VfGH G415/2017

VfGHG415/201727.6.2018

Aufhebung einer Bestimmung des Wr MindestsicherungsG betreffend den Ausschluss einer - in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer nigerianischen Mutter mit Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" lebenden - minderjährigen österreichischen Staatsbürgerin von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
Wr MindestsicherungsG §1, §5, §7, §8
NAG §8, §39, §47

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:G415.2017

 

Spruch:

I. Die Wortfolgen "„Daueraufenthalt – EG“ oder „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“, denen dieser Aufenthaltstitel", "§45 oder §48" und "erteilt wurde" in §5 Abs2 Z3 Wiener Mindestsicherungsgesetz, LGBl für Wien Nr 38/2010, waren verfassungswidrig.

II. Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

III. Das Wort "anspruchberechtigten" in §7 Abs1 letzter Satz Wiener Mindestsicherungsgesetz, LGBl für Wien Nr 38/2010 idF 6/2011, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben. Die übrigen Wortfolgen des §5 Wiener Mindestsicherungsgesetz, LGBl für Wien Nr 38/2010, waren nicht verfassungswidrig.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E2239/2016 eine auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Die Beschwerdeführerin ist nigerianische Staatsangehörige und hält sich seit zumindest 12. November 2009 im österreichischen Bundesgebiet auf. Die am 28. Juni 2014 geborene Tochter der Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin. Der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß §47 Abs2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) für den Zeitraum 19. April 2016 bis 19. April 2017 rechtskräftig erteilt.

Sie stellte am 29. Dezember 2015 einen Antrag auf Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem Gesetz zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien (Wiener Mindestsicherungsgesetz; im Folgenden: WMG), LGBl 38/2010 idF LGBl 29/2013. Mit Bescheid vom 29. Februar 2016 wies der Magistrat der Stadt Wien diesen Antrag als unbegründet ab. Dagegen erhob sie Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 26. Juli 2017 wies das Verwaltungsgericht Wien diese Beschwerde gemäß §5 WMG ab. Der Beschwerdeführerin sei als Opfer von Menschenhandel für den Zeitraum 23. August 2013 bis 23. August 2014 eine Aufenthaltsbewilligung besonderer Schutz gemäß §69a NAG (nunmehr §57 AsylG) gewährt worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung habe sie über keinen gültigen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt. Seit 19. April 2016 sei der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet rechtmäßig, jedoch handle es sich bei dem erteilten Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß §47 NAG um keinen der in §5 Abs2 Z3 und 4 WMG taxativ aufgezählten Aufenthaltstitel. Ihr sei auch kein subsidiärer Schutz erteilt oder Asylstatus gewährt worden (vgl. §5 Abs2 Z1 WMG). Sie sei auch nicht EWR-Bürgerin oder Familienangehörige eines gemäß §5 Abs2 Z2 WMG gleichgestellten EWR-Bürgers, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe. Sie sei somit nicht gemäß §5 Abs2 WMG österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin die Mutter einer minderjährigen österreichischen Staatsbürgerin sei, vermöge nichts an der eindeutigen Rechtslage des WMG zu ändern, zumal dort ein Anspruch auf Leistungen ausschließlich volljährigen österreichischen Staatsbürgern – oder diesen im Sinne des §5 Abs2 WMG gleichgestellten Personen – einer Bedarfsgemeinschaft zuerkannt werden könne. Sofern keine volljährige anspruchsberechtigte Person in einer Bedarfsgemeinschaft Leistungen beantrage, könne demnach auch keine Bedarfsorientierte Mindestsicherung zugesprochen werden. Daraus folge, dass die Beschwerdeführerin nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen nach dem WMG zähle. Die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung durch die belangte Behörde sei daher zu Recht erfolgt.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §5 WMG und des Wortes "anspruchberechtigten" in §7 Abs1 WMG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 13. Dezember 2017 beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3.1. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass auf Grund des §44 Abs2 WMG die Bestimmungen des Gesetzes über die Regelung der Sozialhilfe (Wiener Sozialhilfegesetz – WSHG), LGBl für Wien 11/1973, nicht mehr anzuwenden sind, soweit Regelungen im WMG erfolgen. Wenn Regelungen des WMG Ansprüche auf Mindestsicherung für bestimmte Personen versagen, können diese Ansprüche daher anscheinend auch nicht nach dem Wiener Sozialhilfegesetz gewährt werden (vgl. VfSlg 19.716/2012).

3.2. Das WMG, LGBl für Wien 38/2010 in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung der Novelle LGBl für Wien 29/2013 stellt anspruchsberechtigten österreichischen Staatsbürgern nur bestimmte Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit gleich, darunter – sachverhaltsbezogen – gemäß §5 Abs2 Z3 WMG Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EG' oder 'Daueraufenthalt – Familienangehöriger', denen dieser Aufenthaltstitel nach §45 oder §48 NAG erteilt wurde.

3.3. §7 WMG scheint zu bewirken, dass ein Anspruch auf Mindestsicherung nur Bedarfsgemeinschaften zusteht, dh. einer gemeinsam lebenden Gruppe von Personen, von denen jede bedürftig und anspruchsberechtigt ist. Wie diese Bedarfsgemeinschaften bei volljährigen Personen zu bilden sind, regelt §7 Abs2 WMG. Bei minderjährigen Personen setzt die Zuerkennung des Mindeststandards anscheinend voraus, dass sie mit zumindest einem Elternteil oder einer sonst obsorgeberechtigten Person im gemeinsamen Haushalt leben und diese Person selbst einen Anspruch auf Mindestsicherung hat, der dann auch der für das Kind gebührende Mindeststandard zuerkannt wird (§7 Abs2 Z3 iVm Abs1 letzter Satz WMG).

3.4. §5 Abs1 Z3 WMG dürfte anscheinend dazu führen – sieht man davon ab, dass der darin verwiesene §48 NAG mit der Novelle zum NAG BGBl I 68/2013 aufgehoben worden ist –, dass Drittstaatsangehörige, denen kein Aufenthaltstitel nach §45 NAG zukommt, auch dann von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ausgeschlossen sind, wenn sie für ein (der Gewährung von Mindestsicherung bedürftiges) minderjähriges Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft im Inland obsorgeberechtigt und -verpflichtet sind und ihnen aus diesem Grund ein Aufenthaltsrecht gemäß §47 Abs2 NAG als 'Familienangehöriger' zukommt.

3.4.1. Nun ist der Gesetzgeber zwar nicht gehalten, Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (bzw. der Sozialhilfe) in unbeschränkter Weise zu gewähren. Der Verfassungsgerichtshof hat auch in ständiger Judikatur zu steuerfinanzierten Transferleistungen zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber bei Verfolgung rechtspolitischer Ziele frei ist (vgl. VfSlg 8.541/1979). Der dem Gesetzgeber grundsätzlich zustehende Gestaltungsspielraum wird durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (vgl. VfSlg 19.698/2012).

3.4.2. Dem Verfassungsgerichtshof erschließen sich in diesem Zusammenhang jedoch vorerst keine sachlichen Gründe dafür, Drittstaatsangehörigen, denen in Österreich ein Aufenthaltsrecht als 'Familienangehörige' iSd §47 NAG zukommt, das Existenzminimum nach mindestsicherungsrechtlichen landesgesetzlichen Vorschriften für sich und ein minderjähriges Kind österreichischer Staatsangehörigkeit zu verweigern, obschon sie für das im gemeinsamen Haushalt lebende Kind unterhaltspflichtig sind. Für eine Person, welche die Obsorgepflicht (und damit auch die unterhaltsrechtliche Pflicht zur Bedarfsdeckung) für einen mit ihr in Wohngemeinschaft lebenden minderjährigen österreichischen Staatsangehörigen trifft und deren Aufenthaltsrecht daher bei Fehlen besonderer Versagungsgründe ein voraussichtlich dauerhaftes sein wird, vermag der Verfassungsgerichtshof vorerst keinen sachlichen Grund dafür zu erkennen, diesen Sachverhalt in Bezug auf den Anspruch auf Mindestsicherung grundlegend anders zu behandeln als im Falle des Bedarfes von Personen, denen ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' im Sinne des §45 NAG iVm §8 Abs1 Z7 NAG bereits zukommt, ist doch das Aufenthaltsrecht 'Familienangehörige' in der Regel eine Vorstufe zu diesem dauernden Aufenthaltsrecht, wie aus §8 Abs1 Z8 NAG hervorgeht. Anscheinend unterscheidet sich das Wiener Mindestsicherungsgesetz in dieser Frage auch von den Mindestsicherungsgesetzen aller anderen Bundesländer.

3.5. Selbst wenn für diese Differenzierung ein sachlicher Grund bestehen sollte, hegt der Verfassungsgerichtshof das weitere Bedenken, dass durch das Fehlen eines Anspruches auf Mindestsicherung beim obsorgepflichtigen Elternteil auch ein minderjähriges Kind, bei dem auf Grund der österreichischen Staatsbürgerschaft kein fremdenrechtlicher Grund für die Versagung von Leistungen der Mindestsicherung zur Deckung seines Bedarfes besteht, aus einem Grund von der Versorgung im Wege der Mindestsicherung ausgeschlossen wird, der ausschließlich in der Person des unterhaltspflichtigen Fremden liegt. Dieses Bedenken richtet sich gegen die Regelung des letzten Satzes des §7 Abs1 WMG, nach dem die Gewährung von Mindestsicherung für minderjährige österreichische Staatsangehörige anscheinend davon abhängt, dass die obsorgeberechtigte Person, mit der gemäß §7 Abs2 Z3 WMG eine Bedarfsgemeinschaft gebildet wird, auch selbst 'anspruchberechtigt', dh. zum Bezug von Leistungen der Mindestsicherung berechtigt ist. Nun dürfte aber in der Hilfebedürftigkeit des minderjährigen österreichischen Staatsbürgers ohne anspruchsberechtigten Elternteil kein signifikanter Unterschied zu anderen minderjährigen Hilfebedürftigen österreichischer Staatsangehörigkeit bestehen, die mit einem mindestsicherungsberechtigten Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben. Im Gegenteil: Das Fehlen der Anspruchsberechtigung des obsorgeberechtigen Elternteils des Minderjährigen trotz bestehender Notlage dürfte beim minderjährigen Kind dieser Person zum Verlust des Unterhaltes und dadurch sogar im besonderen Maße zu einer Notlage führen. Daher dürfte §7 Abs1 letzter Satz WMG in dem in Prüfung gezogenen Umfang insofern gegen das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes verstoßen, als er minderjährige österreichische Staatsangehörige aus Gründen, die nichts mit dem Bestehen der Hilfebedürftigkeit zu tun haben, vom Bezug von Leistungen der Mindestsicherung ausschließt.

3.6. Der Sitz der Verfassungswidrigkeit hinsichtlich der Bedenken ob §5 WMG dürfte §5 Abs2 Z3 WMG sein. Für den Fall des Zutreffens der Bedenken dürfte aber mit einer Aufhebung des §5 Abs2 Z3 WMG allein die Verfassungswidrigkeit der Norm nicht nur nicht beseitigt, sondern sogar noch vertieft werden. Dies dürfte aber auch dann der Fall sein, wenn auch die übrigen Ziffern des §5 Abs2 WMG mit aufgehoben würden. Die in §5 WMG getroffenen Regelungen dürften also insofern miteinander in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, sodass für den Fall des Zutreffens der Bedenken nur durch Aufhebung des gesamten §5 WMG die Verfassungswidrigkeit der Norm zu beseitigen sein dürfte. Ob dies zutrifft, wird im Gesetzesprüfungsverfahren zu klären sein. Darüber hinaus wird im Gesetzesprüfungsverfahren gegebenenfalls zu klären sein, ob es zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes ausreicht, in §5 Abs2 Z3 WMG bloß die Wortfolge ''Daueraufenthalt – EG' oder 'Daueraufenthalt – Familienangehöriger', denen dieser Aufenthaltstitel nach §45 oder §48 NAG erteilt wurde oder deren vor In-Kraft-Treten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß §81 Abs2 NAG in Verbindung mit der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung – NAG-DV) weiter gilt.' aufzuheben."

4. Die Wiener Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt:

"Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, Leistungen der Mindestsicherung (bzw. der Sozialhilfe) in unbeschränkter Weise zu gewähren, wenn dies eine Förderung rechtspolitisch unerwünschter Ziele zur Folge hätte, bei deren Verfolgung er grundsätzlich frei ist (vgl. VfSlg 5.972/1969 und 8.541/1979). Der dem Gesetzgeber zustehende Gestaltungsspielraum wird durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht. Dass andere Bundesländer abweichende Regelungen des Personenkreises der Anspruchsberechtigten vorgenommen haben und Personen mit Aufenthaltsrecht 'Familienangehörige' Rechtsansprüche auf die Zuerkennung von Leistungen nach ihren Mindestsicherungsgesetzen einräumen, macht die diesbezüglichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes nicht 'per se' gleichheitswidrig.

 

Eine sachliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche mindestsicherungsrechtliche Behandlung Drittstaatsangehöriger, denen ein Daueraufenthaltsrecht, und solchen, denen ein Aufenthaltsrecht 'Familienangehörige' zukommt, liegt vor, weil zwischen diesen Gruppen im ausreichenden Maße Unterschiede bestehen, welche eine derartige Differenzierung zu rechtfertigen vermögen:

 

Im Gegensatz zu Drittstaatsangehörigen, denen ein Daueraufenthaltsrecht zukommt, erhalten Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht 'Familienangehörige' nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht von einem Jahr, welches bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen verlängert werden kann.

 

Den Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt EU' können Drittstaatsangehörige erhalten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen zur Niederlassung berechtigt waren oder über den Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten verfügt haben. Dies gründet auf den Vorgaben der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABI. Nr L 016 vom 23. Jänner 2004 S. 44, die zur Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen mit langfristigem Aufenthalt in Österreich geführt hat.

 

Wer über den Titel "Daueraufenthalt EU" verfügt, lebt fünf Jahre legal in Österreich und hat ein regelmäßiges Einkommen nachgewiesen (und damit auch Steuern und Sozialversicherung bezahlt). Dieser Personengruppe wird im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums auf Grund der besonderen Qualität des Aufenthaltstitels im Fall einer finanziellen Notlage, gleich österreichischen Staatsbürgern, ein Rechtsanspruch auf Mindestsicherung (Sozialhilfe) eingeräumt.

 

Der Landesgesetzgeber hat zudem in §39 Abs2 WMG die Möglichkeit vorgesehen, an Personen, die nicht den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gleichgestellt sind und die sich für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten rechtmäßig in Österreich aufhalten, Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung als Förderung im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung zu vergeben, wenn dies auf Grund ihrer persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint. In der Praxis dient die Vergabe dieser zuletzt genannten Förderleistung unter anderem der Überbrückung der Hilfsbedürftigkeit minderjähriger österreichischer Staatsbürger bzw. deren nicht zum Daueraufenthalt berechtigten drittstaatsangehörigen Familienangehörigen.

 

Die Bestimmung des §7 WMG sieht vor, dass volljährige Personen Anspruch auf Mindestsicherung haben und die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemein-schaft gehörenden minderjährigen Personen durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören, erfolgt. Damit ergibt sich aus dem Wortlaut eindeutig, dass minderjährigen Personen kein gesetzlicher Anspruch zusteht, sondern deren Bedarf indirekt dadurch abgedeckt wird, dass bei der Bemessung des Anspruchs der volljährigen anspruchsberechtigten Personen der entsprechende Mindeststandard für die minderjährige Person lediglich als Berechnungsgröße zu berücksichtigen ist.

 

Die in §8 WMG, LGBl für Wien Nr 38/2010 in der Fassung LGBl für Wien Nr 6/2011, festgelegten Mindeststandards sind systemlogisch nicht als einer Person zugeordnete Ansprüche, sondern lediglich als Berechnungsgrößen zu verstehen, die im Rahmen der Bemessung zur Ermittlung der Gesamtsumme an Geldleistungen, die den volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft als Anspruch solidarisch zusteht, bei der mathematischen Berechnung heranzuziehen sind.

 

Die Wiener Landesregierung erachtet es im Rahmen des Gleichheitsgebotes als zulässig, dass der Landesgesetzgeber im Wiener Mindestsicherungsgesetz die rechtspolitische Entscheidung getroffen hat, Minderjährigen generell keine Rechtsansprüche einzuräumen und als Anspruchsvoraussetzung für erwachsene Drittstaatsangehörige den Titel 'Daueraufenthalt EU' vorzusehen, bzw. volljährige Drittstaatsangehörige, denen in Österreich ein Aufenthaltsrecht als 'Familienangehörige' im Sinne des §47 NAG zukommt, vom Bezug auszuschließen. Zugrunde liegt dieser rechtspolitischen Entscheidung das historisch gewachsene, seit jeher der Sozialhilfe innewohnende System, im Falle des Vorliegens der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen den Bedarf der bedürftigen volljährigen als Haushaltsvorstand (obsorgeberechtigter Elternteil) fungierenden Person an deren unterhaltsberechtigten Angehörigen (Kindern) zu bemessen. Die Nichteinbeziehung an sich bedürftiger minderjähriger Personen als direkt Anspruchsberechtigte — etwa im Falle des Fehlens einer anspruchsberechtigten volljährigen Person — in das System der Wiener Mindestsicherung wird angesichts der Subsidiarität der Leistungen der Sozialhilfe als gerechtfertigt erachtet. So ist gemäß §7 Abs3 WMG eine zur Bedarfsgemeinschaft gehörende minderjährige Person bei Bezug einer Unterhaltsleistung von einer nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Person, einer Lehrlingsentschädigung oder eines sonstigen Einkommens, das die Höhe des für diese Person maßgeblichen Mindeststandards übersteigt, bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen. Dies gilt gemäß §7 Abs4 WMG auch dann, wenn die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen einer minderjährigen Person nicht offenbar aussichtslos oder unzumutbar und die Höhe des Anspruchs nicht gerichtlich festgestellt oder nur frei vereinbart ist. In diesem Zusammenhang wird auf Regelungen im Rahmen des Privatrechtes, insbesondere auf die höchstgerichtliche Judikatur hinsichtlich allfälliger subsidiärer Unterhaltsverpflichtungen (vgl. hierzu insbesondere OGH vom 27. April 2016, ZI. 70b53/16v), verwiesen."

 

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die in Prüfung gezogenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

1. §3, §4 und §5 WMG lauten in der Stammfassung LGBl 38/2010 wie folgt:

"2. Abschnitt

Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung

Erfasste Bedarfsbereiche

 

§3. (1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung deckt den Mindeststandard in den Bedarfsbereichen Lebensunterhalt, Wohnen, Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung ab.

(2) Der Lebensunterhalt umfasst den Bedarf an Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Energie sowie andere persönliche Bedürfnisse, zu denen auch die soziale und kulturelle Teilhabe zählt.

(3) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen Aufwand an Miete, Abgaben und allgemeinen Betriebskosten.

(4) Der Bedarf bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung umfasst den Aufwand, der bei Bezieherinnen und Beziehern einer Ausgleichszulage aus der Pensionsversicherung durch die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der Wiener Gebietskrankenkasse abgedeckt ist.

 

Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen

 

§4. (1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer

1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§5 Abs1 und 2) gehört,

2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,

3. die in §3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,

4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.

(2) Ein Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs einschließlich Mietbeihilfe besteht ab einem errechneten Mindestbetrag von fünf Euro monatlich.

(3) Personen, die bereits eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung oder eine Schulausbildung auf Maturaniveau haben und ihre Arbeitskraft allein deshalb nicht voll einsetzen können, weil sie eine weiterführende Ausbildung absolvieren, steht ein Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht zu.

 

Personenkreis

 

§5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.

(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:

1. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) zuerkannt wurde;

2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach §51 Abs2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach §53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;

3. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EG' oder 'Daueraufenthalt – Familienangehöriger', denen dieser Aufenthaltstitel nach §45 oder §48 NAG erteilt wurde oder deren vor In-Kraft-Treten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß §81 Abs2 NAG in Verbindung mit der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung – NAG-DV) weiter gilt;

4. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EG' eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, denen eine Niederlassungsbewilligung nach §49 NAG erteilt wurde.

(3) Personen, die nach den Bestimmungen des AsylG 2005 einen Asylantrag gestellt haben, steht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens kein Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu."

 

2. §7 WMG, LGBl 38/2010 idF LGBl 6/2011, lautet wie folgt:

"Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs

 

§7. (1) Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach §4 Abs1 und 2. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.

(2) Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:

1. Volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft.

2. Volljährige Personen im gemeinsamen Haushalt, zwischen denen eine unterhaltsrechtliche Beziehung oder eine Lebensgemeinschaft besteht, bilden eine Bedarfsgemeinschaft.

3. Minderjährige Personen im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Elternteil oder mit einer zur Obsorge berechtigten Person bilden mit diesem oder dieser eine Bedarfsgemeinschaft.

4. Volljährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe und volljährige Personen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ohne Einkommen oder mit einem Einkommen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil bilden mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft.

5. Volljährige Personen ab dem vollendeten 21. Lebensjahr und volljährige auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie im gemeinsamen Haushalt mit einem Eltern- oder Großelternteil leben.

(3) Bezieht eine zur Bedarfsgemeinschaft gehörende minderjährige oder volljährige Person mit Anspruch auf Familienbeihilfe oder eine volljährige Person bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ohne Einkommen oder mit einem Einkommen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze eine Unterhaltsleistung von einer nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Person, eine Lehrlingsentschädigung oder ein sonstiges Einkommen, das die Höhe des für diese Person maßgeblichen Mindeststandards übersteigt, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.

(4) Ist die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen einer minderjährigen Person nicht offenbar aussichtslos oder unzumutbar und ist die Höhe des Anspruchs nicht gerichtlich festgestellt oder nur frei vereinbart, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.

(5) Die Geringfügigkeitsgrenze wird unter Berücksichtigung der Bezug habenden bundesgesetzlichen Bestimmungen im ASVG durch Verordnung der Landesregierung festgelegt."

 

3. §45 Abs1 NAG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 145/2017, und §47 Abs1 und 2 NAG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, lauten:

"Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU'

 

§45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§10 IntG) erfüllt haben.

[…]"

 

"2. Hauptstück

Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger'

 

§47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

[...]"

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Prüfungsbeschluss dargelegt, dass anspruchsberechtigten österreichischen Staatsbürgern nur bestimmte Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit gleichgestellt sind. Er konnte vorerst keine sachlichen Gründe dafür erkennen, dass Drittstaatsangehörigen, denen in Österreich ein Aufenthaltsrecht als "Familienangehöriger" iSd §47 NAG zukommt, das Existenzminimum nach mindestsicherungsrechtlichen Vorschriften des Landesrechts für sich und ein minderjähriges Kind österreichischer Staatsangehörigkeit verweigert wird.

2.2. Die Wiener Landesregierung bringt vor, dass Drittstaatsangehörigen mit einem Aufenthaltsrecht "Familienangehöriger" nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht von einem Jahr zukomme, das bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen verlängert werden könne. Der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" könne hingegen an Drittstaatsangehörige verliehen werden, wenn sie in den letzten fünf Jahren zur Niederlassung berechtigt waren, ein regelmäßiges Einkommen besessen und damit Steuern sowie Sozialversicherung bezahlt haben oder wenn ihnen internationaler Schutz zuerkannt wurde. Auf Grund dieser Unterschiede sei die in §5 Abs2 WMG getroffene Regelung sachlich.

Zudem sei in §39 Abs2 WMG vorgesehen, dass Personen, die österreichischen Staatsbürgern nicht gleichgestellt seien, sich aber seit mehr als drei Monaten rechtmäßig in Österreich aufhalten, Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erhalten können. In der Praxis diene dies der Überbrückung einer Hilfsbedürftigkeit minderjähriger österreichischer Staatsbürger bzw. von deren nicht zum Daueraufenthalt berechtigten drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern.

2.3. Der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" wird zunächst für die Dauer von einem Jahr erteilt (§20 Abs1 NAG) und eröffnet unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt (§17 Z2 AuslBG). §8 Abs1 NAG definiert Arten und Form der Aufenthaltstitel, gemäß §8 Abs1 Z8 NAG wird der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" für die befristete Niederlassung erteilt, wenn auch mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" zu erhalten. Der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" wird hingegen auf unbestimmte Zeit erteilt und setzt voraus, dass der Drittstaatsangehörige während der letzten fünf Jahre tatsächlich selbsterhaltungsfähig war (vgl. Pöschl, Migration und Mobilität, 19. ÖJT Band 2015 I/1, 125).

2.4. Der Verfassungsgerichtshof geht weiterhin davon aus, dass es dem Gesetzgeber freisteht – unter Einhaltung europa- und völkerrechtlicher Verpflichtungen –, Differenzierungen auf Grund der Beständigkeit des Aufenthaltsrechtes vorzunehmen (vgl. VfGH 28.6.2017, E3297/2016 Rz 23). Zwischen den Aufenthaltstiteln "Familienangehöriger" und "Daueraufenthalt – EU" bestehen erhebliche Unterschiede im Tatsächlichen. Der Gleichheitsgrundsatz steht daher einer differenzierten Ausgestaltung des Anspruchs auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung von Drittstaatsangehörigen grundsätzlich nicht entgegen.

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hegte im Prüfungsbeschluss das weitere Bedenken, dass durch das Fehlen eines Anspruches auf Mindestsicherung beim obsorgepflichtigen Elternteil auch ein minderjähriges Kind, bei dem auf Grund der österreichischen Staatsbürgerschaft kein fremdenrechtlicher Grund für die Versagung von Leistungen der Mindestsicherung zur Deckung seines Bedarfes besteht, aus einem Grund von der Versorgung im Wege der Mindestsicherung ausgeschlossen wird, der ausschließlich in der Person des unterhaltspflichtigen Fremden liegt.

Dieses Bedenken konnte nicht zerstreut werden:

3.2. Der Wiener Landesregierung zufolge sehe die Bestimmung des §7 WMG vor, dass minderjährigen Personen, die zur Bedarfsgemeinschaft gehören, kein gesetzlicher Anspruch zustehe, sondern dass ihr Bedarf indirekt bei der Berechnung des Anspruchs der volljährigen anspruchsberechtigten Person berücksichtigt werde, mit der eine Bedarfsgemeinschaft bestehe. Diese in §8 WMG festgelegten Mindeststandards seien als Berechnungsgrößen zu verstehen.

Es sei angesichts der Subsidiarität der Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zulässig, Minderjährigen keine direkten Rechtsansprüche einzuräumen. Es liege dem historisch gewachsenen System der Sozialhilfe das Konzept zugrunde, bei Vorliegen der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen den Bedarf der volljährigen, obsorgeberechtigten Person an deren unterhaltsberechtigten Angehörigen zu messen. Nach §7 Abs3 WMG sei eine zur Bedarfsgemeinschaft gehörende minderjährige Person bei Bezug einer Unterhaltsleistung von einer nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Person oder einer Lehrlingsentschädigung bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.

3.3. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet dem Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, und setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er es verbietet, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zwischen den Normadressaten zu schaffen (vgl. VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (siehe etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).

Dem Gesetzgeber steht bei der Beurteilung sozialer Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen anknüpfenden sozialen Maßnahmen ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu (vgl. VfSlg 18.885/2009 zur unterschiedlichen Anhebung von Pensionsbezügen nach Pensionshöhe bei gleichzeitiger Anhebung des Ausgleichszulagenrichtsatzes, der nicht allen Pensionsbeziehern zusteht). Der Gesetzgeber ist daher nicht gehalten, Leistungen der Mindestsicherung (bzw. der Sozialhilfe) in unbeschränkter Weise zu gewähren, wenn dies eine Förderung rechtspolitisch unerwünschter Ziele zur Folge hätte (vgl. VfSlg 5972/1969 und 8541/1979); ist allerdings in einem vom Gesetzgeber eingerichteten System der Sicherung zur Gewährung eines zu einem menschen-würdigen Leben erforderlichen Mindeststandards der Zweck, dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum zu gewähren, nicht mehr gewährleistet, dann verfehlt ein solches Sicherungssystem offensichtlich insoweit seine Aufgabenstellung (VfSlg 19.698/2012; VfGH 7.3.2018, G136/2017 ua., Rz 123 ff.).

