Normen
BauO NÖ 2014 §4 Z20
KanalG NÖ 1977 §1a Z6
KanalG NÖ 1977 §5 Abs3
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021130064.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Stadtgemeinde Klosterneuburg hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 schrieb das Stadtamt den nunmehrigen Revisionswerbern für die Benützung des öffentlichen Schmutzwasserkanals ‑ ausgehend von einer Berechnungsfläche von 484,04 m² ‑ eine jährliche Kanalbenützungsgebühr in Höhe von 1.031,01 € zuzüglich Umsatzsteuer ab 1. Jänner 2013 vor.
2 Die Revisionswerber erhoben gegen diesen Bescheid Berufung. Sie machten geltend, die Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr sei bereits in der Vergangenheit rechtskräftig erfolgt. Eine neue Festsetzung würde eine Veränderung voraussetzen. Es sei zwar eine Bauanzeige wegen des Einbaues eines Liftes erstattet worden, dadurch sei es aber zu keiner Änderung der Geschoßflächen und damit auch zu keiner Änderung der Berechnungsfläche gekommen. Das Auffinden eines Fehlers in den Daten der Stadtgemeinde betreffend Berechnungsfläche oder die Änderung der Rechtsauffassung, wie diese Fläche zu ermitteln sei, stelle keinen Grund für die Erlassung eines neuen Abgabenbescheides dar. Überdies könne eine Neufestsetzung erst ab dem auf das Ereignis, das die Neufestsetzung rechtfertige, folgenden Monatsersten erfolgen.
3 Mit Bescheid vom 13. Mai 2020 gab der Stadtrat der Berufung insofern Folge, als die Vorschreibung der jährlichen Kanalbenützungsgebühr ab 1. Jänner 2018 in Höhe von 1.026,83 € (Berechnungsfläche: 482,08 m²) zuzüglich Umsatzsteuer erfolge. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, durch den Einbau einer Hebeeinrichtung für Rollstuhlfahrer im Einfamilienhaus habe sich eine Änderung der Berechnungsfläche ergeben; diese Fläche (1,96 m²) sei aus der Berechnungsfläche für die Ermittlung einer Geschoßfläche herauszunehmen. Im Übrigen ergäben sich die Geschoßflächen aus den Plänen, die den Baubewilligungsbescheiden vom 15. September 1993 und vom 16. Jänner 1995 zugrunde gelegen seien. Der Einbau der Hebeeinrichtung sei am 15. Dezember 2017 vollendet worden, sodass eine Neufestsetzung (erst) ab 1. Jänner 2018 zu erfolgen gehabt habe.
4 Die Revisionswerber erhoben gegen diesen Bescheid Beschwerde.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
6 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerber seien Eigentümer des Grundstückes K19. Auf diesem Grundstück befinde sich ein Gebäude bestehend aus einem Untergeschoß und einem Erdgeschoß. Aus den im Akt befindlichen Plänen ergebe sich, dass vor Einbau einer Hebeeinrichtung für Rollstuhlfahrer das Untergeschoß eine Fläche von 272,91 m² und das Erdgeschoß eine Fläche von 211,13 m² aufgewiesen habe (insgesamt daher Geschoßfläche von 484,04 m²). Mit Schreiben des Stadtamtes vom 21. August 2017 sei die Bauanzeige betreffend den Einbau einer Hebeeinrichtung für Rollstuhlfahrer zur Kenntnis genommen worden; der Einbau sei am 15. Dezember 2017 vollendet worden. Im Zuge des Einbaus der Hebeeinrichtung sei im Untergeschoß ein Deckendurchbruch vorgenommen worden; die Hebeeinrichtung weise die Maße 1,37 m x 1,43 m auf.
