Normen
AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §7 Abs1
AVG §7 Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §33 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs3
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §6
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017080122.L00
Spruch:
1.) Die zu Ra 2017/08/0122 erhobene Revision wird, soweit sie sich gegen die Feststellung richtet, der Mitbeteiligte C N sei im Zeitraum vom 3. Juni 2014 bis 31. Dezember 2014 aufgrund seiner Tätigkeit für die revisionswerbende Partei als Dienstgeberin der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG in der Kranken-, Unfall-, und Pensionsversicherung und gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Arbeitslosenversicherung unterlegen, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren insoweit eingestellt.
Die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
2.) Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.
Begründung
1 Zu Spruchpunkt 1.):
2 Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2017/08/0124, hat der Verwaltungsgerichtshof über Revision des 26. Mitbeteiligten das auch mit der vorliegenden Revision zu Ra 2017/08/0122 angefochtene Erkenntnis insoweit aufgehoben, als vom Bundesverwaltungsgericht in Bestätigung eines Bescheides der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse eine Pflichtversicherung des 26. Mitbeteiligten nach dem ASVG und dem AlVG aufgrund einer Tätigkeit für die revisionswerbende Partei als Dienstgeberin (auch) im Zeitraum vom 3. Juni 2014 bis 31. Dezember 2014 festgestellt worden war.
3 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bewirkt auch bei einer Revision die teilweise Beseitigung der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung - durch wen auch immer oder aus welchem Titel auch immer - die Klaglosstellung der revisionswerbenden Partei für diesen trennbaren Teil, wobei auch die (auf dem Boden des § 42 Abs. 3 VwGG rückwirkende) Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof auf Grund der Revision eines Dritten eine Klaglosstellung nach sich zieht (vgl. VwGH 14.12.2017, Ro 2017/07/0029, mwN).
4 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf § 55 VwGG in Verbindung mit § 47 Abs. 2 Z 1 leg. cit. in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war in Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen.
5 Zu Spruchpunkt 2.):
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Mit den angefochtenen Erkenntnissen sprach das Bundesverwaltungsgericht - teilweise aufgrund von Säumnisbeschwerden der revisionswerbenden Partei wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Burgenländische, Niederösterreichische und Wiener Gebietskrankenkasse, teilweise aufgrund von Beschwerden gegen Bescheide der Burgenländischen und Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse - aus, dass die mitbeteiligten Parteien 2 bis 78 auf Grund ihrer Tätigkeit als "Schlafberater" für die revisionswerbende Partei als Dienstgeberin in näher bezeichneten Zeiträumen in den Jahren 2007 bis 2017 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG der Pflichtversicherung in der Kranken- , Unfall-, und Pensionsversicherung und gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Arbeitslosenversicherung unterlegen seien. Die hinsichtlich des Erstmitbeteiligten erhobene Säumnisbeschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht zurück. Hinsichtlich der mitbeteiligten Parteien 16, 21, 43, 45, 46, 52 und 55 verwies es gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG die Angelegenheit teilweise zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse zurück.
10 In den gegen diese Erkenntnisse erhobenen außerordentlichen Revisionen macht die revisionswerbende Partei als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zunächst geltend, der hinsichtlich der Säumnisbeschwerden als Einzelrichter und hinsichtlich der Beschwerden gegen die Bescheide der Burgenländischen und Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse als Vorsitzender des entscheidenden Senates zuständige Richter des Bundesverwaltungsgerichtes sei befangen. Im Übrigen wendet sich die revisionswerbende Partei unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gegen die Feststellung der Pflichtversicherung der mitbeteiligten Parteien.
11 Zur geltend gemachten Befangenheit:
Das Wesen der Befangenheit liegt darin, dass die unparteiische Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive gehemmt wird. Von Befangenheit ist dann zu sprechen, wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Organ durch seine persönliche Beziehung zu der den Gegenstand einer Beratung und Beschlussfassung bildenden Sache oder zu den an dieser Sache beteiligten Personen in der unparteiischen Amtsführung beeinflusst sein könnte (vgl. etwa VwGH 24.11.2016, Ro 2014/07/0101). Jeder Vorwurf einer Befangenheit nach § 7 Abs. 1 Z 3 AVG hat konkrete Umstände aufzuzeigen, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (vgl. VwGH 16.11.2017, Ra 2017/07/0042, mwN). Der Einwand der Befangenheit des entscheidenden Mitglieds des Verwaltungsgerichts begründet nur dann die Zulässigkeit der Revision, wenn vor dem Hintergrund des konkret vorgelegenen Sachverhaltes die Teilnahme eines Mitglieds des Verwaltungsgerichtes an der Verhandlung und Entscheidung tragende Rechtsgrundsätze des Verfahrensrechtes verletzt hätte beziehungsweise in unvertretbarer Weise erfolgt wäre (VwGH 24.10.2017, Ra 2016/06/0051; 27.6.2017, Ra 2016/12/0001).
