik unterschiedlicher Künstler darzubieten und sohin von §10 COVID-19-LV unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen zu sein. Diese Ausführungen legen nahe, dass die antragstellenden Parteien über ihren regulären Betrieb hinaus Veranstaltungen abhalten, die den Bestimmungen des §10 COVID‑19-LV idF BGBl II 197/2020 unterfallen. Vor dem Hintergrund des, wie §10 Abs2 COVID‑19‑LV zeigt, weiten Veranstaltungsbegriffes des §10 COVID-19-LV sind die antragstellenden Parteien als Verantwortliche von Veranstaltungen, die sie im Zusammenhang mit ihren Bar- und Diskothekenbetrieben organisieren, von den in §10 COVID-19-LV geregelten Beschränkungen unmittelbar betroffen.

2.2. §10 COVID-19-LV trat mit 1. Mai 2020 in Kraft (siehe §13 Abs1 COVID-19-LV) und stand zum Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Mai 2020 noch in der angefochtenen Stammfassung, BGBl II 197/2020, in Geltung. Mit der am 15. Mai 2020 in Kraft getretenen Verordnung (siehe §13 Abs3 COVID-19-LV) BGBl II 207/2020 wurde §10 COVID‑19-LV insoweit geändert, als der Begriffsdefinition in Abs2 die Zeichen- und Wortfolge ", Angebote zur Förderung von Pflege und Erziehung in Familien, Hilfen zur Bewältigung von familiären Problemen" angefügt, die Ausnahmen in Abs5 ergänzt und ein neuer Abs6 betreffend die Religionsausübung im Freien eingefügt wurden. Schließlich wurde §10 COVID‑19-LV mit der Verordnung BGBl II 231/2020 neu gefasst und ist mit Ablauf des 28. Mai 2020 außer Kraft getreten (§13 Abs4 COVID-19-LV).

Dass §10 COVID-19-LV in der im Zeitpunkt der Antragstellung – richtigerweise – angefochtenen Fassung BGBl II 197/2020 in der Folge, wie oben dargestellt, abgeändert wurde bzw außer Kraft getreten ist, schadet mit Blick auf die mit V411/2020 beginnende Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht (vgl VfGH 14.7.2020, V411/2020; 14.7.2020, G202/2020 ua).

Angesichts der Verwaltungsstrafdrohung des §3 Abs2 COVID‑19-Maßnahmengesetz idF BGBl I 12/2020 steht den antragstellenden Parteien auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, ihre Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

2.3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt dargelegt hat (siehe nur VfSlg 20.161/2017 mwN), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl

zB VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Die antragstellenden Parteien sind durch das Verbot des §10 Abs1 COVID-19-LV unmittelbar betroffen. §10 Abs2 COVID-19-LV, der definiert, was als Veranstaltung vom Verbot des Absatz 1 erfasst ist, steht mit diesem Absatz 1 ebenso in einem untrennbaren Zusammenhang wie die weiteren Absätze 3 bis 5 dieser Bestimmung, die alle unmittelbar am Verbot des Absatz 1 und dessen Ausgestaltung durch Absatz 2 anknüpfen.

2.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der Antrag auf Aufhebung des §10 COVID-19-LV idF BGBl II 197/2020 zulässig.

3. Der Antrag ist auch begründet:

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

3.2. Die angefochtene Bestimmung steht in folgendem normativen Zusammenhang:

Gemäß §1 COVID-19-Maßnahmengesetz idF BGBl I 23/2020 – in Kraft getreten am 5. April 2020 (siehe §4 Abs5 COVID-19-Maßnahmengesetz) – kann der BMSGPK durch Verordnung unter anderem "das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen" untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten betreten werden dürfen.

Gemäß §4 Abs3 COVID-19-Maßnahmengesetz lassen dessen Regelungen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 unberührt. Hat der BMSGPK aber gemäß §1 COVID-19-Maßnahmengesetz eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereiches dieser Verordnung nicht zur Anwendung (§4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz).

Ferner kann der BMSGPK gemäß §2 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz idF BGBl I 23/2020 – ebenfalls in Kraft getreten am 5. April 2020 (siehe §4 Abs5 COVID-19-Maßnahmengesetz) – durch Verordnung "das Betreten von bestimmten Orten" untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, auf welche Zeiten das Betretungsverbot beschränkt ist und darüber hinaus, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen.

Weiters sieht §15 Epidemiegesetz 1950 zum Antragszeitpunkt idF BGBl I 114/2006 vor, dass die Bezirksverwaltungsbehörden Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, untersagen können, sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist. Ergänzend regelt §43 Abs4a Epidemiegesetz 1950 idF BGBl I 23/2020, dass, soweit eine Zuständigkeit zur Erlassung von Verordnungen durch die Bezirksverwaltungsbehörde vorgesehen ist, Verordnungen, deren Anwendungsbereich sich auf mehrere politische Bezirke oder das gesamte Landesgebiet erstreckt, vom Landeshauptmann zu erlassen sind.

Mit der auf §§1, 2 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz und auf §15 Epidemiegesetz 1950 gestützten COVID-19-LV hat der BMSGPK mit Wirkung vom 1. Mai 2020 – mit gleichzeitigem Außerkrafttreten der COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96 und der Verordnung gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes (siehe §13 Abs2 COVID-19-LV) – und zunächst befristet bis zum Ablauf des 30. Juni 2020 (siehe §13 COVID-19-LV idF BGBl II 197/2020), gemäß §10 Abs1 COVID‑19-LV Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen untersagt.

Das in §10 Abs1 COVID-19-LV idF BGBl II 197/2020 festgelegte Veranstaltungsverbot betrifft Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen. §10 Abs2 COVID‑19-LV definiert als Veranstaltung insbesondere geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung, körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung. Dazu zählen jedenfalls kulturelle Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Hochzeiten, Filmvorführungen, Ausstellungen und Kongresse. Vom Verbot nach Absatz 1 sieht §10 Abs3 COVID-19-LV eine Ausnahme für bestimmte Begräbnisse vor und §10 Abs4 COVID-19-LV legt Auflagen für das Betreten eines Veranstaltungsortes gemäß Absatz 1 fest. Schließlich nimmt §10 Abs5 COVID-19-LV Veranstaltungen im privaten Wohnbereich, Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz 1953, BGBl 98/1953, Zusammenkünfte zu beruflichen Zwecken, wenn diese zur Aufrechterhaltung der beruflichen Tätigkeit unbedingt erforderlich sind, und Betretungen nach §5 COVID-19-LV vom Verbot nach Absatz 1 aus.

3.3. Für die antragstellenden Parteien galt somit auf Grund des §10 Abs1 COVID-19-LV vom 1. Mai 2020 bis zum Inkrafttreten der Verordnung BGBl II 231/2020 mit Ablauf des 28. Mai 2020, mit der §10 COVID‑19-LV neu gefasst wurde, ein Verbot, Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen durchzuführen.

3.4. Die antragstellenden Parteien machen geltend, dass §10 COVID-19-LV die gesetzliche Grundlage fehle, weil §15 Epidemiegesetz 1950 nur zur Untersagung von Veranstaltungen ermächtige, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen. Die in §10 Abs1 COVID-19-LV angeordnete Untersagung von Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen schlechthin sei von dieser gesetzlichen Ermächtigung nicht gedeckt. Weiters bringen die antragstellenden Parteien vor, dass der BMSGPK zum Erlass des §10 COVID-19-LV nicht zuständig sei, weil §15 (idF BGBl I 114/2006) und §43 Abs4a (idF BGBl I 23/2020) Epidemiegesetz 1950 nur die Bezirksverwaltungsbehörde bzw für mehrere politische Bezirke oder das gesamte Landesgebiet den Landeshauptmann zur einschlägigen Verordnungserlassung ermächtige.

3.5.1. Die antragstellenden Parteien machen zunächst gegen §10 COVID‑19‑LV geltend, dass die Untersagung von Veranstaltungen mit mehr als 10 Personen gegen die gesetzlichen Vorgaben in §15 Epidemiegesetz 1950 verstoße, weil diese Bestimmung auf ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen abstelle, was nicht bei jeder Veranstaltung mit mehr als zehn Personen der Fall sei.

