VwGH Ro 2021/01/0014

VwGHRo 2021/01/001429.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der revisionswerbenden Partei F Sp. z o. o. in L (Polen), vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. Dezember 2020, Zl. VGW‑101/020/10204/2020‑3, betreffend RAPEX‑Meldung nach einer Marktüberwachung nach dem Pyrotechnikgesetz 2010 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §17
AVG §56
AVG §8
B-VG Art130 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs1
B-VG Art144 Abs1
EURallg
MRK Art6
ProduktsicherheitsG 2004 §10 Abs1
ProduktsicherheitsG 2004 §2 Abs2
ProduktsicherheitsG 2004 §2 Abs3
ProduktsicherheitsG 2004 §3 Z1
PyrotechnikG 2010 §27a
PyrotechnikG 2010 §4 Z12
PyrotechnikG 2010 §4 Z27
VwGG §39 Abs2 Z6
VwRallg
12010M004 EUV Art4 Abs3
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
32001L0095 Produktsicherheit-RL AnhII
32001L0095 Produktsicherheit-RL Art12
32008R0765 MarktüberwachungsV Art20
32008R0765 MarktüberwachungsV Art22
32013L0029 Pyrotechnik-RL Art3 Z10
32013L0029 Pyrotechnik-RL Art3 Z12
32019D0417 Produktsicherheit Anh
62015CJ0685 Online Games VORAB
62019CJ0911 FBF VORAB
62021CJ0626 Funke VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2021010014.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Vorgeschichte

1 Bei einer Marktüberwachung nach § 27 Abs. 1 Pyrotechnikgesetz 2010 (PyroTG 2010) durch die Landespolizeidirektion Wien (belangte Behörde; im Folgenden: LPD) bei einem Händler von pyrotechnischen Gegenständen wurde festgestellt, dass verschiedene bei diesem Händler vorrätige pyrotechnische Gegenstände für den Anwender nicht handhabungssicher waren. Mit Bescheid wurde ein Verkaufsverbot der Schallerzeuger für den betroffenen Händler ausgesprochen und gemäß § 27a Abs. 1 Z 3 PyroTG 2010 der Rückruf dieser Gegenstände angeordnet.

2 In der Folge wurde von der LPD als Marktüberwachungsbehörde nach dem PyroTG 2010 betreffend die beanstandeten pyrotechnischen Gegenstände ein RAPEX‑Meldeverfahren eingeleitet (nach der schriftlichen Erklärung der Republik Österreich im Verfahren vor dem EuGH, GZ 2021‑0.882.387, S 1, „erstattete die LPD Wien über den nationalen Kontaktpunkt für die Marktüberwachungsbehörden [Bundesministerium für Inneres] und die nationale Kontaktstelle [Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz] RAPEX‑Meldungen ... an die Europäische Kommission“).

3 Der Revisionswerber ist Importeur der von den RAPEX‑Meldungen betroffenen pyrotechnischen Gegenstände (Meldungsnummern A12/00297/20, A12/00290/20 und A12/00289/20).

4 Mit Schreiben vom 30. April 2020 stellte der Revisionswerber im Zusammenhang mit den von der LPD durchgeführten Marktüberwachungsmaßnahmen bei der LPD Anträge auf Vervollständigung der RAPEX‑Meldungen und auf Akteneinsicht gemäß § 17 AVG. Dabei beantragte der Revisionswerber die Vervollständigung der genannten RAPEX‑Meldungen durch die Ergänzung der Chargennummern („badge number“) der beanstandeten pyrotechnischen Gegenstände sowie Einsicht in die Akten des RAPEX‑Meldeverfahrens, insbesondere in die Risikoeinstufung der von den RAPEX‑Meldungen A12/00289/20, A12/00290/20 und A12/00297/20 erfassten Produkte.

Bescheid der LPD

5 Mit Bescheid vom 29. Juni 2020 wies die LPD den Antrag auf Akteneinsicht gemäß § 17 iVm § 8 AVG als unzulässig zurück. Der Antrag auf Vervollständigung der jeweiligen Chargennummern wurde als unbegründet abgewiesen.

6 Begründend führte die LPD im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber komme betreffend das Verfahren nach PyroTG 2010 gegen einen Kunden keine Parteistellung zu, da ein bloß wirtschaftliches Interesse nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Parteistellung gemäß § 8 AVG vermittle. Soweit der Antrag auf Akteneinsicht das RAPEX‑Verfahren und die RAPEX‑Leitlinien betreffe, handle es sich „bei der Verfassung von“ RAPEX‑Meldungen um keine hoheitliche Handlungsform, sodass sich auch daraus keine Parteistellung des Revisionswerbers ergebe. Die Abweisung des Antrags auf Vervollständigung der Meldung begründete die LPD im Wesentlichen damit, auf den von der LPD beanstandeten pyrotechnischen Gegenständen sei die Produkt-, Chargen- oder Seriennummer des Artikels nicht angeführt gewesen. Daher sei es der LPD nicht möglich gewesen, die RAPEX‑Meldungen näher zu spezifizieren, „da es in Ihrem Verschulden lag, den pyrotechnischen Gegenstand ordnungsgemäß zu kennzeichnen“.

