Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte AG baut und betreibt Seilbahnen.
Im Zuge einer u.a. die Körperschaftsteuer des Zeitraums 2003 bis 2005 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung wurden unter Tz. 1 "Mehr-Weniger-Rechnung 03-05" und Tz. 2 "Teilwert Abschreibung (E-Lift)" Feststellungen getroffen.
Das Finanzamt nahm in Folge dieser Prüfung die Verfahren betreffend Körperschaftsteuer 2004 und 2005 wieder auf, erließ geänderte Körperschaftsteuerbescheide dieser Jahre und setzte Nachforderungszinsen fest.
Im Spruch der beiden Wiederaufnahmebescheide wird ausgeführt, dass das Verfahren hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2004 und 2005 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wiederaufgenommen worden sei. Die Begründung beider Bescheide lautet:
"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303
(4) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen Bescheid zu ersehen."
Im verwiesenen Prüfungsbericht heißt es zur Frage der Wiederaufnahme:
"Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO Hinsichtlich nachstehend angeführter Abgabenarten und Zeiträume wurden Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen:
Abgabenart | Zeitraum | Feststellung |
Körperschaftsteuer | 2003 - 2005 | Tz. 1, 2 |
Die Wiederaufnahme erfolgt unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."
Die mitbeteiligte AG erhob Berufung sowohl gegen die Wiederaufnahme- als auch gegen die Körperschaftsteuer- und Anspruchszinsenbescheide 2004 und 2005, wobei sie sich inhaltlich zunächst ausschließlich gegen die Nichtanerkennung der Teilwertabschreibung der Liftanlage (Tz. 2 des Prüfungsberichts) wandte. Die Teilwertabschreibung sei erforderlich geworden, weil der Sessellift - verglichen mit den übrigen Liften im Schigebiet - mangels ausreichender Frequenz der Liftanlage entgegen den Prognosen zur Ertragsentwicklung nicht rentabel sei. Es liege eine Fehlinvestition vor.
Nach einem von der belangten Behörde angefertigten Aktenvermerk wurde der Vertreter der mitbeteiligten Partei in einem Telefongespräch darauf hingewiesen, dass in der Berufungssache zwar auch die Wiederaufnahmebescheide angefochten worden seien, sich im Berufungsschriftsatz hierfür aber keine (eigenständige) Begründung finde. Es sei vereinbart worden, dass eine entsprechende Begründung nachgereicht oder die Berufung zurückgenommen werde.
Innerhalb der von der belangten Behörde zur Berufungsergänzung gesetzten Frist reichte die Mitbeteiligte einen ergänzenden Schriftsatz zur Berufung ein, in dem sie die mangelhafte Begründung der Wiederaufnahmebescheide rügte. Insbesondere sei in den Ausführungen zu den Feststellungen der Betriebsprüfung nicht konkret darauf eingegangen worden, welche Umstände der Abgabenbehörde im wiederaufgenommenen Verfahren bereits bekannt waren und welche erst im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung bekannt geworden seien. Dazu vertrat die Mitbeteiligte die Rechtsansicht, dass den Wiederaufnahmebescheiden damit ein inhaltlicher Mangel anhafte, der im Berufungsverfahren nicht sanierbar sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid schloss sich die belangte Behörde dieser Rechtsansicht der Mitbeteiligten an, indem sie der Berufung hinsichtlich der Wiederaufnahme der Körperschaftsteuerverfahren 2004 und 2005 durch Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide stattgab.
Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich im Spruch der Wiederaufnahmebescheide lediglich ein Hinweis auf § 303 Abs. 4 BAO finde, der konkret maßgebliche Wiederaufnahmetatbestand aber nicht angeführt werde. Die beiden Textziffern im Prüfungsbericht, auf welche zur Begründung der Wiederaufnahmebescheide verwiesen werde, enthielten zwar Ausführungen über die rechtliche Beurteilung der im Jahr 2004 vorgenommenen Teilwertabschreibung, jedoch ließen sie die von der Rechtsprechung geforderte qualifizierte Darstellung des Wiederaufnahmegrundes vermissen. Da das Finanzamt weder im Spruch noch in der Begründung der Wiederaufnahmebescheide einen von den in § 303 Abs. 4 BAO enthaltenen drei Tatbeständen ausdrücklich bezeichne, lasse sich bereits in diesem Zusammenhang das von der Abgabenbehörde erster Instanz tatsächlich Gewollte nur erschließen. Eine Wiederaufnahme auf Grund der Tatbestände des § 303 Abs. 1 lit. a oder lit. c BAO liege im Beschwerdefall aber ferner, als der - für eine amtswegige Wiederaufnahme direkt in § 303 Abs. 4 BAO formulierte - Neuerungstatbestand. Unter diesem Blickwinkel wäre es aber Aufgabe der Abgabenbehörde erster Instanz gewesen, die von ihr verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen und Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen seien.
Aus den Akten ergebe sich, dass der Abgabenbehörde erster Instanz bereits mit Übermittlung des Jahresabschlusses 2004 die im Jahr 2004 vorgenommene Teilwertabschreibung des E-Liftes bekannt gewesen sei. Auch die Wiederaufforstungsrückstellung werde in der Steuerermittlungsrechnung ausdrücklich erwähnt. Zudem fänden sich im Anhang für das Geschäftsjahr 2004 Ausführungen zur außerplanmäßigen Abschreibung und zur Wiederaufforstungsrückstellung.
Die Beurteilung selbst, ob eine Teilwertabschreibung zu Recht oder zu Unrecht erfolgt sei, sei eine Rechtsfrage, die solcherart nicht einer Wiederaufnahme des Verfahrens in Folge einer später gewonnenen abweichenden Beurteilung zugänglich sei.
Vor diesem Hintergrund wäre die Darstellung, welche Tatsachen und Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen seien, von grundlegender Bedeutung für die nachfolgende Überprüfung eben jener, von der Abgabenbehörde erster Instanz herangezogenen Wiederaufnahmegründe gewesen. Indem das Finanzamt die für die Überprüfung der von ihr verfügten Wiederaufnahme unbedingt notwendige qualifizierte Darstellung eines die Wiederaufnahme rechtfertigenden Grundes unterließ, habe sie die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und sei der gegenständlichen Berufung daher insoweit stattzugeben. Durch die Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide schieden die unlösbar mit ihnen verbundenen neuen Körperschaftsteuer- und Anspruchszinsenbescheide aus dem Rechtsbestand, sodass die Berufungen gegen die rechtlich nicht mehr existenten Bescheide gemäß § 273 Abs. 1 lit. a BAO iVm § 307 Abs. 3 BAO als nachträglich unzulässig geworden zurückzuweisen seien.
Dagegen wendet sich die vom Finanzamt wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift der belangten Behörde erwogen hat:
Eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist gemäß § 303 Abs. 4 BAO in der Fassung vor dem FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 Abs. 1 BAO in der angeführten Fassung der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die gemäß § 305 Abs. 1 leg. cit. zuständige Behörde.
Gemäß § 289 Abs. 2 BAO in der angeführten Fassung hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Bei einer Berufung gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die Sache, über welche die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß § 289 Abs. 2 BAO in der angeführten Fassung zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl. mit weiteren Hinweisen das hg. Erkenntnis vom 22. November 2006, 2003/15/0141).
Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss die Berufungsbehörde den vor ihr bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben.
Das Finanzamt hat die Wiederaufnahmebescheide mit einem Verweis auf den Prüfungsbericht begründet. Dass ein derartiger Verweis zulässig ist, entspricht ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 2012, 2012/15/0172).
Im Prüfungsbericht wurde zur Begründung der Wiederaufnahme auf die unter den Textziffern 1 und 2 getroffenen Feststellungen verwiesen. Entscheidend ist im Beschwerdefall somit, ob unter den genannten Textziffern Umstände dargetan werden, die als Wiederaufnahmegrund geeignet sind.
