VwGH Ra 2020/01/0467

VwGHRa 2020/01/046722.1.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des 1. M A, 2. A A, und 3. S A, alle in Fohnsdorf, alle vertreten durch Mag.Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 8. Juni 2020, Zlen. 1. W225 2176891‑1/21E, 2. W225 2176865‑1/32E und 3. W225 2176896‑1/27E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs3
FrPolG 2005 §52
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020010467.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerber, afghanische Staatsangehörige, sind Brüder; sie stellten am 18. September 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit dem erstangefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache der Antrag des Erstrevisionswerbers auf internationalen Schutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und die Rückkehrentscheidung vorübergehend bis zum 8. Juni 2021 für unzulässig erklärt; letzteres mit der Begründung, dass eine besonders stark ausgeprägte Nahebeziehung zur in Österreich jeweils subsidiär schutzberechtigten Mutter und Schwester der Revisionswerber bestehe.

3 Mit dem zweit- und drittangefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache der Antrag des Zweit- und Drittrevisionswerbers auf internationalen Schutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt.

4 In allen Fällen wurde zudem ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.

5 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 21. September 2020, E 2448-2450/2020‑11, die Behandlung der von den Revisionswerbern erhobenen Beschwerde ab und trat diese mit weiterem Beschluss vom 20. Oktober 2020, E 2448‑2450/2020‑13, gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP , 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 11.12.2019, Ra 2019/01/0465, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf.

10 Soweit die Revision in der Zulassungsbegründung Feststellungs- bzw. Begründungsmängel zur Annahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative der Revisionswerber in Herat oder Mazar-e Sharif im Hinblick auf die Covid‑19 Situation geltend macht, werden damit keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen; die Revision zeigt nicht auf, dass den gesunden, arbeitsfähigen Revisionswerbern die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar wäre. Das BVwG ist von der diesbezüglichen - mittlerweile umfänglichen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188; 29.6.2020, Ra 2020/01/0182; 1.7.2020, Ra 2020/14/0266; 2.7.2020, 2020/20/0212; 6.7.2020, Ra 2020/01/0176; 27.7.2020, Ra 2020/01/0130; 20.8.2020, Ra 2020/19/0239; 5.8.2020, Ra 2020/14/0183; 1.9.2020, Ra 2020/20/0160; 2.9.2020, Ra 2020/01/0307; 1.10.2020, Ra 2020/19/0196; 7.10.2020, Ra 2020/14/0432; 9.11.2020, Ra 2020/20/0373; 20.11.2020, Ra 2020/19/0170).

11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. für viele VwGH 18.3.2019, Ra 2019/01/0068, mwN).

12 Sofern die Revision zur ihrer Zulässigkeit vorbringt, dass die Rückkehrentscheidung gegen den Erstrevisionswerber für dauerhaft unzulässig zu erklären gewesen wäre, ist auszuführen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einer Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung auf Dauer auszugehen sein wird, wenn familiäre Bindungen zu einer Ankerperson einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen und anzunehmen ist, dass sich diese Ankerperson weiterhin auf Dauer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten wird. Ist das nicht der Fall und kommt der Ankerperson nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu, so liegt dagegen nur eine vorübergehende Unzulässigkeit vor (vgl. VwGH 25.10.2012, 2012/21/0030; 13.12.2018, Ra 2018/18/0260). Das BVwG ist ‑ unter Bedachtnahme auf das der Mutter und der Schwester der Revisionswerber bloß befristet eingeräumte Aufenthaltsrecht (als subsidiär Schutzberechtigte) ‑ von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen.

13 Soweit sich die Revision jeweils gegen die Rückkehrentscheidung betreffend den Zweit- und Drittrevisionswerber wendet, ist sie darauf zu verweisen, dass familiäre Beziehungen unter Erwachsenen (nur) dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. etwa VwGH 1.10.2020, Ra 2020/20/0332, mwN). Dies ist nach den Feststellungenhinsichtlich des Verhältnisses des Zweit- und Drittrevisionswerbers zu ihrer Mutter bzw. Schwester nicht der Fall. Davon ausgehend vermag die Revisionnicht aufzuzeigen, dass die in diesen Einzelfällen jeweils vorgenommene Abwägung des BVwG unvertretbar erfolgt wäre (vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0521).

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. Jänner 2021

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