Normen
NatSchG Stmk 2017
NatSchG Stmk 2017 §18 Abs2 Z3
PyrotechnikG 2010 §28
PyrotechnikGDV 2010 §11 Abs1
32009L0147 Vogelschutz-RL
32013L0029 Pyrotechnik-RL Art4 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010154.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Vorgeschichte
1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B (belangte Behörde; BH) vom 29. Juli 2019 wurde dem Revisionswerber gemäß § 28 Pyrotechnikgesetz 2010 (PyroTG 2010) der Besitz und die Verwendung näher bezeichneter pyrotechnischer Gegenstände aus Anlass des Abbrennens eines Feuerwerks der Kategorien F3, F4 und P2 auf näher bezeichneten Grundstücken der Gemeinde K anlässlich einer Geburtstagsfeier in der Zeit vom 3. Juli 2021, 20.30 Uhr, bis zum 4. Juli 2021, 00.30 Uhr, mit einer Dauer von ca. 15 Minuten bewilligt.
2 Diese Bewilligung wurde unter der auflösenden Bedingung erteilt, dass sich im Umkreis von 2.000 m zum beantragten Abbrennplatz ein von einem Weißstorch benützter Horst befinde.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) und begründete diese damit, dass die Vorschreibung der auflösenden Bedingung widerrechtlich sei.
4 Nachdem das Verwaltungsgericht über diese Beschwerde nicht entschieden hatte, brachte der Revisionswerber im Jänner 2021 einen Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof ein. Das Verwaltungsgericht wurde mit verfahrensleitender Anordnung vom 2. März 2021, Fr 2021/01/0004‑3, aufgefordert, binnen zwei Wochen die Entscheidung zu erlassen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt, und erließ sodann das angefochtene Erkenntnis. Das Fristsetzungsverfahren wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. April 2021, Fr 2021/01/0004-6, eingestellt.
Angefochtenes Erkenntnis
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen (I.) und die Revision für unzulässig erklärt (II.).
6 Begründend stellte das Verwaltungsgericht (in dislozierten Feststellungen in der rechtlichen Begründung) fest, im Gebiet der Gemeinde K seien 107 Brutvogelarten aufgelistet und dreizehn davon als besonders geschützte Vogelarten in der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. L 20 vom 26.1.2010, S. 7–25), genannt. Darunter befinde sich auch der Weißstorch. Auf Grundlage der eingeholten sachverständigen (insbesondere ornithologischen) Gutachten bestehe während der Brut- und Aufzuchtzeit durch das Abhalten von Feuerwerken die Gefahr von „erheblichen Störungen“. Der Feuerwerklärm sei nämlich wesentlich intensiver als der Dauerlärm von übrigen Lärmquellen. Um eine „erhebliche Störung“ auszuschließen, werde ein Mindestabstand von 2.000 m zwischen Feuerwerk und Storchenhorst einzuhalten sein.
7 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, gemäß § 28 PyroTG 2010 habe die Behörde die Einhaltung von Sicherheitsabständen vorzuschreiben, um „unzumutbare Lärmbelästigungen“ hintanzuhalten, aber auch um die „öffentliche Sicherheit“ zu gewährleisten. Wenn bei der Verwendung der pyrotechnischen Gegenstände und Sätze Mindestsicherheitsabstände „zu Personen, Tieren und explosions- und brandgefährdeten Objekten“ angegeben seien, so seien diese Mindestsicherheitsabstände gemäß § 11 Abs. 1 Pyrotechnikgesetz‑Durchführungsverordnung (PyroTG‑DV) von der Behörde u.a. bei Vorliegen unzumutbarer Lärmbelästigungen zu erweitern. Gemäß § 18 Steiermärkisches Naturschutzgesetz 2017, LGBl. Nr. 71 (StNSchG 2017), seien alle von Natur aus wildlebenden Vögel mit Ausnahme der in Anhang II Teil A und B der Vogelschutzrichtlinie als jagdbar angeführten Vogelarten geschützt. Gemäß § 18 Abs. 2 Z 3 StNSchG 2017 gelte für geschützte Vogelarten das Verbot des absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtszeit, sofern sich diese Störung erheblich auswirkt.
8 Für das Verwaltungsgericht stehe jedenfalls fest, dass durch die Lärmerregung bei Abhaltung eines derartigen Feuerwerks gegen das Verbot des § 18 Abs. 2 Z 3 StNSchG 2017 verstoßen werde und es damit zu einer „unzumutbaren Lärmbelästigung“ nach § 28 Abs. 3 PyroTG 2010 komme.
9 Im Gegensatz zur Auffassung des Revisionswerbers liege eine „unzumutbare Lärmbelästigung“ bereits vor, wenn es mit höchster Wahrscheinlichkeit bei Abhaltung des Feuerwerks zu einer „erheblichen Störung“ des Brut- und Aufzuchtvorganges von Vögeln komme und nicht ‑ wie der Revisionswerber meine ‑ diese Störung sich erst tatsächlich auswirken müsse. Ziel des Gesetzgebers sei es nämlich, eine „unzumutbare Lärmbelästigung“ bereits von vornherein durch entsprechende Auflagen bzw. Verbote zu unterbinden. Bei jeder anderen Auslegung müsste erst ein Schaden (z.B. an Leben, Gesundheit und Eigentum von Menschen) eintreten, um entsprechende Auflagen oder Verbote vorzuschreiben. Diese Wahrscheinlichkeit von erheblichen Beeinträchtigungen durch ein derartiges Feuerwerk sei im vorliegenden Verfahren sachverständig bestätigt worden.
10 Insoweit der Revisionswerber die Richtlinie 2013/29/EU vom 12. Juni 2013 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung pyrotechnischer Gegenstände auf dem Markt, ABl. L 178 S. 27 (Pyrotechnik‑RL), anführe, sei auf Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie zu verweisen, wonach sehr wohl Beschränkungen des Besitzes, der Verwendung oder des Verbotes von Feuerwerkskörpern auch aus Gründen des Umweltschutzes und anderen angeführten Gründen möglich sei. Im Übrigen sei § 28 Abs. 3 PyroTG 2010 zu entnehmen, dass sich die angeführten Gefährdungs- und Belästigungsarten nicht ausschließlich auf Menschen bezögen, sondern insgesamt auf die Umwelt, zu der auch Tiere gehörten.
11 Die bekämpfte vorgeschriebene auflösende Bedingung sei aus Sicht des Verwaltungsgerichts vorschriftskonform erfolgt und genug bestimmt.
12 Die Revision sei unzulässig, da keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorlägen.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
14 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung mit einem Antrag auf Aufwandersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zulässigkeit
15 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob der Begriff der „unzumutbaren Lärmbelästigungen“ in § 28 Abs. 3 PyroTG 2010 auch auf Tiere bezogen sei.
16 Darüber hinaus fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das StNSchG 2017 in ein Verfahren nach dem PyroTG 2010 einzubeziehen sei und bejahendenfalls, ob ein Feuerwerk eine absichtliche Störung im Sinne des § 18 Abs. 2 Z 3 StNSchG 2017 sei.
17 Beiden Fragen komme über den gegenständlichen Fall hinausgehende generelle Bedeutung zu, da es in Hinkunft wohl kein genehmigungsfähiges Feuerwerk in Österreich geben würde, würde man der Auffassung des Verwaltungsgerichts folgen. Durch den mit Feuerwerken verbundenen Lärm würden so gut wie immer Tiere (wenngleich nur vorübergehend) beeinträchtigt. Dies gelte insbesondere auch für die traditionellen, behördlich genehmigten Silvesterfeuerwerke, von denen allgemein bekannt sei, dass sie Tiere stressen.