3.4. §5 Abs1 WMG bestimmt, dass grundsätzlich allen österreichischen Staatsbürgern Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zustehen. §7 Abs1 WMG schränkt den Kreis der unmittelbar Anspruchsberechtigten auf volljährige Staatsbürger ein. Minderjährigen Staatsbürgern kommt nur ein durch eine Bedarfsgemeinschaft vermittelter Anspruch zu. Bedarfsgemeinschaften nach dem WMG werden grundsätzlich entlang unterhaltsrechtlicher Beziehungen oder sonstiger Abhängigkeitsverhältnisse gebildet: So bilden etwa Eheleute oder Personen in einer Lebensgemeinschaft eine Bedarfsgemeinschaft (vgl. §7 Abs2 Z2 WMG). Volljährige Personen, die bloß in einer Wohngemeinschaft leben, bilden hingegen keine gemeinsame Bedarfsgemeinschaft (vgl. §7 Abs2 Z1 WMG). Der Anspruch auf Mindestsicherung wird anhand der für die einzelnen Personen dieser Bedarfsgemeinschaft gemäß §8 Abs2 WMG bzw. der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Wiener Mindestsicherungsgesetz festgesetzten Mindeststandards berechnet und der Bedarfsgemeinschaft ("solidarisch": §7 Abs1 WMG) zugesprochen. Anders als volljährige Personen können Minderjährige keine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden (vgl. §7 Abs1 und 2 WMG), sie bilden immer eine Bedarfsgemeinschaft mit der obsorgeberechtigten Person, mit der sie im Haushalt leben (§7 Abs1 und Abs2 Z3 WMG). Der Bedarf der Minderjährigen wird gedeckt, indem der obsorgeberechtigten Person, mit der sie eine Bedarfsgemeinschaft bilden, auch der Mindeststandard für den Minderjährigen (§8 Abs2 Z4 WMG) zugesprochen wird. Dies setzt aber voraus, dass auch die obsorgeberechtigte Person einen Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem WMG hat (vgl. "anspruchberechtigten" in §7 Abs1 WMG). Sofern dem Obsorgeberechtigten keine Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zustehen, erhält sohin ein minderjähriger österreichischer Staatsbürger keine Leistungen im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft.

3.5. Gemäß §1 WMG hat die Bedarfsorientierte Mindestsicherung zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung zu bekämpfen; sie dient der Beseitigung einer bestehenden Notlage. Bilden ein minderjähriger österreichischer Staatsbürger und sein Obsorgeberechtigter eine Bedarfsgemeinschaft und ist der Obsorgeberechtigte nicht in der Lage, den Lebensunterhalt durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abzudecken (§4 Abs1 Z3 WMG), befinden sie sich aber in einer Notlage, unabhängig von der Frage, ob der Obsorgeberechtigte zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem WMG gehört. Indem der Wiener Landesgesetzgeber einerseits Personen mit dem Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß §47 Abs2 NAG vom Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem WMG ausschließt und andererseits vorsieht, dass minderjährige österreichische Staatsbürger nur mittelbar über ihre nach dem WMG anspruchsberechtigten Obsorgeberechtigten versorgt werden können, hat er eine unsachliche Regelung geschaffen, die insofern ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Beseitigung bestehender Notlagen, verfehlt. Die Möglichkeit, Leistungen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung zuzusprechen (vgl. §39 WMG), ist nicht geeignet, diese Unsachlichkeit auszugleichen (vgl. VfGH 7.3.2018, G136/2017 ua., Rz 127).

3.6. Der Verfassungsgerichtshof hat den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 16.929/2003, 16.989/2003, 17.057/2003, 18.227/2007, 19.166/2010, 19.698/2012).

Zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken nicht bestehen, genügt es festzustellen, dass die Wortfolgen "„Daueraufenthalt – EG“ oder „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“, denen dieser Aufenthaltstitel", "§45 oder §48" und "erteilt wurde" in §5 Abs2 Z3 WMG, LGBl für Wien 38/2010, verfassungswidrig waren. Es bleibt dem Wiener Landesgesetzgeber überlassen, auf welche Weise er sicherstellt, dass alle minderjährigen Staatsbürger in einer Notlage Bedarfsorientierte Mindestsicherung erhalten.

IV. Ergebnis

1. Die Wortfolgen "„Daueraufenthalt – EG“ oder „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“, denen dieser Aufenthaltstitel", "§45 oder §48" und "erteilt wurde" in §5 Abs2 Z3 WMG erweisen sich sohin als verfassungswidrig. Da sie gemäß §44 Abs4 WMG idF LGBl für Wien 2/2018 mit Ablauf des 31. Jänner 2018 außer Kraft getreten sind, hat sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit zu beschränken (Art140 Abs4 B‑VG).

Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der darüber hinaus in Prüfung gezogenen Wortfolgen des §5 WMG, ist auszusprechen, dass diese nicht verfassungswidrig waren. Hinsichtlich des Wortes "anspruchberechtigten" in §7 Abs1 WMG ist auszusprechen, dass es nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist.

2. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes für Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit beruht auf Art140 Abs5 zweiter Satz B‑VG und §64 Abs2 iVm §65 Z2 VfGG iVm §138a Abs1 Z7 Wiener Stadtverfassung.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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