VwGH 2012/08/0301

VwGH2012/08/030111.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des H B in Z, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 8. November 2012, Zl LGS NÖ/RAG/05661/2012, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2007/I/104;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2007/I/104;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 iVm § 38 AlVG der Verlust seines Anspruchs auf Notstandshilfe im Zeitraum vom 1. August bis 25. September 2012 ausgesprochen. Nachsicht gemäß § 10 Abs 3 AlVG wurde nicht gewährt.

Nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde (im Wesentlichen) folgenden Sachverhalt fest:

Dem Beschwerdeführer sei am 17. Juli 2012 eine Beschäftigung als LKW-Fahrer bei der K. Transport GmbH mit einer zumindest kollektivvertraglichen Entlohnung und Bereitschaft zur Überzahlung mit möglichem Arbeitsantritt am 1. August 2012 zugewiesen worden. H. von der K. Transport GmbH habe der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Hollabrunn mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer zum Dienstbeginn mit dem Autobus kommen müsse, da er keinen PKW besitze und somit nicht pünktlich zu arbeiten beginnen könne. Er habe daher dem Beschwerdeführer Gleitzeit angeboten, doch sei dies von ihm abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer habe beim Vorstellungsgespräch angegeben, dass er einmal am Tag während der Dienstzeit nach Hause fahren müsse, um nach seinem Vater zu schauen. H. habe daher den Beschwerdeführer gefragt, ob er wirklich arbeiten wolle und der Beschwerdeführer habe angegeben "nur wenn es unbedingt notwendig ist - bzw. sein muss".

Niederschriftlich habe der Beschwerdeführer am 3. August 2012 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Hollabrunn angegeben, dass er sich bei H. von der K. Transport GmbH vorgestellt habe und ihm eine 60-Stunden-Woche angeboten worden sei. Er habe nicht die Möglichkeit erhalten, am Abend mit dem LKW nach Hause zu fahren und Arbeitsbeginn sei um 5:00 Uhr Früh gewesen.

Zu den Angaben des potentiellen Dienstgebers habe der Beschwerdeführer angegeben, dass ihm keine Gleitzeit angeboten worden sei. Weiters habe er H. erzählt, dass er für seinen Vater um Pflegeeinstufung angesucht habe. Selbstverständlich würde er 40 Wochenstunden, aber nicht 60 Wochenstunden arbeiten. Er erkläre sich für arbeitswillig.

Die Angaben des Beschwerdeführers seien der K. Transport GmbH zur Kenntnis gebracht und diese um Stellungnahme ersucht worden. In der Stellungnahme vom 13. September 2012 habe H. Folgendes mitgeteilt (zitiert wie im angefochtenen Bescheid):

"(Der Beschwerdeführer) hat sich am 31. Juli 2012 bei uns vorgestellt, es waren meine Gattin und ich anwesend. Das Gespräch stellte sich für uns ganz anders dar, als (der Beschwerdeführer) das offensichtlich schildert.

Ganz entschieden entgegentreten möchte ich der Aussage (des Beschwerdeführers), ich hätte ihm eine Mindestarbeitszeit von wöchentlich 60 Stunden in Aussicht gestellt.

Dass er bereit wäre, 40 Stunden zu arbeiten, behauptet er wohl Ihnen gegenüber. Als allerdings ich ihn, nachdem er immer neue Hinderungsgründe vorgebracht hatte, direkt fragte, ob er denn überhaupt 40 Stunden pro Woche bei uns arbeiten wolle, antwortete er: 'wenn es unbedingt sein muss, wenn es sich nicht vermeiden lässt.' Er gab an, dass es sich wegen der hohen Abzüge nicht lohnen würde zu arbeiten und dass er auch ohne Arbeit alles hätte, was er brauche. Wozu solle er arbeiten, sagte er, in mehr als einem Haus wolle er doch sowieso nicht wohnen, und in einem Haus wohne er ohnehin schon.

Er regte sich darüber aus, dass man in Österreich zur Arbeit genötigt wird, er fand es skandalös, dass es in Österreich möglich ist, dass einem sämtliche finanziellen Ansprüche gestrichen werden, wenn man eben nicht arbeiten will und jedenfalls auch nicht 40 Stunden pro Woche Zeit hat für eine Erwerbsarbeit, so wie er, der es für sinnvoller erachte, zu Hause seinen Vater zu betreuen. Dass das vom Arbeitsmarktservice nicht eingesehen wird, kritisierte er.

Als ich zuletzt zögerte, das von ihm mitgebrachte Formular zum Bewerbungsergebnis auszufüllen, sagte er, wir könnten doch froh sein, dass er sich nicht von uns einstellen lässt, um es dann darauf anzulegen, gekündigt zu werden.

Zu den zuvor erwähnten, von ihm genannten Hinderungsgründen gehörte, gleich zu Beginn des Gesprächs, die fehlende Verfügbarkeit über ein Fahrzeug zum Erreichen des Arbeitsplatzes. Nun ist das an sich tatsächlich ein Problem. Wie ich auch (dem Beschwerdeführer) gegenüber erwähnte, ist Arbeitsbeginn bei uns üblicherweise 06:00 Uhr, manchmal auch schon um 05:00 Uhr.

Ich sah mich aber in der Situation, dringend einen Fahrer zu brauchen. Ein Mitarbeiter hatte Anfang Juli gekündigt, und da auch Urlaubszeit war, in der abwechselnd immer ein Mitarbeiter aufgrund von Urlaub fehlt, war es sehr schwierig, den Abgang zu kompensieren.

Daher versuchte ich eine Lösung zu finden. Ich fragte ihn dabei auch, ob es nicht möglich wäre, das Fahrzeug, mit dem er zum Vorstellungsgespräch gekommen war, wenigstens gelegentlich auch für Fahrten zur Arbeit zu organisieren. Er verneinte. Das Fahrzeug wäre auf seinen Vater angemeldet.

Ich versicherte ihm auf seinen diesbezüglichen Hinweis, dass er Überstunden nicht leisten müsse. Gleitzeit in dem Sinn, dass er die Arbeitszeit innerhalb einer gewissen Bandbreite selbst festlegen kann, habe ich ihm so allerdings tatsächlich nicht angeboten, wir hätten die Arbeitszeit schon jeweils vereinbaren müssen.

Er gab an, dass er vor viertel acht nicht mit dem Bus in (K.) sein könne. ich meinte, dafür könnte ich eine Lösung finden.

Da sagte er, er müsse aber auch spätestens um 14:00 Uhr aufhören, damit er um 14:30 Uhr mit dem Bus zu Hause wäre. Er müsse sich um seinen Vater kümmern, und wir müssten auch damit rechnen, dass er auch während der Arbeitszeit zusätzlich noch zwischendurch ein- oder zweimal nach Hause müsse zu seinem Vater.

Ich wies darauf hin, dass sich da wohl keine vierzig Stunden pro Woche ausgehen, dem widersprach er nicht.

Wie bereits erwähnt, fragte ich ihn daraufhin, ob er überhaupt 40 Stunden pro Woche bei uns arbeiten wolle und bekam die bereits erwähnte Antwort."

Die Angaben des H. seien dem Beschwerdeführer zur Kenntnis und möglichen Stellungnahme übermittelt worden. In seiner Stellungnahme vom 26. September 2012 habe der Beschwerdeführer Folgendes angegeben (zitiert wie im angefochtenen Bescheid):

"Als erstes lässt (H.) unerwähnt, dass es für mich erst nach dem dritten Anruf in über einer Woche möglich war einen Vorstellungstermin bei Ihm zu erhalten. Telefoniert habe ich mit seiner Frau. Jedesmal sagte sie 'Mein Mann ruft sie an wenn er Zeit hat'. Daher erscheint der behauptete Bedarf an LKW-Lenkern eher fraglich. Da der Vorstellungstermin abends war ist mir unverständlich, daß er nicht schon am Tag meines ersten Anrufes war. An dem dazwischenliegenden Wochenende traf ich mit Freunden zufällig bei der Fa. (K. Transport GmbH) beschäftigte Lenker. Nach deren Kommentar ist die Wochenarbeitszeit nahe 70 Stunden und das Betriebsklima habe sich beim Wechsel von (K.) zu (H.) deutlich verschlechtert.

Daher war meine Grundeinstellung zur (K. Transport GmbH) nicht positiv.

Entgegen dem Schreiben von (H.) war nach seiner prinzipiellen Aussage der tägliche Arbeitsbeginn um 05:00 Uhr und das tägliche Ende in der Regel zwischen 17 und 18 Uhr.

Von all den unrealistischen Dingen wie Gleitzeit, finden einer Lösung für den Weg zur Arbeit oder Arbeit für nur 40 Wochenstunden war nie die Rede. (H.) behauptete sogar wenn mein Vater will dass ich arbeite müsse er eben auf das Auto (= seine Mobilität) verzichten.

(H.) hat bezüglich Lohn und Arbeitswillen etwas mißverstanden denn auf Grund vom Lohnniveau meiner letzten langfristigen Beschäftigung als LKW Lenker von ca. Euro 1.900 netto zu seinem Angebot von ca. Euro 1.500 BRUTTO ist ihm bezüglich Hausbau und eigenem PKW sicher ein Denkfehler unterlaufen.

Zur Betreuung meines Vaters (= Voraussetzung für gelegentliche Benützung seines PKW) meinte (H.) er finde darin keine Notwendigkeit da der Staat für alte Menschen sorgen würde.

Niemals zum Gespräch wurde die Möglichkeit mit den Firmen LKW nach Hause fahren zu dürfen, obwohl dies bei der vorhin erwähnten Firma - trotz weiterer Wegstrecke - möglich war.

(H.) hat offensichtlich viele wesentlichen Dinge aus dem Gespräch vergessen. Etwa seine wörtliche Aussage 'unsere LKW fahren täglich von 5 bis ca. 18Uhr'. Die Wartezeit für die Beladung und Entladung des LKW sowie das nachziehen in der Warteschlage der LKW (alle 10 bis 15 Minuten) sei selbstverständlich Ruhezeit - wird also nicht bezahlt.

Der Wahrheitsgehalt der von (H.) gestellten Voraussetzungen und somit die Richtigkeit meiner Aussage könnte eine Betriebsprüfung durch FA oder GKKNÖ bezüglich der Lenk- und Arbeitszeit problemlos belegen und zu meinen Gunsten werten."

Der Beschwerdeführer habe laut Auskunft der Bezirkshauptmannschaft H. keinen PKW angemeldet. Er habe eine Zugmaschine und einen Anhänger angemeldet. Sein Vater, der an einer Adresse in R. (in unmittelbarer Nähe zum Beschwerdeführer) hauptgemeldet sei, habe jedoch einen PKW angemeldet.

Laut Herold-Routenplaner betrage die Wegstrecke vom Wohnort des Beschwerdeführers in R. zum Arbeitsort in K. ca 11 Kilometer und wäre mit dem PKW in 12 Minuten erreichbar. Laut Google Maps betrage der Fußweg vom Wohnhaus des Beschwerdeführers in R. zum Bahnhof in Z. 2,8 km und sei in 33 Minuten erreichbar.

Festgestellt worden sei, dass von Z. um 05:51 Uhr ein Bus nach K. (Arbeitsort) fahre und dieser um 06:04 Uhr ankomme. Die Fahrzeit betrage 13 Minuten. Z. sei daher von R. aufgrund der kurzen Wegstrecke auch zu Fuß oder mit einem Fahrrad zu erreichen.

