Normen
62006CJ0002 Kempter VORAB;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs4 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs5 Z3 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11a Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs1;
StbG 1985 §20 Abs2;
StbG 1985 §20 Abs3;
StbG 1985 §35 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §4 idF 1998/I/124;
VwGG §42 Abs2 Z1;
62006CJ0002 Kempter VORAB;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs4 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs5 Z3 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11a Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs1;
StbG 1985 §20 Abs2;
StbG 1985 §20 Abs3;
StbG 1985 §35 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §4 idF 1998/I/124;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin wurde 1982 in Nigeria geboren. Sie hat seit Jänner 2001 ihren Hauptwohnsitz in Österreich und heiratete am 8. März 2002 den österreichischen Staatsbürger FB. Am 14. Juni 2004 beantragte sie bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. November 2004 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die Verleihung der Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, "dass innerhalb von zwei Jahren nach Erhalt dieses Bescheides der Nachweis des Ausscheidens aus dem bisherigen Staatsverband erbracht wird und im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft die Voraussetzungen des § 11a in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der geltenden Fassung nach wie vor erfüllt sind".
In weiterer Folge legte die Beschwerdeführerin ein Schreiben der "Embassy/Permanent Mission of the Federal Republic of Nigeria" vom 13. Dezember 2004 über ihre freiwillige Zurücklegung der nigerianischen Staatsbürgerschaft vor.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Jänner 2005 wurde der Beschwerdeführerin "mit Wirkung vom 26. Jänner 2005" die österreichische Staatsbürgerschaft nach § 11a StbG verliehen.
Im Zuge dieser Verleihung wurde die Beschwerdeführerin am 26. Jänner 2005 niederschriftlich befragt, wobei sie mit ihrer Unterschrift u.a. bestätigte, dass "ihre persönlichen Verhältnisse (insbesondere der Familienstand, die Wohnadresse, der Haushalt, der Arbeitsplatz) sich nicht geändert haben".
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Graz vom 22. März 2005 (AZ 34 C 20/05f) wurde die Ehe der Beschwerdeführerin mit dem österreichischen Staatsbürger FB gemäß § 55a Ehegesetz einvernehmlich geschieden (Rechtskraft: infolge Rechtsmittelverzicht am 22. März 2005).
In der Begründung führte das Bezirksgericht Graz aus, der Ehe würden keine gemeinsamen Kinder entstammen. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten sei in Graz, Vgasse, gewesen; der derzeitige gewöhnliche Aufenthalt des FB sei in Graz, Hstraße, jener der Beschwerdeführerin in Graz, Vgasse. Die eheliche Gemeinschaft sei seit mehr als sechs Monaten aufgehoben; die Ehegatten hätten die unheilbare Zerrüttung der Ehe zugestanden. Dem gleichzeitig (am 22. März 2005) vor dem Bezirksgericht Graz geschlossenen Vergleich (im Sinne des § 55a Abs. 2 Ehegesetz) zufolge war die Beschwerdeführerin alleinige Mieterin der Ehewohnung; sie verblieb (als Mieterin) in dieser; FB war bereits ausgezogen und hatte die Wohnung von seinen Fahrnissen geräumt.
Im August 2007 habe die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde vorgesprochen, um Informationen für die Einbürgerung ihrer Kinder einzuholen.
Am 20. August 2007 wurde die Beschwerdeführerin durch die belangte Behörde niederschriftlich befragt, wobei sie Folgendes angab (Anonymisierung hier und im Folgenden durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Ich war mit FB verheiratet, weiß aber nicht genau, seit wann (wahrscheinlich März 2002). Ich wurde von FB geschieden und habe in diesem Beschluss über die Scheidung im Einvernehmen angegeben, dass die eheliche Gemeinschaft seit mehr als 6 Monaten aufgehoben ist.
Ich gebe an, dass ich seit September 2004 von ihm ausgezogen bin. Trotz der Scheidung bekomme ich immer wieder Geld von ihm. FB ist aber nicht der Vater von JA, geb. 19.04.2005.
Wie ich nach Österreich gekommen bin, habe ich in einem Caritas Wohnheim gewohnt (1. in Maria Trost, 2. Elisabethinergasse, 3. Annenstraße).
Wie ich mit FB verheiratet war, habe ich in der Harterstraße und Vinzenzstraße gewohnt. Nachdem ich von ihm ausgezogen bin (September 2004), habe ich bei meiner Freundin in Liebenau, genaue Adresse ist nicht mehr bekannt, gewohnt.
Seit ich gearbeitet habe (April 2004), bin ich für meinen Lebensunterhalt selbst aufgekommen. FB hat mir nur ausgeholfen, wenn ich Geld gebraucht habe. So habe ich gestern (19.08.2007) wieder EUR 100,-- von ihm bekommen. Das Geld hat er mir für Essen und Trinken gegeben.