7 Durch den Einbau der Hebeeinrichtung bzw. Vornahme des Deckendurchbruchs sei bewirkt worden, dass sich die Bodenfläche und damit die Geschoßfläche im Erdgeschoß um die Größe des Deckendurchbruches bzw. des Liftschachtes verringert habe (um die Fläche von 1,37 m x 1,43 m). Durch diese Reduktion der Geschoßfläche im Erdgeschoß hätten sich die Grundlagen für die Berechnung der Kanalbenützungsgebühr verändert; es sei sohin ein Änderungstatbestand iSd § 14 Abs. 4 NÖ Kanalgesetz 1977 erfüllt worden. Im Hinblick auf die Fertigstellung im Dezember 2017 sei die Kanalbenützungsgebühr mit 1. Jänner 2018 neu festzusetzen gewesen. Dass die belangte Behörde die Reduktion der Fläche dem Untergeschoß zugeordnet habe, ändere im Ergebnis an der Richtigkeit der zugrunde gelegten Berechnungsfläche nichts.
8 Gegen diese Erkenntnis wendet sich die Revision. Zur Zulässigkeit wird u.a. geltend gemacht, zur Frage, ob die für eine nachträgliche Installation einer Hebeeinrichtung für Rollstuhlfahrer erforderliche Bodenausnehmung zwischen Erd- und Untergeschoß im Ausmaß von 1,96 m² bei der Ermittlung der Geschoßflächen miteinzubeziehen sei, liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor; die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 2002/17/0276 und 2003/17/0224) im Zusammenhang mit Stiegen ab.
9 Nach Einleitung des Vorverfahrens haben die belangte Behörde und die NÖ Landesregierung Revisionsbeantwortungen eingebracht.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist aus den aufgezeigten Gründen zulässig; sie ist auch begründet.
12 Eingangs ist darauf zu verweisen, dass ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ das Verwaltungsgericht zur Entscheidung zuständig war. Zwar sieht § 262 Abs. 1 BAO vor, dass (im Allgemeinen) über Bescheidbeschwerden mit Beschwerdevorentscheidung abzusprechen ist. Besteht aber ‑ wie hier (vgl. § 60 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung 1973) ‑ ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden (vgl. § 19 NÖ Kanalgesetz 1977), so sind die §§ 262 bis 264 (Beschwerdevorentscheidung, Vorlageantrag) nach § 288 Abs. 3 BAO weder im Berufungsverfahren noch im Beschwerdeverfahren anzuwenden.
13 Die Kanalbenützungsgebühr errechnet sich aus dem Produkt von Berechnungsfläche und Einheitssatz (zuzüglich eines schmutzfrachtbezogenen Gebührenanteils; § 5 Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977). Die Berechnungsfläche ergibt sich aus der Summe aller an die Kanalanlage angeschlossenen Geschoßflächen, wobei jedoch angeschlossene Kellergeschoße (mit hier nicht vorliegenden Ausnahmen) nicht zu berücksichtigen sind.
14 Gemäß § 14 Abs. 1 lit. c NÖ Kanalgesetz 1977 sind u.a. Änderungen der mit Abgabenbescheid festgesetzten Kanalbenützungsgebühren mit Abgabenbescheid vorzuschreiben. Ein derartiger Abgabenbescheid ist nach § 14 Abs. 4 NÖ Kanalgesetz 1977 insbesondere dann zu erlassen, wenn eine Veränderung betreffend die der seinerzeitigen Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr zugrunde gelegten Voraussetzungen eingetreten ist (§ 13 NÖ Kanalgesetz 1977; vgl. VwGH 9.9.2013, 2010/17/0105; 7.10.2013, 2010/17/0234).
15 Strittig ist, ob eine derartige Änderung der Voraussetzungen im Hinblick auf die Berechnungsfläche dadurch eingetreten ist, dass im Gebäude eine Hebeeinrichtung (Lift) errichtet wurde.
16 Nach § 1a Z 6 NÖ Kanalgesetz 1977 gilt als Geschoßfläche die sich aus den äußersten Begrenzungen jedes Geschoßes ergebende Fläche; nicht konstruktiv bedingte, nachträglich an bestehende Außenwände ab dem 1. Jänner 2009 angebrachte Wärmeschutzverkleidungen bleiben unberücksichtigt.
