VwGH 2010/02/0306

VwGH2010/02/030618.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde der T J in W, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 120/28, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 20. Oktober 2010, Zl. UVS-03/PV/16/11154/2009-12, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs4;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
VStG §44a Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte in dieser Rechtsache wird auf das hg. Erkenntnis vom 28. Juli 2010, Zl. 2009/02/0338, verwiesen, mit dem der Verwaltungsgerichtshof den dort angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat, weil die belangte Behörde keinen Sachverhalt festgestellt und sich unter anderem mit dem Vorbringen zum Schockzustand der Beschwerdeführerin im Tatzeitpunkt nicht auseinandergesetzt hat.

Mit dem nunmehr im Instanzenzug ergangenen angefochtenen (Ersatz)Bescheid hat die belangte Behörde den bei ihr angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die nächstgelegene Dienststelle "1020 Wien, Ausstellungsstraße 44" zu lauten habe und die übertretene Norm mit § 5 Abs. 4 StVO 1960 iVm § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 zu zitieren sei.

In der Begründung ging die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage sowie der Wiedergabe der Aussagen der vernommenen Personen auf der Tatsachenebene davon aus, dass die Beschwerdeführerin zuerst aufgefordert worden sei, sich einem Vortest zu unterziehen. Die Vornahme des Vortests habe sie verweigert, sodass sie in weiterer Folge aufgefordert worden sei, sich einer Atemluftuntersuchung auf der Polizeiinspektion Ausstellungsstraße zu unterziehen. Diese Untersuchung habe sie verweigert. Dabei habe sich die Beschwerdeführerin in einem durch Alkohol in einem nicht unerheblichen Maße beeinträchtigten Zustand befunden; der Zustand habe jedoch nicht ihre Diskretions- und Dispositionsfähigkeit beeinträchtigt.

In der Beweiswürdigung setzte sich die belangte Behörde mit den unterschiedlichen Aussagen und Verfahrensergebnissen auseinander und kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin schon deshalb nicht an einem Schock gelitten haben könne, weil sie - nach ihren eigenen Angaben - für die Verweigerung des Vortests eine Begründung abgegeben habe. Sie habe sich um ihren Hund nicht gekümmert, dieser sei von der Polizeibeamtin versorgt worden. Die Verwechslung der Polizeiinspektionen sei darauf zurück zu führen, dass die Anzeige von der Polizeiinspektion Pasettistraße erstattet worden sei, die Fehlbezeichnung sei daher zu berichtigen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde läuft darauf hinaus, sie sei im Zeitpunkt der Aufforderung zur Atemluftalkoholuntersuchung nicht dispositionsfähig gewesen. In diesem Zusammenhang behauptet sie das Vorliegen eines Unfallschocks.

Gemäß § 5 Abs. 2 StVO sind Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen, die verdächtig sind, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt zu haben (Z. 1), oder bei denen der Verdacht besteht, dass ihr Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichen Zusammenhang steht, auf Alkoholgehalt zu untersuchen (Z. 2). Wer zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, hat sich dieser zu unterziehen.

War eine Untersuchung gemäß Abs. 2 aus in der Person des Probanden gelegenen Gründen nicht möglich, sind die Organe der Straßenaufsicht weiter berechtigt, Personen von denen vermutet werden kann, dass sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem im öffentlich Sanitätsdienst stehenden, bei einer Bundespolizeibehörde tätigen, bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden oder im Sinne des § 5a Abs. 4 ausgebildeten und von der Landesregierung hierzu ermächtigten Arzt zu bringen (§ 5 Abs. 5 Z 2 StVO).

Demnach müssen - so die Rechtsprechung - die Organe der Straßenaufsicht bei Unmöglichkeit der Ablegung einer Atemalkoholuntersuchung mittels Alkomat aus medizinischen Gründen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 5 Z 2 StVO zu prüfen, bejahendenfalls von der Aufforderung zur Untersuchung der Atemluft Abstand zu nehmen und den Aufgeforderten zum Zwecke der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden oder zu einem bei der Bundespolizeidirektion tätigen Arzt zu bringen. Wird auf die Unmöglichkeit der Ablegung einer Atemalkoholuntersuchung aus medizinischen Gründen nicht hingewiesen, muss der behauptete Zustand für Dritte sofort klar erkennbar sein. Auf Grund eines als erwiesen angenommenen situationsbezogenen Verhaltens eines Probanden (im Zusammenhang mit der Verweigerung der Atemluftprobe auf Alkoholgehalt) ist es entbehrlich, ein ärztliches Sachverständigengutachten über dessen Zurechnungsfähigkeit einzuholen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 26. November 2010, Zl. 2009/02/0392, mwN).

Nach den Feststellungen und den von der Beschwerdeführerin selbst gemachten Angaben hat sie der Aufforderung zur Ablegung eines Vortests entgegnet, sie werde wegen eines Glases Sekt keinen Test machen, weil sie ja nicht betrunken sei. Aus der das Unfallgeschehen wiedergebenden Anzeige vom 20. Dezember 2008 ergibt sich auch, dass die Beschwerdeführerin sich mit ihrem Führerschein ausgewiesen und Angaben zu ihrem Alkoholkonsum gemacht hat. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Schockzustandes hat es für die Polizeibeamten nicht gegeben.

In Anwendung der dargestellten Rechtsprechung auf den vorliegenden Sachverhalt, wonach sich die Beschwerdeführerin situationsbezogen verhalten hat, konnte die belangte Behörde ohne Verfahrensfehler von der Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen absehen.

Zur Spruchrüge der Beschwerdeführerin, die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt sei ihr nicht vorgehalten worden, ist sie auf die Rechtsprechung zu verweisen, wonach § 5 Abs. 4 StVO als eine Ausformung des Abs. 2 anzusehen ist; die Weigerung, sich zum Zwecke der Feststellung des Atemalkoholgehaltes zur nächsten Dienststelle (bei der sich ein Atemalkoholmessgerät befindet) bringen zu lassen, stellt im Ergebnis eine Verweigerung der Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt dar (vgl. das Erkenntnis vom 25. Jänner 2002, Zl. 99/02/0221). Anders als die Beschwerdeführerin meint, ist bei einer Weigerung, sich zum Zwecke der Feststellung des Atemalkoholgehaltes der nächsten Dienststelle bringen zu lassen, nicht auch noch die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft im Spruch des Strafbescheides aufzunehmen, zumal der erste Vorwurf den anderen beinhaltet. Der so von der belangten Behörde übernommene Spruch des Straferkenntnisses vom 12. Juni 2009 erweist sich somit diesbezüglich nicht als mangelhaft.

Einen Widerspruch zwischen der in der Anzeige vom 20. Dezember 2008 angeführten Tatzeit von 14.45 Uhr und des Vorwurfs der Verweigerung des Alkotests um 14.55 Uhr im Straferkenntnis vom 12. Juni 2009 ist nicht zu sehen, zumal nach dem Polizeiprotokoll die Polizeibeamten die Beschwerdeführerin bzw. deren Fahrzeug um 14.45 Uhr wahrgenommen haben und festgehalten wurde, dass der Führerschein um 14.55 Uhr abgenommen worden sei. Dass eine Amtshandlung eine entsprechende Zeitspanne benötigt liegt auf der Hand; die von der Beschwerdeführerin befürchtete Doppelbestrafung kommt im konkreten Fall schon wegen der zeitlichen Einheit der Ereignisse keinesfalls in Frage.

Die Beschwerdeführerin rügt ferner in der Beschwerde die Beweiswürdigung der belangten Behörde zur Frage, ob sie sich geweigert habe, zur nächstgelegenen Dienststelle zum Ablegen des Alkomattests mitzufahren.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist, und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten stand hält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 25. Juni 2008, Zl. 2007/02/0360).

Vor diesem Hintergrund lassen die Argumente der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde, Aussagen stünden zueinander im Widerspruch, an der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde keine Zweifel aufkommen, zumal sich die belangte Behörde diesmal auch mit den unterschiedlichen Beweisergebnissen auseinandergesetzt und diese im Sinne der wiedergegebenen Rechtsprechung gewürdigt hat.

Insgesamt erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 18. November 2011

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