12 Die revisionswerbende Partei erblickt einen Hinweis auf die Befangenheit des zuständigen Richters zunächst darin, dass über ihre im März und April 2016 vorgelegten Säumnisbeschwerden nicht binnen sechs Monaten entschieden worden sei. Dem kann aber schon in Hinblick auf den Umfang des durchzuführenden Verfahrens - es waren insbesondere umfangreiche Unterlagen zu sichten und eine große Anzahl an Zeugen und Parteien zu vernehmen, wofür insgesamt an 21 Tagen verhandelt wurde - jedenfalls nicht gefolgt werden. Auch aus dem Umstand, dass von der revisionswerbenden Partei gestellte Fristsetzungsanträge dem Verwaltungsgerichtshof erst nach Ablauf von mehr als zwei Monaten nach deren Einlagen vorgelegt wurden, lässt sich noch keine Parteilichkeit des Richters erkennen. Soweit die revisionswerbende Partei dazu vorbringt, in Hinblick darauf sei die Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichtes erloschen und auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen, verkennt sie das Wesen eines Fristsetzungsantrages nach § 38 VwGG (vgl. dazu etwa VwGH 23.10.2015, Fr 2015/21/0012; Mayer/Muzak, B-VG5 Anm. II. ff zu § 38 VwGG).
13 Aus dem Vorhalt von Widersprüchen gegenüber einer Partei bzw. der Konfrontation der Partei mit gegenteiligen Beweisergebnissen lässt sich selbst dann, wenn daraus deutlich wird, dass der Richter aufgrund des bisherigen Standes des Verfahrens das Vorbringen der Partei nicht für wahr hält, eine Befangenheit nur dann ableiten, wenn der Richter zu erkennen gibt, dass er nicht bereit ist, seine Ansicht zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern (vgl. in diesem Sinn VwGH 4.3.2008, 2006/19/0409). Im vorliegenden Fall lässt sich - entgegen den Ausführungen in den Revisionen - aus der Formulierung der Fragen durch den Richter gegenüber Zeugen und Parteien bzw. der Leitung der mündlichen Verhandlung ein derartiger Verdacht nicht begründen. Insbesondere kann auch aus dem Vorhalt des Richters zu Beginn des Beweisverfahrens, dass Änderungen der Verträge der mitbeteiligten Parteien während des laufenden Verwaltungsverfahrens erfolgten, und der daran geknüpften Fragestellung, ob diese lediglich dazu dienten, der revisionswerbenden Partei im Verfahren eine günstigere Position zu verschaffen, nicht darauf geschlossen werden, dass der Richter sich vor Beginn des Beweisverfahrens bereits eine abschließende Meinung gebildet hätte.
14 Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles lässt sich ebenso aus der Aufforderung des Richters gegenüber dem Rechtsvertreter der revisionswerbenden Partei, in Zukunft nur relevantes neues Vorbringen zu erstatten, um das Verfahren nicht zu "verschleppen", sowie aus der Setzung nur sehr kurzer - auf Antrag allerdings ohnehin verlängerter - Fristen für die Vorlage weiterer Urkunden und die Erstattung von Vorbringen keine Parteilichkeit ableiten. Auch die Erstattung einer Sachverhaltsdarstellung an die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) zur Überprüfung, ob als "Vorschüsse" bezeichnete verzinste Zahlungen der revisionswerbenden Partei an die mitbeteiligten Parteien "unerlaubte Bankgeschäfte" gewesen seien, war unter Berücksichtigung des Standes des Verfahrens zu diesem Zeitpunkt nicht unsachlich und lässt fallbezogen keine Voreingenommenheit des Richters gegenüber der revisionswerbenden Partei erkennen.
15 Der Vorwurf von Verfahrensfehlern bildet - ohne Hinzutreten weiterer begründeter Umstände - keinen Anlass, die Befangenheit des Richters anzunehmen (vgl. VwGH 15.11.2017, Ra 2016/08/0184). Davon ausgehend lässt sich im vorliegenden Fall aus den in den Revisionen geltend gemachten Vorwürfen der Unterlassung der Aufnahme von Beweisen bzw. der angeblich mangelhaften Führung des Ermittlungsverfahrens nicht auf eine Befangenheit des zuständigen Richters schließen. Auch aus der Behauptung der unrichtigen Protokollierung lässt sich im vorliegenden Fall eine Voreingenommenheit des Richters nicht ableiten. Der Behauptung der unrichtigen Wiedergabe der Aussagen der mitbeteiligten Parteien in den Niederschriften mangelt es diesbezüglich auch an einer konkreten Darstellung. Die revisionswerbende Partei bringt im Übrigen auch nicht vor, dass ihr die Möglichkeit genommen worden wäre, gegen die in Vollschrift unter Beiziehung einer Schriftführerin aufgenommenen und unmittelbar bei Schluss der Verhandlungstermine zur Durchsicht vorgelegten Niederschriften vor der Unterfertigung derselben - somit rechtzeitig im Sinn des § 14 Abs. 3 AVG (vgl. näher VwGH 2.7.2009, 2009/12/0083) - Einwendungen zu erheben.
16 Auch mit ihrem Vorbringen, dass in den angefochtenen Erkenntnissen bestimmte für den Standpunkt der revisionswerbenden Partei günstigen Aussagen einzelner mitbeteiligter Parteien nicht gefolgt worden sei, zeigt die revisionswerbende Partei keine Befangenheit auf. Es gehört vielmehr zum Wesen einer Beweiswürdigung, dass bestimmten Beweismitteln ein höherer Wahrheitsgehalt zugemessen wird als anderen (vgl. VwGH 2.8.2000, 2000/13/0101). Allein die Tatsache der Durchführung einer Beweiswürdigung begründet aber keine Befangenheit (VwGH 27.6.2017, Ra 2016/12/0001). Den Revisionen gelingt es im Übrigen nicht darzulegen, dass die Würdigung der Beweisergebnisse unsachlich erfolgt wäre.
17 Ebenso lässt eine rasche Entscheidungsfindung im Allgemeinen keine Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive erkennen (vgl. in diesem Sinn OGH 30.7.2007, 8 Ob 83/07z). Selbst wenn - wie die Revision annimmt - zum Zeitpunkt des abschließenden Verhandlungstermins am 5. September 2017 die schriftlichen Entwürfe der Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. September 2017 bereits vorbereitet gewesen sein sollten, kann allein daraus entgegen der Annahme der revisionswerbenden Partei noch nicht geschlossen werden, dass der zuständige Richter nicht bereit gewesen wäre, aufgrund neuer Beweisergebnisse in der Verhandlung zu anderen Schlüssen zu kommen.
18 In den Revisionen wird somit eine Befangenheit des als Einzelrichter bzw. Vorsitzender des Senates entscheidenden Richters nicht aufgezeigt.
19 Zum übrigen Zulässigkeitsvorbringen der revisionswerbenden Partei:
Das weitere zur Zulässigkeit der Revisionen erstattete Vorbringen der revisionswerbenden Partei entspricht - weitgehend wortgleich - dem, das von ihr auch in ihren Revisionen gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. und 17. Juli 2017, über die der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom heutigen Tag zu Ra 2017/08/0099 bis 0106 entschieden hat, erstattet wurde. Das Bundesverwaltungsgericht ist in diesen Verfahren, die zu Beschwerden gegen Bescheide der Vorarlberger Gebietskrankenkasse ergangen sind, hinsichtlich des in Zusammenhang mit dem Zulässigkeitsvorbringen relevanten Sachverhaltes bzw. der diesbezüglich relevanten rechtlichen Beurteilung zu mit den angefochtenen Erkenntnissen inhaltlich übereinstimmenden Ergebnissen gelangt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz iVm Abs. 9 VwGG wird daher auf die Begründung des genannten Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen.
20 Die revisionswerbende Partei wendet sich in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revisionen auch gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes in den hier angefochtenen Erkenntnissen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall erforderliche Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 13.6.2017, Ra 2017/08/0056). Das wird in den Revisionen nicht aufgezeigt.
21 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Wien, am 11. April 2018
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