VfGH G62/2018

VfGHG62/20184.10.2018

Keine Verfassungswidrigkeit einer Strafbestimmung des Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG betreffend die Nicht-Bereitstellung von Lohnunterlagen; Höhe der Geldstrafe kein taugliches Zuordnungskriterium zur Abgrenzung von gerichtlichem Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht; keine Bedenken gegen unterschiedliche verfahrensrechtliche Regelungen für Beschuldigte in den eigenständigen Ordnungssystemen Verwaltungsstrafverfahren und gerichtliches Strafverfahren, sofern die Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform sind; keine Unverhältnismäßigkeit der sich am Strafzweck orientierenden Strafhöhe

Normen

B-VG Art7 / Gesetz
B-VG Art91
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG §7i Abs4 idF BGBl I 113/2015
VStG §16, §22 Abs2
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:G62.2018

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, festzustellen, dass §7i Abs4 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), BGBl 459/1993 idF BGBl I 113/2015 verfassungswidrig war.

II. Rechtslage

1. Die §§7d und 7i AVRAG, jeweils BGBl 459/1993 idF BGBl I 94/2014, lauten wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen

 

§7d. (1) Arbeitgeber/innen im Sinne der §§7, 7a Abs1 oder 7b Abs1 und 9 haben während des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§7b Abs4 Z6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel (§7b Abs1 Z4), Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem/der entsandten Arbeitnehmers/in für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten, auch wenn die Beschäftigung des/der einzelnen Arbeitnehmers/in in Österreich früher geendet hat. Bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten sind die Lohnunterlagen am ersten Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten. Ist die Bereithaltung der Unterlagen am Arbeits(Einsatz)ort nicht zumutbar, sind die Unterlagen jedenfalls im Inland bereitzuhalten und der Abgabenbehörde auf Aufforderung nachweislich zu übermitteln, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.

 

(2) Bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung trifft die Verpflichtung zur Bereithaltung der Lohnunterlagen den/die inländische/n Beschäftiger/in. Der/Die Überlasser/in hat dem/der Beschäftiger/in die Unterlagen nachweislich bereitzustellen.

 

Strafbestimmungen

 

§7i. (1) Wer die erforderlichen Unterlagen entgegen §7d Abs1 oder §7f Abs1 Z3 nicht übermittelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer entgegen §7g Abs2 oder §7h Abs2 die Unterlagen nicht übermittelt.

 

(2) Wer entgegen §7f Abs1 den Zutritt zu den Betriebsstätten, Betriebsräumen und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie den Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer/innen und das damit verbundene Befahren von Wegen oder die Erteilung von Auskünften verweigert oder die Kontrolle sonst erschwert oder behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

 

(2a) Wer die Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§7b Abs5 und 7d verweigert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist für jede/n Arbeitnehmer/in von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

 

(3) Ebenso ist nach Abs2a zu bestrafen, wer als Arbeitgeber/in entgegen §7g Abs2 die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert.

 

(4) Wer als

 

1. Arbeitgeber/in im Sinne der §§7, 7a Abs1 oder 7b Abs1 und 9 entgegen §7d die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder

 

2. Überlasser/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich entgegen §7d Abs2 die Lohnunterlagen dem/der Beschäftiger/in nicht nachweislich bereitstellt, oder

 

3. Beschäftiger/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung entgegen §7d Abs2 die Lohnunterlagen nicht bereithält

 

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.

 

(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in §49 Abs3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Auf Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag beruhende Überzahlungen bei den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgeltbestandteilen sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für dem ASVG unterliegende Arbeitnehmer/innen liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der/die Arbeitgeber/in die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.

 

(5a) Die Strafbarkeit nach Abs5 ist nicht gegeben, wenn der/die Arbeitgeber/in vor einer Erhebung der zuständigen Einrichtung nach den §§7f bis 7h die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt nachweislich leistet.

 

(6) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass

 

1. der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet, und

 

2. die Unterschreitung des nach Abs5 Z1 maßgeblichen Entgelts unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gering ist oder

 

3. das Verschulden des/der Arbeitgebers/in oder des/der zur Vertretung nach außen Berufenen (§9 Abs1 VStG) oder des/der verantwortlichen Beauftragten (§9 Abs2 oder 3 VStG) leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt,

 

hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen. Ebenso ist von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührende Entgelt vor der Aufforderung durch die Bezirksverwaltungsbehörde nachweislich leistet und die übrigen Voraussetzungen nach dem ersten Satz vorliegen. In Verwaltungsstrafverfahren nach Abs5 ist §45 Abs1 Z4 und letzter Satz VStG nicht anzuwenden. Weist der/die Arbeitgeber/in der Bezirksverwaltungsbehörde nach, dass er/sie die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt geleistet hat, ist dies bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen.

 

(7) Die Frist für die Verfolgungsverjährung (§31 Abs1 VStG) beträgt drei Jahre ab der Fälligkeit des Entgelts. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, beginnt die Frist für die Verfolgungsverjährung im Sinne des ersten Satzes ab der Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung. Die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§31 Abs2 VStG) beträgt in diesen Fällen fünf Jahre. Hinsichtlich von Sonderzahlungen beginnen die Fristen nach den beiden ersten Sätzen ab dem Ende des jeweiligen Kalenderjahres (Abs5 dritter Satz) zu laufen.

 

(7a) Für den Fall, dass der/die Arbeitgeber/in das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt für den betroffenen Zeitraum der Unterentlohnung nach Abs5 nachträglich leistet, beträgt die Dauer der Fristen nach §31 Abs1 und 2 VStG ein Jahr (Verfolgungsverjährung) oder drei Jahre (Strafbarkeitsverjährung), soweit nicht aufgrund des Abs7 die Verjährung zu einem früheren Zeitpunkt eintritt; der Fristenlauf beginnt mit der Nachzahlung.

 

(8) Parteistellung in Verwaltungsstrafverfahren

 

1. nach Abs1 erster Satz, Abs2 und 4 und nach §7b Abs8 hat die Abgabenbehörde, in den Fällen des Abs5 in Verbindung mit §7e das Kompetenzzentrum LSDB,

 

2. nach Abs5 in Verbindung mit §7g und in den Fällen des Abs1 zweiter Satz und Abs3 hat der zuständige Träger der Krankenversicherung,

 

3. nach Abs1, 2a, 4 und 5 und nach §7b Abs8 in Verbindung mit §7h hat die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse,

 

auch wenn die Anzeige nicht durch die in den Z1 bis 3 genannten Einrichtungen erfolgt. Diese können gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde Beschwerde beim Verwaltungsgericht und gegen das Erkenntnis oder den Beschluss eines Verwaltungsgerichts Revision beim Verwaltungsgerichtshof erheben.

 

(9) Bei grenzüberschreitender Entsendung oder Arbeitskräfteüberlassung gilt die Verwaltungsübertretung als in dem Sprengel der Bezirksverwaltungsbehörde begangen, in dem der Arbeits(Einsatz)ort der nach Österreich entsandten oder überlassenen Arbeitnehmer/innen liegt, bei wechselnden Arbeits(Einsatz)orten am Ort der Kontrolle.

 

(10) Für die Beurteilung, ob ein Arbeitsverhältnis im Sinne dieses Bundesgesetzes vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

 

2. §16 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl 52/1991, lautet wie folgt:

"Ersatzfreiheitsstrafe

§16. (1) Wird eine Geldstrafe verhängt, so ist zugleich für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen.

 

(2) Die Ersatzfreiheitsstrafe darf das Höchstmaß der für die Verwaltungsübertretung angedrohten Freiheitsstrafe und, wenn keine Freiheitsstrafe angedroht und nicht anderes bestimmt ist, zwei Wochen nicht übersteigen. Eine Ersatzfreiheitsstrafe von mehr als sechs Wochen ist nicht zulässig. Sie ist ohne Bedachtnahme auf §12 nach den Regeln der Strafbemessung festzusetzen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Bezirkshauptmannschaft Murtal hat vier Vorstände einer österreichischen AG in ihrer Eigenschaft als iSd §9 VStG zur Vertretung nach außen Berufene dieser AG nach §7i Abs4 Z3 iVm §7d Abs2 AVRAG verurteilt. Den Vorständen wurde zur Last gelegt, es unterlassen zu haben, Lohnunterlagen für 217 Arbeitnehmer am Kontrollort, einer Baustelle in Österreich, gemäß §7d Abs2 AVRAG bereitzuhalten. Für jeden Arbeitnehmer wurden jeweils € 12.000,– Geldstrafe und im Falle der Uneinbringlichkeit acht Tage Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Insgesamt beläuft sich die Geldstrafe sohin pro Vorstandsmitglied auf € 2.604.000,– und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 1736 Tage. Gegen die Straferkenntnisse haben die Vorstände Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark erhoben.

2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"Präjudizialität:

Bei allen im Sachverhalt beschriebenen Anlassfällen handelt es sich beim jeweiligen Beschwerdeführer um einen Vorstand der […] AG, dem aus Anlass eines anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens wegen des Verdachtes verschiedener Übertretungen des AVRAG Geldstrafen in der Höhe von € 2,864.400,00 (Strafe, Kosten, Barauslagen) bzw im Falle der Uneinbringlichkeit je 1.736 Tage Ersatzfreiheitsstrafe aufgetragen wurden. Die Bestimmung des §7 i Abs4 AVRAG ist somit in allen diesen Verfahren vom Landesverwaltungsgericht Steiermark anzuwenden.

 

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit:

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt gegen die gesetzliche Regelung des AuslBG, dessen Aufhebung es beantragt, Bedenken im Hinblick auf das Anklageprinzip gemäß Art90 Abs2 B‑VG, Art91 B‑VG, auf den Grundsatz der Gewaltentrennung gemäß Art94 B‑VG, das Verbot unverhältnismäßiger Strafen gemäß Art3 EMRK und Art49 GRC, das Recht auf Eigentum gemäß Art5 StGG, Art1 erstes ZPEMRK und Art17 GRC, sowie wegen eines Verstoßes gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK und Art47 GRC, welche wie folgt näher ausgeführt werden:

[…]

Im Anlassfall hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark über einen zu zahlenden Gesamtbetrag (Strafe, Kosten, Barauslagen) von € 2,864.400,00 bzw über eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1.736 Tagen (4 Jahre, 9 Monate und 6 Tage) zu entscheiden.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat massive Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §7i Abs4 AVRAG. Die Strafbestimmung des §7 i Abs4 AVRAG stellt jedenfalls Strafrecht im Sinn der EMRK dar, zumal ein Strafverfahren dann einer strafrechtlichen Anklage vorliegt, wenn sich die Bestimmung, welche die Grundlage für eine Sanktion darstellt, an die Allgemeinheit richtet und die Sanktion der Ahndung und der Abschreckung dient (vgl EGMR 23.10.1995, Gradinger, Nr 16922/90, JBL 1997, 577; Grabenwarter in Korinek/Hollubeck, EMRK Art6 Rz 28; ferner EGMR 10.02.2009 (GK) Zolotukhin, Nr 14939/03, NL 2009, 38). Der Beschwerdeführer kann sich somit auf Art6 EMRK wie im Übrigen auch allen anderen Normunterworfenen im Verwaltungsstrafverfahren nach dem AVRAG berufen.

 

Anklageprinzip:

Gemäß Art90 Abs2 B‑VG gilt der Anklageprozess. Gemäß §4 StPO obliegt die Anklage in Strafverfahren der Staatsanwaltschaft.

Gemäß Art91 Abs1 B‑VG hat das Volk an der Rechtsprechung mitzuwirken. Gemäß Art91 Abs2 B‑VG entscheiden Geschworene bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, die das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen, über die Schuld des Angeklagten.

Gemäß Art91 Abs3 B‑VG nehmen Schöffen, im Strafverfahren wegen anderer strafbarer Handlungen an der Rechtsprechung teil, wenn die zu verhängende Strafe ein vom Gesetz zu bestimmendes Maß überschreitet.

Der Verfassungsgerichtshof leitet aus den in Absätzen 2 und 3 des Art91 B‑VG enthaltenen Grenzziehungen nach der Strafdrohung ab, dass auch 'unterhalb' der Schöffengerichtsbarkeit ein – nach der Strafdrohung zu bestimmender – Kernbereich strafgerichtlicher Zuständigkeit besteht. Wenn der Gesetzgeber ein Verhalten als hoch sozialschädlich bewertet und demgemäß mit schwerwiegender Strafe (auch Geldstrafe) bedroht, so muss der einfache Bundes- oder Landesgesetzgeber demnach eine Zuständigkeit der Strafgerichte begründen (vgl VfSlg 12.151; seither ständige Judikatur: VfSlg 12.282, 12.389, 12.471, 12.546, 12.547,12.920; Adamovic/Hubbmann, FS 75 Jahre Bundesverfassung [1995] 521; Mayer/Muzak, B‑VG Kurzkommentar 5. Auflage, 352).

Demgemäß wäre der einfache Gesetzgeber gehalten, die Ahndung strafbarer Handlungen jedenfalls dann den Strafgerichten zuzuweisen, wenn die angedrohte Geldstrafe ein nach allgemeinem Stand der Gesetzgebung für die Strafgerichtsbarkeit typisches hohes Ausmaß erreicht (vgl Hellbling, Grenzen des Verwaltungsstrafrechtes, JBL 1959, S. 252 ff., insbesondere S. 256 f.).

Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln und setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er es verbietet, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zwischen den Normadressaten zu schaffen (VfSlg 14.039/1995; 16.407/2001; 17.315/2004; 17.500/2005 uva.). Ferner ergibt sich aus Art7 B‑VG, dass Tatbestände mit einem größeren Unrechtsgehalt mit schwereren Strafen bedroht werden müssen, als Tatbestände, deren Unrechtsgehalt geringer ist. Hellbling schließt daraus, dass – wie bereits erwähnt – der Gesetzgeber lediglich bei den verhältnismäßig 'leichten Delikten' die Wahl der Zuweisung zu Gerichten und Verwaltungsbehörden habe und, dass die Obergrenze einer angedrohten Verwaltungsstrafe keinesfalls weiter reichen dürfe, als die Obergrenze für die gerichtlich strafbaren Handlungen im allgemeinen in Betracht kommenden Strafen. Diese Überlegungen gelten nach der Systematik des B‑VG sicher auch weiterhin für die Wahl zwischen Bezirks- und Landesgerichten für Strafsachen auf der einen und Verwaltungsgerichten auf der anderen Seite.

Diese Annahme blieb jedoch in der Literatur zwar umstritten (vgl die ausführliche Zusammenfassung in dem Erkenntnis des VfGH vom 20.11.1995, 4119/93, Seite 3 bis 4). Einigkeit herrscht jedoch, dass Verwaltungsstrafen im Rahmen des Sachlichkeitsgebotes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bleiben müssen. Auffällig ist, dass Österreich das einzige Land in der EU ist, in welchem mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen im Verwaltungsrecht verhängt werden können, und in allen anderen Mitgliedstaaten bei einer mehrjährigen Freiheitsstrafe eine Anklagebehörde einschreitet.

Der Verfassungsgerichtshof setzte sich erstmals in seinem Erkenntnis VfSlg 12.151/1989 mit der Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts auseinander. Dabei erwog der Verfassungsgerichtshof, dass den Vorgaben des Art91 B‑VG die Vorstellung eines (auch) nach den Strafdrohungen klassifizierbaren strafrechtlichen Systems zugrunde liege, und auch der unterhalb der (Geschworenen- und) Schöffengerichtsbarkeit liegende Teil der Strafgerichtsbarkeit einen für diesen typischen Kernbereich strafbarer Handlungen enthalte. In diesem Sinn sei der Gesetzgeber von Verfassungswegen verpflichtet, mit der Verfolgung von als besonders sozialschädlich bewerteten und demgemäß mit schwerwiegender Strafe bedrohten Handlungen die Organe der Strafgerichtsbarkeit zu betrauen. Eine strafbare Handlung sei diesem Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit jedenfalls dann zuzuordnen, wenn die angedrohten Strafen – vor dem Hintergrund des in der Strafrechtsordnung enthaltenen, unterhalb der Grenze zur Schöffengerichtsbarkeit liegenden Systems von Strafen unterschiedlicher Höhe – als für den Bestraften besonders empfindlich einzustufen ist. Somit könnten auch Verfahren über die Verhängung von Geldstrafen in die (Kern-)Zuständigkeit der Strafgerichtsbarkeit fallen.

Diese Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof in weiterer Folge mehrfach bestätigt (VfSlg 12.282/1990, 12.389/1990, 12.471/1990, 12.546/1990, 12.547/1990, 12.920/1991, 13.790/1994, 14.361/1995, 14.973/1997, 15.772/2000, 19.960/2015).

Der Verfassungsgerichtshof geht weiterhin davon aus, dass die Ahndung bestimmter Straftaten gemäß Art91 Abs2 und 3 B‑VG der Zuständigkeit der Schöffen- und Geschworenengerichte vorbehalten ist (gemäß Art91 Abs2 B‑VG entscheiden Geschworene '[b]ei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, die das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen'; gemäß Art91 Abs3 B‑VG entscheiden Schöffengerichte in Strafverfahren 'wegen anderer strafbarer Handlungen […], wenn die zu verhängende Strafe ein vom Gesetz zu bestimmendes Maß überschreitet'). Im Übrigen hält aber der Verfassungsgerichtshof seine auf Art91 B‑VG gestützte Rechtsprechung zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts (unterhalb der Schöffen- und Geschworenengerichtsbarkeit) mit dem bisherigen Inhalt nicht aufrecht:

Die bisherige Rechtsprechung der Verfassungsgerichtshof gründet sich – wie insbesondere aus dem Erkenntnis VfSlg 12.151/1989 hervorgeht – auf eine verfassungsrechtlich vorgegebene Organisationsstruktur der Strafgerichtsbarkeit (vgl Art92 Abs1, Art140 Abs1 Z1 litd, Art90a B‑VG, §8 Abs5 litd ÜG 1920) und die in Art91 Abs2 und 3 B‑VG zum Ausdruck kommende Abgrenzung nach der Strenge der strafrechtlichen Sanktion. Aus diesen Vorgaben leitete der Verfassungsgerichthof ab, 'dass die Zuweisung eines durchaus erheblichen Teilbereichs der Strafsachen an die Strafgerichtsbarkeit von Verfassungs wegen vorausgesetzt wird'. Die Grenze zwischen dem Bereich des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts zog der Verfassungsgerichtshof im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber in der angedrohten Strafe die Sozialschädlichkeit des verbotenen Verhaltens zum Ausdruck bringt, an deren Ausmaß (vgl zur Maßgeblichkeit der Strafdrohung für die Bewertung der Sozialschädlichkeit des verbotenen Verhaltens insbesondere VfSlg 19.960/2015). Vor dem Hintergrund der Organisationsstruktur des gerichtlichen Strafrechts und der Entscheidung im gerichtlichen Strafrecht durch einen Richter anstelle des Vollzugs des Verwaltungsstrafrechts durch Verwaltungsbehörden unter eingeschränkter, nachprüfender Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof liegt nach dieser Rechtsprechung gleichzeitig auch ein Rechtschutzgedanke zugrunde (vgl VfGH 13.12.2017, G408/2016-31, G412/2016-10, G2/2017-9, G21/2017-7, G54/2017-7).

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngsten Rechtsprechung vom 13.12.2017, G408/2016-31, G412/2016-10, G2/2017-9, G21/2017-7, G54/2017-7 jedoch ausgesprochen, dass diese Rechtsprechung zu Art91 B‑VG und der damit vorgenommenen Grenzziehung zwischen dem gerichtlichen Strafrecht und dem Verwaltungsstrafrecht der Vielfalt an möglichen Sachverhalten nicht (mehr) gerecht wird. Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass es zum Ersten nicht mehr überzeugt, dass die Zuständigkeitsabgrenzung ausschließlich nach dem Kriterium der Strafdrohung zu erfolgen hat; dies gilt sowohl innerhalb der Strafgerichtsbarkeit als auch für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts (vgl Burgstaller Art91 Abs2 und 3 B‑VG, in Korinek/Holoubek ua [Hrsg.] Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rz 43). Zum Zweiten lässt das alleinige Abstellen auf die durch den Gesetzgeber für die jeweilige Straftat normierte Obergrenze der angedrohten Geldstrafe für die Zuordnung zu einen der beiden Vollzugsbereiche die unterschiedliche Funktion der Geldstrafe im gerichtlichen und im Verwaltungsstrafrecht sowie die mit ihrer Verhängung jeweils einhergehenden Folgen außer Acht. Zum Dritten kann die schematische Orientierung an der für die Straftat vorgesehenen Obergrenze der angedrohten Geldstrafe für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts nicht die Unterschiede zwischen juristischen und natürlichen sowie zwischen vermögenden und weniger vermögenden Personen erfassen und damit letztlich nur ein unzureichendes Urteil über die 'Schweren' einer Strafe bieten. Zum Vierten werden in der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes, die vom Gesetzgeber mit der Zuordnung verbundenen rechtspolitischen Zielsetzungen – allen voran jene der Stigmatisierung und der Entkriminalisierung – nicht zureichend berücksichtigt. Dadurch erweist sich die Höhe der angedrohten Sanktion im Ergebnis als kein taugliches Mittel für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrecht? (vgl auch Miklau, Ist die Höhe der Strafdrohung ein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen dem Justiz- und dem Verwaltungsstrafrecht, ÖJZ1991, 361; VfGH 13.12.2017, G408/2016-31, G412/2016-10, G2/2017-9, G21/2017-7, G54/2017-7).

Der Verfassungsgerichtshof führt in den oben zitierten Entscheidungen weiter aus, dass sich im Übrigen auch das Rechtschutzgefüge der Bundesverfassung durch die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz mit der Novelle BGBl I 51/2012 insgesamt tiefergreifend verändert hat.

Mit dieser Novelle schuf der (Verfassungs-) Gesetzgeber Verwaltungsgerichte erster Instanz, deren Mitglieder gemäß Art134 Abs7 B‑VG Richter sind. Diese Richter der Verwaltungsgerichte erster Instanz genießen – ebenso wie die Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit – die richterlichen Garantien des Art87 Abs1 und 2 bzw Art88 Abs1 und 2 B‑VG (Art134 Abs7 B‑VG; vgl auch die Entschließungen zum AB 1771 BlgNR, XXIV. GP , in denen unter anderem ein einheitliches Richterbild gefordert wird; weiters VfSlg 19.825/2013; vgl VfGH 13.12.2017, G408/2016-31, G412/2016-10, G2/2017-9, G21/2017-7, G54/2017-7).

Durch die Einräumung der richterlichen Garantien unterschieden sich die neu geschaffenen Verwaltungsgerichte erster Instanz grundsätzlich von den zuvor bestehenden Rechtsschutzeinrichtungen in Gestalt der Unabhängigen Verwaltungssenate: Letztere waren zum einen nur mit bestimmten, nicht aber mit den vollen richterlichen Unabhängigkeitsgarantien ausgestattete Berufungsbehörden (vgl insbesondere die bloß mit einer Mindestvorgabe festgelegte Bestellungsdauer gemäß Art129b Abs1 B‑VG; darüber hinausgehende Gewährleistungen waren nur durch einfaches Gesetz vorgesehen), zum anderen waren sie nicht der Staatsfunktion Gerichtsbarkeit, sondern jener der Verwaltung zuzuordnen (AB 817 BlgNR, XVII. GP , 4f.).

Der Verfassungsgerichtshof ist damit zur Auffassung gelangt, dass seine bisherige Judikatur zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts vor dem Hintergrund des Art91 B‑VG mit dem bisherigen Inhalt nicht mehr aufrechterhalten werden kann (vgl VfGH 13.12.2017, G408/2016-31, G412/2016-10, G2/2017-9, G21/2017-7, G54/2017-7).

Der Verfassungsgerichtshof hat jedoch ausgesprochen, dass dies nicht bedeutet, dass der Gesetzgeber künftig gänzlich frei darin wäre, welchem Organ er die Zuständigkeit zur Verhängung von Strafen überträgt. Verfassungsrechtliche Grenzen, welche in diesem Zusammenhang beachtet werden müssen, ergeben sich auch weiterhin insbesondere aus den spezifischen Zuständigkeiten der Schöffen- und Geschworenengerichte gemäß Art91 Abs2 und 3 B‑VG, aus dem Bundesverfassungsgesetz vom 29.11.1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988, sowie aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließenden Sachlichkeitsgebot, welches exzessiven Strafdrohungen entgegensteht) ua VfSlg 19.960/2015) (vgl VfGH 13.12.2017, G408/2016-31, G412/2016-10, G2/2017-9, G21/2017-7, G54/2017-7).

Die Entscheidungen des Verfassungsgerichtes vom 13.12.2017 sind daher aus Sicht des Landesverwaltungsgerichts Steiermark nicht geeignet abzuleiten, ob die Verhängung von sehr hohen Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen im AVRAG verfassungswidrig ist oder nicht, zumal sich der gegenständliche Sachverhalt keinesfalls mit dem Sachverhalt der zugrundeliegenden entschiedenen Anträge des Bundesverwaltungsgerichts vergleichen läßt.

Bei Beurteilungen nach dem AVRAG sind schließlich in der Regel keine Banken oder börsennotierten Unternehmen betroffen, sondern haben sehr hohe Geldstrafen regelmäßig zur Folge, dass die betroffenen Unternehmen insolvent werden und es dadurch regelmäßig dazu kommen wird, dass ein Beschuldigter für ein Fahrlässigkeitsdelikt im Verwaltungsstrafrecht durch eine mehrjährige Freiheitsstrafe unverhältnismäßig hart bestraft wird.

Ist eine Übertretung des AuslBG ein strafrechtliches Vergehen oder ein Verbrechen?

Gemäß §17 StGB sind Verbrechen vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Gemäß §17 Abs2 StGB sind alle anderen strafbaren Handlungen Vergehen.

Als Konsequenz sind die reinen Fahrlässigkeitsdelikte generell aus dem Bereich der Verbrechen nach der Systematik des StGB auszuscheiden, obwohl aufgrund des Stufenverhältnisses von Vorsatz und Fahrlässigkeit grundsätzlich jedes Fahrlässigkeitsdelikt auch vorsätzlich verwirklicht werden kann. Denn selbst wenn dem Täter im Einzelfall Vorsatz zur Last fällt, ohne dass die Verhaltensweise unter ein entsprechendes vorsätzliches Tatbild subsumiert werden kann, wird der verwirklichte Tatbestand nicht zu einem solchen, in dem eine 'vorsätzliche Handlung' […] mit Strafe bedroht ist' (im Ergebnis einhellige Meinung: vgl SSt 51/22; Fuchs AT8460; Höpfel WK §17 Rz 17; Kienapfel/Höpfel AT8; Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg.) Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch §17 Rz 14).

Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln und setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er es verbietet, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zwischen den Normadressaten zu schaffen (VfSlg 14.039/1995; 16.407/2001; 17.315/2004; 17.500/2005 uva.). Nach §7i AVRAG kann jedoch ein Beschuldigter zu einer deutlich über dreijährigen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt werden, obwohl es sich bei diesem Delikt um ein Fahrlässigkeitsdelikt handelt. Dies stellt eine eindeutige Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß §7 B‑VG dar.

 

Abwesenheitsurteil möglich:

Gemäß §427 StPO darf bei sonstiger Nichtigkeit in Abwesenheit des Angeklagten die Hauptverhandlung nur dann durchgeführt und das Urteil gefällt werden, wenn der Angeklagte bei der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, wenn es sich um ein Vergehen handelt, der Angeklagte gemäß §§164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde.

Verfassungsrechtlich bedenklich hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes und auch hinsichtlich des Grundsatzes auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK ist ebenso der Umstand, dass ein Beschuldigter wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes in seiner Abwesenheit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt werden kann, obwohl es sich nach der gesamten Systematik des österreichischen Rechtes hierbei um kein Verbrechen handelt.

 

Recht auf rechtliches Gehör:

Ebenfalls müsste bei existenzbedrohenden Strafen einem Beschuldigten das Recht auf rechtliches Gehör zugestanden werden. Gemäß §6 StPO hat der Beschuldigte das Recht, am gesamten Verfahren mitzuwirken und die Pflicht, während der Hauptverhandlung anwesend zu sein. Bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang die zumindest in der Steiermark gängige Praxis mehrerer Bezirkshauptmannschaften, selbst nach mehrfacher Beantragung der Einvernahme des Beschuldigten und/oder von Zeugen, dass lediglich durch einen Textbaustein im Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft ausgeführt wird, dass eine solche Einvernahme nicht notwendig sei. So wird im konkreten Fall deutlich, dass einzelne Bezirkshauptmannschaften nicht einmal in Fällen, in welchen Verwaltungsstrafen in Millionenhöhe und mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafe verhängt werden, Beschuldigte anhören und somit keinerlei Möglichkeit auf ein faires Verfahren besteht.

Durch diese Vorgehensweise mehrerer (steirischen) Bezirkshauptmannschaften werden Beschuldigte de facto auch um ihr Recht auf einen Instanzenzug gebracht!

Aus dem konkreten Anlassfall sowie aus unzähligen vergleichbaren Fälle, wird ersichtlich, dass das Verwaltungsstrafrecht völlig ungeeignet ist, Delikte zu behandeln, welche eigentlich in den Kernbereich eines Strafrechtes gehören.

Betrachtet man die Zuständigkeit der zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) gemäß §20a StPO, so fällt auf, dass selbst Vergehen, welche wie beispielsweise Ketten- oder Pyramidenspiele gemäß §168a Abs2 StGB, Geschenkannahme durch Machthaber gemäß §153a StGB, Bestechlichkeit gemäß §304 StGB, Vergehen gemäß §255 Aktiengesetz, §122 GmbH-Gesetz, §89 Genossenschaftsgesetz etc. von einer kompetenten Anklagebehörde verfolgt werden und nicht ein Sachbearbeiter mit der Verfolgung und Verurteilung betraut ist.

Ist der Gesetzgeber nun tatsächlich der Meinung, dass Arbeitgeber oder auch verantwortlich Beauftragte gemäß §9 VStG für ein Fahrlässigkeitsdelikt mehrjährige Freiheitsstrafen verbüßen sollen, so müsste dies – die Sinnhaftigkeit und Gerechtigkeit sei hier in Frage gestellt – im Rahmen eines Kriminalstrafverfahrens nach Anklageerhebung durch eine Anklagebehörde von einem Strafgericht entschieden werden.

 

Zuständigkeitsproblematik:

Nach der Systematik des §31 StPO würde §7i Abs4 AVRAG zumindest in die Zuständigkeit eines Einzelrichters eines Landesgerichtes, eher aber in die Zuständigkeit eines Schöffengerichtes fallen, wenn man betrachtet, dass beispielsweise das Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §131 StGB oder die Gewaltanwendung eines Wilderers nach §140 StGB in die Zuständigkeit eines Schöffengerichtes fällt, obwohl der Strafrahmen lediglich von sechs Monaten bis fünf Jahren reicht.

Die Mitwirkung von Laienrichtern bei politischen Verbrechen und mit schwerer Strafe bedrohten Verbrechen wurde zu Recht in unsere Verfassung aufgenommen. Dem Bundesverfassungsgesetzgeber ist es gerade darauf angekommen, dass in wichtigen Strafsachen Personen, die einen anderen Beruf als das Richteramt haben, ihre allgemeine Lebenserfahrung einbringen und (mit)entscheidungsbefugt sind. Sie sollen durch ihr natürliches Rechtsempfinden juristischer Routine entgegenwirken und auf diese Weise sicherstellen, dass dort, wo Urteile der Strafgerichte in besonders einschneidender Weise in das Leben der Menschen eingreifen, dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung Rechnung getragen wird.

Auf der anderen Seite soll durch die Laienbeteiligung das Verständnis weiter Kreise der Staatsbürger für die Probleme der Justiz im Allgemeinen sowie für das Strafrecht und den Strafprozess im Besonderen gefördert werden. Das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Einrichtungen, dass durch die Beteiligung an Gerichtsentscheidungen gefördert wird, ist ein Grundelement der Demokratie. Ein weiteres Argument, welches für den Einsatz von Schöffen und Geschworenen vorgebracht wird, ist ihre unbestreitbare Unabhängigkeit von Karriere oder weiterem beruflichen Fortkommen in der Justiz. Über das gegenständliche Strafverfahren wurde bereits in zahlreichen Printmedien und im ORF berichtet. Eine richtungsweisende Entscheidung hat auf die Karriere eines Richters in einem so heiklen politischen Verfahren jedenfalls eine große Auswirkung auf die weitere Berufslaufbahn.

Gerade im konkreten Fall ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das natürliche Rechtsempfinden des Volkes einer mehrjährigen Freiheitsstrafe für ein Fahrlässigkeitsdelikt entgegensteht. Dies vor allem in Anbetracht der in Österreich verhängten Strafen von Delikten gegen Leib und Leben in Abwägung zu einem bisher weder verwaltungsstrafrechtlich noch kriminalstrafrechtlich belangten Arbeitgeber.

 

Notwendige Verteidigung- Verteidigerzwang:

Problematisch erscheint weiters, dass ein unvertretener Beschuldigter nach §7i Abs4 AVRAG zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden kann, obwohl gemäß §61 StPO jedes Vergehen und Verbrechen mit einer derart hohen Strafdrohung dazu führen würde, dass der Beschuldigte durch einen Verteidiger vertreten sein muss (notwendige Verteidigung).

 

Anklageprinzip:

Gemäß Art90 Abs2 B‑VG gilt im Strafverfahren der Anklageprozess. Das bedeutet, dass für den Kernbereich des Strafverfahrens, zu welchem nach den obigen Ausführungen §7i Abs4 AVRAG jedenfalls zählt, die Funktion des Anklägers von der des Richters getrennt sein muss; im Verwaltungsstrafverfahren oder im Disziplinarverfahren ist das Anklageprinzip durch diese Bestimmung zwar nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht geboten (vgl VfSlg 4557,12.462; VwGH 26.05.1989, 89/18/0043; 09.06.1995 95/02/0081; 18.03.1998, 96/09/0042), jedoch betrafen diese Entscheidungen entweder Disziplinarverfahren oder Verwaltungsstrafverfahren mit einer keinesfalls vergleichbaren Strafhöhe.

 

Das Recht auf ein faires gerichtliches Verfahren gemäß Art6 EMRK:

Längere Freiheitsstrafen und sonstige Strafsanktionen von vergleichbarer Schwere begründen jedenfalls eine strafrechtliche Anklage (vgl Walter Berka, Die Grundrechte Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich, S. 445).

Gemäß Art3 Abs1 des B‑VG vom 29.11.1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (Pers.Frg.) darf nur ein Gericht aufgrund einer mit Strafe bedrohten Handlung auf Freiheitsentzug erkennen. Gemäß Art3 Abs2 Pers.Frg. darf die Verhängung einer Freiheitsstrafe und die Festsetzung von Freiheitsstrafen durch Verwaltungsbehörden jedoch vorgesehen werden, wenn das Ausmaß des angedrohten Freiheitsentzuges je 6 Wochen, soweit die Entscheidung einer unabhängigen Behörde obliegt, je 3 Monate nicht übersteigt.

Die Bestimmung des Art3 Pers.Frg. soll den Art5 Abs1 und Art6 Abs1 EMRK Rechnung tragen; welche vorsehen, dass Freiheitsstrafen durch 'Gerichte' verhängt werden müssen. Art3 Abs2 Pers.Frg. sieht vor, dass Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen bis zu 6 Wochen von 'normalen' (d.h. weisungsgebundenen) Verwaltungsbehörden festgesetzt werden dürfen – diesfalls muss die Anfechtung der Entscheidung bei einer unabhängigen Behörde ('Gerichte' iSd. EMRK) in vollem Umfang und mit aufschiebender Wirkung gewährleistet sein (VwGH 29.08.2000, 2000/05/0174; vgl Mayer/Muzak B‑VG Kurzkommentar, 5. Auflage, S. 685).

Der Anlassfall zeigt deutlich, dass die als zulässig erachteten Freiheitsstrafen bzw Ersatzfreiheitsstrafen durch die Kumulierung der Geldstrafe in §7i Abs4 AVRAG dazu führen können, dass mehrjährige Haftstrafen verhängt werden. Dies widerspricht jedoch dem Recht auf ein faires Verfahren.

Da von der Bestimmung des §7i Abs4 AVRAG nicht nur börsennotierte Unternehmen, sondern in der Regel kleine und mittlere Unternehmen betroffen sind, kann es durchaus vorkommen, dass durch die verhängte Strafe von mehreren hunderttausend Euro ein Unternehmen insolvent wird und dass das tatzeitlich zur Vertretung nach außen berufene Organ in weiterer Folge die Ersatzfreiheitsstrafe antreten muss.

 

Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen gemäß Art49 GRC:

Im Verfahren die im Anwendungsbereich des Unionsrechts sind, ist die Grundrechtscharta der EU heranzuziehen. Der VfGH kann daher wegen einer Verletzung der Charta angerufen werden. Im konkreten Anlassfall spielt das Unionsrecht zweifellos eine Rolle, zumal es um die Beschäftigung von kroatischen Arbeitnehmern in Österreich geht.

Gemäß Art49 Abs3 GRC darf das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein. Art49 Abs3 GRC enthält ein eigenständiges einklagbares Grundrecht (vgl Jarass, EU Grundrechte §42 Rz 14). Art49 Abs3 GRC bindet die Organe der Union und jene der Mitgliedstaaten, wenn und soweit diese Unionsrecht vollziehen. Art49 Abs3 GRC richtet sich zum einen an den zuständigen Gesetzgeber, der angehalten ist, für eine bestimmte Straftat nur eine verhältnismäßige Strafe und einen dementsprechenden Strafsatz gesetzlich zu erlassen, zum anderen an die Vollziehung, die eine im Wege der Strafzumessung festzusetzende verhältnismäßige Strafe auszusprechen hat, sofern dies im Einzelfall überhaupt geboten ist.

Ein strafrechtlich relevantes Verhalten darf nur insoweit sanktioniert sein, als dies im Einzelfall erforderlich, geeignet und angemessen ist. Sanktionen dürfen demnach nicht über den Rahmen des zur Erreichung des verfolgten Zieles unbedingt Erforderlichen hinausgehen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist dabei insbesondere die Schwere des Verstoßes sowie das Gewicht der Strafe entscheidend. Bereits Art3 EMRK enthielt ein Exzessverbot von Strafen. Im konkreten Anlassfall würde die verhängte Ersatzfreiheitsstrafe sogar im Widerspruch zum Verbot der Folter nach Art3 EMRK stehen, zumal die fast fünfjährige Ersatzfreiheitsstrafe nicht einmal auf einmal durchgehend vollstreckt werden könnte, sondern nach dem österreichischen Recht in vielen Unterbrechungen abgesessen werde müsste, was dazu führen würde, dass ein Verurteilter für sein restliches Leben praktisch nie wieder durch die Vielzahl der Haftantritte ein geregeltes Berufs- oder Familienleben ausüben könnte und dadurch die Strafe auch als erniedrigende Strafe angesehen werden kann, zumal der Verurteilte schlechter gestellt wird als ein Schwerverbrecher in Österreich (vgl Holoubek/Lienbacher GRC-Kommentar Art49 Rz 23 ff.).

 

Zum Umfang der Anfechtung:

Sollte der Verfassungsgerichtshof die Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtes teilen, dass es in Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren, die mangelnde Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes, den Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen gemäß Art49 Abs3 GRC prinzipiell nicht zulässig ist, dass in einem Verfahren nach dem Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzusländerbeschäftigungsgesetz existenzbedrohende Geld- bzw Ersatzfreiheitsstrafen ausgesprochen werden können, wäre die gesamte Bestimmung des §7i Abs4 AVRAG nicht mehr vollziehbar, weshalb sie auch anzufechten war." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

 

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den in diesem Antrag erhobenen Bedenken wie auch jenen Bedenken, die in dem zu G60/2018 protokollierten Antrag (Anfechtungsgegenstand: §28 Abs1 AuslBG) erhoben wurden, wie folgt entgegentritt:

"II.

Zur Zulässigkeit:

1. Der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm darf im Gesetzesprüfungsverfahren bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrags nicht zu eng gewählt werden (vgl VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Die Antragsteller haben all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann (vgl VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011).

1.1. Die Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichts richten sich im Wesentlichen dagegen, dass in Verfahren nach […] §7i Abs4 AVRAG Verwaltungsstrafbehörden – und nicht die ordentlichen Gerichte – Geldstrafen in Millionenhöhe bzw Ersatzfreiheitsstrafen von mehreren Jahren verhängen könnten. Derart hohe Strafen dürften aber aufgrund des Anklageprinzips gemäß Art90 Abs2 B‑VG und des Grundsatzes der Gewaltentrennung gemäß Art94 B‑VG nur von ordentlichen Gerichten verhängt werden. Die Strafen seien außerdem unverhältnismäßig und verstießen daher gegen das Verbot unverhältnismäßiger Strafen gemäß Art49 GRC sowie gegen Art3 EMRK.

1.2. Diese Bedenken richten sich aber nicht (allein) gegen die angefochtenen Bestimmungen:

1.2.1. Weder §28 Abs1 AuslBG noch §7i Abs4 AVRAG sehen die Verhängung einer primären Freiheitsstrafe oder einer Ersatzfreiheitsstrafe vor. Die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe hat ihre Grundlage vielmehr in §16 Abs1 VStG, wonach bei Verhängung einer Geldstrafe für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen ist. Die Aufhebung des §16 Abs1 VStG wurde aber nicht beantragt.

1.2.2. §28 Abs1 Z1 lita AuslBG und §7i Abs4 AVRAG sehen für das Grunddelikt einen Strafrahmen von 1 000 bis 10 000 Euro (im Wiederholungsfall von 2 000 bis 20 000 Euro) für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer bzw für jeden Arbeitnehmer und im Qualifikationsfall (unberechtigte Beschäftigung von mehr als drei Ausländern bzw wenn mehr als drei Arbeitnehmer betroffen sind) einen Strafrahmen von 2 000 bis 20 000 Euro (im Wiederholungsfall von 4 000 bis maximal 50 000 Euro) für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer bzw für jeden Arbeitnehmer vor.

Die Anträge begründen die behauptete Verfassungswidrigkeit damit, dass nach den angefochtenen Bestimmungen Geldstrafen in Millionenhöhe und mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen, wie sie etwa den Anlassfällen zu Grunde liegen (nämlich Geldstrafen von insgesamt 2 640 000 Euro bzw Ersatzfreiheitsstrafen von insgesamt 1 600 Tagen und Geldstrafen von insgesamt 2 864 400 Euro bzw Ersatzfreiheitsstrafen von insgesamt 1 736 Tagen), möglich seien. Geldstrafen (und Ersatzfreiheitsstrafen) auf Grund des §28 Abs1 AuslBG bzw des §7i Abs4 AVRAG (iVm. §16 Abs1 VStG) in einer solchen Höhe sind aber nur in Fällen echter Realkonkurrenz denkbar, wenn also durch zahlreiche selbständige Taten zahlreiche Verwaltungsübertretungen begangen wurden; die unberechtigte Beschäftigung jedes einzelnen Ausländers bzw die Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen für jeden einzelnen Arbeitnehmer stellt nämlich ein eigenes Delikt dar und ist gesondert zu bestrafen. In einem solchen Fall ist für jedes Delikt – entsprechend §22 Abs2 erster Satz VStG – eine eigene Strafe zu verhängen, wie dies auch in den Anlassfällen erfolgt ist: Nach den Angaben des antragstellenden Verwaltungsgerichts erfolgte eine Bestrafung nach dem AuslBG in 200 Spruchpunkten (Antrag zu G60/2018, Seite 3) bzw nach dem AVRAG in 217 Spruchpunkten (Antrag zu G62/2018, Seite 3). In verfahrensrechtlicher Hinsicht kann in einem solchen Fall über jedes Delikt in einem eigenen Bescheid oder – wie dies offenbar in den Anlassfällen erfolgte – über mehrere Delikte in einer gemeinsamen Bescheidausfertigung abgesprochen werden (vgl VwGH 24.1.2014, 2013/09/0048 mwN). Eine die jeweiligen Einzelstrafen addierende 'Gesamtstrafe' kennt das VStG nicht (Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017] §22 VStG Rz 9).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es Sache des Verfassungsgerichtshofes, im Gesetzesprüfungsverfahren zu entscheiden, wie der Aufhebungsumfang im konkreten Fall abzugrenzen ist. Der Antragsteller muss daher all jene Bestimmungen mitanfechten, die in diese Abwägung bei der Abgrenzung des Aufhebungsumfanges miteinzubeziehen sind, und darf nicht durch Anfechtung nur eines Teils dieser Bestimmungen das Ergebnis der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vorwegnehmen (siehe VfGH 10.3.2015, G201/2014; 7.10.2015, G315/2015 ua; 10.12.2015, G639/2015; 25.11.2016, G252/2016).

Vor dem Hintergrund seiner Bedenken, dass nämlich die angefochtenen Bestimmungen Geldstrafen in Millionenhöhe (und mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen) ermöglichten, hätte das antragstellende Verwaltungsgericht daher nicht nur den jeweiligen Verwaltungsstraftatbestand des §28 Abs1 Z1 AuslBG bzw des §7i Abs4 AVRAG anfechten müssen, sondern auch den Grundsatz der Strafenkumulierung in §22 Abs2 VStG, um so den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden könnte.

1.2.3. Die Anträge sind schon aus diesem Grund zur Gänze unzulässig.

2. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl zB VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.710/1994, 13.851/1994 und 14.802/1997).

Die angefochtenen §28 Abs1 Z1 AuslBG und §7i Abs4 AVRAG enthalten jeweils einen nach Grund- und Qualifikationsdelikt sowie nach Erst- und Wiederholungsdelikt abgestuften Strafrahmen, wobei die Höchststrafe 50 000 Euro für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer bzw für jeden Arbeitnehmer beträgt. Die Anträge begründen die behauptete Verfassungswidrigkeit hingegen ausschließlich – und undifferenziert – damit, dass nach den angefochtenen Bestimmungen Geldstrafen in Millionenhöhe und mehrjährige Ersatzfreiheits-strafen möglich seien (zB Antrag G60/2018, Seite 12: 'Nach §28 AuslBG kann jedoch ein Beschuldigter zu einer deutlich über dreijährigen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt werden …'; Seite 13: '… ein Beschuldigter wegen eines Fahrlässigkeits-deliktes in seiner Abwesenheit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt werden kann …'; Seite 14: '… für ein Fahrlässigkeitsdelikt mehr-jährige Freiheitsstrafen verbüßen sollen …'; Seite 15: '… ein unvertretener Beschuldigter nach §28 Abs1 AuslBG zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden kann …'). Solche Strafhöhen sehen die angefochtenen Verwaltungsstraftatbestände aber nicht vor.

Es fehlt den Anträgen daher an einer Darlegung der Bedenken, die gegen die Verfassungsmäßigkeit der in §28 Abs1 AuslBG und in §7i Abs4 AVRAG vorgesehenen Strafrahmen sprechen. Die Anträge sind daher auch aus diesen Gründen unzulässig.

[…]

4. Der Vollständigkeit halber weist die Bundesregierung darauf hin, dass im Anlassverfahren zu G60/2018 ausschließlich der Verwaltungsstraftatbestand des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG und im Anlassverfahren zu G62/2018 ausschließlich der Verwaltungsstraftatbestand des §7i Abs4 Z3 AVRAG präjudiziell sind und dass die übrigen Teile dieser Bestimmungen mit den jeweils präjudiziellen Teilen auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.

5. Insgesamt ist die Bundesregierung daher der Auffassung, dass die Anträge zur Gänze unzulässig sind. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich ein Eingehen auf die Bedenken in der Sache." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

 

4. Die Parteien des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark haben als beteiligte Parteien eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark im Ergebnis anschließen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität des §7i Abs4 AVRAG zweifeln ließe.

1.2. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach §62 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).

Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).

Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.

1.3. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Äußerung die Auffassung, dass der Anfechtungsumfang des Antrages, nämlich festzustellen, dass §7i Abs4 AVRAG zur Gänze verfassungswidrig war, zu weit gefasst sei, weil im vorliegenden Verfahren nur §7i Abs4 Z3 AVRAG präjudiziell sei.

Diesem Vorbringen kann jedoch nicht gefolgt werden, da die unterschiedlichen Tatbestände in §7i Abs4 Z1, 2 und 3 AVRAG offenkundig in einem konkreten Regelungszusammenhang stehen.

1.4. Die Bundesregierung bringt des Weiteren vor, der Antrag sei unzulässig, weil das antragstellende Gericht vor dem Hintergrund seiner Bedenken nicht nur §7i Abs4 AVRAG anzufechten gehabt hätte, sondern zudem sowohl §22 Abs2 VStG (Kumulationsprinzip) als auch §16 Abs1 VStG (Ersatzfreiheitsstrafe).

Bezüglich ihres Vorbringens zu §22 Abs2 VStG ist die Bundesregierung nicht im Recht: Wie der Verfassungsgerichtshof bereits festgestellt hat, führen Verwaltungsstraftatbestände, die die Strafhöhe an die Anzahl der Arbeitnehmer knüpfen, bloß zu einem ähnlichen Ergebnis wie das in §22 Abs2 VStG geregelte Kumulationsprinzip (vgl VfSlg 13.790/1994, 18.219/2007). §22 Abs2 VStG ist daher für das antragstellende Gericht weder präjudiziell noch bildet er mit der angefochtenen Bestimmung eine untrennbare Einheit.

Im Hinblick auf das Vorbringen der Bundesregierung zu §16 Abs1 VStG ist Folgendes auszuführen: Das Landesverwaltungsgericht Steiermark geht davon aus, dass die Verwirklichung der Verwaltungsübertretung gemäß §7i Abs4 AVRAG im Endeffekt eine (erhebliche) (Ersatz-)Freiheitsstrafe zur Konsequenz haben kann. Wie die Bundesregierung zutreffend ausführt, sah die angefochtene Bestimmung jedoch nur die Verhängung einer Geldstrafe und nicht auch einer Ersatzfreiheitsstrafe vor. Die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe käme vorliegend daher nur auf Grund von §16 VStG in Betracht, den das Landesverwaltungsgericht Steiermark jedoch nicht mit angefochten hat. Auf die Bedenken im Hinblick auf die (Ersatz-)Freiheitsstrafe ist daher nicht einzugehen. Angesichts der verschiedenartigen Bedenken des antragstellenden Gerichtes ist der Antrag aber nicht schon deshalb zur Gänze unzulässig, weil das antragstellende Gericht hinsichtlich eines Aspekts seines Vorbringens nicht die Aufhebung aller anzufechtenden Bestimmungen beantragt hat.

1.5. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag daher als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt gegen §7i Abs4 AVRAG Bedenken im Hinblick auf Art7, 90 Abs2, 91 und 94 B‑VG, auf Art3 und 6 EMRK, auf Art17, 47 und 49 GRC sowie auf Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK. Es legt seine Bedenken gegen §7i Abs4 AVRAG jedoch lediglich bezüglich Art7 und 91 B‑VG im Einzelnen dar. Da nicht ausgeführt wurde, aus welchen Gründen §7i Abs4 AVRAG im Lichte der übrigen Bestimmungen eine Verfassungswidrigkeit anzulasten sei, ist auf die diesbezüglichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes nicht einzugehen: Soweit sich die Bedenken des antragstellenden Gerichtes nämlich darauf gründen, dass die Verwirklichung der Verwaltungsübertretung gemäß §7i Abs4 AVRAG letztlich zu einer unverhältnismäßigen Freiheitsstrafe führen kann, ist unter Verweis auf die Ausführungen zur Zulässigkeit des Antrags auf die diesbezüglichen Vorbringen des antragstellenden Gerichtes nicht weiter einzugehen.