Rechtslage
18 Das Bundesgesetz, mit dem polizeiliche Bestimmungen betreffend pyrotechnische Gegenstände und Sätze sowie das Böllerschießen erlassen werden (Pyrotechnikgesetz 2010 PyroTG 2010), BGBl. I Nr. 131/2009 idF BGBl. I Nr. 163/2015, lautet auszugsweise (Unterstreichungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
„Regelungsgegenstand
§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt
1. Besitz, Verwendung, Überlassung, Inverkehrbringen und Bereitstellung pyrotechnischer Gegenstände und Sätze und
2. das Böllerschießen.
...
Besitz und Verwendung pyrotechnischer Gegenstände und Sätze
§ 28. (1) Besitz und Verwendung pyrotechnischer Gegenstände und Sätze der Kategorien F3, F4, T2 und S2 sowie von Anzündmitteln der Kategorie P2 sind nur aufgrund einer behördlichen Bewilligung erlaubt. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn
...
unter Bedachtnahme auf die Umstände der beabsichtigten Verwendung der pyrotechnischen Gegenstände und Sätze gewährleistet ist, dass Gefährdungen von Leben, Gesundheit und Eigentum von Menschen oder der öffentlichen Sicherheit sowie unzumutbare Lärmbelästigungen vermieden werden.
(2) Besitz und Verwendung pyrotechnischer Gegenstände der Kategorie P2, mit Ausnahme pyrotechnischer Anzündmittel, sind nur aufgrund einer behördlichen Bewilligung erlaubt. Die Bewilligung ist nach Glaubhaftmachung eines Bedarfs für eine bestimmte Art (Produktgruppe) von pyrotechnischen Gegenständen der Kategorie P2 zu erteilen, wenn ... unter Bedachtnahme auf die Umstände der beabsichtigten Verwendungen der pyrotechnischen Gegenstände, insbesondere die beantragten Verwendungsorte oder -gebiete und Verwendungszeiten gewährleistet ist, dass Gefährdungen von Leben, Gesundheit und Eigentum von Menschen oder der öffentlichen Sicherheit sowie unzumutbare Lärmbelästigungen vermieden werden. ...
(3) Die Behörde hat Ort und Zeit der Verwendung sowie Anzahl und Kategorien der bewilligten pyrotechnischen Gegenstände und Sätze, bei Anträgen nach Abs. 2 zusätzlich die Art der betreffenden Produktgruppe, im Bewilligungsbescheid nach Abs. 1 oder 2 anzuführen und mit diesem die zur Vermeidung von Gefährdungen von Leben, Gesundheit und Eigentum von Menschen oder der öffentlichen Sicherheit sowie von unzumutbaren Lärmbelästigungen erforderlichen Auflagen, Bedingungen und Befristungen, insbesondere betreffend die Art der Lagerung vor der Verwendung und die Einhaltung von Sicherheitsabständen, vorzuschreiben.
...“
Unzumutbare Lärmbelästigungen nach § 28 PyroTG 2010
19 Vorliegend ist die Bedeutung des Begriffes der „unzumutbaren Lärmbelästigungen“ nach § 28 PyroTG 2010 strittig. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass von diesem Begriff auch Tiere, und zwar nach der Vogelschutzrichtlinie und § 18 StNSchG 2017 geschützte wildlebende Vögel, als Schutzobjekte erfasst werden, was vom Revisionswerber bestritten wird.
