Normen
AVG §45 Abs2
StbG 1985 §27 Abs1
62017CJ0221 Tjebbes VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010477.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin die Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerberin wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung (belangte Behörde) vom 31. Oktober 1995 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen und darauf hingewiesen, dass sie binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem bisherigen (türkischen) Staatsverband zu erbringen habe, ansonsten ein Entziehungsverfahren gemäß § 34 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) eingeleitet werden müsste. Laut der von der Revisionswerberin in der Folge vorgelegten Bestätigung des türkischen Innenministeriums wurde die Revisionswerberin mit dem Tag der Ausstellung der Entlassungsurkunde, dem 10. Mai 1996, aufgrund des Beschlusses des Ministerrates vom 2. März 1995, aus dem türkischen Staatsverband entlassen und verlor daher mit 10. Mai 1996 die türkische Staatsangehörigkeit.
2 Mit Bescheid vom 23. März 2018 stellte die belangte Behörde gemäß §§ 27 Abs. 1, 39 und 42 Abs. 3 StbG fest, dass die Revisionswerberin die österreichische Staatsbürgerschaft seit 12. August 1997 nicht mehr besitzt.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. September 2018 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab sowie den Antrag auf Kostenersatz gemäß § 49 VwGVG als unzulässig zurück und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das LVwG stellte im Wesentlichen zusammengefasst fest, dass die Revisionswerberin nach entsprechender Antragstellung gemäß § 8 des türkischen Staatsbürgerschaftsgesetzes Nr. 403 laut Ministerratsbeschluss vom 12. August 1997 wieder die türkische Staatsangehörigkeit verliehen bekommen habe, ohne zuvor die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft beantragt zu haben.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde beantragte, die Revision kostenpflichtig zurück-, in eventu abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
7 Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliert die Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Bestimmung des § 27 Abs. 1 StbG voraus, dass der Staatsbürger eine auf den Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft gerichtete "positive Willenserklärung" abgibt und die fremde Staatsbürgerschaft infolge dieser Willenserklärung tatsächlich erlangt. Da das Gesetz verschiedene Arten von Willenserklärungen ("Antrag", "Erklärung", "ausdrückliche Zustimmung") anführt, bewirkt jede Willenserklärung, die auf Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft gerichtet ist, im Falle deren Erwerbs den Verlust der (österreichischen) Staatsbürgerschaft. Auf eine förmliche Verleihung der fremden Staatsangehörigkeit kommt es nicht an (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2018/01/0364, Rn. 11, mwN).
9 Die Revision moniert unter anderem eine unrichtige Beweiswürdigung betreffend die bekämpfte Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach der Revisionswerberin auf deren Antrag hin die türkische Staatsangehörigkeit mit Ministerratsbeschluss vom 12. August 1997 wieder verliehen worden sei.
Die Revisionswerberin habe letztlich erfolglos alles unternommen, um eine Abschrift des die Wiederverleihung betreffenden Aktes der türkischen Behörden zum Beweis dafür, dass sie nie einen Antrag auf Wiederverleihung der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt habe, zu erhalten. Aus dem vorliegenden Personenstandsregisterauszug sei nicht ersichtlich, dass der Wiedereinbürgerung der Revisionswerberin ein Antrag ihrerseits zugrunde liege. Es gebe keine Beweisergebnisse, wonach die Revisionswerberin ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe. Der Revisionswerberin könne nicht die Beweislast auferlegt werden, dass ihrer dokumentierten Wiedereinbürgerung kein Antrag zugrunde liege, wenn selbst die österreichischen Behörden keine Auskunft seitens der türkischen Behörden erhielten.
10 Eine krasse Fehlbeurteilung der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts zeigt die Revision nicht auf:
11 Das LVwG hat seine umfangreiche Beweiswürdigung nicht auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht seitens der Revisionswerberin gestützt. Das LVwG würdigte vielmehr eingehend die aufgenommenen Beweismittel, insbesondere die Aussagen der Revisionswerberin und ihres Ehemannes, ohne ihr in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Mitwirkungspflicht vorzuwerfen. Lediglich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ging das LVwG im Zusammenhang mit dem der belangten Behörden in der Beschwerde vorgeworfenen Verfahrensmangel, es hätten entsprechende Erkundigungen von Amts wegen von den zuständigen türkischen Behörden eingeholt werden müssen, auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Revisionswerberin ein, ohne jedoch darauf seine Beweiswürdigung zu gründen.
12 Im Übrigen ist es nicht als unschlüssig zu erkennen, wenn das LVwG angesichts der im Zeitpunkt des (Wieder)Erwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit geltenden (nicht bestrittenen) türkischen Rechtslage, wonach die (Wieder‑)Einbürgerung eines Antrags des (Wieder‑)Einzubürgernden bedürfe, sowie der (ebenfalls nicht bestrittenen) Tatsache, dass der Revisionswerberin die türkische Staatsangehörigkeit (wieder-)verliehen wurde, davon ausging, dass der Verleihung ein Antrag der Revisionswerberin zugrunde lag (vgl. etwa VwGH 26.1.2012, 2009/01/0045; 15.3.2012, 2010/01/0026, sowie zuletzt VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0045, Rn. 20) und etwa nicht auf einer (allgemein) fehlerhaften Verwaltungspraxis türkischer Behörden beruhte.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits vielfach auf die (von der Revisionswerberin nicht bestrittene) Unmöglichkeit, von Amts wegen personenbezogene Auskünfte von den türkischen Behörden zu erhalten, hingewiesen (vgl. etwa VwGH 10.7.2018, Ra 2018/01/0094, Rn. 35, mwN).
14 Ausgehend vom festgestellten Vorliegen der Voraussetzungen für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG und dem für die Revisionswerberin damit verbundenen gleichzeitigen Verlust des Unionsbürgerstatus ist nach der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 12. März 2019 in der Rechtssache C-221/17 , Tjebbes ua., von der zuständigen nationalen Behörde und gegebenenfalls dem nationalen Gericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. 15 Da für die Revisionswerberin der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft mit dem Verlust des Unionsbürgerstatus verbunden ist, ist im konkreten Revisionsfall neben dem Vorliegen der Voraussetzungen für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Folgen dieses Verlusts der Staatsbürgerschaft vorzunehmen (vgl. EuGH 12.3.2019, C-221/17 , Tjebbes ua., Rn. 48; sowie VfGH 17.6.2019, E 1832/2019, zur Prüfung der Folgen eines allfälligen Verlustes der Staatsbürgerschaft auf ihre Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 8 EMRK).
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Ergebnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
17 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden. 18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. September 2019
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