VwGH Ra 2020/01/0130

VwGHRa 2020/01/013027.7.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M S in O, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2020, Zl. W264 21924021‑1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010130.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Sache den Antrag des Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

2 Zusammengefasst verneinte das BVwG eine Verfolgungsgefahr aus den vom Revisionswerber vorgebrachten Fluchtgründen; es stellte fest, dass dem Revisionswerber die Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni auf Grund der dortigen volatilen Lage nicht möglich sei, bejahte jedoch die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar‑e Sharif.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

7 Soweit sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung der Sache nach gegen die Beweiswürdigung wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 20.5.2020, Ra 2020/01/0131, Rn. 10, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung wird in der Revision nicht aufgezeigt.

Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

8 Die Revision macht geltend, dass sich das BVwG nicht mit den aktuellen Entwicklungen aufgrund der Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan auseinandergesetzt habe. Es habe näher zitierte Berichte (insbesondere einen Bericht des UN OCHA vom 22. März 2020, eine Stellungnahme von Friederike Stahlmann vom 27. März 2020 sowie eine Kurzinformation der Staatendokumentation vom 9. April 2020) nicht berücksichtigt.

9 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, Rn. 14, mwN).

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar (vgl. VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0191, mwN).

11 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie etwa VwGH 29.6.2020, Ra 2020/01/0182, mwN).

12 Dieser Anforderung wird die vorliegende Revision nicht gerecht:

13 Beim Revisionswerber handelt es sich unstrittig um einen gesunden, arbeitsfähigen, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertrauten Mann, der über eine mehrjährige Schulausbildung und Berufserfahrung in seinem Heimatstaat verfügt. Dass der Revisionswerber in Bezug auf Covid‑19 einer „Risikogruppe“ angehören würde, wird in der Revision nicht vorgebracht.

14 Der Verwaltungsgerichtshof verweist auf die ständige Judikatur des EGMR, wonach es ‑ abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde ‑ grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Fall der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde.

15 Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0068, mit Hinweis auf VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, sowie zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

16 Der Revisionswerber legt nicht dar, dass ‑ im Hinblick die Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan ‑ solche exzeptionellen Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten (vgl. etwa VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, mwN).

17 Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nur vor, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. etwa VwGH 27.5.2020, Ra 2020/01/0140, Rn. 5, mwN).

18 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet allerdings nicht aus, um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, Rn. 21; bzw. jüngst VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192, Rn. 30, mwN).

19 Davon ausgehend zeigt die Revision mit ihrem Vorbringen zu der durch die Covid‑19‑Pandemie bedingten schwierigen wirtschaftlichen Lage ‑ der Revisionswerber verweist auf steigende Lebensmittelpreise, den „Lockdown“ und den „voraussichtlich folgenden völligen Zusammenbruch der Wirtschaft“ sowie die fehlende Möglichkeit Arbeit und Wohnraum zu finden bzw. Unterstützungshilfe zu erlangen ‑ nicht auf, dass dem arbeitsfähigen Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar wäre (vgl. abermals VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, Rn. 19, zu Mazar‑e Sharif; 29.6.2020, Ra 2020/01/0182, Rn. 11; sowie jüngst 6.7.2020, Ra 2020/01/0176, Rn. 18). Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang auf seine Sorgepflichten gegenüber seiner Ehefrau und seinen drei Kindern hinweist, ist ihm entgegen zu halten, dass seine Familie unstrittig, seit er im Jahr 2015 Afghanistan verlassen hat, dort von seinem Vater versorgt wird.

20 Schließlich mangelt es der Rüge der Verletzung des Parteiengehörs in Bezug auf die zur Feststellung der Situation in Afghanistan herangezogenen Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13. November 2019 mit dem bloßen Hinweis auf zuvor „zitierte Berichte zu den Auswirkungen der COVID‑19‑Krise“ ebenfalls an einer entsprechenden Relevanzdarstellung.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

22 Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 27. Juli 2020

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