VwGH 2012/22/0243

VwGH2012/22/024314.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher und Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. November 2010, Zl. E1/402.683/2010, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer am 31. Dezember 2001 eingereist sei und am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei im Instanzenzug durch den Asylgerichtshof am 25. Juni 2010 rechtskräftig abgewiesen worden. Am 12. Juli 2010 habe der Beschwerdeführer einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht, wobei das Verfahren noch anhängig sei.

Nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens halte sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und könne ausgewiesen werden, wenn dem nicht § 66 FPG entgegenstehe.

Er verfüge im Bundesgebiet über familiäre Bindungen zu zwei Schwestern. Außerdem habe er behauptet, eine Lebensgemeinschaft mit Elisabeth S zu führen. Tatsächlich habe er aber erst nach dem Vorwurf im erstinstanzlichen Bescheid, keinen gemeinsamen Haushalt mit Elisabeth S zu führen, seinen Wohnsitz an die Anschrift von Elisabeth S verlegt. "Trotzdem" sei davon auszugehen, dass mit der vorliegenden Maßnahme ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei.

Im Rahmen der Beurteilung der persönlichen Verhältnisse sei auf seinen knapp neunjährigen inländischen Aufenthalt Bedacht zu nehmen. Spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages am 8. Mai 2002 habe der Beschwerdeführer nicht mehr von einem gesicherten Aufenthalt in Österreich ausgehen dürfen. Darüber hinaus lebe er mit seinen Schwestern nicht im gemeinsamen Haushalt und mit seiner "Lebensgefährtin" erst seit 4. November 2010.

Auch von einer beruflichen Integration des Beschwerdeführers könne nicht ausgegangen werden. Es sei zwar richtig, dass er vom 28. April 2004 bis 25. Oktober 2004 als Arbeiter bzw. am 26. Jänner 2005 einen Tag lang als Angestellter beschäftigt gewesen sei, jedoch habe er zwischenzeitig bzw. anschließend Kranken- bzw. Arbeitslosengeld bezogen. "Erst seit 1. April 2005 ist der Berufungswerber durchgehend als Arbeiter beschäftigt."

Aber auch in diesem Fall sei ihm vorzuwerfen, dass er von einem nicht gesicherten Aufenthalt im Bundesgebiet habe ausgehen müssen.

Die Auswirkungen der vorliegenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Bei dieser Entscheidung sei berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer unbescholten sei, die Deutschprüfung auf dem "Niveau A2" absolviert habe und über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich verfüge. Der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen allerdings in keiner Weise präzisiert, sondern lediglich allgemein auf seine "Teilnahme am sozialen Leben" und seine "Selbsterhaltungsfähigkeit" verwiesen.

Der Beschwerdeführer verfüge in seiner Heimat über "(massive) familiäre Bindungen zu seinen Eltern" und habe die ersten 19 Lebensjahre in seinem Heimatland verbracht, weshalb er in der Lage sein werde, sich zu reintegrieren bzw. bestehende soziale Kontakte aufzufrischen bzw. neue zu knüpfen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist anzumerken, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im November 2010 die Bestimmungen des FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 maßgebend sind.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sein Asylantrag rechtskräftig abgewiesen wurde und behauptet nicht, über ein Aufenthaltsrecht für Österreich zu verfügen. Demnach durfte die belangte Behörde den Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG bejahen.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, 2010/21/0233, sowie jenes vom heutigen Tag zu 2012/22/0240).

Vorerst ist aufzuzeigen, dass die Ansicht der belangten Behörde, es könne von einer beruflichen Integration des Beschwerdeführers nicht ausgegangen werden, nicht nachvollziehbar ist. Dies ist nämlich mit der Feststellung, dass der Beschwerdeführer "erst" seit 1. April 2005 durchgehend als Arbeiter beschäftigt sei, ohne weitere Darlegungen nicht in Einklang zu bringen.

Weiters wirft die Beschwerde der belangten Behörde einen Verfahrensfehler dahingehend vor, dass sie die Lebensgefährtin (und nunmehrige Ehefrau) des Beschwerdeführers nicht vernommen habe.

Bereits in der Stellungnahme vom 30. August 2010 hat der Beschwerdeführer eine aufrechte Lebensgemeinschaft mit der österreichischen Staatsbürgerin Elisabeth S behauptet und zum Nachweis "der intensiven Bindungen des Einschreiters im Bundesgebiet" die Vernehmung von Elisabeth S beantragt. Dieser Antrag wurde in der Berufung vom 29. Oktober 2010 gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid wiederholt.

Grundsätzlich hat die Behörde Beweisanträgen zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 22, angeführte Rechtsprechung, sowie jüngst etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2013, 2012/22/0228).

Diesem Beweisantrag ist die belangte Behörde nicht nachgekommen, ohne dies zu begründen. Es ist nicht klar, ob die belangte Behörde durch das Setzen des Wortes "Lebensgefährtin" in Anführungszeichen das Bestehen einer Lebensgemeinschaft verneint hat oder doch von einer solchen ausgeht. Sie führt zwar an, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz erst kürzlich zur Anschrift von Elisabeth S verlegt habe, zieht daraus aber keine nachvollziehbaren Schlüsse zum Bestand bzw. zu Dauer und Intensität einer Lebensgemeinschaft.

Dem aufgezeigten Verfahrensfehler kommt Relevanz zu. Da sich der Beschwerdeführer bereits neun Jahre im Bundesgebiet aufhält und schon seit dem Jahr 2005 einer Beschäftigung nachgeht, ist nicht auszuschließen, dass im Fall der Bejahung einer (längeren) Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin die privaten Interessen des Beschwerdeführers höher anzusetzen sind als das zweifellos bestehende öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens. Die belangte Behörde verwies zwar zutreffend darauf, dass dem Umstand Bedeutung zukommt, ob das Privat- und Familienleben eines Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (§ 66 Abs. 2 Z 8 FPG). Dieser unsichere Aufenthaltsstatus bedeutet aber nicht, dass ein während eines vorläufigen Aufenthaltsrechts intensiviertes Privat- oder Familienleben in Österreich keine Bedeutung hätte.

Wegen des aufgezeigten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 14. März 2013

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