Normen
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StGB §21 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StGB §21 Abs1
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller aus Anlass der von ihm gegen das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 30. Juni 2015, Z 24 Hv 5/14v, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung die Aufhebung des §21 Abs1 StGB als verfassungswidrig. Mit dem angeführten Urteil wurde der Antragsteller wegen im Zustand der auf einer höhergradigen geistigen oder seelischen Abartigkeit beruhenden Unzurechnungsfähigkeit begangener, mit ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedrohter Taten, die ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen der gefährlichen Drohung nach §107 Abs1 und 2 erster und zweiter Fall StGB sowie als Verbrechen bzw. Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§15, 269 Abs1 erster und zweiter Fall StGB sowie als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§15, 105 Abs1 und 106 Abs1 Z1 erster Fall StGB anzulasten wären, gemäß §21 Abs1 StGB iVm §430 Abs1 StPO in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
2. Der Antragsteller behauptet auf das Wesentliche zusammengefasst, dass durch die angefochtene Vorschrift das Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) und das Recht auf persönliche Freiheit (BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit) verletzt werde, weil die erforderliche Gefährlichkeitsprognose (sowohl bei der Einweisung als auch bei einer allfälligen Entlassung aus der Maßnahme) in der Praxis der kaum überprüfbaren bzw. überprüften (und häufig falschen) Einschätzung eines psychiatrischen Sachverständigen überlassen werde, die das Gericht idR ohne Einholung weiterer Expertisen seiner Entscheidung zugrunde lege. Es bedürfte der "Schaffung eines wirksamen Mechanismus", um gegen den Gutachter vorgehen zu können bzw. dem Betroffenen die Aufhebung der auf unbestimmte Zeit angeordneten Maßnahme zu ermöglichen.
3. §21 StGB (Abs1 und 2 idF BGBl 60/1974, Abs3 idF BGBl I 111/2010) regelt die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und dif-ferenziert zwischen – wie im Fall des Antragstellers – zurechnungsunfähigen (Abs1) und zurechnungsfähigen (Abs2) Rechtsbrechern. Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut (der zur Aufhebung begehrte Abs1 ist hervorgehoben):
"Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher
§21. (1) Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann er nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.
(2) Liegt eine solche Befürchtung vor, so ist in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher auch einzuweisen, wer, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine Tat begeht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. In einem solchen Fall ist die Unterbringung zugleich mit dem Ausspruch über die Strafe anzuordnen.
(3) Als Anlasstaten im Sinne der Abs1 und 2 kommen mit Strafe bedrohte Handlungen gegen fremdes Vermögen nicht in Betracht, es sei denn, sie wurden unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§89) begangen."
4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der primär die Ablehnung der Behandlung des Antrages, in eventu dessen Zurückweisung als unzulässig bzw. die Nichtaufhebung der angefochtene Bestimmung, begehrt wird.
5. Der Antrag erweist sich als unzulässig:
5.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Be-stimmungen auch erfasst werden.
Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Umfang der in Prüfung gezogenen Norm nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 15.6.2016, G25/2016; 13.10.2016, G640/2015; 12.12.2016, G105/2016).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
5.2. Der Antragsteller begehrt lediglich die Aufhebung des §21 Abs1 StGB. Zwar hat das Landesgericht Krems an der Donau sein für den Parteiantrag Anlass gebendes Urteil bloß auf diese Vorschrift gestützt, jedoch stehen Abs1 und 2 des §21 StGB in einem untrennbaren Zusammenhang im zuvor beschriebenen Sinn:
Im Fall der Aufhebung allein im Umfang des Abs1 würden – wie auch die Bundesregierung zutreffend einwendet – die verbleibenden Teile des §21 StGB, insbesondere dessen Abs2, unverständlich bzw. unanwendbar werden. Denn der auf einweisungsbedürftige zurechnungsfähige Straftäter bezogene §21 Abs2 StGB knüpft bezüglich der (insoweit ebenfalls erforderlichen) Gefährlichkeitsprognose zweifelsfrei an §21 Abs1 StGB an ("Liegt eine solche Befürchtung [der künftigen Begehung einer strafbaren Handlung mit schweren Folgen unter dem Einfluß der Abartigkeit] vor […]"). Würde iSd Antrages nur §21 Abs1 StGB aufgehoben, könnte nicht mehr beurteilt werden, ob im Fall des Abs2 eine Unterbringung zu erfolgen hat oder nicht. Dies hängt nämlich vom Vorliegen einer "solche[n] Befürchtung" ab. Was darunter zu verstehen ist, ergibt sich ausschließlich aus dem letzten Halbsatz des §21 Abs1 StGB, in welchem die Gefährlichkeitsprognose ausdrücklich mit der Befürchtung, dass die betreffende Person "sonst unter dem Einfluss ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde", umschrieben ist.
Da bei Eliminierung nur des §21 Abs1 StGB die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach dem im Rechtsbestand verbleibenden Abs2 leg.cit. unanwendbar wären, ist der Anfechtungsumfang jedenfalls zu eng gewählt.
6. Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
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