17 Bei der Berechnung der Geschoßfläche ist ‑ in Übereinstimmung mit der Definition der „Grundrissfläche“ in (nunmehr) § 4 Z 20 NÖ Bauordnung 2014: Fläche innerhalb der äußeren Begrenzungslinien der Außenwände eines Geschoßes ‑ auch die von den Außenwänden in Anspruch genommene Fläche eines Geschoßes mit einzubeziehen (vgl. VwGH 21.3.2005, 2005/17/0001; vgl. auch VwGH 22.8.2012, 2010/17/0228, VwSlg. 8739/F). Dies folgt nunmehr auch daraus, dass der Gesetzgeber an den Außenwänden angebrachte Wärmeschutzverkleidungen (§ 1a Z 6 NÖ Kanalgesetz 1977 in der hier anwendbaren Fassung) ausdrücklich als unberücksichtigt zu lassen normiert hat (was überflüssig wäre, würden die Außenwände nicht zur Geschoßfläche zählen).
18 Auch ein Stiegenhaus zählt mit zur Geschoßfläche (vgl. VwGH 20.3.2003, 2002/17/0276).
19 Im Erkenntnis vom 30. August 1999, 98/17/0329, verwies der Verwaltungsgerichtshof ‑ unter Hinweis auf die Definition des Begriffes „Geschoß“ in der NÖ Bauordnung 1996 (vgl. hingegen nunmehr § 4 Z 16 NÖ Bauordnung 2014) ‑ darauf, dass unter einem Geschoß die Gesamtheit der in einer Ebene liegenden Räume eines Gebäudes zu verstehen ist, auch wenn die Ebene bis zur halben Höhe des Geschoßes versetzt ist. Demnach war die Fläche der sich über zwei Geschoße erstreckenden Halle der Berechnungsfläche des Obergeschoßes nicht zuzurechnen, weil sich auf dieser Fläche keine Räume befinden, die in einer Ebene mit dem Obergeschoß liegen. Die (damalige) Vorstellungsbehörde hatte zu dieser Frage dieselbe Ansicht vertreten; sie meinte, „nicht existente Flächen“ wie ein Atrium zählten nicht zur Geschoßfläche.
20 Für einen Liftschacht (samt Lift) kann dies aber nicht gelten. In den Revisionsbeantwortungen wird jeweils darauf verwiesen, dass die Flächen des Liftschachts in verschiedenen Geschoßen niemals gleichzeitig betreten werden können, was zweifellos zutrifft (wenn es sich nicht etwa um einen „Paternoster“ handelt). Auf die Möglichkeit des Betretens der Fläche kommt es aber nicht entscheidend an, was schon daraus erkennbar ist, dass etwa auch die Flächen, auf der sich die Außenwände (aber auch die Innenwände) befinden, nicht betretbar sind. Entscheidend ist vielmehr, ob sich hieraus typischerweise eine Änderung der von der Liegenschaft herrührenden potentiellen Belastung des Kanalsystems durch die Einleitung von Abwässern ergibt (vgl. zu diesem Zweck von Kanalbenützungsgebühren neuerlich VwGH 30.8.1999, 98/17/0329). Eine derartige Änderung der potentiellen Belastung mag sich dadurch ergeben, wenn in einem Geschoß Flächen ‑ etwa bei einem Atrium ‑ „nicht existent“ sind. Durch den Einbau eines Liftes erfolgt zwar im Bereich der jeweiligen Decke des Untergeschoßes bzw. der Bodenfläche des Obergeschoßes ein Durchbruch, eine Reduktion der potentiellen Belastung des Kanalsystems erfolgt dadurch aber typischerweise nicht. Im Hinblick auf diese Fallgruppe ist (vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks) eine Einschränkung des klaren Wortlautes des § 1a Z 6 NÖ Kanalgesetz 1977 („die sich aus den äußersten Begrenzungen jedes Geschoßes ergebende Fläche“) nicht geboten (vgl. zu den Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion VwGH 21.7.2021, Ro 2021/13/0001, mwN).
21 Damit bewirkte aber der Einbau des Liftes (bzw. der Deckendurchbruch) keine Änderung der Geschoßflächen und damit keine Änderung der Bemessungsgrundlagen für die Kanalbenützungsgebühr. Eine Neufestsetzung der Kanalbenützungsgebühr konnte daher nicht auf diesen Umstand gestützt werden.
22 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
23 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. September 2021
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