Der BMSGPK hält diesem Vorbringen entgegen, dass weder §15 Epidemiegesetz 1950 für das Vorliegen "einer größeren Menschenmenge" eine zahlenmäßige Beschränkung vorsehe noch aus den Materialien zur Vorgängerbestimmung des §15 des Gesetzes vom 14. April 1913 betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, RGBl. 67/1913, Hinweise auf eine diesbezügliche Vorstellung des Gesetzgebers zu entnehmen seien. Vielmehr sei anzunehmen, dass der Gesetzgeber – entsprechend dem seuchenrechtlichen Regelungsbedarf – dem Verordnungsgeber diesbezüglich keine festen Vorgaben machen wollte. Die Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ("sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist") stelle dabei – zielgerichteter als eine bestimmte Personengrenze – ein jeweils dem epidemiologisch und medizinisch Notwendigen angepasstes Vorgehen sicher.

3.5.2. Die Verordnungsermächtigung des §15 Epidemiegesetz 1950 idF BGBl I 114/2006 determiniert die verordnungserlassende Behörde in mehrfacher Hinsicht:

Das Epidemiegesetz 1950 dient der Bekämpfung und der Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (vgl dazu auch die Erläuterungen zum Gesetz vom 14. April 1913 betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, 22. Blg. zu StenProtHH 21. Session, 19, in denen vom "wirksamen Schutz vor dem Entstehen und der Verbreitung von Volkskrankheiten" die Rede ist). Zu diesem Zweck trifft das Epidemiegesetz 1950 im I. Hauptstück Regelungen zur Ermittlung der Krankheit und im II. Hauptstück "Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten", darunter sieht es auch in dessen §15 die Möglichkeit vor, "Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen" zu treffen.

§15 Epidemiegesetz 1950 ermöglichte es zunächst in seiner Stammfassung, BGBl 186/1950, die Abhaltung von Märkten, Festlichkeiten und anderer besonderer Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, beim Auftreten von Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest oder bei gehäuftem Auftreten von Abdominaltyphus, Paratyphus, Ruhr oder Ägyptischer Augenentzündung allgemein oder mit der Beschränkung auf bestimmte Fälle, auf bestimmte Zeiträume und Gebiete zu verbieten. Mit BGBl I 114/2006 wurde diese Bestimmung dahingehend geändert, dass Bezirksverwaltungsbehörden Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, untersagen können, sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist. Nach §15 Epidemiegesetz 1950 idF BGBl I 43/2020 können seit 15. Mai 2020 Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, nicht mehr nur untersagt, sondern deren Abhaltung – je nach epidemiologischen Erfordernissen – an bestimmte Bedingungen und Auflagen geknüpft oder auf bestimmte Personengruppen eingeschränkt werden (vgl IA 484/A 27. GP , 6).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinen Entscheidungen jeweils vom 14. Juli 2020, V363/2020 und V411/2020, dargelegt hat, kann der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber nach Art18 Abs2 B‑VG Abwägungs- und Prognosespielräume einräumen und, solange die wesentlichen Zielsetzungen, die das Verwaltungshandeln leiten sollen, der Verordnungsermächtigung in ihrem Gesamtzusammenhang mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind, die situationsbezogene Konkretisierung des Gesetzes dem Verordnungsgeber überlassen (vgl VfSlg 15.765/2000). Es kommt auf die zu regelnde Sache und den Regelungszusammenhang an, welche Determinierungsanforderungen die Verfassung an den Gesetzgeber stellt (VfSlg 19.899/2014 mwN). In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof auch mehrfach ausgesprochen, dass der Grundsatz der Vorherbestimmung verwaltungsbehördlichen Handelns nicht in Fällen überspannt werden darf, in denen ein rascher Zugriff und die Berücksichtigung vielfältiger örtlicher und zeitlicher Verschiedenheiten für eine sinnvolle und wirksame Regelung wesensnotwendig sind, womit auch eine zweckbezogene Determinierung des Verordnungsgebers durch unbestimmte Gesetzesbegriffe und generalklauselartige Regelungen zulässig ist (vgl VfSlg 17.348/2004 mwN). Dabei hat der Verfassungsgerichtshof auch darauf hingewiesen, dass in einschlägigen Konstellationen der Normzweck auch gebieten kann, dass eine zum Zeitpunkt ihrer Erlassung dringend erforderliche – unter Umständen unter erleichterten Voraussetzungen zustande gekommene – Maßnahme dann rechtswidrig wird und aufzuheben ist, wenn der Grund für die Erlassung fortfällt (siehe VfSlg 15.765/2000).

3.5.3. Wie schon die Überschrift zu dieser Bestimmung deutlich macht, hat §15 Epidemiegesetz 1950 in der hier maßgeblichen Fassung die Untersagung von Veranstaltungen vor Augen, um das "Zusammenströmen größerer Menschenmengen" zur Verhinderung der Ausbreitung ansteckender, nach dem Epidemiegesetz meldepflichtiger Krankheiten – wozu nach der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, auch COVID‑19 zählt – vor Augen. Die Untersagung von Veranstaltungen ist nach §15 Epidemiegesetz 1950 nämlich nur zulässig, "sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist."

Damit gibt das Gesetz nicht nur den Zweck von Veranstaltungsuntersagungen, nämlich ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen zu verhindern, vor, sondern enthält auch Vorgaben, die die Ermächtigung dahingehend begrenzen, dass Veranstaltungen nicht schlechthin verboten werden dürfen, sondern nur, sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer entsprechenden Krankheit zur Verhinderung ihrer Verbreitung unbedingt erforderlich ist.

Nach §15 Epidemiegesetz 1950 bedarf es jedenfalls einer Abwägung der Interessen derer, die Veranstaltungen durchführen, bzw insbesondere derjenigen, die daran teilnehmen wollen, mit einer gravierenden Bedrohung durch Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung, wenn nach dieser Bestimmung Veranstaltungen untersagt werden sollen.

3.6.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, zu §1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz ausgesprochen, dass der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber einen Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen kann, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Kunden zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID‑19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote oder Betretungsbeschränkungen von Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 geeignete (der Zielerreichung dienliche), erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.

Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung des §1 COVID-19-Maßnahmengesetz vorgesehen und auch gefordert ist.

Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet §1 COVID-19-Maßnahmengesetz vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B‑VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.

3.6.2. Diese Überlegungen lassen sich auf §15 Epidemiegesetz 1950 übertragen. Auch wenn diese Bestimmung einen gegenüber §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz sachlich eingeschränkten Anwendungsbereich aufweist, ermächtigt erstere den Verordnungsgeber doch wie letztere unter Vorgabe einer konkreten Zielsetzung und unter Bindung an ein Verhältnismäßigkeitsgebot zu weitreichenden Grundrechtseingriffen, wenn Zusammenkünfte und Unternehmungen zum Zwecke der körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung, zur Unterhaltung oder auch bloß zur Belustigung und somit Ereignisse wie kulturelle Veranstaltungen, Hochzeiten oder Sportveranstaltungen untersagt werden dürfen. Auch Begräbnisse sind, wie §10 Abs3 COVID-19-LV zeigt, vom Verbot des §10 Abs1 COVID-19-LV erfasst.

Der Verfassungsgerichtshof hat damit zu prüfen, ob der BMSGPK auch diesen gesetzlichen Vorgaben des §15 Epidemiegesetz 1950 bei Erlassung des angefochtenen §10 COVID‑19‑LV mit BGBl II 197/2020 entsprochen hat, wobei für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes insoweit der Zeitpunkt der Erlassung der entsprechenden Verordnungsbestimmung und die dieser zugrunde liegende aktenmäßige Dokumentation maßgeblich ist.

Dem vom BMSGPK zu den Zahlen V350-354/2020 vorgelegten und ausdrücklich auch für das vorliegende Verfahren für maßgeblich erklärten Verordnungsakt, der der Erlassung der (Stammfassung der) COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, zugrunde liegt, ist im Hinblick auf den hier maßgeblichen §10 der Verordnung nur Folgendes zu entnehmen:

Zunächst wird unter der Rubrik "Sachverhalt" ausgeführt:

"Inliegend der Entwurf der LockerungsVO, welche die VO 96/2020 idgF und 98/2020 idgF ablöst. Es sind darin die ab 1. Mai gelten[den] Regelungen hinsichtlich der Maßnahmen in Betriebstätten, bei Veranstaltungen, in Massenbeförderungsmitteln, etc. geregelt."

