VwGH 2010/01/0050

VwGH2010/01/005015.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der B O in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 2. September 2010, Zl. MA 35/IV - O 171/08, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
EheG §55a;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
EheG §55a;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11a;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin wurde 1980 in Nigeria geboren. Sie hat sich (laut Mitteilung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien) seit 1999 unter dem Namen "K S, geb. 10.05.1982" in Österreich aufgehalten und heiratete am 16. November 2001 unter dem Namen "Om B, geb. 01.01.1980" vor dem Standesamt Wien-Ottakring (Zl. 661/2001) den österreichischen Staatsbürger GGB.

Am 12. Mai 2005 beantragte sie bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Februar 2006 wurde der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 10. Februar 2006 nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Im Zuge dieser Verleihung wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich befragt, wobei sie (am 10. Februar 2006) angab und mit ihrer Unterschrift bestätigte, dass die Ehe mit (dem österreichischen Staatsbürger) GGB aufrecht sei und sie mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. September 2010 hat die belangte Behörde wie folgt entschieden:

"I. Das mit rechtskräftigem Bescheid vom 10. Februar 2006 zur Zahl MA 61/IV - B 542/05 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren, mit welchem B B, geb. Om (nunmehr: O) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung, von Amts wegen zum Zeitpunkt vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft wieder aufgenommen.

Das Ansuchen der B O, vertreten durch Rechtsanwalt D vom 12. Mai 2005 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG, § 11a Abs. 4 Z 1 - 4 StbG in der geltenden Fassung abgewiesen."

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Ehe der Beschwerdeführerin mit dem österreichischen Staatsbürger GGB sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11. Mai 2006 (zu AZ 80 C 25/06b) im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz geschieden worden. Die amtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (10. Februar 2006) mit GGB keinen gemeinsamen Haushalt geführt habe. Die Beschwerdeführerin und GGB hätten eine näher bezeichnete Wohnung in Wien nur (noch) geteilt, eine Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft habe nicht (mehr) bestanden, denn jeder Ehegatte habe bereits sein eigenes Leben gelebt und am Leben des Anderen nicht mehr teilgenommen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Beschwerdeführerin von einem anderen Mann (dem nigerianischen Staatsangehörigen O O) schwanger gewesen und habe kein Interesse (mehr) gehabt, die Ehe mit GGB weiterzuführen. Schon drei Wochen nach der (am 11. Mai 2006 erfolgten) rechtskräftigen Ehescheidung habe die Beschwerdeführerin (am 1. Juni 2006) den Vater des damals noch ungeborenen Kindes geheiratet; der geschiedene Ehegatte GGB sei nicht der Vater dieses (am 19. Juli 2006 geborenen) Kindes.

Diese Feststellungen würden sich aus der zeugenschaftlichen Aussage des ehemaligen Ehegatten GGB (vom 30. September 2008) ergeben. Aber auch die Beschwerdeführerin habe am 5. September 2008 vor der belangten Behörde angegeben, dass sie schon etwa 8 Monate vor der Scheidung nicht mehr regelmäßig zusammengewohnt hätten; GGB sei nur am Wochenende in die Wohnung (in Wien) gekommen, um mit seiner Tochter (S) spazieren zu gehen; schon damals habe GGB die meiste Zeit mit seiner Freundin verbracht. Ergänzend habe die Beschwerdeführerin angegeben, beide hätten eine schnelle Scheidung beabsichtigt, weil sie von einem anderen Mann schwanger gewesen sei.

Die Bedeutung des gemeinsamen Haushalts für die Verleihung (der Staatsbürgerschaft) habe der Beschwerdeführerin bewusst und verständlich sein müssen. Nach der Aktenlage sei ersichtlich, dass für die Beschwerdeführerin und ihren damaligen Ehegatten GGB klar gewesen sei, dass zum Zeitpunkt der Verleihung ein gemeinsames Eheleben und eine Wirtschafts- und Wohngemeinschaft nicht mehr bestanden habe, wenn auch die (bloße) Wohnsitzmeldung noch aufrecht gewesen sei. Hingegen seien die von der Beschwerdeführerin in ihrer (späteren) Stellungnahme vom 7. Jänner 2010 erstatteten Angaben, sie habe unter gemeinsamen Haushalt bloß den Wohnsitz verstanden, im Hinblick sowohl der anderslautenden Angaben der ehemaligen Eheleute als der anderslautenden niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vom 5. September 2008, nicht schlüssig. Die (angesichts drohender Wiederaufnahme) behaupteten Verständigungsprobleme seien weder überzeugend noch schlüssig.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darlegung der maßgeblichen Rechtslage aus, die Beschwerdeführerin habe die Verleihung der Staatsbürgerschaft durch unrichtige Angaben und das Verschweigen wesentlicher Tatsachen (betreffend den gemeinsamen Haushalt mit dem österreichischen Staatsbürger und früheren Ehegatten GGB) erschlichen.

Das Verleihungsansuchen werde abgewiesen, weil die Beschwerdeführerin weder die Voraussetzungen des § 11a StbG (sechsjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich und mindestens fünfjährige Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger oder sonstiger berücksichtigungswürdiger Grund) noch jene des § 10 StbG (zehnjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet, davon fünf Jahre niedergelassen) erfülle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die verfügte Wiederaufnahme (Spruch I. des angefochtenen Bescheides) ist - letztlich - aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 2. März 2010 in der Rechtssache C 135/08 , Rottman, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).

Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (7. September 2010) dies bereits bedenken können. Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens jedoch allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Auf Grund der dazu getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die zum rückwirkenden Verlust der Staatsbürgerschaft führende Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ausnahmsweise unverhältnismäßig war.

Ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottman" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 25) hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. die hg. Erkenntnisse jeweils vom 14. Dezember 2011, Zl. 2009/01/0067 und Zl. 2009/01/0064).

Aus den genannten Gründen war Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben (vgl. auch die hg. Erkenntnisse jeweils vom 16. Februar 2012, Zl. 2010/01/0063 und Zl. 2010/01/0031).

Schon infolge Aufhebung der mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens erweist sich die darauf aufbauende Abweisung des Verleihungsantrages als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher (in seinem gesamten Umfang) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. März 2012

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