VwGH Ra 2015/08/0211

VwGHRa 2015/08/021126.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des M M in Wien, vertreten durch Dr. Diethard Schimmer, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Hietzinger Kai 5/11, gegen das - am 3. August 2015 verkündete und am 28. Oktober 2015 schriftlich ausgefertigte - Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-041/046/26850/2014, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §7 Abs1 Z3;
AVG §7 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
VStG §25 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §38;
VwGVG 2014 §6;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015080211.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Verwaltungsgericht die Bestrafung des Revisionswerbers nach den §§ 33 Abs. 2 iVm. Abs. 1, 111 Abs. 1 Z 1 ASVG zu einer Geldstrafe von EUR 910,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage und sechs Stunden), weil dieser als Gewerbeinhaber zu verantworten habe, dass der am 4. April 2013 in seinem Gastgewerbebetrieb geringfügig beschäftigte S P nicht vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Teilversicherung angemeldet worden sei.

Die Revision wurde gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für nicht zulässig erklärt.

2.2. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der - im Ergebnis - ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

3.1. Der Revisionswerber bemängelt, das Verwaltungsgericht habe seinem Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme des S P nicht entsprochen. Es hätte eine ladungsfähige Anschrift des Zeugen von Amts wegen erforschen müssen, die bloße Einholung einer Meldeauskunft sei ungenügend gewesen.

3.2. Im Hinblick auf die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht alle notwendigen Beweise aufzunehmen und darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 2016, Ra 2015/08/0006, und vom 10. April 2013, 2011/08/0169). Ordnungsgemäße Beweisanträge haben neben dem Beweismittel und dem Beweisthema im Fall von Zeugen auch deren aktuelle Adresse anzugeben (vgl das hg. Erkenntnis vom 19. März 2008, 2008/15/0017). Bei Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift ist dem Antragsteller (insbesondere auch) eine angemessene Frist zur Bekanntgabe zu setzen, erst nach deren Ablauf darf angenommen werden, dass der Beweis nicht erbracht werden könne (vgl die hg. Erkenntnisse vom 16. November 2011, 2008/08/0102, und neuerlich 2011/08/0169).

3.3. Vorliegend ist die Einvernahme des Zeugen S P deshalb unterblieben, weil es an einem ordnungsgemäßen Beweisantrag fehlte, dem das Verwaltungsgericht hätte entsprechen können. Der Revisionswerber hat zwar im Beweisantrag eine (auch von S P bei der Kontrolle am 4. April 2013 angegebene) inländische Anschrift angeführt. An dieser Adresse war jedoch eine Ladung nicht möglich, weil der Zeuge - wie sich aus dem Melderegister ergab - bereits am 29. April 2013 nach Serbien verzogen war und eine aktuelle Anschrift nicht bekannt war. Das Verwaltungsgericht konnte trotz amtswegiger Ermittlungen (Melderegister- und Sozialversicherungsabfragen) eine neue Adresse des Zeugen nicht in Erfahrung bringen. Es hat dem Revisionswerber auch eine angemessene Frist zur Bekanntgabe einer ladungsfähigen Anschrift gesetzt, ohne dass eine aktuelle (in- oder ausländische) Adresse bekannt gegeben worden wäre.

Davon ausgehend kann aber dem Verwaltungsgericht in Hinsicht auf das Unterbleiben der Einvernahme des S P kein Vorwurf gemacht werden. Dass das Verwaltungsgericht weitergehende Ermittlungen über eine aktuelle ladungsfähige Anschrift hätte durchführen müssen, ist unter den gegebenen Umständen nicht zu erkennen und wird auch vom Revisionswerber nicht konkret behauptet. Ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist insofern jedenfalls nicht ersichtlich.

4.1. Der Revisionswerber macht geltend, der erkennende Richter des Verwaltungsgerichts sei befangen gewesen, weil er in der Verhandlung - als der eingeschrittene Rechtsanwalt dem zunächst nicht erschienenen Revisionswerber telefonisch erklären musste, wie er zum Verhandlungssaal komme - geäußert habe, der Revisionswerber müsse "eh wissen, wie er da her kommt, er sei ja schon Stammgast". Der Richter habe den Einwand der Befangenheit von sich gewiesen, sodass die Befangenheit nur im Rahmen der Revision geltend gemacht werden könne.

4.2. Rechtsfragen des Verfahrensrechts sind nur dann von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen bzw. die getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. den hg. Beschluss vom 9. März 2016, Ra 2016/08/0045).

Die Mitglieder des Verwaltungsgerichts haben sich der Ausübung ihres Amts dann zu enthalten, wenn Umstände vorliegen, die ihre volle Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen lassen und eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Befangenheit begründen können. Das Vorliegen einer Befangenheit muss mit Grund befürchtet werden, bei objektiver Betrachtung muss der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen können. Maßgebend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und der objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. die hg. Beschlüsse vom 30. Juni 2015, Ro 2015/03/0021, und vom 31. März 2016, Ro 2015/07/0038).

4.3. Vorliegend verletzt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die oben zitierte Äußerung begründe keine Befangenheit, auf Grund der sich der erkennende Richter nach § 6 VwGVG der Ausübung seines Amtes enthalten müsste, keine tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts. Die Äußerung des Richters war jedenfalls nicht so beschaffen, dass bei objektiver Betrachtung unter vernünftiger Würdigung der fallbezogenen Umstände die volle Unbefangenheit ernsthaft in Zweifel zu ziehen und eine Befangenheit mit Grund zu befürchten gewesen wäre. Die Bezeichnung des Revisionswerbers als "Stammgast" (weil dieser bereits an einer vorangehenden Verhandlung teilgenommen hatte und gegen ihn auch ein weiteres Strafverfahren nach dem AuslBG anhängig war) mag - wenngleich offenbar scherzhaft gemeint - unangebracht gewesen sein, weil dadurch das Gebot einer streng sachlichen Führung des Verkehrs zwischen dem Gericht und der Partei verletzt wurde. Allerdings indiziert nicht schon jede derartige Bemerkung eine Befangenheit, wenn - wie hier - die manifestierte Wortwahl bei vernünftiger Würdigung aus Sicht eines objektiven Verfahrensteilnehmers nicht dazu angetan war, begründete Zweifel an der vollen Bereitschaft des Richters hervorzurufen, dass er die Einwendungen des Revisionswerbers weiterhin im gebotenen Umfang ernst nehmen und das Vorbringen und die Beweisergebnisse auch zu seinen Gunsten prüfen werde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2015, Ra 2014/03/0057).

5. Insgesamt wird daher in den für die Zulässigkeit vorgebrachten Gründen (§ 28 Abs. 3 VwGG) keine Rechtsfrage aufgezeigt, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 26. September 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte