VfGH G60/2018

VfGHG60/201811.6.2018

Zurückweisung des Gerichtsantrags auf Aufhebung einer Strafbestimmung des AusländerbeschäftigungsG mangels Präjudizialität der Norm in der angefochtenen Fassung

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
AuslBG §28 Abs1, §34 Abs44

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:G60.2018

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, §28 Abs1 AuslBG idF BGBl I 66/2017, als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes lauten wie folgt (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Strafbestimmungen

§28. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet (§28c), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen,

1. wer

a) entgegen §3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung erteilt noch eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder der keine für diese Beschäftigung gültige „Rot-Weiß-Rot – Karte“, „Blaue Karte EU, Aufenthaltsbewilligung als unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer („ICT“), Aufenthaltsbewilligung als mobiler unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer („mobile ICT“), Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ mit Zugang zum Arbeitsmarkt (§20f Abs4)“ oder „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ oder keine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, keine „Aufenthaltsberechtigung plus“, keinen Befreiungsschein (§4c) oder keinen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ oder „Daueraufenthalt – EU“ besitzt, oder

b) entgegen §18 die Arbeitsleistungen eines Ausländers, der von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt wird, in Anspruch nimmt, ohne dass für den Ausländer eine Beschäftigungsbewilligung oder eine Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde, oder

c) entgegen der Untersagung gemäß §32a Abs8 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung erteilt noch eine Anzeigebestätigung oder eine Freizügigkeitsbestätigung ausgestellt wurde,

bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis 50 000 Euro;

2. wer

a) entgegen §3 Abs4 einen Ausländer beschäftigt, ohne die Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice anzuzeigen, oder b) entgegen §18 Abs5 oder 6 die Arbeitsleistungen eines Ausländers in Anspruch nimmt, ohne die Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice rechtzeitig anzuzeigen, oder

c) seinen Verpflichtungen gemäß §26 Abs1 nicht nachkommt oder

d) entgegen §26 Abs2 den im §26 Abs1 genannten Behörden und Rechtsträgern den Zutritt zu den Betriebsstätten, Betriebsräumen, auswärtigen Arbeitsstellen und Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer oder das Befahren von Privatstraßen nicht gewährt, oder

e) entgegen §26 Abs3 die Durchführung der Amtshandlung beeinträchtigt oder f) entgegen dem §26 Abs4 oder 4a die Durchführung der Amtshandlungen beeinträchtigt,

mit Geldstrafe von 150 Euro bis 5 000 Euro, im Fall der litc bis f mit Geldstrafe von 2 500 Euro bis 8 000 Euro;

3. wer

a) entgegen §3 Abs6 einen Ausländer beschäftigt, ohne die ihm nach diesem Bundesgesetz erteilten Bewilligungen oder Bestätigungen im Betrieb zur Einsichtnahme bereitzuhalten, oder

b) die im §26 Abs5 vorgesehenen Meldungen nicht erstattet,

mit Geldstrafe bis 2 000 Euro;

4. wer

a) entgegen §18 Abs12 oder 13 als Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes einen Ausländer im Inland beschäftigt oder

b) entgegen §18 Abs12 oder 13 die Arbeitsleistungen eines Ausländers, der von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes zur Arbeitsleistung nach Österreich entsandt, überlassen oder im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers vorübergehend abgestellt wird, in Anspruch nimmt,

obwohl §18 Abs12 Z1 oder 2, im Fall der Überlassung zusätzlich Z3, nicht erfüllt ist und – im Fall der litb – auch keine EU-Entsendebestätigung oder EU-Überlassungsbestätigung ausgestellt wurde, bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis 50 000 Euro; 5. wer entgegen §32a Abs4 einen Ausländer, der gemäß §32a Abs2 oder 3 unbeschränkten Arbeitsmarktzugang hat, ohne Freizügigkeitsbestätigung beschäftigt, mit Geldstrafe bis 1 000 Euro.

[…]

 

Wirksamkeitsbeginn

§34.

[…]

(44) §2 Abs3, 11 und 13, §3 Abs1, 2 und 3, §4 Abs1, Abs3 Z6 und Abs7 Z2 und Z6, §4b Abs3, §5 samt Überschrift, §9 Abs1, §11 Abs1, die Anlage B, §12b Z2, die Überschrift des §18, §18 Abs3, 3a, 12 und 13, §18a samt Überschrift, §20 Abs2, §20b Abs4, §20d Abs1, §20e Abs1 und 3, §20f samt Überschrift, §20g, §24 samt Überschrift sowie Anlage D, §27 Abs4, §27a Abs3 Z1, §28 Abs1 und 8, §32a Abs11a und §35 Z1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 66/2017 treten mit 1. Oktober 2017 in Kraft und sind auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 30. September 2017 ereignen. §2 Abs10 und §4 Abs3 Z8, Abs7 Z1 und die Überschrift des Abschnitts IV treten mit Ablauf des 30. September 2017 außer Kraft. Verordnungen gemäß §5 Abs1 können bereits ab dem auf die Kundmachung dieses Bundesgesetzes folgenden Tag erlassen werden; sie dürfen jedoch frühestens mit 1. Oktober 2017 in Kraft gesetzt werden."

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Ein Unternehmen mit Sitz in Österreich beauftragte ein Unternehmen mit Sitz in Kroatien mit Montagearbeiten an einer Baustelle in Pöls. Anlässlich einer Kontrolle der Finanzpolizei am 27. September 2015 wurde festgestellt, dass keine grenzüberschreitende Entsendung gemäß §7b Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), sondern eine grenzüberschreitende Überlassung von Arbeitskräften nach dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) vorgelegen ist. Die dafür erforderlichen Beschäftigungsbewilligungen gemäß §3 AuslBG sind nicht vorgelegen. Mit Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Murtal vom 5. Mai 2017 wurden über die Vorstände des in Österreich ansässigen Unternehmens, die Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht, wegen verschiedener Übertretungen des §28 Abs1 Z1 lita iVm §3 Abs1 AuslBG in 200 Fällen, Geldstrafen idHv € 2.400.000,– (€ 2.640.000,– inkl. Kosten und Barauslagen) verhängt.

2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

2.1. Die Bestimmung des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG sei präjudiziell, weil die Beschuldigten wegen einer Übertretung dieser Bestimmung bestraft worden seien. Im Anlassverfahren habe das Landesverwaltungsgericht über einen zu zahlenden Gesamtbetrag idHv insgesamt € 2.640.000,– (Ersatzfreiheitsstrafe insgesamt 1600 Tage (4 Jahre, 4 Monate und 20 Tage)) pro Vorstand wegen Übertretungen des AuslBG und des AVRAG zu entscheiden. Auf Grund der Strafhöhe handle es sich offenkundig um den Kernbereich strafgerichtlicher Zuständigkeit. Verwaltungsstrafen müssten im Rahmen des Sachlichkeitsgebotes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bleiben. Es sei auffällig, dass Österreich das einzige Land in der EU sei, in welchem mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen im Verwaltungsrechtsweg verhängt werden könnten.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof habe in seiner bisherigen Rechtsprechung aus Art91 B‑VG abgeleitet, dass es auch unterhalb der Grenze zur Schöffengerichtsbarkeit einen strafrechtlichen Kernbereich gebe, der den Strafgerichten vorbehalten sei. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um den Kernbereich des Strafrechts handle, habe der Verfassungsgerichtshof auf die vom Gesetzgeber in der angedrohten Strafe ausgedrückte Sozialschädlichkeit des verbotenen Verhaltens abgestellt. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2017, G408/2016 ua., sei der Verfassungsgerichtshof von dieser Rechtsprechung abgewichen. Der Verfassungsgerichtshof sei nicht mehr überzeugt, dass die Zuständigkeitsabgrenzung ausschließlich nach dem Kriterium der Strafdrohung zu erfolgen habe. Bei der Abgrenzung zwischen Straf- und Verwaltungsstrafrecht sei aber weiterhin auf die spezifischen Zuständigkeiten der Schöffen- und Geschworenengerichte gemäß Art91 Abs2 und 3 B‑VG und auf das BVG persönliche Freiheit sowie auf das Sachlichkeitsgebot abzustellen.

