Formerfordernisse eines Wiederaufnahmsbescheides
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2012/15/0030 eingebracht (Amtsbeschwerde). Mit Erk. vom 29.1.2015 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Beschluss vom 23.12.2015 erledigt.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw, vertreten durch Treuhand Salzburg GmbH, 5020 Salzburg, Kleßheimer Allee 47, vom 9. Mai 2008 gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom 11. März 2008 betreffend 1. Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs 4 BAO betreffend Körperschaftsteuer für die Jahre 2004 bis 2005, 2. Körperschaftsteuer für die Jahre 2004 bis 2005 und 3. Anspruchszinsen für die Jahre 2004 bis 2005
entschieden:
1. Der Berufung wird - soweit sie die Wiederaufnahme der Verfahren betrifft - stattgegeben.
Die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren werden aufgehoben;
beschlossen:
2. Die Berufung wird - soweit sie die Festsetzung von Körperschaftsteuer betrifft - zurückgewiesen.
3. Die Berufung wird - soweit sie die Festsetzung von Anspruchszinsen betrifft - zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die berufungswerbende Gesellschaft (in Folge: Berufungswerberin) baut und betreibt Seilbahnen.
Am 4. Oktober 2005 reichte die Berufungswerberin ua die Körperschaftsteuererklärung für ihr Wirtschaftsjahr 2003/2004 (Bilanzstichtag: 30. November 2004; in Folge: 2004) ein. Am selben Tage langte beim Finanzamt ein Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses (in Folge: Jahresabschluss-Prüfungsbericht) 2004 ein. Diesem aktenkundigen Jahresabschluss-Prüfungsbericht sind neben allgemeinen Auftragsbedingungen noch weitere sechs Anlagen mit insgesamt über 70 Seiten angeschlossen, welche eine Aufgliederung und Erläuterung einzelner Posten des Jahresabschlusses 2004 (Anlage 1), die Bilanz zum 30. November 2004 (Anlage 2), die Gewinn- und Verlustrechnung für den Zeitraum 1. Dezember 2003 bis 30. November 2004 (Anlage 3), die Steuerermittlungsrechnung (Anlage 4), der Anhang für 2004 (Anlage 5) und der Lagebericht für 2004 (Anlage 6) enthalten.
Mit Bescheid vom 6. Oktober 2005 wurde die Körperschaftsteuer 2004 unter Zugrundelegung der erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgesetzt.
Am 2. Oktober 2006 reichte die Berufungswerberin ua die Körperschaftsteuererklärung für ihr Wirtschaftsjahr 2004/2005 (Bilanzstichtag: 30. November 2005; in Folge: 2005) ein. Am 3. Oktober langte beim Finanzamt der - dem oben näher dargestellten Konvolut für das Jahr 2004 entsprechenden - Jahresabschluss-Prüfungsbericht 2005 ein.
Mit Bescheid vom 3. Oktober 2006 wurde die Körperschaftsteuer 2005 unter Zugrundelegung der erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgesetzt.
Am 2. November 2006 reichte die Berufungswerberin eine berichtigte Körperschaftsteuererklärung für 2005 ein.
Mit Bescheid vom 10. November 2006 (Berufungsvorentscheidung) wurde die Körperschaftsteuer 2005 unter Zugrundelegung der berichtigt erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgesetzt.
Im Zuge einer die Umsatzsteuer, die Körperschaftsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer, die Kammerumlage und die Kapitalertragsteuer des Zeitraums 2003 bis 2005 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung wurden ua Feststellungen betreffend "Mehr-Weniger-Rechnung 03-05" und "Teilwert Abschreibung X-Lift" getroffen. Die Schlussbesprechung zu dieser Prüfung fand am 13. Februar 2008 statt.
In Folge dieser abgabenbehördlichen Prüfung wurden mit jeweiligen Bescheiden vom 11. März 2008 die Verfahren betreffend Körperschaftsteuer für das Jahr 2004 und das Jahr 2005 wiederaufgenommen und mit Bescheiden vom selben Tag neue Festsetzungsbescheide betreffend Körperschaftsteuer des Jahres 2004 und des Jahres 2005 erlassen.
Ebenso am 11. März 2008 wurden in Anspruchszinsenbescheiden für die Jahre 2004 und 2005 die jeweiligen, sich aus den Differenzen der Bemessungsgrundlagen der ursprünglichen gegenüber den nach Wiederaufnahme neuen Körperschaftsteuerbescheiden ergebenden, Nachforderungszinsen festgesetzt.
Im Spruch der beiden Wiederaufnahmebescheide wurde ausgeführt, dass das Verfahren hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2004 bzw 2005 gemäß § 303 Abs 4 BAO wiederaufgenommen worden sei.
Die wortidenten Begründungen der angefochtenen Wiederaufnahmebescheide lauten:
"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 (4) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen Bescheid zu ersehen."
Die neuen ebenso angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide vom 11. März 2008 betreffend die Jahre 2004 und 2005 enthalten keinerlei Begründung.
Im oben erwähnten Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung (in Folge: BP-Bericht) finden sich auf Seite 9 unter dem Titel "Prüfungsabschluss" folgende Ausführungen:
"Wiederaufnahme des Verfahrens gem. §303 Abs. 4 BAO
Hinsichtlich nachstehend angeführter Abgabenarten und Zeiträume wurden Feststellungen getroffen die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen:
Abgabenart | Zeitraum | Feststellung |
Körperschaftsteuer | 2003-2005 | Tz. 1, 2 |
Die Wiederaufnahme erfolgt unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."
Die angesprochenen Textziffern wurden mit "Tz.1 Mehr-Weniger-Rechnung 03-05" bzw "Tz.2 Teilwert Abschreibung X-Lift" betitelt.
In der Textziffer 1 finden sich unter der Überschrift: "RST Demontage u Wiederaufforstung steuerliche Mehr-Weniger-Rechnung:" zunächst zwei Zahlenkolonnen, welche mit "RST-Demontage:" bzw "RST-Wiederaufforstung:" betitelt werden. Unter dem Kapitel "RST-Wiederaufforstung" wird ausgeführt:
"Laut Vor-BP AB [xxx] wurde im WJ 00/01 die Wiederaufforstungs-RSt steuerrechtlich auf 80% reduziert. Auflösung [€ xxx] Aufteilung auf 5 Jahre letztes 1/5 2005! ([xxx] pro Jahr!)."
Nach den Zahlenkolonnen findet sich unter dem Vermerk: "Die Änderung 2003 wird 2004 berücksichtigt!" ein Änderungsbetrag für 2004 und einer für 2005.
In der Textziffer 2 findet sich der Einleitungssatz:
"Auf den Buchwert der Doppelsesselbahn X, Herstellung 2001 wurde 2004 eine Teilwertabschreibung vorgenommen."
Sodann wird die Begründung der Berufungswerberin zur Vornahme jener Teilwertabschreibung angeführt. Nach einer Würdigung derselben kommt die Großbetriebsprüfung zur Ansicht, dass keine ausreichende Begründung für eine Teilwertabschreibung vorliege und auch nicht von einer dauernden Wertminderung ausgegangen werden könne.
Abschließend werden wiederum Zahlenkolonnen angeführt, die den Änderungsbetrag für das Jahr 2004 und 2005 darstellen.
Die Berufungswerberin erhob gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren, betreffend die neuen Körperschaftsteuerfestsetzungen und betreffend die Festsetzungen von Anspruchszinsen für die Streitjahre 2004 und 2005 Berufung und brachte im Zuge eines die Berufungsbegründung gegen die Wiederaufnahmebescheide ergänzenden Schriftsatzes insbesondere vor, dass im Zusammenhang mit den Wiederaufnahmen der Verfahren, die von der Rechtsprechung geforderte Darstellung des Wiederaufnahmegrundes fehle.
Über die Berufung wurde erwogen:
Die Abgabenbehörde zweiter Instanz stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:
Im Spruch der Wiederaufnahmebescheide findet sich lediglich ein Hinweis auf § 303 Abs 4 BAO, jedoch wird nicht der konkret maßgebliche Wiederaufnahmetatbestand angeführt.
In der Begründung der Wiederaufnahmebescheide wird sodann auf den BP-Bericht verwiesen. Die neuen Körperschaftsteuerfestsetzungen für die Jahre 2004 und 2005 enthalten keine Begründung.
Die konkreten oben dargestellten Textziffern im Bericht über die gegenständliche Außenprüfung, auf welche die letzte Seite des BP-Berichtes zur Begründung der vorgenommenen Wiederaufnahmen der Verfahren verweist, enthalten zwar Ausführungen über die rechtliche Beurteilung der im Jahr 2004 vorgenommenen Teilwertabschreibung (Tz. 2), jedoch lassen sie die von der Rechtsprechung geforderte qualifizierte Darstellung des Wiederaufnahmegrundes vermissen.
Da sich das Verweisziel der Begründung der Wiederaufnahmebescheide durch die im BP-Bericht selbst unter dem Titel "Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO" genannten Textziffern klar aus den Akten ergibt, konnte die vorgenommene freie Beweiswürdigung ohne Zweifel zu diesen Sachverhaltsfeststellungen führen.
Nach Feststellung des obigen Sachverhalts hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz über die vorliegende Berufung rechtlich erwogen:
Gemäß § 303 Abs 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens vom Amts wegen unter den Voraussetzungen des § 303 Abs 1 lit. a und c BAO und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Nach der Rechtsprechung und Lehre gehört bereits in den Spruch des Wiederaufnahmebescheides der maßgebliche Wiederaufnahmetatbestand (siehe die bei Ritz, BAO4, § 307 Tz 2 angeführte Judikatur sowie Stoll, BAO-Kommentar, 2957 und Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 307 Anm 2).
Ungeachtet dessen ist die Begründung eines Bescheides jedenfalls als Auslegungsbehelf mitheranzuziehen, wenn und soweit der Spruch eines Bescheides Zweifel an seinem Inhalt aufkommen lässt (vgl zB VwGH 12.6.1991, 90/13/0027). Gerade für diesen Zweck kommt aber der Begründung eines Wiederaufnahmebescheides in derartigen Fällen besondere Bedeutung zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung und Lehre sind die Wiederaufnahmegründe in der Begründung eines Wiederaufnahmebescheides anzuführen (siehe die bei Ritz, BAO4, § 307 Tz 3 angeführte Judikatur). Dies deswegen, da die Abgabenbehörde zweiter Instanz im Rahmen der Erledigung einer gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Berufung lediglich zu beurteilen hat, ob die von der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen, nicht jedoch, ob eine Wiederaufnahme auch aus anderen Gründen zulässig gewesen wäre (zB VwGH 17.4.2008, 2007/15/0062).
Da im vorliegenden Fall von der Abgabenbehörde erster Instanz weder im Spruch noch in der Begründung der Wiederaufnahmebescheide jener Wiederaufnahmetatbestand von den in § 303 Abs 4 BAO enthaltenen drei Tatbeständen ausdrücklich bezeichnet wurde, den die Abgabenbehörde erster Instanz als für sie maßgeblich befunden hat, lässt sich bereits in diesem Zusammenhang das von der Abgabenbehörde erster Instanz tatsächlich Gewollte nur erschließen.
Wenngleich sich - wie bereits oben ausgeführt - für keinen der drei möglichen Tatbestände konkrete Wiederaufnahmsgründe in den gegenständlichen Ausführungen des BP-Berichtes finden, so erscheint doch der Abgabenbehörde zweiter Instanz eine Maßgeblichkeit von § 303 Abs 1 lit a oder lit c BAO ferner zu liegen, als der - für eine amtswegige Wiederaufnahme direkt in § 303 Abs 4 BAO formulierte - Neuerungstatbestand.
Unter diesem Blickwinkel ist es jedoch Aufgabe der gemäß § 305 Abs 1 BAO für die Entscheidung über eine Wiederaufnahme zuständigen Abgabenbehörde erster Instanz, die von ihr verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen und Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind. Soll eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens iSd § 303 Abs 4 BAO auf Grund einer abgabenbehördlichen Prüfung zulässig sein, dann muss aktenmäßig erkennbar sein, dass dem Finanzamt nachträglich Tatumstände zugänglich gemacht wurden, von denen es nicht schon zuvor Kenntnis gehabt hat (vgl VwGH 16.11.2006, 2006/14/0014 mwN). Nicht die Außenprüfung selbst, sondern allein die anlässlich der Außenprüfung festgestellten Wiederaufnahmsgründe berechtigten zur Beseitigung der Rechtskraft und in der Folge zur Berichtigung der Bescheide aufgrund des erweiterten Wissensstandes (vgl Stoll, BAO-Kommentar, 2937).
Eine Wiederaufnahme rechtfertigende Tatsachen sind nämlich ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände; also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung im abgeschlossenen Verfahren zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten (Ritz, BAO4, § 303 Tz 7 und die dortigen Judikaturnachweise; vgl auch Stoll, BAO-Kommentar, 2920).
Im Gegensatz dazu sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage gewonnen werden - keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Verfahrenspartei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl für viele VwGH 27.1.2011, 2007/15/0262 und VwGH 31.3.2011, 2008/15/0215).
Aus den Akten ergibt sich, dass der Abgabenbehörde erster Instanz bereits mit Übermittlung des Jahresabschluss-Prüfungsberichtes 2004 am 4. Oktober 2005 die im Jahr 2004 vorgenommene Teilwertabschreibung des X-Lift bekannt war. So wurde ua auf den Seiten 3, 5 und 7 der Anlage 1 (Aufgliederung und Erläuterung einzelner Posten des Jahresabschlusses 2004) bereits ausdrücklich auf "Außerplanmäßige Abschreibungen X-Bahn" samt den dazugehörigen Beträgen hingewiesen. Auch die Wiederaufforstungsrückstellung wird auf den Seiten 19 und 20 der erwähnten Anlage sowie auf der Seite 2 der Anlage 4 (Steuerermittlungsrechnung) ausdrücklich erläutert. Zudem finden sich auf der Seite 2 der Anlage 5 (Anhang für das Geschäftsjahr 2004) Ausführungen zur außerplanmäßigen Abschreibung und Wiederaufforstungsrückstellung.
Die Beurteilung selbst, ob eine Teilwertabschreibung zu Recht oder zu Unrecht vorgenommen wurde, ist hingegen eine Rechtsfrage, die solcherart nicht einer Wiederaufnahme des Verfahrens in Folge einer später gewonnenen abweichenden Beurteilung zugänglich ist.
Vor diesem Hintergrund wäre die oben bereits erwähnte Darstellung, welche Tatsachen und Beweismittel auf welche Weise neu hervorkamen von grundlegender Bedeutung für die nachfolgende Überprüfung eben jener, von der Abgabenbehörde erster Instanz herangezogenen, Wiederaufnahmsgründe gewesen.
Zudem stellen nach der ständigen Rechtsprechung und herrschenden Lehre nur solche Tatsachen Wiederaufnahmsgründe dar, die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existent waren, jedoch - weil unbekannt - im Verfahren unberücksichtigt blieben und später (neu) hervorkommen (nova reperta). Demgegenüber kommen solche Tatsachen, die erst nach Bescheiderlassung entstanden sind (nova producta) von vornherein nicht als Begründung einer Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht, da diese auch nicht in dem mit Bescheid abgeschlossenen Verfahren berücksichtigt hätten werden können (vgl zB VwGH 23.9.1997, 93/14/0065; VwGH 20.11.1997, 96/15/0221; VwGH 31.1.2002, 96/15/0222; VwGH 22.11.2006, 2006/15/0173 und VwGH 28.10.2009, 2008/15/0209; Ritz, BAO4, § 303 Tz 13; vgl auch Stoll, BAO-Kommentar, 2920 und 2924 f)
Aus diesem Grunde kommt auch einer von der Abgabenbehörde erster Instanz vorzunehmenden Darstellung einer chronologischen Reihenfolge samt Angabe des Zeitpunkts der Entstehung und des Neuhervorkommens der im jeweiligen Fall als maßgeblich erachteten Tatsachen für die von der Abgabenbehörde zweiter Instanz wahrzunehmende Rechtsmäßigkeitskontrolle der verfügten Wiederaufnahme eine entscheidende Bedeutung zu.
Indem die Abgabenbehörde erster Instanz die oben beschriebene, für die Überprüfung der von ihr verfügten Wiederaufnahme unbedingt notwendige qualifizierte Darstellung eines die Wiederaufnahme rechtfertigenden Grundes unterließ, belastete sie die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit und war daher der gegenständlichen Berufung insoweit stattzugeben.
Gemäß § 307 Abs 3 BAO tritt durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.
Das bedeutet, dass durch die Aufhebung der hier angefochtenen Wiederaufnahmebescheide, die Festsetzungen von Körperschaftsteuer für das Jahr 2004 vom 6. Oktober 2005 bzw für das Jahr 2005 vom 10. November 2006 wieder aufleben, während jene - hier ebenfalls angefochtenen - Festsetzungsbescheide betreffend Körperschaftsteuer für die Jahre 2004 und 2005 vom 11. März 2008 wegen des unlösbaren rechtlichen Zusammenhanges mit den aufgehobenen Wiederaufnahmebescheiden mit diesen aus dem Rechtsbestand ausscheiden (vgl VwGH 11.12.2003, 2003/14/0032; Ritz, BAO4, § 307 Tz 8; Stoll, BAO-Kommentar, 2965 und 2968 f). Selbiges gilt auch für die angefochtenen Anspruchszinsenbescheide betreffend die Jahre 2004 und 2005, da diese sich formell akzessorisch aus den - wegen den vorstehenden Gründen aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen - neuen Festsetzungsbescheiden vom 11. März 2008 ableiten (VwGH 27.8.2008, 2006/15/0150) und daher deren rechtliches Schicksal teilen.
Damit richtet sich die Berufung diesbezüglich gegen (rechtlich) nicht (mehr) existente Bescheide und war daher insoweit gemäß § 273 Abs1 lit a BAO iVm § 307 Abs 3 BAO als (nachträglich) unzulässig geworden zurückzuweisen (vgl Ritz, BAO4, § 273 Tz 12).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden
Salzburg, am 23. Dezember 2011
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Wiederaufnahmetatbestand, Wiederaufnahmegründe, Wiederaufnahmebescheid |
Verweise: | VwGH 12.06.1991, 90/13/0027 |