Des Weiteren finden sich Entwürfe der Verordnung vom 28. April 2020 und vom 30. April 2020 sowie die kundgemachte Verordnung im Akt. Darüber hinaus liegen diesem Verordnungsakt keine weiteren, im Hinblick auf die angeführten gesetzlichen Grundlagen der Verordnung relevante Ausführungen oder Unterlagen ein.

Entscheidungsgrundlagen, Unterlagen oder Hinweise, die die Umstände der Regelung des §10 COVID-19-LV betreffen, fehlen im Verordnungsakt gänzlich. Es ist aus dem vorgelegten Verordnungsakt nicht ersichtlich, welche Umstände den Verordnungsgeber im Hinblick auf §10 der Verordnung geleitet haben; dabei wiegt die Tatsache, dass diese Regelung intensiv in die Grundrechtssphäre sowohl der Veranstalter als auch der Besucher eingreift, schwer.

3.6.3. §10 COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, verstößt sohin gegen §15 Epidemiegesetz 1950, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Bestimmung getroffenen Maßnahmen für unbedingt erforderlich gehalten hat. Da diese Bestimmung bereits außer Kraft getreten ist, genügt es festzustellen, dass diese gesetzwidrig war.

3.7. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren von den antragstellenden Parteien gegen §10 COVID‑19‑LV, BGBl II 197/2020, aufgeworfenen Bedenken, insbesondere auch auf die Frage einzugehen, ob §15 Epidemiegesetz 1950 bereits ein Zusammenkommen von elf Personen als ein Zusammenströmen einer größeren Menschenmenge vor Augen hat.

B. Die Behandlung des Antrages, §6 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 aufzuheben, wird abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art139 Abs1b B‑VG; vgl VfGH 24.2.2015, G13/2015).

2. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

Die antragstellenden Parteien behaupten, durch das in §6 COVID‑19‑LV entschädigungslos vorgesehene Betretungsverbot unverhältnismäßig in ihren Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK) und Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 StGG) beschränkt zu sein und ein "Sonderopfer" für die Allgemeinheit zu erbringen, das ohne Entschädigung nicht sachlich gerechtfertigt sei.

3. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 14.7.2020, G202/2020 ua) lässt dieses Vorbringen der antragstellenden Parteien die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 14. Juli 2020, G202/2020 ua, festgestellt hat, kommt dem Gesetzgeber in der Frage der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID‑19‑Pandemie ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Wenn sich der Gesetzgeber – statt dem bestehenden Regime des §20 iVm §32 Epidemiegesetz 1950 – für ein alternatives Maßnahmen- und Rettungspaket entscheidet, so ist ihm aus der Perspektive des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art2 StGG sowie Art7 B‑VG nicht entgegenzutreten. Der Umstand, dass auf Grundlage des §20 Epidemiegesetz 1950 wegen COVID‑19 geschlossene Betriebe vor Inkrafttreten des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes allenfalls einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 Epidemiegesetz 1950 hatten, vermag eine unsachliche Differenzierung nicht aufzuzeigen.

4. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung des – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Prozessvoraussetzungen (siehe insbesondere VfGH 1.10.2020, V429/2020) geprüften – Antrages auf Aufhebung des §6 COVID‑19‑LV idF BGBl II 197/2020 abzusehen.

V. Ergebnis

1. §10 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl II 197/2020, ist durch die Verordnung BGBl II 207/2020, die mit Ablauf des 14. Mai 2020 in Kraft getreten ist, bzw durch die Verordnung BGBl II 231/2020, die mit Ablauf des 28. Mai 2020 in Kraft getreten ist, geändert worden. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B‑VG auf die Feststellung zu beschränken, dass §10 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl II 197/2020, gesetzwidrig war.

2. Die Behandlung des Antrages auf Aufhebung des §6 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl II 197/2020, wird abgelehnt.

3. Der Ausspruch, dass die unter Punkt 1. genannte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art139 Abs6 zweiter Satz B‑VG.

4. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche gemäß Punkt 1 und 3 erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B‑VG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 654,–, ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 1.090,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

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