2.3. Da bei Verfahren nach dem AuslBG sehr hohe Geldstrafen verhängt würden, die regelmäßig die Insolvenz der betroffenen Unternehmen zur Folge hätten, würden die Beschuldigten mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe für ein Fahrlässigkeitsdelikt unverhältnismäßig hart bestraft. Gemäß §28 AuslBG könne ein Beschuldigter zu einer über dreijährigen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt werden, obwohl es sich um ein Fahrlässigkeitsdelikt handle. Vor dem Hintergrund der in §17 StGB vorgenommenen Einteilung in Verbrechen (mehr als dreijährige Freiheitsstrafe) und Vergehen verstoße §28 AuslBG gegen den Gleichheitssatz. Es sei unsachlich und im Hinblick auf Art6 EMRK bedenklich, dass ein Beschuldigter wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes in Abwesenheit zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden könne. In der Steiermark bestehe die bedenkliche Verwaltungspraxis einiger Bezirkshauptmannschaften die Beschuldigten nicht einmal einzuvernehmen. Dies verstoße gegen das Recht auf rechtliches Gehör. Den Beschuldigten würde außerdem die Möglichkeit eines Instanzenzuges genommen. Das Landesverwaltungsgericht verweist auf die Kompetenzen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (§20a StPO) und schließt daraus, dass auch Übertretungen des AuslBG "von einer kompetenten Anklagebehörde verfolgt werden [sollten] und nicht ein Sachbearbeiter mit der Verfolgung und Verurteilung betraut" sein sollte. Nach der Systematik des §31 StPO sollte §28 Abs1 AuslBG, nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes, in die Zuständigkeit eines Einzelrichters eines Landesgerichtes bzw. eines Schöffengerichtes fallen. Die Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §131 StGB oder die Gewaltanwendung eines Wilderers nach §140 StGB würden ebenso in die Zuständigkeit eines Schöffengerichtes fallen, obwohl der Strafrahmen lediglich von sechs Monaten bis fünf Jahren reiche. Die Mitwirkung von Laienrichtern trage dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung Rechnung. Im vorliegenden Fall sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das natürliche Rechtsempfinden des Volkes einer mehrjährigen Freiheitsstrafe für ein Fahrlässigkeitsdelikt entgegenstehe. Das Landesverwaltungsgericht weist außerdem darauf hin, dass §61 StPO bei einer derart hohen Strafdrohung die notwendige Verteidigung des Beschuldigten vorsehe. Im Übrigen werde auch das Anklageprinzip nicht eingehalten, dies erscheine auf Grund der Höhe der Strafen verfassungsrechtlich problematisch.

2.4. Art3 Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit schränke die Verhängung von Freiheitsstrafen durch Verwaltungsbehörden auf sechs Wochen bzw. drei Monate ein. Der Anlassfall zeige deutlich, dass durch die Kumulierung der Geldstrafen gemäß §28 Abs1 AuslBG weitaus höhere mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen verhängt würden. Dies widerspreche dem Recht auf ein faires Verfahren.

2.5. Die vorgesehenen Strafen seien unverhältnismäßig und verstießen daher gegen Art49 Abs3 GRC. Im konkreten Anlassfall stehe die verhängte Ersatzfreiheitsstrafe sogar im Widerspruch zum Verbot der Folter nach Art3 EMRK, zumal die fast fünfjährige Ersatzfreiheitsstrafe nicht durchgehend vollstreckt werden könnte. Auf Grund der vielen Haftantritte würden den Beschuldigten ein geregeltes Berufs- oder Familienleben verweigert. Die Beschuldigten würden schlechter gestellt als ein Schwerverbrecher in Österreich.

2.6. Zum Anfechtungsumfang führt das Landesverwaltungsgericht aus, dass die gesamte Bestimmung des §28 Abs1 AuslBG nicht mehr vollziehbar wäre und sie daher auch zur Gänze anzufechten gewesen sei.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:

"II.

Zur Zulässigkeit:

1. Der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm darf im Gesetzesprüfungsverfahren bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrags nicht zu eng gewählt werden (vgl. VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Die Antragsteller haben all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann (vgl. VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011).

1.1. Die Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichts richten sich im Wesentlichen dagegen, dass in Verfahren nach §28 Abs1 AuslBG […] Verwaltungsstrafbehörden – und nicht die ordentlichen Gerichte – Geldstrafen in Millionenhöhe bzw. Ersatzfreiheitsstrafen von mehreren Jahren verhängen könnten. Derart hohe Strafen dürften aber aufgrund des Anklageprinzips gemäß Art90 Abs2 B‑VG und des Grundsatzes der Gewaltentrennung gemäß Art94 B‑VG nur von ordentlichen Gerichten verhängt werden. Die Strafen seien außerdem unverhältnismäßig und verstießen daher gegen das Verbot unverhältnismäßiger Strafen gemäß Art49 GRC sowie gegen Art3 EMRK.

1.2. Diese Bedenken richten sich aber nicht (allein) gegen die angefochtenen Bestimmungen:

1.2.1. Weder §28 Abs1 AuslBG noch §7i Abs4 AVRAG sehen die Verhängung einer primären Freiheitsstrafe oder einer Ersatzfreiheitsstrafe vor. Die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe hat ihre Grundlage vielmehr in §16 Abs1 VStG, wonach bei Verhängung einer Geldstrafe für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen ist. Die Aufhebung des §16 Abs1 VStG wurde aber nicht beantragt.

1.2.2. §28 Abs1 Z1 lita AuslBG und §7i Abs4 AVRAG sehen für das Grunddelikt einen Strafrahmen von 1 000 bis 10 000 Euro (im Wiederholungsfall von 2 000 bis 20 000 Euro) für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer bzw. für jeden Arbeitnehmer und im Qualifikationsfall (unberechtigte Beschäftigung von mehr als drei Ausländern bzw. wenn mehr als drei Arbeitnehmer betroffen sind) einen Strafrahmen von 2 000 bis 20 000 Euro (im Wiederholungsfall von 4 000 bis maximal 50 000 Euro) für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer bzw. für jeden Arbeitnehmer vor.

Die Anträge begründen die behauptete Verfassungswidrigkeit damit, dass nach den angefochtenen Bestimmungen Geldstrafen in Millionenhöhe und mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen, wie sie etwa den Anlassfällen zu Grunde liegen (nämlich Geldstrafen von insgesamt 2 640 000 Euro bzw. Ersatzfreiheitsstrafen von insgesamt 1 600 Tagen und Geldstrafen von insgesamt 2 864 400 Euro bzw. Ersatzfreiheitsstrafen von insgesamt 1 736 Tagen), möglich seien. Geldstrafen (und Ersatzfreiheitsstrafen) auf Grund des §28 Abs1 AuslBG bzw. des §7i Abs4 AVRAG (iVm. §16 Abs1 VStG) in einer solchen Höhe sind aber nur in Fällen echter Realkonkurrenz denkbar, wenn also durch zahlreiche selbständige Taten zahlreiche Verwaltungsübertretungen begangen wurden; die unberechtigte Beschäftigung jedes einzelnen Ausländers bzw. die Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen für jeden einzelnen Arbeitnehmer stellt nämlich ein eigenes Delikt dar und ist gesondert zu bestrafen. In einem solchen Fall ist für jedes Delikt – entsprechend §22 Abs2 erster Satz VStG – eine eigene Strafe zu verhängen, wie dies auch in den Anlassfällen erfolgt ist: Nach den Angaben des antragstellenden Verwaltungsgerichts erfolgte eine Bestrafung nach dem AuslBG in 200 Spruchpunkten (Antrag zu G60/2018, Seite 3) […]. In verfahrensrechtlicher Hinsicht kann in einem solchen Fall über jedes Delikt in einem eigenen Bescheid oder – wie dies offenbar in den Anlassfällen erfolgte – über mehrere Delikte in einer gemeinsamen Bescheidausfertigung abgesprochen werden (vgl. VwGH 24.1.2014, 2013/09/0048 mwN). Eine die jeweiligen Einzelstrafen addierende 'Gesamtstrafe' kennt das VStG nicht (Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG² [2017] §22 VStG Rz 9).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es Sache des Verfassungsgerichtshofes, im Gesetzesprüfungsverfahren zu entscheiden, wie der Aufhebungsumfang im konkreten Fall abzugrenzen ist. Der Antragsteller muss daher all jene Bestimmungen mitanfechten, die in diese Abwägung bei der Abgrenzung des Aufhebungsumfanges miteinzubeziehen sind, und darf nicht durch Anfechtung nur eines Teils dieser Bestimmungen das Ergebnis der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vorwegnehmen (siehe VfGH 10.3.2015, G201/2014; 7.10.2015, G315/2015 ua.; 10.12.2015, G639/2015; 25.11.2016, G252/2016).

Vor dem Hintergrund seiner Bedenken, dass nämlich die angefochtenen Bestimmungen Geldstrafen in Millionenhöhe (und mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen) ermöglichten, hätte das antragstellende Verwaltungsgericht daher nicht nur den jeweiligen Verwaltungsstraftatbestand des §28 Abs1 Z1 AuslBG bzw. des §7i Abs4 AVRAG anfechten müssen, sondern auch den Grundsatz der Strafenkumulierung in §22 Abs2 VStG, um so den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden könnte.

1.2.3. Die Anträge sind schon aus diesem Grund zur Gänze unzulässig.

2. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh. dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl. zB VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.710/1994, 13.851/1994 und 14.802/1997).

Die angefochtenen §28 Abs1 Z1 AuslBG und §7i Abs4 AVRAG enthalten jeweils einen nach Grund- und Qualifikationsdelikt sowie nach Erst- und Wiederholungsdelikt abgestuften Strafrahmen, wobei die Höchststrafe 50 000 Euro für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer bzw. für jeden Arbeitnehmer beträgt. Die Anträge begründen die behauptete Verfassungswidrigkeit hingegen ausschließlich – und undifferenziert – damit, dass nach den angefochtenen Bestimmungen Geldstrafen in Millionenhöhe und mehrjährige Ersatzfreiheitsstrafen möglich seien (zB Antrag G60/2018, Seite 12: 'Nach §28 AuslBG kann jedoch ein Beschuldigter zu einer deutlich über dreijährigen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt werden …'; Seite 13: '… ein Beschuldigter wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes in seiner Abwesenheit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt werden kann …'; Seite 14: '… für ein Fahrlässigkeitsdelikt mehrjährige Freiheitsstrafen verbüßen sollen …'; Seite 15: '… ein unvertretener Beschuldigter nach §28 Abs1 AuslBG zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden kann …'). Solche Strafhöhen sehen die angefochtenen Verwaltungsstraftatbestände aber nicht vor.

Es fehlt den Anträgen daher an einer Darlegung der Bedenken, die gegen die Verfassungsmäßigkeit der in §28 Abs1 AuslBG und in §7i Abs4 AVRAG vorgesehenen Strafrahmen sprechen. Die Anträge sind daher auch aus diesen Gründen unzulässig.

3. Dem zu G60/2018 protokollierten Antrag mangelt es überdies an der notwendigen Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung:

Das Verwaltungsgericht Steiermark beantragt die Aufhebung des '§28 Abs1 AuslBG idF BGBl I Nr 66/2017' (Antrag Seite 1). Auch auf den Seiten 5 f des Antrags wird der Normtext des §28 Abs1 AuslBG idF BGBl I Nr 66/2017 wiedergegeben, sodass kein Zweifel daran bestehen kann, dass das Verwaltungsgericht Steiermark §28 Abs1 AuslBG in der Fassung BGBl I Nr 66/2017 und nicht (auch) in einer anderen Fassung anfechten will.

Durch Art1 Z33 der Novelle BGBl I Nr 66/2017 wurde der – hier allein präjudizielle – Verwaltungsstraftatbestand des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG geändert. §28 Abs1 idF des Bundesgesetzes BGBl I Nr 66/2017 ist mit 1. Oktober 2017 in Kraft getreten und auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 30. September 2017 ereignen (§34 Abs44 AuslBG).

Nach den Ausführungen im Antrag (Seite 3) hat sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt im September und Oktober 2015 ereignet. Es ist daher denkunmöglich, dass das anfechtende Verwaltungsgericht §28 Abs1 Z1 lita AuslBG in der angefochtenen Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 66/2017 anzuwenden hat. Der Antrag zu G60/2018 ist daher auch aus diesem Grund unzulässig.

4. Der Vollständigkeit halber weist die Bundesregierung darauf hin, dass im Anlassverfahren zu G60/2018 ausschließlich der Verwaltungsstraftatbestand des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG […] präjudiziell [ist] und dass die übrigen Teile dieser Bestimmung[…] mit den jeweils präjudiziellen Teilen auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang steh[t].

5. Insgesamt ist die Bundesregierung daher der Auffassung, dass die Anträge zur Gänze unzulässig sind. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich ein Eingehen auf die Bedenken in der Sache."

4. Die Partei des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes anschließt.

IV. Zulässigkeit

1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw. des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung die Präjudizialität des §28 Abs1 AuslBG idF BGBl I 66/2017 in Zweifel.

Mit diesem Vorbringen ist die Bundesregierung im Recht:

2. Das Landesverwaltungsgericht beantragt die Aufhebung des §28 Abs1 AuslBG idF BGBl I 66/2017. Gemäß §34 Abs44 AuslBG idF BGBl I 66/2017 tritt §28 Abs1 AuslBG idF BGBl I 66/2017 mit 1. Okotber 2017 in Kraft und ist auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 30. September 2017 ereignen. Der dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes zugrunde liegende Sachverhalt ereignete sich im Jahr 2015. Das Landesverwaltungsgericht hat §28 Abs1 AuslBG idF BGBl I 66/2017 somit offenkundig nicht anzuwenden (vgl. auch VfSlg 15.763/2000, 19.755/2013; VfGH 8.10.2014, G179/2014).

Der Antrag erweist sich daher als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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