2.3. Soweit die Bedenken vom antragstellenden Gericht dargelegt wurden, ist der Antrag jedoch nicht begründet.

2.4. Das antragstellende Gericht hegt gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung im Einzelnen drei unterschiedliche Bedenken: Zum ersten sei die angefochtene Bestimmung im Lichte des Art91 B‑VG verfassungswidrig, da §7i Abs4 AVRAG – auf dessen Grundlage sehr hohe Geldstrafen verhängt werden könnten – in den Kernbereich des Strafrechts falle und der Gesetzgeber daher im Hinblick auf den Vollzug der Bestimmung die Zuständigkeit der Strafgerichte begründen hätte müssen. Zum zweiten seien Beschuldigte nach dem gerichtlichen Strafrecht grundsätzlich wesentlich besser gestellt als Beschuldigte im Verwaltungsstrafverfahren und zum dritten sehe §7i Abs4 AVRAG eine unverhältnismäßige Geldstrafe vor; insofern verstoße die angefochtene Bestimmung auch gegen Art7 B‑VG.

2.5. Die Bundesregierung hält den Antrag für gänzlich unzulässig und sieht daher von Ausführungen in der Sache ab.

2.6. §7i Abs4 AVRAG bestimmt, dass das in den Z1 bis 3 leg.cit. geregelte Verhalten eine Verwaltungsübertretung darstellt: Demnach begeht eine Verwaltungsübertretung, wer Lohnunterlagen der Arbeitnehmer als Arbeitgeber (Z1) bzw als Beschäftiger im Fall einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung (Z3) nicht bereithält oder wer als Überlasser im Fall einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung Lohnunterlagen der Arbeitnehmer dem Beschäftiger nachweislich nicht bereitstellt (Z2). Als Sanktion für die Verwirklichung einer der genannten Verwaltungsübertretungen sieht die angefochtene Bestimmung eine Geldstrafe vor, deren Höhe an die Anzahl der Arbeitnehmer geknüpft ist: Grundsätzlich beträgt die Geldstrafe pro Arbeitnehmer € 1.000,– bis € 10.000,–, im Wiederholungsfall € 2.000,– bis € 20.000,–. Für den Fall, dass mehr als drei Arbeitnehmer betroffen sind, wird die Geldstrafe mit € 2.000,– bis € 20.000,–, im Wiederholungsfall mit € 4.000,– bis € 50.000,–, pro Arbeitnehmer festgesetzt.

2.7. Das Vorbringen des antragstellenden Gerichtes, Verwaltungsstrafbestimmungen seien im Hinblick auf Art91 B‑VG verfassungswidrig, wenn sie unter gewissen Umständen zur Verhängung besonders hoher Geldstrafen ermächtigten, vermag im Lichte der bisherigen Judikatur nicht zu überzeugen:

2.7.1. Zwar ging der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen die Organe der Strafgerichtsbarkeit mit der Ahndung von Verhalten zu betrauen habe, das als besonders sozialschädlich bewertet und demgemäß mit schwerwiegender Strafe bedroht ist; an diesen Kriterien gemessen, könnten nach der Rechtsprechung auch Verfahren über die Verhängung von Geldstrafen in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallen (zB VfSlg 12.151/1989, 12.282/1990, 12.920/1991, 13.790/1994, 14.361/1995, 14.973/1997, 15.772/2000, 19.960/2015). Wie in VfSlg 13.790/1994 festgestellt, betraf diese Rechtsprechung allerdings durchwegs Fälle, in denen jede einzelne in der Hinterziehung von Abgaben bestehende Straftat mit einer Strafe in der Höhe eines Vielfachen des Verkürzungsbetrages bedroht war, was zu außerordentlich hohen Strafen für die einzelne Tat führen konnte. Damit sind aber jene Verwaltungsstraftatbestände nicht vergleichbar, die wie auch die angefochtene Bestimmung auf die – gegebenenfalls lange fortgesetzte – Beschäftigung mehrerer Ausländer und die darin liegende Vervielfachung des Unrechtsgehaltes auf eine Weise Bedacht nehmen, die der Häufung von Straftaten und damit dem für das Verwaltungsstrafverfahren charakteristischen Kumulationsprinzip entspricht (VfSlg 13.790/1994). Derart konstruierte Straftatbestände führen nämlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie das in §22 Abs2 VStG geregelte Kumulationsprinzip (VfSlg 13.790/1994; s. dazu zB auch Wessely, §1 VStG, in N. Raschauer/Wessely (Hrsg.), Kommentar zum VStG2, 2016, Rz 7 mwN; Mayer/Muzak, B‑VG5, 2015, Art91, III). Das Kumulationsprinzip erachtet der Verfassungsgerichtshof wiederum in ständiger Rechtsprechung als verfassungsrechtlich unbedenklich (s dazu etwa VfSlg 4496/1963, 12.997/1992, 13.790/1994).

2.7.2. Zudem ist der Verfassungsgerichtshof jüngst von seiner ständigen Rechtsprechung zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts abgegangen: In VfGH 13.12.2017, G408/2016 ua, hat der Gerichtshof festgehalten, dass die Höhe der Geldstrafe für sich genommen kein taugliches Zuordnungskriterium darstellt.

2.7.3. Die diesbezüglich geäußerten Bedenken des antragstellenden Gerichtes gehen sohin ins Leere.

2.8. Der Verfassungsgerichtshof vermag auch dem Vorbringen des antragstellenden Gerichtes zur Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung im Lichte des Art7 B‑VG nicht zu folgen:

2.8.1. Soweit es versucht, durch diverse schematische Vergleiche die behauptete Ungleichbehandlung bzw Schlechterstellung von Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren gegenüber Beschuldigten im gerichtlichen Strafverfahren aufzuzeigen – etwa: im Verwaltungsstrafverfahren würden Grundsätze wie das Anklage- oder das Mündlichkeitsprinzip gemäß Art90 B‑VG, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit immanent seien, nicht in äquivalenter Form bestehen – ist das antragstellende Gericht auf die diesbezüglich ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen: Dementsprechend ist aus dem Vergleich unterschiedlicher verfahrensrechtlicher Regelungen unter Sachlichkeitsgesichtspunkten nichts zu gewinnen, weil es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich offensteht, sich in unterschiedlichen Verfahrensbereichen für durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform ausgestaltet sind (vgl VfSlg 15.190/1998 mwN, 19.762/2013, 19.831/2013 und 19.881/2014; vgl auch VfGH 20.9.2012, G37/12 ua).

2.8.2. Gleichfalls teilt der Verfassungsgerichtshof auch jene Bedenken des antragstellenden Gerichtes nicht, die sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Geldstrafe beziehen: In ständiger Rechtsprechung ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass es nicht unsachlich ist, wenn sich die Strafhöhe vor allem am Strafzweck orientiert (VfSlg 7967/1976), welcher nur dann erreicht wird, wenn die für den Fall des rechtswidrigen Verhaltens vorgesehene Strafe derart empfindlich ist, dass ein in der Regel normgemäßes Verhalten durchgesetzt werden kann. Andernfalls kann es bei ausreichend hohem wirtschaftlichen Interesse dazu kommen, dass der Strafbetrag als bloßer Preis des erwarteten Nutzens kalkuliert wird und die Strafdrohung ihren Zweck verfehlt (vgl VfSlg 13.790/1994, 15.785/2000, 18.219/2007).

2.8.3. §7i Abs4 AVRAG ist daher vor dem Hintergrund der Bedenken des antragstellenden Gerichtes auch im Lichte des Art7 B‑VG nicht als verfassungswidrig zu qualifizieren.

V. Ergebnis

1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §7i Abs4 AVRAG erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte