VwGH Ra 2019/01/0484

VwGHRa 2019/01/048412.3.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der S S in W, vertreten durch Dr. Mehmet Saim Akagündüz, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Ottakringer Straße 54/Top 3.2, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 20. September 2019, Zl. VGW‑153/044/367/2019‑23, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §56
AVG §58 Abs2
AVG §59 Abs1
AVG §60
StbG 1985 §27 Abs1
StbG 1985 §28 Abs1
StbG 1985 §42 Abs3
VwGVG 2014 §17
VwRallg
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010484.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Angefochtenes Erkenntnis

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache gemäß § 39 iVm § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) festgestellt, dass die Revisionswerberin die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit „spätestens mit Wirkung vom“ 30. April 2018 verloren hat und nicht österreichische Staatsbürgerin ist (I.) Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (II.).

2 Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Revisionswerberin, einer zu diesem Zeitpunkt türkischen Staatsangehörigen, sei mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. März 1995 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert worden, dass binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband nachgewiesen werde.

3 Nach Vorlage einer Bestätigung des Innenministeriums der Türkischen Republik, nach welcher der Revisionswerberin die Erlaubnis erteilt worden sei, aus dem türkischen Staatsbürgerschaftsverband auszutreten, sei der Revisionswerberin mit Bescheid der belangten Behörde vom 1. März 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Mit Bescheid des Innenministeriums der Türkischen Republik vom 4. Juli 1996 (Entlassungsurkunde aus der türkischen Staatsangehörigkeit) habe die Revisionswerberin die türkische Staatsangehörigkeit verloren.

4 2017 sei ein Verfahren zur Feststellung der Staatsbürgerschaft der Revisionswerberin eingeleitet worden, weil sich ein auf sie bezogener Datensatz auf näher bezeichneten Listen befunden habe, bei denen der Verdacht bestanden habe, es handle sich um türkische Wählerevidenzlisten. Bei diesem Datensatz habe es sich jedoch nicht um ein authentisches Dokument gehandelt.

5 Die Revisionswerberin sei für die türkische Präsidentschafts‑ und Parlamentswahlen am 24. Juni 2018 in der türkischen Wählerevidenz (abrufbar über die offizielle Homepage der hohen Wahlkommission der Türkei, http://www.ysk.gov.tr/ ) als wahlberechtigt eingetragen gewesen. Voraussetzung für die Eintragung in das Wahlregister sei der Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit gewesen.

6 Danach habe die Revisionswerberin die türkische Staatsangehörigkeit nach dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wieder erworben und sei zumindest am Stichtag für die Eintragung in das Wählerverzeichnis, dem 30. April 2018, türkische Staatsangehörige gewesen.

7 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, die übermittelte Liste stelle nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 11.12.2018, E 3717/2018) für die Zwecke des § 27 Abs. 1 StbG kein taugliches Beweismittel dar.

8 Anders verhalte es sich bei der (durch die belangte Behörde per Internet durchgeführten) Abfrage der von der hohen Wahlkommission der Türkei zur Verfügung gestellten Wählerevidenz. Eine solche Abfrage sei der belangten Behörde über die offizielle Homepage der hohen Wahlkommission „YSK“ (http://www.ysk.gov.tr/ ) am 14. Juni 2018 möglich gewesen. Die von der belangten Behörde mit aktenkundigen Daten der Revisionswerberin ‑ insbesondere auch aus der Staatsbürgerschaftsevidenz ‑ getätigte Abfrage habe ein auf den Vor‑ und Nachnamen sowie der eindeutig zuordenbaren „Kimlik‑Nummer“ lautendes Abfrageergebnis dahingehend ergeben, dass die Revisionswerberin bei der Präsidentschafts‑ bzw. Parlamentswahl 2018 wahlberechtigt gewesen sei. Im Gegensatz zur übermittelten Liste stünden die Authentizität und Herkunft der abgefragten Daten fest. Das Verwaltungsgericht habe keine Zweifel daran, dass es sich dabei tatsächlich um Daten aus dem offiziellen Wählerverzeichnis für die Präsidentschafts‑ bzw. Parlamentswahlen 2018 handle (Verweis auf eine Stellungnahme des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres und auf näher bezeichnete türkische Rechtsvorschriften). Dass die Revisionswerberin die Echtheit und Richtigkeit des Abfrageergebnisses (unsubstantiiert) bestritten habe, sei nicht geeignet, Zweifel zu wecken, zumal das behördliche Abfrageergebnis dieselbe „Kimlik‑Nummer“ enthalte, wie die von der Revisionswerberin selbst vorgelegte „Mavi‑Kart‑Kopie“ sowie der vorgelegte „Mavi‑Kart‑Registerauszug“.

9 Dass die türkische Staatsangehörigkeit Voraussetzung für die Eintragung in das Wählerverzeichnis sei, ergebe sich aus näher bezeichneten Bestimmungen des türkischen Rechts.

10 Die von der Revisionswerberin vorgelegten Unterlagen („Mavi‑Kart‑Registerauszug“, Mavi‑Karte und seitens des Generalkonsulates der Republik Türkei in Wien ausgestellte Bestätigungen, in denen festgehalten werde, dass die Revisionswerberin aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgert worden sei und ihr Personenstand nicht mehr im Personenstandsregister, sondern im Mavi‑Kart‑Register geführt werde) seien nach dem hier relevanten Stichtag (30. April 2018) ausgestellt worden und besäßen nur eine Aussagekraft für den jeweiligen Zeitpunkt der Ausstellung.

11 Insoweit die Zuverlässigkeit der türkischen Wählerevidenz durch die Revisionswerberin in Zweifel gezogen werde, weist das Verwaltungsgericht auf die (nach näher bezeichneten türkischen Rechtsvorschriften) bestehende Möglichkeit eines Einspruches bzw. einer Beschwerde gegen die Eintragung hin, welche die Revisionswerberin nicht ergriffen habe.

12 Um eine fälschliche Eintragung (der Revisionswerberin in der türkischen Wählerevidenz) gänzlich auszuschließen, sei die Revisionswerberin aufgefordert worden, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vorzulegen oder darzulegen, wieso es ihr weder möglich sei, einen solchen online noch (vor Ort) bei den zuständigen Behörden in der Türkei zu beantragen. Hiezu führte das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf näher bezeichnete Vorschriften des türkischen Rechts aus, dass es davon ausgehe, dass auch eine Person, nachdem sie die türkische Staatsangehörigkeit verloren bzw. zurückgelegt habe, einen Anspruch auf Ausstellung eines entsprechenden Personenregisterauszuges habe (Verweis insbesondere auf Art. 2 des türkischen Gesetzes Nr. 5490 über das Personenstandswesen, welches (nach einer Novelle 2012) ausdrücklich regle, dass neben türkischen Staatsangehörigen auch Personen, die von Geburt an die türkische Staatsangehörigkeit inne gehabt hätten und in der Folge mit Austrittsgenehmigung die türkische Staatsangehörigkeit verloren hätten, in den Anwendungsbereich des Gesetzes fielen).

13 Die Revisionswerberin habe keine überzeugenden Gründe für die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Vorlage eines Personenstandsregisterauszuges geltend gemacht, zumal sie keinerlei Dokumentation eines entsprechenden Antrages bzw. einer ablehnenden behördlichen Entscheidung vorweisen habe können.

14 Die Revisionswerberin habe im Hinblick auf die von der belangten Behörde auf der Webseite eines fremden Staates durchgeführte Wählerabfrage beantragt, das vorliegende Verfahren bis zur Klärung und Entscheidung über etwaige Datenschutzverletzungen ‑ es seien bereits Beschwerdeverfahren bei der Datenschutzbehörde anhängig ‑ auszusetzen. Hiezu führte das Verwaltungsgericht aus, dass die vorliegende Datenverarbeitung (hinsichtlich des von der belangten Behörde von der Homepage der hohen Wahlkommission der Türkei durchgeführten und erlangten Abfrageergebnisses) in einer anhängigen Beschwerdesache zur Wahrnehmung der dem Verwaltungsgericht im öffentlichen Interesse übertragenen Zuständigkeit der Feststellung, ob eine bestimmte Person österreichischer Staatsbürger ist oder nicht und der Führung eines diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens nach dem Amtswegigkeitsprinzip erforderlich bzw. rechtmäßig sei (Verweis auf Art. 6 Abs. 1 lit. e, Art. 9 Abs. 2 lit. f der Datenschutz‑Grundverordnung EU 2016/679).

15 Darüber hinaus bestehe nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst in Ansehung gesetzwidriger Weise erlangter Beweisergebnisse kein allgemeines Beweisverwertungsverbot.

16 Vorliegend komme es auch nicht zu einer verfassungswidrigen Überwälzung der Beweislast auf die Revisionswerberin. Anders als in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 11. Dezember 2018, E 3717/2018, lägen vorliegend taugliche Beweise in Form der Online‑Abfrage vor. Die Aufforderung zur Vorlage von Auszügen aus dem Personenstandsregister dienten lediglich dazu, der Revisionswerberin die Möglichkeit einzuräumen, die Aussagekraft der bereits ermittelten Beweise zu relativieren.

17 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, damit stehe fest, dass die Revisionswerberin gemäß § 27 Abs. 1 StbG ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe. Auch ein allfälliger neuerlicher Austritt aus dem türkischen Staatsverband könne daran nichts ändern.

18 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 12. März 2019, C‑221/17, Tjebbes u.a., sei vorliegend eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.

19 Werde der Verlusttatbestand durch eine freiwillige, positive Willensbekundung des Staatsbürgers gesetzt und verlasse der Staatsbürger das Verhältnis besonderer Verbundenheit und Loyalität sowie der Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten, die dem Staatsangehörigkeitsverband zugrunde lägen, aus freien Stücken, müsse schon aus diesem Grund der Verlust als verhältnismäßig angesehen werden. Dies auch vor dem Hintergrund der im § 28 StbG geregelten Möglichkeit, die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu beantragen.

20 Darüber hinaus lägen auch sonst keine Umstände vor, die den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft als unverhältnismäßig erscheinen ließen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass die Revisionswerberin als Inhaberin einer Mavi‑Kart derzeit die türkische Staatsangehörigkeit nicht besitze und somit staatenlos sei, sei es ihr möglich, die österreichische Staatsbürgerschaft neuerlich zu beantragen bzw. diverse näher bezeichnete Aufenthaltstitel zu beantragen. So käme für die Revisionswerberin auf Grund ihres langjährigen Aufenthaltes sowie ihrer Ehe mit einem im Inland aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach Art. 8 EMRK nach dem Asylgesetz in Betracht. Auch könne die Revisionswerberin als ehemalige türkische Staatsangehörige relativ einfach die türkische Staatsangehörigkeit wieder annehmen (Verweis auf näher bezeichnete türkische Rechtsvorschriften) und würde dadurch grundsätzlich auch unter das Assoziationsabkommen EWG‑Türkei fallen. Die Revisionswerberin sei seit dem Jahr 2006 Notstandshilfebezieherin. Auch der Bezug von Notstandshilfeleistungen sei nicht auf österreichische Staatsbürger beschränkt.

21 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

22 Zulässigkeit

Allgemein

23 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

24 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

25 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Zur Feststellung nach § 27 Abs. 1 StbG führende Beweiswürdigung

26 Die Revision wendet sich in ihrem Zulässigkeitsvorbringen im Wesentlichen gegen die zur Feststellung nach § 27 Abs. 1 StbG führende Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.

27 So bringt die Revision vor, es gebe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wählerabfrage als taugliches Beweismittel. Wenn die Revision dabei auf die Rechtsprechung des VfGH (VfGH 11.12.2018, E 3717/2018) hinweist, übersieht sie, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis nachvollziehbar ausgeführt hat, aus welchen Gründen sich die vorliegende Wählerabfrage hinsichtlich ihrer Authentizität von der vom VfGH behandelten Liste (als „Wählerevidenzliste“ bezeichneter Datensatz) unterscheidet. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass im Gegensatz zur Liste die Authentizität und Herkunft der abgefragten Daten feststehe, da sie über die offizielle Homepage der hohen Wahlkommission der Türkei abgefragt worden seien.

28 Die Revision wendet weiter ein, die Revisionswerberin hätte die Echtheit und Richtigkeit der Wählerabfrage bestritten und das Verwaltungsgericht hätte daher Ermittlungen zur Echtheit und Richtigkeit bzw. zur Rechtsnatur der Wählerabfrage tätigen und dabei an das „BMEIA“ das Ersuchen richten müssen, auf diplomatischem Wege bei den zuständigen türkischen Behörden nachzufragen, ob eine Wählerabfrage für sich alleine den Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit erbringen könne.

29 Vielmehr habe das Verwaltungsgericht das Vorbringen der Revisionswerberin „zur Gänze“ ignoriert. Jedenfalls könne die Richtigkeit der von der belangten Behörde durchgeführten Wählerabfrage nicht verifiziert werden. Es handle sich um kein behördliches bzw. öffentliches Dokument, da dem Auszug keine amtliche Signatur zu entnehmen sei.