20 Bereits aus den Erläuterungen zur Stammfassung des § 28 PyroTG 2010 ergibt sich deutlich, dass der Begriff der „unzumutbaren Lärmbelästigungen“ nur Menschen als Schutzobjekte erfasst. So heißt es dort (vgl. RV 367 BlgNR 24. GP , 17):
„In sachlicher Hinsicht können Besitz und Verwendung nur bewilligt werden, wenn es durch die Verwendung zu keinen Sicherheitsgefährdungen oder unzumutbaren Lärmbelästigungen kommt. Eine Lärmbelästigung ist dann als unzumutbar anzusehen, wenn ein gesundes, normal empfindendes Kind oder ein gesunder, normal empfindender Erwachsener dadurch in seiner Gesundheit gefährdet werden könnte.“
21 Dieses Begriffsverständnis entspricht jenem wie er im Bundesrecht im Bereich des gewerberechtlichen Nachbarschutzes in § 77 Abs. 2 Gewerbeordnung 1997 (GewO 1994) ausdrücklich normiert ist. Gemäß § 77 Abs. 2 GewO 1994 ist die Frage, ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 zumutbar sind, danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken (vgl. zu § 77 Abs. 2 GewO 1994 etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2018/04/0121, mwN). Eine ähnliche ausdrückliche Normierung dieses Maßstabs findet sich bei der Regelung des subjektiven Nachbarschutzes in § 7a Abs. 6 Bundesstraßengesetz 1971.
22 An diesem durch den Gesetzgeber klargestellten Begriffsverständnis kann auch der Verweis des Verwaltungsgerichts auf § 11 Abs. 1 Pyrotechnikgesetz‑Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 499/2009 idF BGBl. II Nr. 87/2017, (PyroTG‑DV), nichts ändern. Die dortige Anordnung, dass Mindestsicherheitsabstände auch zu Tieren einzuhalten sind, ändert nichts daran, dass - wie oben dargelegt - der Gesetzgeber mit dem Begriff der „unzumutbaren Lärmbelästigungen“ nur Menschen als Schutzobjekte erfasst hat.
23 Auch Art. 4 Abs. 2 der Pyrotechnik‑RL führt zu keinem anderen Ergebnis, da dessen klarer Wortlaut nur davon spricht, dass „Diese Richtlinie [...] einen Mitgliedstaat nicht daran“ hindert, „aus berechtigten Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der menschlichen Gesundheit oder Sicherheit oder des Umweltschutzes Maßnahmen zum Verbot oder zur Beschränkung des Besitzes, der Verwendung und/oder des Verkaufs von Feuerwerkskörpern der Kategorien F2 und F3, von pyrotechnischen Gegenständen für Bühne und Theater und anderen pyrotechnischen Gegenständen an die breite Öffentlichkeit zu ergreifen“.
24 Der vom Verwaltungsgericht angenommenen Anwendung des StNSchG 2017 in einem Verfahren nach dem PyroTG 2010 steht bereits das durch den Gesetzgeber klargestellte Begriffsverständnis entgegen (vgl. im Übrigen zur Gesichtspunktetheorie VwGH 29.6.1998, 98/10/0160, mwN der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).
Einzelfallbezogene Beurteilung
25 Aus den oben dargestellten Erwägungen hat das Verwaltungsgericht (wie auch bereits die BH) zu Unrecht angenommen, dass von § 28 PyroTG 2010 auch Tiere, und zwar nach der Vogelschutzrichtlinie und § 18 StNSchG 2017 geschützte wildlebende Vögel, als Schutzobjekte erfasst werden, und hat darauf aufbauend zu Unrecht die sachverständig vorgetragenen Bedenken gegen die Durchführung des Feuerwerks im Rahmen des Verfahrens nach § 28 PyroTG 2010 als „unzumutbare Lärmbelästigung“ berücksichtigt.
26 Ob, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, die vorliegend beantragte Durchführung des Feuerwerks gegen das Verbot des § 18 Abs. 2 Z 3 StNSchG 2017 verstößt, ist vorliegend vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu prüfen (vgl. zu § 18 StNSchG 2017 bereits VwGH 18.12.2020, Ra 2019/10/0081 bis 0082). Dieser Gesichtspunkt ist von der allein zuständigen Naturschutzbehörde nach dem StNSchG 2017 wahrzunehmen.
Ergebnis
27 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
28 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014
Wien, am 31. Mai 2021
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