Laut Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger vom 25. Oktober 2012 sei während der Ausschlussfrist gemäß § 10 AlVG kein Krankengeldbezug vorgelegen und habe der Beschwerdeführer bis dato auch kein Dienstverhältnis aufgenommen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass er den Arbeitsort in K. mit Arbeitsbeginn um 05:00 Uhr früh mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichen könne. Laut potentiellem Dienstgeber sei Arbeitsbeginn üblicherweise um 6:00 Uhr, manchmal bereits um 5:00 Uhr. Da der Beschwerdeführer vorgebracht habe, mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Arbeitsplatz erreichen zu müssen, sei laut potentiellem Dienstgeber versucht worden, aufgrund dringenden Arbeitskräftebedarfs eine Lösung zu finden, was vom Beschwerdeführer abgelehnt worden sei. Es habe festgestellt werden können, dass entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers der Arbeitsort mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit Ankunft um 6:04 Uhr in K. erreicht werden habe können und nicht erst um viertel acht. Seine Angaben gegenüber dem potentiellen Dienstgeber, erst um viertel vor acht zu arbeiten beginnen zu können, seien daher falsch. Bei einer Ankunftszeit in K. um 6:04 Uhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln wäre daher für den Beschwerdeführer möglich gewesen, kurz nach 6:00 Uhr den Dienst anzutreten. Dies habe er jedoch dem potentiellen Dienstgeber nicht mitgeteilt, sondern vielmehr falsche Angaben bezüglich Ankunftszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln gemacht. Der Beschwerdeführer stehe nunmehr seit mehr als vier Jahren laufend im Leistungsbezug und suche eine Stelle als LKW-Lenker, welche ihm auch vom Arbeitsmarktservice in unmittelbarer Nähe zu seinem Wohnort - 11 Kilometer entfernt - angeboten worden sei.

Der Beschwerdeführer habe "seit seiner Arbeitslosigkeit seine Mobilität nicht geändert" - er habe sich nicht einmal ein Moped besorgt - obwohl von seinem Wohnort in R. laut Pendlerstatistik 2001 mehr als 70% der erwerbstätigen Bevölkerung auspendle. Da festgestellt worden sei, dass um kurz nach 6:00 Uhr der Arbeitsort mit öffentlichen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit (Wegzeit 33 Minuten, Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln 13 Minuten) erreichbar gewesen sei, sei die zugewiesene Beschäftigung im Sinne des § 9 AlVG jedenfalls zumutbar.

Einerseits gebe der Beschwerdeführer an, dass er gelegentlich den PKW seines Vaters benütze, aber dessen Mobilität nicht einschränken wolle, obwohl dieser in Pension sei. Andererseits habe er um Pflegeeinstufung für seinen Vater angesucht und dies dem potentiellen Dienstgeber beim Vorstellungsgespräch mitgeteilt. Sein Vorbringen, die Mobilität seines Vaters nicht einschränken zu wollen, obwohl dieser pflegebedürftig sei, sei nicht schlüssig.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe zuletzt EUR 1.900,-- netto verdient und vom Dienstgeber sei ihm ca EUR 1.500,- brutto angeboten worden, werde ausgeführt, dass die Zumutbarkeit einer zugewiesenen Beschäftigung gemäß § 9 Abs 2 AlVG unter anderem voraussetze, dass die Beschäftigung angemessen entlohnt sei, wobei eine Entlohnung nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag jedenfalls angemessen sei. Die Zumutbarkeit einer zugewiesenen Beschäftigung setze gemäß § 9 Abs 2 AlVG unter anderem voraus, dass die Beschäftigung "angemessen entlohnt" sei. Das Kriterium der "angemessenen" Entlohnung stelle nicht auf die individuelle Bedarfssituation oder Wunschvorstellung des Beschwerdeführers, sondern auf objektive Gegebenheiten des Arbeitsmarkts ab. Auf die Höhe des vom Beschwerdeführer vorher erzielten Verdienstes oder auch nur die Höhe eines "Durchschnittsverdienstes" komme es nicht an. Der Umstand, dass ihm die Entlohnung zu gering sei, sei dabei ebenso wenig zu berücksichtigen. Der potentielle Dienstgeber hätte jedenfalls nach dem Kollektivvertrag bezahlt und es sei Bereitschaft zur Überzahlung laut Stelleninserat vorhanden gewesen. Die zugewiesene Beschäftigung sei auch in dieser Hinsicht jedenfalls im Sinne des § 9 Abs 2 AlVG zumutbar. Weitere die Zumutbarkeit ausschließende Umstände habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht und lägen laut Aktenlage auch nicht vor.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei zudem widersprüchlich. Einerseits gebe er an, dass er teilweise das Fahrzeug seines Vaters benütze, andererseits habe er beim Vorstellungsgespräch angegeben, dass er auch nicht gelegentlich das Fahrzeug seines Vaters organisieren könne. Einerseits habe sein Vater Pflegebedarf, andererseits könne dieser nicht auf sein Fahrzeug verzichten. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei daher weder schlüssig noch nachvollziehbar. Weiters sei auf die Aussagen von Freunden bezüglich der Arbeitszeiten von 70 Wochenstunden beim potentiellen Dienstgeber kein Rückschluss auf die tatsächlichen Gegebenheiten zulässig. Der Beschwerdeführer gebe in seiner Stellungnahme selbst an, dass seine Grundeinstellung beim Vorstellungsgespräch nicht positiv gewesen sei, obwohl er selbst bei dieser Firma noch nicht gearbeitet habe. Sämtliche Aussagen des Beschwerdeführers seien daher geeignet, nach allgemeiner Lebenserfahrung seine Arbeitswilligkeit in Bezug auf die konkret angebotene, zumutbare Beschäftigung in Frage zu stellen und die Chancen seiner Bewerbung beträchtlich zu vermindern. Die Angaben der K. Transport GmbH seien dagegen schlüssig und nachvollziehbar und es seien auch keine Beschwerden bei der Kammer für Arbeiter und Angestellte, Bezirksstelle H., über diese Firma bekannt. Dadurch habe der Beschwerdeführer jedenfalls in Kauf genommen, dass das Beschäftigungsverhältnis nicht zustande komme, sodass er gemäß § 10 Abs 1 AlVG den Leistungsanspruch für die Dauer von acht Wochen verliere.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die §§ 9 und 10 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl I Nr 104/2007 lauten (auszugsweise):

"§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7

des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar.

(…)

§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

(…)

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

(…)

(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Die genannten Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, dh bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl zB das hg Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl 2006/08/0157, mwN).

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht. Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Es ist dabei nicht Voraussetzung, dass das Beschäftigungsverhältnis ohne die Vereitelungshandlung in jedem Fall zustande gekommen wäre. Vielmehr ist Kausalität dann gegeben, wenn die Chancen für das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der Vereitelungshandlung jedenfalls verringert wurden (vgl das hg Erkenntnis vom 18. Jänner 2012, Zl 2008/08/0243).

Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl das hg Erkenntnis vom 25. Oktober 2006, Zl 2005/08/0049, uva).

2. Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass der Beschwerdeführer das Zustandekommen einer ihm zugewiesenen, zumutbaren Beschäftigung bei der K. Transport GmbH durch sein Verhalten beim Bewerbungsgespräch vereitelt hat. In Bezug auf das vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren zur Zumutbarkeit der Beschäftigung erstattete Vorbringen führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheids im Wesentlichen aus, dass die zugewiesene Beschäftigung für den Beschwerdeführer mit öffentlichen Verkehrsmitteln von seinem Wohnort aus erreichbar gewesen wäre und dass die angebotene kollektivvertragliche Entlohnung ausreichend sei. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer zu verrichtenden Arbeitszeit führte die belangte Behörde aus, dass aus den Aussagen von Freunden des Beschwerdeführers, wonach eine Arbeitszeit von 70 Wochenstunden zu verrichten sei, kein Rückschluss auf die tatsächlichen Gegebenheiten gezogen werden könne. Weiteres gegen die Zumutbarkeit sprechendes Vorbringen habe der Beschwerdeführer nicht erstattet.

Damit übersieht die belangte Behörde jedoch, dass der Beschwerdeführer bereits in der - im vorgelegten Verwaltungsakt enthaltenen - Niederschrift vom 3. August 2012 angegeben hatte, dass sich H. von der K. Transport GmbH eine "60 Stunden Arbeitswoche vorgestellt" habe. In seiner Berufung vom 23. August 2012 gab der Beschwerdeführer an, ihm sei von H. eine "Mindestarbeitszeit von wöchentlich 60 Stunden in Aussicht gestellt" worden. In einer weiteren im Berufungsverfahren erstatteten Stellungnahme vom 26. September 2012 gab der Beschwerdeführer an, H. habe ihm gegenüber angegeben, dass der tägliche Arbeitsbeginn um 5:00 Uhr und das tägliche Ende in der Regel zwischen 17 und 18 Uhr sei.