30 Das Verwaltungsgericht habe sich auch nicht eingehend mit der türkischen Rechtslage auseinandergesetzt, habe Ermittlungen zur Herkunft und Richtigkeit der Wählerabfrage unterlassen, habe das Parteivorbringen der Revisionswerberin hinsichtlich der Visa für die Einreisen in die Türkei ignoriert, habe sich nicht mit dem Einspruchsrecht „wegen Falscheintragung in das Auslandswahlregister“ auseinandergesetzt und habe letztlich nicht berücksichtigt, dass für die Revisionswerberin ein Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der Wählerabfrage unmöglich gewesen sei.

31 Daher könne alleine auf Grund der Wählerabfrage die Tatsache des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG nicht festgestellt werden.

32 Angesichts der Rechtsfolgen eines Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft reiche eine „hohe bzw eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ für die Feststellung des Verlustes nicht aus. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 27 Abs. 1 StbG lägen die Voraussetzungen für den Verlust der Staatsbürgerschaft nur vor, wenn „aufgrund unbedenklicher Urkunden mit hundertprozentiger Sicherheit“ festgestellt werden könne, dass die Revisionswerberin die türkische Staatsbürgerschaft wieder erworben habe.

33 Diese Rechtsfrage sei von grundsätzlicher Bedeutung, weil derzeit über 500 bis 800 gleichgelagerte Fälle bei der belangten Behörde und zahlreiche bei den Verwaltungsgerichten anhängig seien.

34 Zu diesem Vorbringen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 27 Abs. 1 StbG die von der Revision postulierte „hundertprozentige Sicherheit“ nicht verlangt. So hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf seine Rechtsprechung zum Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG bereits festgehalten, dass das Verwaltungsgericht im Feststellungsverfahren nach § 27 Abs. 1 StbG verpflichtet ist, den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. Dabei ist ausländisches Recht, da der Grundsatz „iura novit curia“ nicht gilt, in einem ‑ grundsätzlich amtswegigen ‑ Ermittlungsverfahren festzustellen (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0042, mwN).

35 In diesem Zusammenhang ist auf den mit § 45 Abs. 2 AVG normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung hinzuweisen, wonach die Behörde bzw. iVm § 17 VwGVG das Verwaltungsgericht bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat (vgl. VwGH 5.11.2019, Ra 2018/01/0110, mwN). Dabei gilt das Beweismaß der größeren inneren Wahrscheinlichkeit“ (vgl. VwGH 15.1.2018, Ra 2017/12/0126, mwN).

36 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP , 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zu § 27 StbG VwGH 26.6.2019, Ra 2019/01/0230, mwN).

37 Eine derart krasse Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf.

38 Mit dem Vorwurf, das Verwaltungsgericht hätte im diplomatischen Wege bei den zuständigen türkischen Behörden nachzufragen gehabt, ob eine Wählerabfrage für sich alleine den Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit erbringen könne, bzw. ob die in der Wählerabfrage enthaltenen Daten von türkischen Behörden stammen, zeigt die Revision keine grundsätzliche Rechtsfrage auf. So ist allgemein darauf zu verweisen, dass die Frage, ob eine Beweisaufnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren notwendig ist, der einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht unterliegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits klargestellt, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2019/01/0071, mwN). Hinzu kommt, dass die Revision in keiner Weise vorbringt, dass die Revisionswerberin im Verfahren vor der belangten Behörde oder dem Verwaltungsgericht einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat.

39 Ebenso ist der Vorwurf der Revision, das Verwaltungsgericht sei „in keinster Weise“ auf die türkische Rechtslage eingegangen, vor dem Hintergrund der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar.

Zeitpunkt der Feststellung des Verlustes

40 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, es gebe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Zeitpunkt des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft und zur Frage, ob die Feststellung eines Verlustzeitraumes rechtmäßig sei.

41 Auf Grund der mit dem Verlust der Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs. 1 StbG verbundenen Rechtsfolgen könne § 27 Abs. 1 StbG bei verfassungskonformer Auslegung nur so ausgelegt werden, dass ein Verlust nur an einem bestimmten Tag/Zeitpunkt, aber nicht während eines Zeitraumes erfolgen könne. Auch die (in der Revision näher bezeichnete) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 27 Abs. 1 StbG habe Fälle betroffen, bei denen der Verlust immer zu einem bestimmten Tag festgestellt worden sei. Die Rechtsfrage des Verlustzeitpunktes sei von grundsätzlicher Bedeutung, zumal nach der der Revisionswerberin vorliegenden Information derzeit über 500 bis 800 gleichgelagerte Fälle bei der belangten Behörde und zahlreiche bei den Verwaltungsgerichten anhängig seien.

42 Gemäß § 59 Abs. 1 AVG, der nach § 17 VwGVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sinngemäß anzuwenden ist, hat der Spruch (eines Erkenntnisses) die in Verhandlung stehende Angelegenheit in möglichst gedrängter deutlicher Fassung zu erledigen. Die Entscheidung muss dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entsprechen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Spruchs dürfen aber nicht überspannt werden. So darf etwa neben dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut des Spruchs auch die Begründung der Entscheidung als Auslegungshilfe herangezogen werden, wenn der Spruch als individuelle Norm einer Auslegung bedarf. Dabei genügt es, wenn sich aus der Einbeziehung der Begründung in die Auslegung des Spruchs der Inhalt der Entscheidung mit ausreichender Deutlichkeit ergibt. Nicht zuletzt hängen die Anforderungen an das Maß der Bestimmtheit stets von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. zu allem VwGH 22.2.2018, Ra 2017/22/0125, mwN).

43 Der Verwaltungsgerichtshof hat es in seiner Rechtsprechung zu § 27 Abs. 1 StbG nicht als unschlüssig erkannt, wenn das Verwaltungsgericht angesichts der im Zeitpunkt des (Wieder)Erwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit geltenden Rechtslage davon ausging, dass der Verleihung ein Antrag zugrunde lag (vgl. VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0477, mwN auf die bisherige Rechtsprechung). Diese Rechtsprechung zeigt, dass der Verwaltungsgerichtshof für die Feststellung des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs. 1 StbG auf einen Zeitpunkt und nicht auf einen Zeitraum abgestellt hat.

44 Dies entspricht dem oben angeführten Gebot der hinreichenden Bestimmtheit, aber auch angesichts der Rechtsfolgen einer Feststellung des Verlustes der Staatsbürgerschaft dem Gebot der Rechtssicherheit für den Betroffenen (vgl. zu den rechtlichen Interessen des Betroffenen, der auf die Rechtssicherheit, das heißt auf den durch die Rechtskraft gesicherten Bestand des Bescheides vertraut, iZm § 68 Abs. 4 AVG VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0119, mwN).

45 Daher ist der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses und die darin (unter Rückgriff auf den Abspruch des Bescheides der belangten Behörde; vgl. insoweit VwGH 27.4.2017, Ra 2017/07/0028, mwN) enthaltene Wortfolge „spätestens mit Wirkung vom“ dahin auszulegen, dass der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs. 1 StbG mit dem genannten Zeitpunkt (30. April 2018) festgestellt wird. Dies ergibt sich aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses, wonach festgestellt wurde, dass die Revisionswerberin zumindest am Stichtag für die Eintragung in das Wählerverzeichnis (dem 30. April 2018) türkische Staatsangehörige gewesen war.

46 Somit stellt sich die von der Revision aufgeworfene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht.

47 Damit stellt sich auch die weitere von der Revision zu ihrer Zulässigkeit aufgeworfene Rechtsfrage eines behaupteten Widerspruches im angefochtenen Erkenntnis zwischen Spruch und Begründung nicht.

Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EuGH Tjebbes u.a.

48 Die Revision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung weiter vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C‑221/17, Tjebbes u.a.

49 Zu diesem Vorbringen genügt es auf die mittlerweile ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage hinzuweisen. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG kann insoweit auf die Begründung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 2020, Ra 2020/01/0022, hingewiesen werden.

50 Nach dieser erfordert eine solche unionsrechtlich gebotene Prüfung eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles durchgeführte Gesamtbetrachtung. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung wird jedoch regelmäßig der vom VfGH aus verfassungsrechtlicher Sicht angeführte Umstand, dass der Betroffene die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft (nach § 28 Abs. 1 StbG) nicht wahrgenommen hat, von maßgeblicher Bedeutung sein. Dieser Umstand entbindet das Verwaltungsgericht aber nicht von der unionsrechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. nochmals VwGH 18.2.2020, Ra 2020/01/0022, mwN, sowie jüngst VwGH 27.2.2020, Ra 2020/01/0050, mwN).

51 Im vorliegenden Fall ist nicht zu sehen, dass das Verwaltungsgericht die solcherart vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits aufgestellten Leitlinien nicht beachtet hat.

Sonstiges Zulässigkeitsvorbringen

52 Ansonsten bringt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen vor, zu rechtswidrig erlangten Beweismitteln in einem Feststellungsverfahren nach § 27 Abs. 1 iVm § 42 Abs. 3 StbG, insbesondere nach Inkrafttreten der Datenschutz‑Grundverordnung (EU) 2016/679, gebe es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

53 Dieses Vorbringen fußt auf der Behauptung, die personenbezogenen Daten der Revisionswerberin seien durch die Wählerabfrage in rechtswidriger Weise verarbeitet worden, zumal eine Güter‑ und Interessenabwägung zu einem Beweisverwertungsverbot hätte führen müssen, da ansonsten „die Wertungen des Verwaltungsverfahrensrechts höher gesetzt werden als die Verfassung sowie das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Datenschutz“.

54 Mit diesen Behauptungen wird eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung nicht dargetan. So hat das Verwaltungsgericht zur Rechtmäßigkeit der Verarbeitung zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes hingewiesen, wonach sich das öffentliche Interesse an der amtswegigen Feststellung in einem Fall wie dem vorliegenden schon aus dem Interesse des Staates ergibt, nicht darüber im Zweifel zu sein, ob eine bestimmte Person Staatsangehöriger ist oder nicht (vgl. VwGH 19.9.2012, 2009/01/0003, mwN).

55 Weiters behauptet die Revision zu ihrer Zulässigkeit, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Mitwirkungspflicht bzw. deren Umfang abgewichen bzw. es gebe keine einheitliche Rechtsprechung zur zumutbaren Mitwirkungspflicht. Die Revisionswerberin habe alle ihr zumutbaren und rechtlich zustehenden Möglichkeiten ausgeschöpft, um einen türkischen Personenstandsregisterauszug zu erhalten. Mit diesem Vorbringen übergeht die Revision, dass das Verwaltungsgericht beweiswürdigend ausgeführt hat, die Revisionswerberin habe keinerlei Dokumentation eines solchen Antrages bzw. einer ablehnenden behördlichen Entscheidung vorweisen können. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang weiter ausführt, das Verwaltungsgericht habe sich mit den einschlägigen Bestimmungen des türkischen Rechtes zu den Möglichkeiten eines derartigen Antrages nicht auseinandergesetzt und die türkische Rechtslage „gröblich verkannt“, sind diese pauschalen Behauptungen nicht geeignet, die vom Verwaltungsgericht insoweit zur türkischen Rechtslage getroffenen Feststellungen zu entkräften. Das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe die von der Revisionswerberin vorgelegten Bestätigungen der türkischen Personenstandsbehörde nicht anerkannt bzw. „völlig ignoriert“ und damit die Mitwirkungspflicht rechtswidrig überspannt, geht nicht auf die beweiswürdigenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtes zu diesen vorgelegten Bestätigungen ein.

56 Im Übrigen stellt eine solche Vorgangsweise, bei welcher der Partei die Gelegenheit zur Vorlage anderer, ihr zugänglicher Beweismittel gegeben wird, um den vom Verwaltungsgericht amtswegig (im Wege einer Würdigung von Beweismitteln und der ausländischen Rechtslage) festgestellten maßgeblichen Sachverhalt widerlegen zu können, keine ‑ unzulässige ‑ Umkehr der formellen Beweislast dar (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0042, mwN).

57 Zuletzt behauptet die Revision, das Verwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Eintragungen im türkischen Personenstandsregister den Charakter einer öffentlichen Urkunde hätten und Strengbeweismittel seien, abgewichen, da es die von der Revisionswerberin vorgelegten Bestätigungen des türkischen Generalkonsulates und die Mavi‑Kart‑Registerauszüge „ignoriert“ habe. Dieses Vorbringen geht nicht auf das beweiswürdigende Argument des Verwaltungsgerichtes ein, wonach die vorgelegten Bestätigungen auf Grund ihres Ausstellungsdatums für die vorliegend zu klärende Frage des Verlustes der Staatsbürgerschaft nicht maßgeblich seien. Somit besteht auch der Vorwurf der Revision, das Verwaltungsgericht habe die vorgelegten Bestätigungen nicht für „echt und richtig“ gehalten, zu Unrecht.

Ergebnis

58 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

59 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

60 Der Anregung der Revisionswerberin, der Verwaltungsgerichtshof möge an den EuGH einen Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV zu näher bezeichneten Rechtsfragen des Unionsrechts stellen, war nicht näher zu treten. So wurde diese Anregung unter der Annahme gestellt, der Verwaltungsgerichtshof sei der Ansicht, die Rechtsprechung des EuGH, Tjebbes u.a., sei auf § 27 Abs. 1 StbG nicht übertragbar. Dies trifft nicht zu.

Wien, am 12. März 2020

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