VwGH 96/09/0173

VwGH96/09/017321.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des K B in W, vertreten durch Dr. Walter Kainz, Rechtsanwalt in Wien IV, Gußhausstraße 23, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland vom 1. April 1996, Zl. OB. 115-121815-004, betreffend Neubemessung der Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §60;
KOVG 1957 §18 Abs1;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §52 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §60;
KOVG 1957 §18 Abs1;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §52 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahr 1923 geborene Beschwerdeführer bezieht auf Grund des Bescheides der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 23. November 1966 eine Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG 1957) unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. Mit diesem Bescheid wurden folgende Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigungen (§ 4 KOVG 1957) anerkannt:

"1. Zustand nach Teilresektion der 7. linken Rippe mit knöchener Brückenbildung zur 8. und 9. Rippe

  1. 2. Rippenfellschwarte links
  2. 3. Reaktionslose Narben am rechten Oberschenkel".

    Mit Eingabe vom 18. Jänner 1995 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Neubemessung seiner Beschädigtenrente, da sich im Zustand der anerkannten Dienstbeschädigung eine wesentliche Verschlechterung ergeben habe. Des weiteren beantragte er die Anerkennung seines Herzleidens als Dienstbeschädigung.

    Mit Bescheid des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich, Burgenland vom 24. Juli 1995 wurde dieser Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen.

    In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf eine beigebrachte ärztliche Bestätigung im wesentlichen geltend, daß sein (im Antrag vom 18. Jänner 1995 geltend gemachtes) Herzleiden auf den Lungendurchschuß, der zur Verschwartung seiner linken Lunge geführt habe, zurückzuführen sei. Er beantragte, auch sein Herzleiden infolge der anerkannten Kriegsverletzung als Dienstbeschädigung anzuerkennen.

    Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 1. April 1996 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, vom medizinischen Standpunkt ergebe sich (auf Grund eines im Berufungsverfahren eingeholten ärztlichen Sachverständigenbeweises eines Facharztes für Innere Medizin), daß sowohl das Cor/Pulmo-Röntgen vom März 1968 als auch jenes vom 27. November 1995 unverändert wie heute eine ausgedehnte Verschwartung der linken Lunge mit Hochziehung des linken Zwerchfells ergeben habe. Auch die nur mäßiggradige restriktive Ventilationsstörung sei unverändert anzunehmen. Im Befundbericht der V. Medizinischen Abteilung des Wilhelminenspitales vom 30. November 1994 werde angeführt, daß als Folge der pulmonalen Erkrankung ein Cor. pulmonale vorliege. Die angesprochene pulmonale Erkrankung sei eine Kombination einer chronischen obstruktiven Bronchitis mit einem Lungenemphysem. Beide seien akausale Leiden, die erst Jahrzehnte nach dem Wehrdienst entstanden seien. Im Jahre 1996 habe noch eine ausgezeichnete Lungenfunktionsprüfung bei ident röntgenologischen Lungenveränderungen wie heute bestanden, was als Beweis dafür angesehen werden müsse, daß das nun im Vordergrund stehende Lungenleiden mit respiratorischer Globalinsuffizienz und der sekundären Folge eines Cor. pulmonale akausal sei. Zusammenfassend könne das Herzleiden nicht auf die durch den Lungendurchschuß hervorgerufene Verschwartung der linken Lunge zurückgeführt werden. Es ergebe sich keine Befundänderung zum Vergleichsgutachten aus dem Jahre 1968. Das (im Bescheid im wesentlichen wiedergegebene) Gutachten des ärztlichen Sachverständigen werde "als schlüssig anerkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt". Davon ausgehend seien die Voraussetzungen für die Neubemessung der Grundrente des Beschwerdeführers nicht gegeben.

    Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

    Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Neubemessung der ihm zuerkannten Beschädigtenrente verletzt. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

    Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

    Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

    Gemäß § 52 Abs. 2 KOVG 1957 ist die Beschädigtenrente neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe der Leistung maßgebende Veränderung eintritt. Der Eintritt einer für die Höhe der Beschädigtenrente maßgebende Veränderung ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

    Eine Gesundheitsschädigung ist nach § 4 Abs. 1 KOVG 1957 im Sinne des § 1 Abs. 1 leg. cit. anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

    Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Mai 1996, Zl. 95/09/0178, vom 10. April 1997, Zl. 95/09/0086, sowie vom 17. Juli 1997, Zl. 95/09/0062, und die jeweils darin angegebene Vorjudikatur) dargelegt hat, hat die Behörde im Verfahren nach § 52 Abs. 2 KOVG 1957 zu prüfen, ob sich der derzeit vorliegende Befund der anerkannten Dienstbeschädigung gegenüber dem der letzten rechtskräftigen Rentenbemessung zugrundeliegenden Befund (Vergleichsbefund) maßgebend geändert hat. Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" im Sinne des § 4 Abs. 1 KOVG 1957 ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Als Dienstbeschädigung sind auch solche Gesundheitsschädigungen anzuerkennen, die ihre Ursache in einer bereits anerkannten Gesundheitsschädigung haben (mittelbare Dienstbeschädigung). Als Ursache gilt auch im Falle einer mittelbaren Dienstbeschädigung nur eine wesentliche Bedingung.