Angefochtenes Erkenntnis

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien (Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der LPD vom 29. Juni 2020 gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass auch der Antrag auf Vervollständigung der RAPEX‑Meldungen zurückgewiesen wurde (I.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für zulässig erklärt (II.).

8 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht nach Feststellung des oben angeführten Sachverhalts und Darstellung des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, zentrale Frage des gegenständlichen Verfahrens seien „auf österreichisches Verwaltungsverfahrensrecht“ gestützte Anträge betreffend behördliches Handeln im Rahmen eines eingeleiteten RAPEX‑Meldeverfahrens. Das RAPEX‑Meldeverfahren beginne mit Kenntniserlangung der Marktüberwachungsbehörde eines RAPEX relevanten Sachverhalts. Die nach dem in diesem System zu erstattende „Schnellwarnmeldung“ komme nur dann in Betracht, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege. Die LPD habe als Marktüberwachungsbehörde nach dem PyroTG 2010 hoheitlich gehandelt und auch die im Weiteren erfolgte Initiierung des RAPEX‑Meldeverfahrens sei nicht im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erfolgt. Jedoch handle es sich um ein Verwaltungshandeln abseits eines Verwaltungsaktes (Bescheid). Meldungen in das RAPEX‑Schnellwarnsystem seien als Realakte (als auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtetes schlichtes Verwaltungshandeln) einzuordnen. Besäßen aber die Weiterleitung einer RAPEX‑Meldung sowie die Initiierung eines RAPEX‑Meldeverfahrens keine Verwaltungsaktqualität, so komme als Rechtsschutz dagegen ‑ nach deutscher Rechtslage ‑ nur eine allgemeine Leistungsklage in Betracht. In der österreichischen Rechtsordnung sei eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle nur im Rahmen der Art. 131 und 132 Bundes‑Verfassungsgesetz (B‑VG) verfassungsrechtlich vorgesehen.

9 Grundsätzlich sei gerichtlicher Rechtsschutz, wie von Erwägungsgrund 37 der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG gefordert, dadurch gewährleistet, dass die dem RAPEX‑Meldeverfahren zugrunde liegenden behördlichen Maßnahmen vor den Verwaltungsgerichten (und in der Folge den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts) bekämpft werden könnten. Dass Wirtschaftsakteuren wie dem Revisionswerber (somit dem Hersteller oder dem Importeur eines Produktes) ein Antragsrecht hinsichtlich der geltend gemachten Punkte im Hinblick auf Akteneinsicht bzw. Vervollständigung der RAPEX‑Meldung in der österreichischen Rechtsordnung eingeräumt worden sei, könne den gesetzlichen Bestimmungen nicht entnommen werden. Aber auch der Durchführungsbeschluss (EU) 2019/417 der Kommission (RAPEX‑Leitlinien) gebe keinen Anhaltspunkt für die Annahme eines Antragsrechtes bzw. einer Parteistellung des Revisionswerbers im RAPEX‑Meldeverfahren. Die Beschwerde sei somit „unter Abänderung des Grundes der Nichtstattgabe“ spruchgemäß abzuweisen gewesen.

10 Die Revision wurde für zulässig erklärt, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage eines Antragsrechtes hinsichtlich behördlichem Vorgehen nach dem RAPEX‑Meldeverfahren fehle.

Verfahren vor dem VfGH

11 Die vom Revisionswerber gegen dieses Erkenntnis erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) wurde von diesem mit Beschluss vom 24. Februar 2021, E 367/2021‑5, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG zur Entscheidung abgetreten. Dabei führte der VfGH unter anderem aus:

„Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich ihres Antrags auf Vervollständigung einer Meldung nach dem Rapid Exchange of Information System (RAPEX) Parteistellung zukommt, nicht anzustellen“.

Verfahren vor dem VwGH

12 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende ordentliche Revision.

13 In der Revision wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Revisionswerber sei als Wirtschaftsakteur durch das hoheitliche Verwaltungshandeln der LPD unmittelbar in der Sache betroffen und habe daher nach österreichischem Verwaltungsverfahrensrecht die Rechte als Partei (§ 8 AVG). Daraus lasse sich (nach § 17 AVG) auch das Recht auf Akteneinsicht in die RAPEX‑Meldungen ableiten. Zum Antragsrecht hinsichtlich behördlichem Vorgehen nach dem RAPEX‑Meldeverfahren bestehe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Insbesondere fehle Rechtsprechung zur Frage, ob sich für den Revisionswerber als betroffenen Wirtschaftsakteur ein Antragsrecht auf Berichtigung oder Vervollständigung bzw. auf Rücknahme einer RAPEX‑Meldung direkt aus den RAPEX‑Leitlinien ableiten lasse. Auch bestehe keine Rechtsprechung dazu, ob im Hinblick auf behördliches Handeln im RAPEX‑Meldeverfahren ein ausreichender gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet sei. Gerade die Maßnahmen im RAPEX‑Meldeverfahren führten zur unmittelbaren Beeinträchtigung des Revisionswerbers als Wirtschaftsakteur, seine Produkte am österreichischen und europäischen Markt zu verkaufen. Diese Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung, da wie dargestellt keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe und der Versagung jeglichen Rechtsschutzes im behördlichen RAPEX‑Meldeverfahren eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beizumessen sei, weil auch jedem Wirtschaftsakteur in einem RAPEX‑Meldeverfahren der entsprechende Rechtsschutz verweigert würde.

14 In diesem Zusammenhang regte die Revision an, dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, und zwar, ob sich direkt aus den RAPEX‑Leitlinien eine Parteistellung des Wirtschaftsakteurs, ein ausreichend gerichtlicher Rechtsschutz des Wirtschaftsakteurs gegen Beeinträchtigungen aus einer RAPEX‑Meldung, ein Antragsrecht des Wirtschaftsakteurs auf Vervollständigung, Berichtigung bzw. Rücknahme einer RAPEX‑Meldung bzw. ein ausreichender gerichtlicher Rechtsschutz gegen unrichtige RAPEX‑Meldungen ergebe.

15 Die LPD brachte in ihrer Revisionsbeantwortung im Wesentlichen vor, sie habe dem Händler gegenüber die pyrotechnischen Gegenstände vom Markt genommen. Dem Händler wäre somit freigestanden, diesen Bescheid zu bekämpfen und damit die behördliche Maßnahme vor den Verwaltungsgerichten und den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zu bekämpfen. Unter Hinweis auf die Punkte 3.4.3 und 3.4.3.5 der RAPEX‑Leitlinien brachte die LPD vor, der Revisionswerber hätte auf Grund dieser Rechtsgrundlagen zu jedem Stand des RAPEX‑Verfahrens die Möglichkeit gehabt, sich an die zuständige Stelle, nach Auffassung der LPD die Kommission, zu wenden, um eine Berichtigung/Vervollständigung der erstatteten RAPEX‑Meldung zu erreichen. Des Weiteren könne die Kommission nach Punkt 3.4.7.1. der RAPEX‑Leitlinien eine Meldung dauerhaft aus RAPEX zurückziehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

16 Die Revision ist zulässig, zumal Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage eines Antragsrechtes hinsichtlich behördlichem Vorgehen nach dem RAPEX‑Meldeverfahren fehlt. Zum unionsrechtlich determinierten RAPEX‑Meldeverfahren fehlte zudem Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH), sodass eine Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV einzuholen war.

Vorlagebeschluss

17 Mit Beschluss vom 29. September 2021, Ro 2021/01/0014‑7 (EU 2021/0004‑1), legte der Verwaltungsgerichtshof dem EuGH nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„Sind

- die Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. L 11 vom 15.1.2002, S. 4 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 765/2008, ABl. L 218 vom 13.8.2008, 30, und die Verordnung (EG) Nr. 596/2009, ABl. L 188 vom 18.7.2009, 14, geänderten Fassung (im Folgenden: Produktsicherheitsrichtlinie), insbesondere deren Art. 12 und Anhang II,

- die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates, ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30 (im Folgenden: Marktüberwachungsverordnung), insbesondere deren Art. 20 und 22, sowie

- der Durchführungsbeschluss (EU) 2019/417 der Kommission vom 8. November 2018 zur Festlegung von Leitlinien für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustausch ‚RAPEX‘ gemäß Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit und für das dazugehörige Meldesystem, ABl. L 73 vom 15.3.2019, S. 121 (im Folgenden: RAPEX‑Leitlinien), dahin auszulegen, dass

1. sich unmittelbar aus diesen Vorschriften das Recht eines Wirtschaftsakteurs auf Vervollständigung einer RAPEX‑Meldung ergibt?

2. für die Entscheidung über einen solchen Antrag die Europäische Kommission (Kommission) zuständig ist?

oder

3. für die Entscheidung über einen solchen Antrag die Behörde des jeweiligen Mitgliedstaates zuständig ist?

(Bei Bejahung der Frage 3.)

4. der (nationale) gerichtliche Rechtsschutz gegen eine solche Entscheidung ausreichend ist, wenn er nicht jedem, sondern nur dem von der (obligatorischen) Maßnahme betroffenen Wirtschaftsakteur gegen die von der Behörde getroffene (obligatorische) Maßnahme gewährt wird?“

Urteil Funke

18 Mit Urteil vom 17. Mai 2023, Funke sp. z o.o. gegen Landespolizeidirektion Wien, C‑626/21 , ECLI:EU:C:2023:412, beantwortete der EuGH diese Fragen wie folgt:

„1. Die Art. 20 und 22 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates, Art. 12 und Anhang II der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit in der durch die Verordnung Nr. 765/2008 geänderten Fassung sowie der Anhang des Durchführungsbeschlusses (EU) 2019/417 der Kommission vom 8. November 2018 zur Festlegung von Leitlinien für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustausch ‚RAPEX‘ gemäß Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit und für das dazugehörige Meldesystem

sind dahin auszulegen,

dass sie einem Wirtschaftsakteur, dessen Interessen durch eine von einem Mitgliedstaat an die Kommission nach Art. 22 der Verordnung Nr. 765/2008 erstattete Meldung beeinträchtigt werden könnten, wie etwa einem Einführer der in dieser Meldung genannten Produkte, das Recht verleihen, von den zuständigen Behörden des meldenden Mitgliedstaats die Vervollständigung dieser Meldung zu verlangen.

2. Die Art. 20 und 22 der Verordnung Nr. 765/2008 , Art. 12 und Anhang II der Richtlinie 2001/95 in der durch Verordnung Nr. 765/2008 geänderten Fassung sowie der Anhang des Durchführungsbeschlusses 2019/417 sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen,

dass einem Wirtschaftsakteur wie einem Einführer der in einer nach Art. 22 der Verordnung Nr. 765/2008 erstatteten Meldung genannten Produkte, der nicht Adressat der dieser Meldung zugrunde liegenden Maßnahme ist und dessen Interessen durch die Unvollständigkeit dieser Meldung beeinträchtigt werden könnten, im meldenden Mitgliedstaat ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss, um zu erreichen, dass die diesem Mitgliedstaat insoweit obliegenden Verpflichtungen eingehalten werden.“

19 Zur näheren Begründung kann auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils, das gemäß Art. 88 Abs. 2 iVm Art. 96 Abs. 1 lit. a der Verfahrensordnung des EuGH (Verfahrensordnung des Gerichtshofes [2012/C 337/01], ABl. 2012, C 337, S. 1) den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zugestellt wurde, verwiesen werden.

Anwendung der Rechtsprechung des EuGH im Urteil Funke

Allgemein

20 Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaates verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen (vgl. etwa VwGH 25.2.2022, Ra 2018/01/0159, Rn. 14, mwN).

21 Ausgehend davon war der Rechtsprechung des EuGH im Urteil Funke im vorliegenden Verfahren wie folgt Rechnung zu tragen:

Rechtslage

22 Die vorliegend maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts (vgl. Rn. 1 sowie Rn. 3 ff des Urteils Funke) sind:

- Art. 12 und Anhang II der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit (ABl. 2002, L 11, S. 4) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 (ABl. 2008, L 218, S. 30) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/95 ),

- Art. 20 und 22 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates (ABl. 2008, L 218, S. 30; im Folgenden: Verordnung Nr. 765/2008 ),

- der Durchführungsbeschluss (EU) 2019/417 der Kommission vom 8. November 2018 zur Festlegung von Leitlinien für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustausch „RAPEX“ gemäß Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit und für das dazugehörige Meldesystem (ABl. 2019, L 73, S. 121; im Folgenden: Durchführungsbeschluss 2019/417)

sowie

- die Richtlinie 2013/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung pyrotechnischer Gegenstände auf dem Markt, ABl. L 178 vom 28.6.2013, S. 27 (im Folgenden: Richtlinie 2013/29/EU ).

Zum maßgeblichen Inhalt der obigen Bestimmungen des Unionsrechts kann auf die Entscheidungsgründe des Urteils Funke, das gemäß Art. 88 Abs. 2 iVm Art. 96 Abs. 1 lit. a der Verfahrensordnung des EuGH den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zugestellt wurde, verwiesen werden.

23 Die vorliegend maßgeblichen Bestimmungen des österreichischen Rechts sind:

24 Das Bundesgesetz, mit dem polizeiliche Bestimmungen betreffend pyrotechnische Gegenstände und Sätze sowie das Böllerschießen erlassen werden (Pyrotechnikgesetz 2010 ‑ PyroTG 2010), BGBl. I Nr. 131/2009 in der Fassung BGBl. I Nr. 32/2018, lautet auszugsweise:

Regelungsgegenstand

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt

1. Besitz, Verwendung, Überlassung, Inverkehrbringen und Bereitstellung pyrotechnischer Gegenstände und Sätze und

2. das Böllerschießen.

...

Begriffsbestimmungen

§ 4. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

...

10. Händler ist jede natürliche oder juristische Person in der Lieferkette außer dem Hersteller oder Importeur, die im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit einen pyrotechnischen Gegenstand oder Satz auf dem Unionsmarkt bereitstellt.

...

12. Importeur ist jede in der Union ansässige natürliche oder juristische Person, die im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit einen aus einem Drittland stammenden pyrotechnischen Gegenstand oder Satz erstmalig auf dem Unionsmarkt in Verkehr bringt.

...

21. Rückruf ist jede Maßnahme, die auf Erwirkung der Rückgabe eines dem Endnutzer bereits bereitgestellten pyrotechnischen Gegenstands oder Satzes abzielt.

...

27. Wirtschaftsakteure sind Hersteller, Importeure und Händler.

...

Zuständigkeit

§ 5. (1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Landespolizeidirektion.

...

Beschwerden

§ 6. Über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Landesverwaltungsgericht.

...

Marktüberwachung

§ 27. (1) Der Behörde obliegt die Marktüberwachung hinsichtlich der Überprüfung, ob nur pyrotechnische Gegenstände und Sätze in Verkehr gebracht und auf dem Markt bereitgestellt werden, die den Anforderungen dieses Bundesgesetzes entsprechen. Sie ist ermächtigt, die hierzu erforderlichen Untersuchungen und Handlungen bei den Wirtschaftsakteuren durchzuführen, wie insbesondere Produktionsstätten, Lager und sonstige Geschäftsräume zu betreten, Stichproben unentgeltlich zu ziehen sowie in die einschlägigen Geschäftsunterlagen Einsicht zu nehmen.

...

Aufsichtsmaßnahmen

§ 27a. (1) Die Aufsichtsmaßnahmen der Behörde gemäß § 27 sind Aufträge

...

3. zum Rückruf.

(2) Aufsichtsmaßnahmen gemäß Abs. 1 Z 2 und 3 können von jeder Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich pyrotechnische Gegenstände oder Sätze in Verkehr gebracht oder bereit gestellt werden, die Gegenstand einer solchen Maßnahme sein sollen, mit Wirkung für die Geschäftstätigkeit des Wirtschaftakteurs im gesamten Bundesgebiet ergriffen werden.“

25 Das Bundesgesetz zum Schutz vor gefährlichen Produkten (Produktsicherheitsgesetz 2004 ‑ PSG 2004), BGBl. I Nr. 16/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 32/2018, lautet auszugsweise:

Geltungsbereich und subsidiäre Anwendung

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt Sicherheitsanforderungen an Produkte, Verpflichtungen für In‑Verkehr‑Bringer/innen sowie behördliche Maßnahmen mit dem Ziel, insbesondere Leben und Gesundheit von Menschen vor Gefährdungen durch gefährliche Produkte zu schützen.

...

§ 2. (1) Dieses Bundesgesetz findet auf Produkte gemäß § 3 Z 1 Anwendung.

(2) Sind Sicherheitsanforderungen an Produkte gemäß § 3 Z 1 in besonderen bundesgesetzlichen Verwaltungsvorschriften festgelegt, gelangt dieses Bundesgesetz nur für jene Aspekte, Risken oder Risikokategorien zur Anwendung, die in den betreffenden bundesgesetzlichen Verwaltungsvorschriften nicht dem Ziel dieses Bundesgesetzes entsprechend geregelt sind. Zudem sind die Bestimmungen der §§ 7 bis 29 jedenfalls dann anzuwenden, wenn die besonderen bundesgesetzlichen Verwaltungsvorschriften keine entsprechenden Regelungen enthalten.

(3) Sofern die Festlegung von Sicherheitsanforderungen an Produkte in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, gelangt dieses Bundesgesetz für die betreffenden Produkte nicht zur Anwendung.

Begriffsbestimmungen

§ 3. Im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1. ‚Produkt‘ ist jede bewegliche Sache einschließlich Energie, auch wenn sie Teil einer anderen beweglichen Sache oder mit einer unbeweglichen Sache verbunden worden ist, die ‑ auch im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung ‑ für Verbraucher/innen bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von diesen benutzt werden könnte, selbst wenn sie nicht für diese bestimmt ist. Das Produkt muss im Rahmen einer Geschäftstätigkeit geliefert oder zur Verfügung gestellt werden, wobei unerheblich ist, ob dies entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt und ob es neu, gebraucht oder wiederaufgearbeitet ist. Keine Produkte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Antiquitäten und solche Produkte, die vor ihrer Verwendung instandgesetzt oder wiederaufbereitet werden müssen, sofern dies der/die In‑Verkehr‑Bringer/in der von ihm/ihr belieferten Person nachweislich mitteilt.

...

Ermächtigung zum internationalen Datenaustausch

§ 10. (1) Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat innerhalb der festgelegten Fristen den auf Grund internationaler Verträge vorgesehenen Stellen Informationen über gefährliche Produkte sowie Maßnahmen gemäß den §§ 11, 15 und 16 zu melden. Dies gilt insbesondere für die Meldeverfahren gemäß Art. 11 und 12 der Richtlinie 2001/95/EG sowie der Art. 22 und 23 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008.

...

Rechtsmittel

§ 18. (1) Gegen Bescheide gemäß § 16 Abs. 1 und 8 steht binnen zwei Wochen das Rechtsmittel der Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Landes zu, in dem die dem Bescheid zugrunde liegende vorläufige Maßnahme gesetzt wurde.

(2) Gegen Bescheide gemäß § 11 steht binnen zwei Wochen das Rechtsmittel der Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Landes zu, in dem der Geschäftssitz des Bescheidadressaten liegt.

(3) Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte der Länder sind unverzüglich auch dem/der gemäß § 32 zuständigen Bundesminister/in zuzustellen. Diese/r kann gegen die Entscheidungen sowohl zugunsten als auch zum Nachteil des/der Adressaten/in des Erkenntnisses oder Beschlusses des Verwaltungsgerichts Revision wegen Rechtswidrigkeit beim Verwaltungsgerichtshof erheben.“

Recht des Einführers (Importeurs) auf Vervollständigung bzw. Berichtigung einer RAPEX‑Meldung

26 Nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil Funke sind

„die für RAPEX geltenden Vorschriften dahin auszulegen [...], dass sie einem Wirtschaftsakteur, dessen Interessen durch eine von einem Mitgliedstaat an die Kommission nach Art. 22 der Verordnung Nr. 765/2008 erstattete Meldung beeinträchtigt werden könnten, wie etwa einem Einführer der in dieser Meldung genannten Produkte, das Recht verleihen, von den zuständigen Behörden des meldenden Mitgliedstaats die Vervollständigung dieser Meldung zu verlangen“ (Rn. 72 und Tenor 1.).

27 Dieses vom EuGH erkannte Recht eines „Einführers“ (vgl. Art. 3 Z 10 und 12 der Richtlinie 2013/29/EU ) bzw. Importeurs (vgl. § 4 Z 12 und 27 PyroTG 2010) von in einer RAPEX‑Meldung genannten Produkten auf Vervollständigung bzw. Berichtigung dieser RAPEX‑Meldung ergibt sich mangels einer Regelung des österreichischen Rechts unmittelbar aus den vom EuGH angeführten Vorschriften des Unionsrechts (vgl. zu dieser Konstellation als Voraussetzung für ein Rechtschutzverfahren bereits VwGH Ro 2021/01/0014‑7 [EU 2021/0004‑1], Rn. 51).

28 Dieses Recht eines Importeurs von in einer RAPEX‑Meldung genannten Produkten bildet entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Rechtsgrundlage für einen Antrag auf Vervollständigung bzw. Berichtigung dieser RAPEX‑Meldung. Die entsprechenden Verpflichtungen des Mitgliedstaates hat der EuGH im Urteil Funke klargestellt (vgl. darin insbesondere Rn. 70).

29 Dieses Recht vermittelt dem Importeur im Fall einer Antragstellung eine Parteistellung nach § 8 AVG samt dem Recht auf Akteneinsicht nach § 17 AVG (vgl. zur Parteistellung und dem Recht auf Akteneinsicht für viele etwa VwGH 19.4.2023, Ra 2023/07/0007, mwN).

Zuständigkeit

30 Was die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen solchen Antrag ‑ wie den vorliegenden ‑ auf Vervollständigung einer RAPEX‑Meldung anlangt, hat der EuGH im Urteil Funke klargestellt,

„dass die für RAPEX geltenden Vorschriften, nach denen der meldende Mitgliedstaat sicherzustellen hat, dass eine nach Art. 22 der Verordnung Nr. 765/2008 erstattete Meldung insbesondere in Bezug auf die zur Identifizierung der betreffenden Produkte erforderlichen Daten formal richtig und möglichst vollständig ist, und gegebenenfalls die Meldung berichtigen oder vervollständigen muss, so klar und genau sind, dass Wirtschaftsakteure, die durch eine über RAPEX übermittelte Meldung, die wegen unzureichender Identifizierung der erfassten Produkte unvollständig ist, geschädigt werden könnten, wie etwa ein Einführer dieser Produkte, berechtigt sind, die Einhaltung dieser Vorschriften einzufordern“ (Rn. 70).

Es ist

„Sache der zuständigen Behörden des meldenden Mitgliedstaats, der im Rahmen des RAPEX‑Verfahrens eine zentrale Rolle spielt und für die gemeldeten Angaben verantwortlich bleibt, solange die Meldung für bestimmte Produkte in RAPEX vorhanden ist, jeden zu diesem Zweck gestellten Antrag dieser Wirtschaftsakteure zu prüfen“ (Rn. 71).

31 Insoweit nennt der EuGH bei der Darstellung des österreichischen Rechts § 10 Abs. 1 PSG 2004 (Urteil Funke, Rn. 24).

32 Nach dieser Bestimmung hat der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (nunmehr gemäß § 1 Abs. 1 Z 12 iVm Anlage zu § 2 Teil 2 L. 14. Bundesministeriengesetz 1986, BGBl. Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 98/2022: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; im Folgenden: BMSGPK) den auf Grund internationaler Verträge vorgesehenen Stellen Informationen über gefährliche Produkte sowie Maßnahmen gemäß den §§ 1115 und 16 PSG 2004 zu melden. Dies gilt insbesondere für die Meldeverfahren gemäß Art. 11 und 12 der Richtlinie 2001/95/EG sowie der Art. 22 und 23 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008.

33 Nach den Erläuterungen ermächtigt § 10 Abs. 1 PSG 2004 „den Konsumentenschutzminister zum internationalen Datenaustausch insbesondere im Rahmen des EU‑Produktsicherheitsnotfallsverfahrens (RAPEX)“ (ErläutRV 512 Blg NR 22. GP 8 f). Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist der BMSGPK nicht nur ermächtigt, sondern vielmehr verpflichtet, Meldungen im Rahmen des RAPEX‑Verfahrens an die Kommission vorzunehmen (arg.: „hat ... zu melden“). Als nationaler Kontaktpunkt ist es die Aufgabe des BMSGPK, die einzelnen eingehenden RAPEX‑Meldungen an die zuständigen Behörden weiterzuleiten bzw. im umgekehrten Weg an die Kommission Meldungen über entsprechende Maßnahmen in Österreich zu erstatten (Medwed, Das BMASK als Produktsicherheitsbehörde ‑ Wo sehen wir unsere Herausforderung?, in Medwed/Perz [Hrsg], Sichere Produkte ‑ eine Herausforderung [2011] 13).

34 § 2 Abs. 2 und 3 PSG 2004 bestimmt zwar die subsidiäre Anwendung dieses Gesetzes. Sind Sicherheitsanforderungen an Produkte gemäß § 3 Z 1 leg. cit. in besonderen bundesgesetzlichen Verwaltungsvorschriften ‑ wie etwa vorliegend dem PyroTG 2010 ‑ festgelegt, gelangt das PSG 2004 nur für jene Aspekte, Risken oder Risikokategorien zur Anwendung, die in den betreffenden bundesgesetzlichen Verwaltungsvorschriften nicht dem Ziel dieses Bundesgesetzes entsprechend geregelt sind (vgl. zur subsidiären Anwendung des PSG 2004 auch die Erläuterungen zu § 2 leg. cit. in ErläutRV 512 BlgNR 22. GP  4; vgl. zu diesem subsidiären Anwendungsbereich ferner Stolzlechner, Verbraucherschutz durch Produktsicherheit. Gedanken zum PSG 2004, in FS Heinz Schäffer [2006] 811 f, und Schmutzer, Das Produktsicherheitsgesetz 2004, in Medwed/Perz [Hrsg], Sichere Produkte ‑ eine Herausforderung [2011] 36, der das PSG 2004 als „eine Art Auffanggesetz“ bezeichnet).

35 Betreffend die Zuständigkeit zur Vornahme von RAPEX‑Meldungen an die Kommission enthält das PyroTG 2010 jedoch keine ausdrücklichen Vorschriften. Es ist daher auch gemäß § 2 Abs. 2 PSG 2004 davon auszugehen, dass die Vornahme von RAPEX‑Meldungen an die Kommission in die alleinige Zuständigkeit des BMSGPK fällt.

36 Daran ändert auch nichts, dass im vorliegenden Fall eine Aufsichtsmaßnahme nach § 27a PyroTG 2010 in Form eines Bescheides Ausgangspunkt der gegenständlichen RAPEX‑Meldungen war (vgl. dazu VwGH 29.9.2021, Ro 2021/01/0014‑7, Rn. 43) und ‑ wie vom Verwaltungsgericht festgestellt ‑ das RAPEX‑Meldeverfahren von der LPD als Marktüberwachungsbehörde nach dem PyroTG 2010 initiiert wurde. Die Meldung an die Kommission im RAPEX‑Meldeverfahren kommt dennoch gemäß § 10 Abs. 1 PSG 2004 dem BMSGPK zu (vgl. nochmals Medwed, aaO, wonach es Aufgabe des BMSGPK ist, an die Kommission Meldungen über entsprechende Maßnahmen in Österreich zu erstatten).

Gerichtlicher Rechtschutz

37 Der EuGH hat im Urteil Funke weiters klargestellt,

„dass die für RAPEX geltenden Vorschriften im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass einem Wirtschaftsakteur wie einem Einführer der in einer nach Art. 22 der Verordnung Nr. 765/2008 erstatteten Meldung genannten Produkte, der nicht Adressat der dieser Meldung zugrunde liegenden Maßnahme ist und dessen Interessen durch die Unvollständigkeit dieser Meldung beeinträchtigt werden könnten, im meldenden Mitgliedstaat ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss, um zu erreichen, dass die diesem Mitgliedstaat insoweit obliegenden Verpflichtungen eingehalten werden“ (Rn. 81 und Tenor 2.).

38 Insoweit ist es gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (vgl. Urteil Funke, Rn. 78, mit Verweis auf EuGH 14.6.2017, Online Games u. a., C‑685/15 , EU:C:2017:452, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie EuGH 15.7.2021, FBF, C‑911/19 , EU:C:2021:599, Rn. 62 und 63).

39 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Vorlagebeschluss klargestellt hat, setzt ein solches Rechtsschutzverfahren voraus, dass dem Revisionswerber als Importeur mangels einer Regelung des österreichischen Rechts unmittelbar aus den im Vorabentscheidungsersuchen angeführten Vorschriften des Unionsrechts das Recht auf Vervollständigung der RAPEX‑Meldungen zukommt (vgl. VwGH Ro 2021/01/0014‑7, Rn. 51).

40 Dies hat der EuGH nunmehr im Urteil Funke klargestellt und bejaht.

41 In diesem Fall hat die zuständige Behörde ‑ nach dem Obgesagten gemäß § 10 Abs. 1 PSG 2004 der BMSGPK ‑ über die Versagung des beantragten Realaktes (Vervollständigung der RAPEX‑Meldungen) mit Bescheid abzusprechen (vgl. bereits VwGH Ro 2021/01/0014‑7, Rn. 51; vgl. zur Notwendigkeit eines das Anbringen erledigenden Bescheides, wenn einem Antrag ‑ dort auf Rückzahlung nach § 239 BAO ‑ nicht durch den Realakt der Rückzahlung entsprochen wird, VwGH 25.6.2020, Ro 2019/15/0001, Rn. 15; vgl. zum Begriff des Realaktes als eines faktischen Verhaltens der Behörde VwGH 24.5.2018, Ro 2017/07/0026, Rn. 50, mwN).

42 Dieser Bescheid des BMSGPK unterliegt sodann dem Rechtsschutz durch das zuständige Verwaltungsgericht (vgl. bereits Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG) und in der Folge durch den VfGH und den Verwaltungsgerichtshof.

43 Damit ist ein der Rechtsprechung des EuGH im Urteil Funke entsprechender effektiver gerichtlicher Rechtschutz gewährleistet (vgl. zu diesem das Urteil Funke, Rn. 75).

Einzelfallbezogene Beurteilung

44 Wie angeführt hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, dass für den Antrag des Revisionswerbers auf Vervollständigung der gegenständlichen RAPEX‑Meldungen keine Rechtsgrundlage bestehe. Wie der EuGH im Urteil Funke klargestellt hat, ergibt sich diese unmittelbar aus den vom EuGH angeführten Vorschriften des Unionsrechts.

45 Aus diesem Grund hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Ergebnis

46 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

47 Von der vom Revisionswerber beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden: Der Verwaltungsgerichtshof wurde nach einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ‑ ein Tribunal iSd. Art. 6 EMRK bzw. ein Gericht iSd. Art. 47 GRC ‑ angerufen und die anwaltlich vertretene beschwerdeführende Partei im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (der nunmehrige Revisionswerber) hat dort die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht verlangt (vgl. VwGH 14.11.2018, Ra 2017/11/0308).

48 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. Juni 2023

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