VwGH Ra 2021/10/0060

VwGHRa 2021/10/006024.4.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Stoisser, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 23. Februar 2021, Zl. LVwG‑2020/17/1085‑3, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: H P in I), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
MSG Tir 2010 §1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021100060.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck ‑ dem nunmehrigen Amtsrevisionswerber ‑ vom 13. Mai 2020 wurden dem Mitbeteiligten Leistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) (für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. April 2020 eine einmalige Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Höhe von € 75,99, für den Zeitraum vom 1. Mai 2020 bis 31. Juli 2020 eine monatliche Unterstützung für Miete in der Höhe von € 233,23 und für den Monat Juni 2020 eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von € 82,56) zuerkannt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 23. Februar 2021 wurde der dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde dahin Folge gegeben, dass für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 eine monatliche Unterstützung für die Miete in der Höhe von € 344,73 (somit ein Differenzbetrag von € 111,50 im Vergleich zum angefochtenen Bescheid) gewährt werde. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

3 Das Verwaltungsgericht ging dabei unter anderem ‑ von der Revision unbestritten ‑ davon aus, dass der mitbeteilitgen Partei auf Grund einer Lohnpfändung durchschnittlich monatlich rund 400,‑‑ € weniger zur Verfügung stünden, als von der belangten Behörde angenommen.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (vgl. VwGH 29.9.2022, Ra 2022/10/0099 mwN).

8 In den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision wird die Rechtsfrage aufgeworfen, unter welchen Voraussetzungen Schulden im Konkreten bei der Gewährung der Mindestsicherung nach dem TMSG als einkommensmindernd angerechnet werden müssten. Das angefochtene Erkenntnis weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 22.4.2022, 2002/10/0053, VwGH 23.6.1998, 97/08/0114, VwGH 18.4.2012, 2011/10/0095 und VwGH 26.4.2010, 2010/10/0066) ab. Die Rechtsprechung gehe grundsätzlich davon aus, dass die Mittel der Mindestsicherung (Sozialhilfe) keinen Deckungsfonds für Gläubiger darstellen könnten. Eine Anrechnung sei nur mit der Maßgabe zulässig, dass sich die in der Vergangenheit entstandenen Schulden auf eine aktuelle oder unmittelbar drohende Notlage auswirkten. Das Landesverwaltungsgericht habe sich im angefochtenen Erkenntnis nicht mit dem Grund und der Art des dem Sachverhalt zugrunde liegenden Schuldverhältnisses auseinander gesetzt und habe daher auch keine Folgerungen hinsichtlich der Auswirkungen der „Abzüge“ für den Hilfesuchenden getroffen. Aus diesem Grund widerspreche das angefochtene Erkenntnis der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die vom Verwaltungsgerichtshof geforderte Prüfung, „ob sich Schulden zur Zeit der Hilfegewährung noch im Sinne einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage des Hilfesuchenden auswirkten“ sei nicht durchgeführt worden. Das Landesverwaltungsgericht hätte festzustellen gehabt, um welche Art von Abzug es sich im Einzelfall handle und ob dieser überhaupt Auswirkungen auf die aktuelle Bedarfsdeckung (Notlage) des Hilfesuchenden habe. Es hätte festgestellt werden müssen, ob der Hilfesuchende die Möglichkeit gehabt hätte, die Zahlungsverpflichtung herabzusetzen, zu stunden oder gar aufzuheben.

9 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Sozialhilfegesetzen der Länder sind Zahlungsverpflichtungen für in der Vergangenheit eingegangene Schulden dann ausnahmsweise bei der Berechnung von Sozialhilfeleistungen zu berücksichtigen, wenn sie sich noch im Zeitraum der Entscheidung über die Hilfegewährung im Sinn einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage auswirken (vgl. VwGH 18.4.2012, Zl. 2011/10/0095).

10 Eine derartige aus früheren Schulden resultierende aktuelle Notlage hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in einer wegen früherer Schulden anhängigen Lohnpfändung erblickt, weil sich dadurch der dem Hilfesuchenden tatsächlich zur Verfügung stehende Betrag entsprechend verringert (vgl.VwGH 26.11.2002, Zl. 2001/11/0168 und VwGH 30.5.2001, Zl. 2000/11/0015). Diese Judikatur ist auf das TMSG übertragbar, ist doch auch nach § 1 dieses Gesetzes Grundvoraussetzung für die Leistungsgewährung das Vorliegen einer Notlage (vgl. VwGH 24.6.2015, Ra 2014/10/0055).

11 Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht aufzuzeigen, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Landesverwaltungsgericht konkret abgewichen ist. Die von der Revision selbst angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hatte sich ‑ anders als die vom Landesverwaltungsgericht Tirol zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichshofes ‑ nicht mit einer wegen früherer Schulden anhängigen Lohnpfändung und der daraus (allenfalls) resultierenden aktuellen Notlage zu beschäftigen. Abgesehen davon hat der Verwaltungsgerichtshof auch in dem von der Revision zitierten Erkenntnis (vgl. VwGH 18.4.2012, 2011/10/0095), entgegen der offenbaren Zielrichtung der Revision, eine Notlage bei Schulden und einer bevorstehenden Exekution als denkbar angesehen.

12 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. April 2023

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte