VwGH Ra 2017/12/0011

VwGHRa 2017/12/001113.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision der Mag. X Y in Z, vertreten durch Dr. Gerhard Brandl, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Kardinalschütt 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 9. November 2016, Zl. KLVwG- 2770/12/2015, betreffend Aufhebung eines rechtskräftigen Bescheides nach § 68 Abs. 2 AVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Stadt Villach), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
BezügeG Krnt 1992 §74 Abs1;
BezügeG Krnt 1992 §94 Abs1 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017120011.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Villach hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom 26. März 2001 wurde ausgesprochen, dass der Revisionswerberin aufgrund ihres Antrages vom 21. September 2000 gemäß § 74 Abs. 1 und § 94 Abs. 1 lit. a des Kärntner Gesetzes über Bezüge und Pensionen von Organen von Gebietskörperschaften (Kärntner Bezügegesetz 1992) als ehemaliger Vizebürgermeisterin der Stadt Villach ab 1. August 2017 ein monatlicher Ruhebezug gebühre. Begründend wurde in dem Bescheid festgehalten, dass die der Revisionswerberin anzurechnende ruhebezugsfähige Gesamtzeit 10 Jahre betrage. Darüber hinaus wurde in dem genannten Bescheid eine Berechnung des der Revisionswerberin ab 1. August 2017 zustehenden Ruhebezugs vorgenommen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom 14. Juli 2015 wurde der Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom 26. März 2001 gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben und der Antrag der Revisionswerberin vom 21. September 2000 als unzulässig zurückgewiesen. Begründend verwies die Behörde darauf, dass es durch die Novelle LGBl. Nr. 54/2003 zu einer "gravierenden" Änderung des Kärntner Bezügegesetzes 1992 gekommen sei. Mit dieser Novelle sei § 77 Abs. 1 leg. cit. dahingehend geändert worden, dass der Ruhebezug erst ab dem der Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden Monatsersten ausbezahlt werde. Das Gesetz sei mit 1. Jänner 2004 in Kraft getreten. Darüber hinaus verwies die Behörde auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 2006, A 1/06, mit welchem der Verfassungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht habe, dass in der vorliegenden Konstellation im Zeitpunkt des Antrages und auch im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen kein Anspruch, sondern lediglich eine Anwartschaft der Revisionswerberin auf Ruhebezug bestanden habe. Der Verfassungsgerichtshof habe zudem die Auffassung vertreten, dass für die Behörde die Möglichkeit bestehe, nach Änderung der Rechtslage einen neuen Bescheid zu erlassen. Durch die Behebung des Bescheides vom 26. März 2001 komme es zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung der Revisionswerberin. Ihr Anwartschaftsrecht bleibe unverändert. Dass der Antrag der Revisionswerberin vom 21. September 2000 unzulässig sei, ergebe sich zudem aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2014, Ro 2014/12/0002.

3 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Berufung, welcher mit Bescheid des Stadtsenates der Stadt Villach vom 1. Oktober 2015 abgewiesen wurde.

4 Gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Villach erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Kärntner Landesverwaltungsgericht.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

6 Das Verwaltungsgericht stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass der Bürgermeister der Stadt Villach nach Ansicht des Verwaltungsgerichts zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 26. März 2001 nicht zuständig gewesen sei, über den Antrag der Revisionswerberin vom 21. September 2000 inhaltlich abzusprechen. Der Antrag der Revisionswerberin wäre richtigerweise als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Die Behörde habe daher zu Recht den Bescheid vom 26. März 2001 gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben und den Antrag der Revisionswerberin vom 21. September 2000 auf Zuerkennung eines Ruhegenusses ab 1. August 2017 als unzulässig zurückgewiesen. Dem Vorbringen der Revisionswerberin, wonach es sich bei dem Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom 26. März 2001 um einen Leistungsbescheid handle, der ab 1. August 2017 vollstreckbar sei, sei entgegenzuhalten, dass der Bürgermeister der Stadt Villach mit dem Bescheid vom 26. März 2001 unzuständiger Weise eine inhaltliche Entscheidung getroffen habe. Vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 2006, A 1/06, hätten der Revisionswerberin keinerlei Rechte aus dem in Rede stehenden Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom 26. März 2001 erwachsen können, wobei es im Übrigen unstrittig sei, dass die Revisionswerberin weiterhin ein Anwartschaftsrecht auf einen Ruhebezug habe und dieses Anwartschaftsrecht durch die Behebung des Bescheides vom 26. März 2001 nicht berührt worden sei. Den Ausspruch betreffend die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 ?-VG.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in welcher die Revisionswerberin zur Zulässigkeit ausführt, dass das Verwaltungsgericht insofern von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, als es unzutreffender Weise davon ausgegangen sei, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Behebung des gegenständlichen Bescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG gegeben seien. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts greife die Behebung des Bescheides vom 26. März 2001 in gravierender Weise in die Rechtsposition der Revisionswerberin ein. Durch den Bescheid vom 26. März 2001 seien der Revisionswerberin jedenfalls Rechte erwachsen. Dadurch dass der Revisionswerberin nicht mehr zum 1. August 2017, sondern erst zum 1. August 2022 ein Anspruch auf Bezug eines Ruhegenusses zustehen solle, komme es in offenkundiger Weise zu einer Beeinträchtigung der Rechte der Revisionswerberin. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürften selbst rechtswidrige Bescheide nicht gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben beziehungsweise abgeändert werden. Diese Rechtsprechung habe das Verwaltungsgericht außer Acht gelassen.

8 Gleichzeitig mit der gegenständlichen Revision erhob die Revisionswerberin gegen das angefochtene Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 24. Februar 2017, E 3244/2016-5, ablehnte.

9 Die vorliegende Revision erweist sich aus den in der Revision dargelegten Gründen als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

10 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung der Revision, hilfsweise deren Abweisung.

 

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens über die vorliegende Revision erwogen:

12 § 68 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Abänderung und Behebung von Amts wegen

§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

(2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden..."

13 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom 26. März 2001 wurde spruchgemäß festgehalten, dass der Revisionswerberin ab 1. August 2017 ein monatlicher Ruhebezug gebühre. Es handelt sich dabei um einen Feststellungsbescheid, der bei seiner Erlassung auf einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt (1. August 2017) Bezug nahm und durch die Behörde vor diesem Zeitpunkt unter Berufung auf § 68 Abs. 2 AVG behoben wurde.

14 Hinsichtlich der Wirkungen dieses Feststellungsbescheides ist zunächst festzuhalten, dass sich diese nur auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 26. März 2001 beziehen konnten und nach Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen mit Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 54/2003 die Rechtskraft dieses Bescheides der Erlassung eines neuen Bescheides in derselben Angelegenheit nicht entgegenstand. Die Verbindlichkeit ("Bindungswirkung") eines Feststellungsbescheides besteht nämlich nur innerhalb der "Grenzen der Rechtskraft", welche mit Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 54/2003 durchbrochen wurde (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 2006, A1/06). Der Verwaltungsgerichtshof spricht auch von einem (damit einhergehenden) "Ende" bzw. einer "Durchbrechung" der Feststellungswirkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 2016, Ro 2015/12/0025, den hg. Beschluss vom 25. März 2015, 2015/12/0002, sowie die hg. Erkenntnisse vom 18. Dezember 2003, 2002/12/0247, und vom 24. März 2004, 2003/12/0118). In einem solchen Fall ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides mit geändertem Inhalt für die Durchbrechung der Feststellungswirkung nicht vorausgesetzt (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 9. September 2015).

15 Die Befugnis der Behörde, auf dem Boden der nach Änderung der Rechtslage anzuwendenden, rechtlichen Bestimmungen einen neuen Bescheid zu erlassen, führt aber nicht dazu, dass sie einen zuvor erlassenen Bescheid gemäß § 68 Abs. 2 AVG beheben dürfte. Vielmehr dient § 68 Abs. 2 AVG der (ex-nunc erfolgenden) Beseitigung der Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Bescheides. Der Anwendungsbereich des § 68 Abs. 2 AVG bezieht sich (wie sich aus § 68 Abs. 1 AVG unzweifelhaft ergibt) auf Fälle, in denen der Bescheid zum Zeitpunkt seiner Abänderung oder Behebung nach wie vor Bindungswirkungen entfaltet und der Bescheid der Erlassung eines neuen Bescheides "wegen entschiedener Sache" entgegenstünde.

16 Im vorliegenden Fall, wo eine "Durchbrechung" der Feststellungswirkung aber ohnehin bereits eingetreten war, bestanden keine sich aus dem Bescheid vom 26. März 2001 ergebenden Bindungswirkungen mehr. § 68 Abs. 2 AVG stellt somit bereits unter diesem Gesichtspunkt keine taugliche Rechtsgrundlage für die Behebung des Bescheides vom 26. März 2001 dar und lagen sohin die Voraussetzungen für die Behebung des Bescheides nach § 68 Abs. 2 AVG nicht vor. Es kam folglich auch der Behörde keine Zuständigkeit zur Behebung des Bescheides nach dieser Bestimmung zu.

17 Aus den dargelegten Gründen verkannte das Landesverwaltungsgericht Kärnten, indem es die auf § 68 Abs. 2 AVG gestützte Behebung des Bescheides vom 26. März 2001 bestätigte, die Rechtslage und belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Das angefochtene Erkenntnis war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zu beheben.

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 13. September 2017

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