VwGH 2013/06/0196

VwGH2013/06/019626.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der S A in Innsbruck, vertreten durch Dr. Michael Sallinger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 14. März 2013, Zl. I-Präs- 00825e/2012, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei: A H in G; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO Tir 2011 §26;
BauO Tir 2011 §29 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §8;
BauO Tir 2011 §26;
BauO Tir 2011 §29 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Innsbruck hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 866,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 2. Februar 2011 wurde über Antrag des Mitbeteiligten vom 11. Jänner 2011 festgestellt, dass ein vermuteter Konsens über den rechtmäßigen Bestand des näher angeführten Wohngebäudes S-Straße 13 vorliegt.

Die Beschwerdeführerin, die von diesem Bescheid am 28. August 2012 per E-Mail Kenntnis erlangte, erhob dagegen Berufung (vom 11. September 2012).

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. März 2013 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück und begründete dies damit, dass der Beschwerdeführerin im Feststellungsverfahren nach § 29 TBO 2011 keine Parteistellung zukomme.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift - wie der Mitbeteiligte - die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

Im Beschwerdefall ist im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides folgende Rechtslage von Bedeutung:

Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) idF LGBl. Nr. 57/2011:

"§ 26

Parteien

(1) Parteien im Bauverfahren sind der Bauwerber, die Nachbarn und der Straßenverwalter.

(2) Nachbarn sind die Eigentümer der Grundstücke,

a) die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 15 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen und

b) deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 50 m zu einem Punkt der baulichen Anlage oder jenes Teiles der baulichen Anlage, die (der) Gegenstand des Bauvorhabens ist, liegen.

Nachbarn sind weiters jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein Baurecht zukommt.

(3) Nachbarn, deren Grundstücke unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 5 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen, sind berechtigt, die Nichteinhaltung folgender bau- und raumordnungsrechtlicher Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen:

a) der Festlegungen des Flächenwidmungsplanes, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist,

  1. b) der Bestimmungen über den Brandschutz,
  2. c) der Festlegungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Baufluchtlinien, der Baugrenzlinien, der Bauweise und der Bauhöhe,

    d) der Festlegungen des örtlichen Raumordnungskonzeptes nach § 31 Abs. 6 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011 hinsichtlich der Mindestabstände baulicher Anlagen von den Straßen und der Bauhöhen,

  1. e) der Abstandsbestimmungen des § 6,
  2. f) das Fehlen eines Bebauungsplanes bei Grundstücken, für die nach den raumordnungsrechtlichen Vorschriften ein Bebauungsplan zu erlassen ist, im Fall der Festlegung einer besonderen Bauweise auch das Fehlen eines ergänzenden Bebauungsplanes.

    ...

    § 29

    Feststellungsverfahren

(1) Die Behörde hat hinsichtlich jener bewilligungspflichtigen baulichen Anlagen, für die die Baubewilligung nicht nachgewiesen werden kann, im Zweifel von Amts wegen oder auf Antrag des Eigentümers mit Bescheid festzustellen, ob das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist oder nicht. Das Vorliegen der Baubewilligung ist zu vermuten, wenn aufgrund des Alters der betreffenden baulichen Anlage oder sonstiger besonderer Umstände davon auszugehen ist, dass aktenmäßige Unterlagen darüber nicht mehr vorhanden sind, und überdies kein Grund zur Annahme besteht, dass die betreffende bauliche Anlage entgegen den zur Zeit ihrer Errichtung in Geltung gestandenen baurechtlichen Vorschriften ohne entsprechende Bewilligung errichtet worden ist. Anlässlich der Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist weiters der aus der baulichen Zweckbestimmung der betreffenden baulichen Anlage hervorgehende Verwendungszweck festzustellen.

...

(3) Der Bescheid, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist dem Eigentümer der baulichen Anlage in zweifacher Ausfertigung und unter Anschluss zweier mit einem entsprechenden Vermerk versehener Ausfertigungen der Unterlagen nach Abs. 2 erster Satz zuzustellen. Der Vermerk hat das Datum und die Geschäftszahl des betreffenden Bescheides zu enthalten.

(4) Die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist dem Bestehen der Baubewilligung gleichzuhalten. Die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung nicht zu vermuten ist, ist dem Fehlen der Baubewilligung gleichzuhalten."

4.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Bestimmung betreffend die Feststellung des vermuteten Konsenses bei im Bauland gelegenen baulichen Anlagen finde sich systematisch in jenem Abschnitt des Gesetzes, der die Baubewilligung regle. Deswegen sei - jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung - davon auszugehen, dass ein derartiger Bescheid auch der Nachbarin zuzustellen sei und diese Parteistellung in einem derartigen Verfahren habe.

Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, den Nachbarn an einem Bauverfahren im Sinne des § 26 TBO 2011 materiell zu beteiligen, nicht aber in einem Verfahren nach § 29 TBO 2011. Nach dem Wunsch und Willen des Gesetzgebers werde dieses nämlich wirkungsgleich wie ein Bauverfahren durchgeführt (Hinweis auf § 29 Abs. 4 TBO 2011).

Es liege auf der Hand, dass es sich um eine zweckgleiche Verfügung wie jene eines Baubescheides bzw. eigentlich um einen solchen handle. Daher hätte der Feststellungsbescheid der Beschwerdeführerin als Nachbarin zugestellt werden müssen und diese hätte nach den §§ 8, 37 und 45 AVG und (nunmehr:) § 26 TBO 2011 auch Parteistellung.

Ein Bescheid nach § 29 TBO 2011 ersetze die Baubewilligung; die Anordnung in Abs. 3 dieser Bestimmung, dass dieser Bescheid dem Bauwerber/Antragsteller (gemeint: Eigentümer der baulichen Anlage) zuzustellen sei, stelle eine Selbstverständlichkeit dar und habe keinen normativen Gehalt, weil ein solcher Bescheid schon nach § 8 AVG an den Bauwerber/Antragsteller zuzustellen sei.

Die Begründung der belangten Behörde, der Beschwerdeführerin komme am gegenständlichen Verfahren kein rechtliches Interesse zu, sei schlichtweg falsch. Die Beschwerdeführerin habe ein rechtliches Interesse an der Einhaltung der zwingenden baurechtlichen Vorschriften. Es könne nicht die Intention des Gesetzgebers sein, mittels eines unbegründeten Feststellungsverfahrens die zwingenden abstandsrechtlichen Bestimmungen der TBO 2011 zu umgehen und so die Schutzinteressen der Nachbarn zu verkennen. Die Bestimmung sei daher unsachlich, soweit man sie nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung berichtigend anwenden könne (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2013, Zl. 2011/07/0191).

Der Feststellungsbescheid berühre die Sphäre der Beschwerdeführerin genauso wie ein Baubescheid, weshalb es keine sachliche Differenzierung gebe, in diesem Falle eine Parteistellung nicht zuzuerkennen.

4.3. Der Beschwerde kommt aus folgenden Gründen Berechtigung zu:

Gemäß § 8 AVG sind Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen und auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Frage, wer in einem konkreten Verwaltungsverfahren die Rechtsstellung einer Partei besitzt, anhand des AVG allein nicht gelöst werden. Die Parteistellung muss vielmehr aus den jeweils zur Anwendung kommenden Verwaltungsvorschriften abgeleitet werden. Die Begriffe "Rechtsanspruch" und "rechtliches Interesse" gewinnen erst durch die jeweils zur Anwendung kommende Verwaltungsvorschrift einen konkreten Inhalt, wonach allein die Frage der Parteistellung beantwortet werden kann. Eine ausdrückliche Regelung der Parteistellung ist für die Begründung der Parteistellung gerade nicht erforderlich. Im Regelfall muss die Parteistellung implizit aus den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen abgeleitet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 2001/06/0133).

Nach § 29 Abs. 4 TBO 2011 ist die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, dem Bestehen der Baubewilligung gleichzuhalten. Da im Baubewilligungsverfahren dem Nachbarn im Hinblick auf die Nachbarrechte grundsätzlich Parteistellung eingeräumt ist, kommt ihm auch im Feststellungsverfahren Parteistellung zu (zur Parteistellung der Nachbarn im insoweit vergleichbaren Feststellungsverfahren nach § 40 Abs. 2 und 3 Stmk BauG siehe auch das vorzitierte Erkenntnis vom 22. November 2001). Dass die Beschwerdeführerin Nachbarin im Sinne des § 26 Abs. 2 TBO 2011 ist, wird auch von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt.

5. Da die belangte Behörde ihrer Entscheidung eine unzutreffende Rechtsansicht zu Grunde legte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz, der nur im beantragten Ausmaß zuzuerkennen war, gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl II Nr. 8/2014). Der Kostenzuspruch erfolgte im begehrten Umfang.

Wien, am 26. Juni 2014

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