Der belangten Behörde ist - entgegen dem Beschwerdevorbringen - einzuräumen, dass sich der rechnerischen Darstellung in Tz. 1 "RST Demontage u. Wiederaufforstung steuerliche Mehr-Weniger-Rechnung" ein Wiederaufnahmegrund iSd § 303 Abs. 4 BAO in der angeführten Fassung nicht entnehmen lässt.
Anders verhält es sich hingegen mit den Ausführungen unter Tz. 2 des Prüfungsberichtes.
Darin führt der Prüfer zunächst aus, mit welchen tatsächlichen Umständen die mitbeteiligte AG die von ihr vorgenommene Teilwertabschreibung begründet habe. Die Mitbeteiligte habe vorgebracht, dass der Lift im Vergleich mit anderen Liften im Schigebiet keine ausreichende Frequenz aufweise, nicht rentabel sei und eine Fehlinvestition darstelle. Anschließend setzt sich der Prüfer mit den geltend gemachten Gründen für die Teilwertabschreibung auseinander und kommt in der Folge mit näherer Begründung zur Beurteilung, dass die bloße Einzelbetrachtung der Frequenz der Bedeutung des E-Liftes für das Schigebiet (insbesondere als Angebot an Schifahrer, die den Sport rennmäßig ausüben) nicht gerecht werde und eine Fehlinvestition nicht vorliege.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass in Tz. 2 des Prüfungsberichtes mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (Frequenz des Liftes, Funktionszusammenhang) angesprochen werden, die Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO in der eingangs angeführten Fassung darstellen.
Dass dem Finanzamt die von der Mitbeteiligten herangezogenen Gründe für die Teilwertabschreibung bereits bei Erlassung des wiederaufzunehmenden Bescheides bekannt gewesen wären und es schon seinerzeit diesbezügliche Erhebungen vor Ort gegeben hätte, ist der Aktenlage nicht zu entnehmen und wurde auch im Verwaltungsverfahren nicht eingewandt. Der angefochtene Bescheid verweist in diesem Zusammenhang lediglich auf Passagen im Jahresabschluss, die die Höhe der vorgenommenen Teilwertabschreibung wiedergeben, sowie auf eine Beilage zum Jahresabschluss, welche folgende Aussage enthält:
"Außerplanmäßige Abschreibungen (Abschreibungen auf Finanzanlagen) werden vorgenommen, wenn Wertminderungen eingetreten sind, die voraussichtlich von Dauer sind."
Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass derartige "Offenlegungen" nicht geeignet waren, das Finanzamt in die Lage zu versetzen, schon im wiederaufzunehmenden Verfahren das Vorliegen der Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung rechtlich zu beurteilen und bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung zu kommen. In der gegebenen Konstellation kann keine Rede davon sein, dass das Finanzamt im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung lediglich die Rechtsfrage, ob eine Teilwertabschreibung zu Recht oder Unrecht vorgenommen worden sei, abweichend zu seiner früheren Ansicht beurteilt habe und eine Wiederaufnahme aus diesem Grund im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 29. Juli 2010, 2006/15/0006) unzulässig gewesen wäre.
Soweit die belangte Behörde der Beschwerde des Finanzamtes das Neuerungsverbot entgegenhält (der belangten Behörde sei neu, was für das Finanzamt im Prüfungsverfahren neu hervorgekommen sei) ist ihr gleichfalls nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass es im Beschwerdefall schon an jeglichem Anhaltspunkt dafür fehlt, dass dem Finanzamt im Zeitpunkt der Erlassung der wiederaufgenommenen Bescheide, überhaupt jene Umstände bekannt waren, auf die die Mitbeteiligte die Teilwertabschreibung gestützt hat, ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Aufgabe der belangten Behörde, im Zweifelsfall Feststellungen zum Wissensstand der abgabenfestsetzenden Stelle im Zeitpunkt der Erlassung der wiederaufzunehmenden Bescheide zu treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 2008, 2007/15/0062).
Da die belangte Behörde nach dem Gesagten zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass den Begründungsverweisen des Finanzamtes kein Tatsachenkomplex zu entnehmen war, der sich für eine Sachentscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz eignen würde, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 29. Jänner 2015
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