    Die Erlassung eines Bescheides hat gemäß § 56 des auch im Verfahren nach dem KOVG 1957 geltenden AVG grundsätzlich die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nach den Vorschriften der §§ 37 und 39 dieses Gesetzes voranzugehen. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist es nach § 37 AVG den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach der Anordnung des § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG die Erkenntnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

    Die Rechtsfrage des Kausalzusammenhanges ist richtigerweise nicht vom ärztlichen Sachverständigen, sondern (auf der Grundlage des Gutachtens) von der Behörde zu beurteilen und nachvollziehbar zu begründen. In der Frage der Beurteilung von einander widersprechenden Gutachten ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon auszugehen, daß beispielsweise nicht schon die amtliche Eigenschaft des einen Sachverständigen den Ausschlag geben darf. Der unterschiedliche Wert der Gutachten liegt vielmehr im Grad des erkennbaren inneren Wahrheitsgehaltes. Bei einander widersprechenden Gutachten ist es der Behörde gestattet, sich dem einen oder anderen Gutachten anzuschließen. Sie hat aber in der Begründung ihres Bescheides die Gedankengänge und sachlichen Erwägungen darzulegen, die dafür maßgebend waren, daß sie das eine Beweismittel dem anderen vorgezogen hat. Wenn die Behörde sich über ein von der Partei beigebrachtes Sachverständigengutachten hinwegsetzt, ist dies zu begründen.

    Die belangte Behörde hat außer acht gelassen, daß der Beschwerdeführer der Beurteilung, seine bereits anerkannte Dienstbeschädigung habe sich nicht verschlechtert bzw. seine Lungenerkrankung sei teilweise durch akausale Leiden entstanden, in seiner Berufung nicht mehr entgegengetreten ist. Er hat aber im Berufungsverfahren geltend gemacht, daß sein (vom erstinstanzlichen Antrag erfaßtes) Herzleiden auf den kriegsbedingt erlittenen Lungendurchschuß und die daraus entstandenen Folgen zurückzuführen sei. In seiner zum Sachverständigengutachten des Internisten erstatteten Stellungnahme vom 26. Jänner 1996 wies der Beschwerdeführer erneut darauf hin, daß der im Krieg erlittene "Lungenschuß" und die damit verbundene Verschwartung seiner linken Lunge zu seinem Herzleiden geführt habe. Diese Beurteilung hat er durch eine beigebrachte ärztliche Bestätigung zunächst ausreichend glaubhaft gemacht. Aus welchem Grund diese ärztliche Bestätigung - wie im über Auftrag der belangten Behörde eingeholten amtlichen internistischen Sachverständigengutachten ausgeführt wurde - hinsichtlich des den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildenden Herzleidens des Beschwerdeführers "nicht stichhältig" sein sollte, kann weder diesem Gutachten des amtlichen Sachverständigen noch dem angefochtenen Bescheid entnommen werden. Hinsichtlich des nicht als Dienstbeschädigung anerkannten Herzleidens des Beschwerdeführers beschränken sich das amtliche Sachverständigengutachten und der angefochtene Bescheid auf eine bloße Behauptung, dieses Leiden könne nicht auf die durch den Lungendurchschuß hervorgerufene Verschwartung zurückgeführt werden. Diese Behauptung entbehrt jedoch einer schlüssigen, nachvollziehbaren Begründung. Der in der Beschwerde erhobene Vorwurf, die wesentliche Frage der Mitverursachung des geltend gemachten Herzleidens durch die kriegsbedingte Lungenschädigung sei nicht bzw. noch nicht ausreichend geklärt worden, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch für den Verwaltungsgerichtshof ist nicht erkennbar, welche Erwägungen die belangte Behörde dazu führten, daß hinsichtlich des Herzleidens ein (wenigstens wahrscheinlicher) Kausalzusammenhang mit der Kriegsschädigung des Beschwerdeführers gänzlich verneint werden kann. In der Beschwerde wird mit Recht gerügt, daß eine nachvollziehbare Begründung auch dafür fehlt, warum das Herzleiden ausschließlich auf die (unbestrittenermaßen) nicht auf Kriegsereignisse zurückzuführenden Leiden (Bronchitis und Emphysem) zurückzuführen sein soll. Daß der (im angefochtenen Bescheid enthaltene) Hinweis der belangten Behörde, die Sachverständigengutachten beider Instanzen würden in ihrem wesentlichen Inhalt übereinstimmen und eine Erweiterung des Beweisverfahrens entbehrlich machen, keine Aussagekraft hinsichtlich der Schlüssigkeit dieser Gutachten hat, wurde bereits im hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1997, Zl. 96/09/0380, ausreichend dargelegt.

    Indem die belangte Behörde das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten trotz der Mangelhaftigkeit als schlüssig dem angefochtenen Bescheid zugrunde legte, belastete sie diesen mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

    Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

    Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

    Wien, am 21. Oktober 1998

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