Die belangte Behörde hat zu diesem und dem weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers zum Verlauf des Bewerbungsgesprächs eine schriftliche Stellungnahme des H. von der K. Transport GmbH eingeholt und diese auch im angefochtenen Bescheid wiedergegeben. Eine förmliche Einvernahme des H. als Zeuge lässt sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheids wie auch aus dem Verwaltungsakt nicht ersehen.

Die Behörde darf sich aber nur in Fällen, die nicht weiter strittig sind, mit einer formlosen Befragung als Beweismittel begnügen. Wo hingegen widersprechende Beweisergebnisse vorliegen und der Beweiswürdigung besondere Bedeutung zukommt, ist es im Interesse der Erforschung der materiellen Wahrheit nicht zulässig, sich mit solchen Befragungen zu begnügen. Diesfalls hat die Behörde entsprechend dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens jene Personen, die zunächst nur formlos befragt wurden, als Zeugen niederschriftlich zu vernehmen (vgl das hg Erkenntnis vom 14. November 2012, Zl 2010/08/0131, uva).

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, hätte die belangte Behörde H. daher förmlich als Zeuge einvernehmen müssen, um von der Darstellung des Beschwerdeführers zum Verlauf des Bewerbungsgesprächs abzugehen. Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich. Eine Beschäftigung, bei der vom Arbeitnehmer regelmäßig die Überschreitung der gesetzlichen Arbeitszeiten erwartet wird, wäre nämlich unzumutbar im Sinne des § 9 Abs 2 AlVG (vgl das hg Erkenntnis vom 22. Februar 2012, Zl 2009/08/0096).

Eine abschließende Beurteilung der Zumutbarkeit der dem Beschwerdeführer zugewiesenen Beschäftigung iSd § 9 Abs 2 AlVG ist dem Verwaltungsgerichtshof angesichts der mangelhaften Feststellungen somit verwehrt. Es erübrigte sich daher eine Prüfung, ob der Beschwerdeführer das Zustandekommen dieser Beschäftigung durch sein Verhalten beim Bewerbungsgespräch vereitelt hat bzw ob die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen frei von Verfahrensmängeln sind. Auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen war nicht weiter einzugehen.

3. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass der erstinstanzliche Bescheid so mangelhaft gewesen sei, dass eine Zurückverweisung nach § 66 Abs 2 AVG geboten gewesen wäre, reicht es darauf hinzuweisen, dass nach dieser Bestimmung die Mangelhaftigkeit des Verfahrens die Berufungsbehörde nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids berechtigt, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben lässt. In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn von der Vorinstanz kein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde (vgl das hg Erkenntnis vom 27. September 2012, Zl 2009/08/0055, mwN). Mangels Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die belangte Behörde § 66 Abs 2 AVG daher zu Recht unangewendet gelassen.

4. Schließlich macht der Beschwerdeführer geltend, Ansprüche nach dem AlVG seien "civil rights" iSd Art 6 Abs 1 EMRK. Das AlVG sehe zur Entscheidung über Ansprüche wie dem hier zu beurteilenden aber die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden und ein Verfahren nach dem AVG vor. Dies verletze das Grundrecht nach Art 6 Abs 1 EMRK auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches auf Gesetz beruhendes Gericht. Er sei in seinen von Art 6 Abs 1 EMRK garantierten Rechten auf Anhörung in einer öffentlichen Verhandlung und auf öffentliche Urteilsverkündung verletzt. Die Mindestdauer von sechs Wochen Anspruchsverlust nach § 10 Abs 1 AlVG sei zudem verfassungswidrig.

Hinsichtlich dieses Vorbringens kann gemäß § 43 Abs 2 zweiter Satz VwGG auf die Begründung der hg Erkenntnisse vom 20. September 2006, Zl 2003/08/0106, und vom 11. September 2008, Zl 2007/08/0187, verwiesen werden.

4. Aus den unter Pkt 2 ausgeführten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455. Das die "Einschreibegebühr" betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da ein solcher Ersatz in den genannten Bestimmungen nicht vorgesehen ist.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 11. Dezember 2013

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