VwGH Ra 2015/03/0066

VwGHRa 2015/03/006631.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der D V in W, vertreten durch Dipl. Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 10. Juli 2015, Zl VGW- 103/048/1016/2015-14, betreffend Ausstellung eines Waffenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
SchFG 1997 §100 Abs1;
SchFG 1997 §103 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §31;
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z4;
WaffG 1996 §20 Abs1;
WaffG 1996 §21;
AVG §56;
SchFG 1997 §100 Abs1;
SchFG 1997 §103 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §31;
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z4;
WaffG 1996 §20 Abs1;
WaffG 1996 §21;

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Beschwerde zurückgewiesen wird.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Aktenlage nach hatte die Revisionswerberin, Inhaberin einer Waffenbesitzkarte für zwei Stück Schusswaffen der Kategorie B, mit einem am 17. September 2014 bei der belangten Behörde eingelangten Antrag die Ausstellung eines Waffenpasses für zwei Stück Schusswaffen der Kategorie B beantragt. Am 29. Oktober 2014 wurde der Revisionswerberin von der belangten Behörde ein Waffenpass für eine derartige Waffe (ein Stück) ausgestellt und ihr am 6. November 2014 zugestellt. Dem legte die belangte Behörde zugrunde, dass die Revisionswerberin ihren Antrag auf die Ausstellung eines Waffenpasses für ein Stück eingeschränkt hätte.

2 Am 2. Dezember 2014 langte bei der belangten Behörde ein Schriftsatz der Revisionswerberin ein, womit diese "gegen den

Bescheid (der belangten Behörde) ... vom 29.10.2014, womit mein

Antrag auf Ausstellung eines Waffenpasses für zwei Stück Schusswaffen der Kategorie B hinsichtlich eines Stückes abgewiesen wurde", Beschwerde erhob. Ausdrücklich wurde ausgeführt, es werde die "Abweisung des Mehrbegehrens von einem Stück Schusswaffe der Kategorie B" angefochten, nicht angefochten werde die "durchgeführte Ausstellung eines Waffenpasses für ein Stück Schusswaffe der Kategorie B". In den Beschwerdeanträgen wird beantragt, "den angefochtenen Bescheid im angefochtenen Umfang" zu beheben und der Revisionswerberin "einen Waffenpass zum Besitz und Führen von zwei Stück Schusswaffen der Kategorie B" auszustellen; in eventu wird beantragt, den angefochtenen Bescheid im angefochtenen Umfang zu beheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3 Mit dem nun angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts erging gegenüber der Revisionswerberin folgender Spruch: "Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben."; unter einem wurde die ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus:

5 Der Revisionswerberin sei mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 ein Waffenpass für eine genehmigungspflichtige Waffe der Kategorie B erteilt worden. In der Beschwerde gegen diesen Bescheid sei zusammengefasst eingewandt worden, einen Waffenpass für zwei Waffen der Kategorie B beantragt zu haben. Aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberin, wie von der belangten Behörde vorgebracht, ihren Antrag eingeschränkt habe.

6 In einem antragsbedürftigen Verwaltungsverfahren wie dem vorliegenden könne nur über etwas abgesprochen werden, was beantragt wurde; insofern sei die Behörde an den Inhalt des Antrags gebunden und sei ihr verwehrt, einseitig von diesem abzuweichen.

7 Mit dem angefochtenen Bescheid habe die belangte Behörde über ein aliud abgesprochen, weil es einen wesentlichen Unterschied mache, ob bloß über die Hälfte des Begehrens abgesprochen werde. Dies habe im Übrigen auch die belangte Behörde betont, wenn sie vorgebracht habe, nur über den gesamten Inhalt eines Antrags absprechen zu können (Hinweis auf ein Schreiben vom 2. Juni 2015). Den Abspruch über den gesamten Inhalt des Antrags habe die belangte Behörde aber unterlassen. Der angefochtene Bescheid sei daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und aufzuheben gewesen. Die ordentliche Revision sei mangels des Vorliegens von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung unzulässig.

8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Verwaltungsgericht gemeinsam mit den Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9 Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil mit der angefochtenen Entscheidung die "Sache" des Beschwerdeverfahrens überschritten und insofern gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs verstoßen wurde.

10 Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass die Revisionswerberin eine Antragseinschränkung (von zwei auf ein Stück genehmigungspflichtige Schusswaffen) nicht vorgenommen habe. Die belangte Behörde habe - durch Ausstellung eines Waffenpasses bloß für ein Stück - nur über die Hälfte des Begehrens und damit über ein Aliud abgesprochen; ein Abspruch über den gesamten Inhalt des Antrags sei aber unterlassen worden.

11 Demgegenüber geht die Revision davon aus, es sei mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 29. Oktober 2014 der auf Ausstellung eines Waffenpasses für zwei Stück genehmigungspflichtige Schusswaffen gerichtete Antrag hinsichtlich eines Stücks abgewiesen worden. Der nun in Revision gezogene Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem der angefochtene Bescheid behoben wurde, gehe insofern über den Beschwerdeantrag hinaus, als mit diesem lediglich die Abweisung des Mehrbegehrens (hinsichtlich der zweiten Schusswaffe) angefochten worden sei. Damit habe das Verwaltungsgericht entgegen der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs über etwas abgesprochen, was nicht Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens gewesen sei. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass bloß über die Hälfte des Begehrens abgesprochen worden sei; träfe dies zu, läge Säumigkeit der belangten Behörde vor und hätte die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen werden müssen. Indem das Verwaltungsgericht den gesamten Bescheid behoben habe, sei in die Rechtskraft eingegriffen worden.

12 Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs 2 VwGVG vor, hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Beschwerdeverfahren einzustellen ist, "in der Sache" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtssache abspricht, wobei es entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl grundlegend VwGH vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063). "Sache" des Beschwerdeverfahrens ist jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat (vgl VwGH vom 17. Dezember 2014, Ra 2014/03/0049, und vom 29. April 2015, Ra 2015/03/0015, sowie vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0134). Nimmt das Verwaltungsgericht mit einer Entscheidung in einer Angelegenheit, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Verwaltungsbehörde war, mit einer "Überschreitung der Sache" des Verfahrens der belangten Behörde eine ihm nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch, belastet es seine eigene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit. Liegt ein Beschwerdebegehren außerhalb der Sache des Beschwerdeverfahrens, ist die Beschwerde unzulässig und vom Verwaltungsgericht durch Beschluss zurückzuweisen (vgl VwGH vom 30. Juni 2016, Ra 2016/11/0044, mwN).

13 Gemäß § 20 Abs 1 WaffG ist der Erwerb, der Besitz und das Führen von Schusswaffen der Kategorie B nur auf Grund einer behördlichen Bewilligung zulässig. Die Bewilligung zum Erwerb, Besitz und zum Führen dieser Waffen ist von der Behörde durch die Ausstellung eines Waffenpasses, die Bewilligung zum Erwerb und zum Besitz dieser Waffen durch die Ausstellung einer Waffenbesitzkarte zu erteilen.

14 Damit korrespondiert die Regelung nach § 21 WaffG, wonach verlässlichen EWR-Bürgern, die für den Besitz einer Schusswaffe der Kategorie B eine Rechtfertigung bzw für das Führen einer derartigen Waffe einen Bedarf nachweisen können, eine Waffenbesitzkarte bzw ein Waffenpass - mit dem aus § 21 Abs 5 WaffG ersichtlichen Inhalt - auszustellen ist (§ 21 Abs 1 bzw Abs 2 WaffG); gegebenenfalls (wenn ein Waffenpass nur im Hinblick auf die besonderen Gefahren ausgestellt wird, die bei der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auftreten), hat die Behörde die Befugnis zum Führen durch einen Vermerk im Waffenpass in näherer Weise zu beschränken (§ 21 Abs 4 WaffG).

15 Bei der Ausstellung einer Waffenbesitzkarte und eines Waffenpasses handelt es sich also, auch wenn dies im WaffG anders als in vergleichbaren Regelungen - vgl etwa § 103 Abs 1 SchFG, wonach die (nach § 100 Abs 1 SchFG erforderliche) Zulassung mit einer Urkunde (Zulassungsurkunde) zu erteilen ist, die "als Bescheid gilt" - nicht explizit normiert ist, um die Erlassung eines Bescheids (vgl VwGH vom 19. Juni 2015, Ra 2015/03/0036, vom 28. März 2006, 2005/03/0168, und vom 25. März 1999, 98/20/0471).

16 Für den Revisionsfall ergibt sich daraus Folgendes:

17 Die belangte Behörde hatte der Revisionswerberin am 29. Oktober 2014 einen Waffenpass für eine Schusswaffe der Kategorie B ausgestellt; eine explizite Abweisung des Mehrbegehrens ist nicht erfolgt (und wäre, ausgehend von der Auffassung der belangten Behörde, der Antrag sei eingeschränkt worden, auch nicht erforderlich gewesen).

18 Für die von der Revisionswerberin vertretene - nicht näher begründete - Auffassung, die Ausstellung eines Waffenpasses (bloß) für ein Stück Schusswaffen der Kategorie B sei einer bescheidmäßigen Abweisung des Mehrbegehrens (für eine zweite Waffe) gleichzuhalten, fehlt - unabhängig davon, ob es zu der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren strittigen Einschränkung des Begehrens gekommen ist - jede Grundlage.

19 Wurde ein Bescheid, mit dem das Mehrbegehren (also der Antrag auf Ausstellung eines Waffenpasses für eine weitere genehmigungspflichtige Schusswaffe) abgewiesen wurde, aber gar nicht erlassen, liegt ein Beschwerdeantrag wie der hier vorliegende, der sich ausdrücklich bloß gegen die (vermeintliche) Abweisung des Mehrbegehrens richtet, nach dem oben Gesagten außerhalb der Sache des Beschwerdeverfahrens; er wäre daher vom Verwaltungsgericht zurückzuweisen gewesen.

20 Gemäß § 42 Abs 4 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst zu entscheiden, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt.

21 Der angefochtene Beschluss war daher dahin abzuändern, dass die Beschwerde zurückgewiesen wird.

22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 31. Jänner 2017

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