Ich habe FB schon 6 oder 7 Monate vor der Eheschließung gekannt. Die Augenfarbe von FB ist blau. FB hat im August 1953 Geburtstag. Mein jetziger Mann hat im Jahr 1980 Geburtstag, mehr weiß ich nicht. Ich habe Herrn A im April 2005 (genaueres Datum weiß ich nicht) geheiratet. Herr A ist der Vater von JA, geb. am 19.04.2005.
FB wohnt jetzt in Eggenberg.
Seitdem ich von FB ausgezogen bin, habe ich für FB keinen Haushalt mehr geführt (Wäsche gewaschen). Geld habe ich von FB bekommen, wenn ich eines gebraucht habe. Ich habe nicht jeden Monat von ihm Geld bekommen."
Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 15. November 2007 gab (der nunmehr geschiedene Ehegatte) FB Folgendes an:
"Ich gebe zu Protokoll, dass ich 08.03.2002 Frau T J B geheiratet habe. Weiters stelle ich fest, dass ich eineinhalb Jahre nach der Eheschließung aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen bin. Seit Herbst 2003 habe ich wieder in der Hstraße gewohnt. Abgemeldet habe ich mich jedoch seinerzeit nicht.
Von dem Ansuchen um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft hatte ich nichts gewusst. Es war mir aber bekannt, dass meine geschiedene Ehegattin während der aufrechten Ehe ein Kind bekommen hat. Die Vaterschaft hiezu hatte ich jedoch nicht anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir nur mehr sporadisch Kontakt. Endgültig ausgezogen bin ich im Herbst 2003.
Ich bekräftige daher nochmals, dass ich seit Herbst 2003 mit meiner geschiedenen Ehegattin nicht mehr zusammen gewohnt habe und auch keinen gemeinsamen Haushalt mehr hatte.
Zur Frage, ob meine geschiedene Ehegattin jemals bei mir gewohnt hat, muss ich feststellen, dass sie nie bei mir gewohnt hat, sondern ich bei ihr in der Vgasse zuerst ständig, bis Herbst 2003 sporadisch und ab Herbst 2003 nicht mehr bei ihr gewohnt habe und auch mit ihr keinen Kontakt mehr gehabt hatte.
Die Scheidung im Jahr 2005 ist von mir aus gegangen, da sie sich ursprünglich gar nicht scheiden lassen wollte.
Hinsichtlich der finanziellen Zuwendungen kann ich bekannt geben, dass ich bis zu meinem Auszug im Herbst 2003 meine geschiedene Ehegattin finanziell unterstützt habe.
Ab diesem Zeitpunkt war Funkstille (kein gemeinsamer Haushalt, keine finanzielle Unterstützung, keine eheliche Gemeinschaft, kein Kontakt).
Zu den Angaben meiner ehemaligen Gattin, dass sie im September 2004 ausgezogen ist und von mir auch weiter finanziell unterstützt wurde gebe ich bekannt, dass dies nicht stimmt. Ich habe alle meine finanziellen Zuwendungen im Herbst 2003 eingestellt. In der Hstraße, bei mir, hat sie nie gewohnt, jedoch war mir bekannt, dass sie in einer anderen Wohnung im gleichen Haus aufhältig war.
Zur Angabe, dass ich am 19. August 2007 meiner geschiedenen Ehegattin EUR 100,-- übergeben hätte, stelle ich fest, dass dies nicht stimmt.
Ich stelle nochmals fest, dass ich mit der geschiedenen Ehegattin seit Herbst 2003 bis auf die Scheidung im Jahr 2005 keinen Kontakt mehr hatte und auch keinerlei finanzielle Zuwendungen geleistet habe. Ein gemeinsamer Haushalt und eine aufrechte Ehe, wie man sich eine Ehe vorstellt, hat seit Herbst 2003 nicht mehr bestanden."
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. August 2008 hat die
belangte Behörde wie folgt entschieden:
"Spruch I:
Das Verfahren um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, das mit Bescheid des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 05.01.2005, GZ.: FA7C-11- 895/2004-30, mit Wirksamkeit vom 26.01.2005 abgeschlossen wurde, mit dem Frau T J A, geschiedene B, geb. A, geboren am 22.06.1982 in Lagos, Nigeria, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird
wieder aufgenommen
und das Verfahren in den Zustand vor der Verleihung der
österreichischen Staatsbürgerschaft zurückgesetzt.
Rechtsgrundlage:
§§ 39 StbG in Verbindung mit § 69 Abs. 2 AVG
Spruch II:
Widerruf der Zusicherung
Der Bescheid über die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, GZ.: FA7C-11-895/2004-20 vom 10.11.2004, in Rechtskraft erwachsen am 06.12.2004, an Frau T J A, geschiedene B, geb. A, geboren am 22.06.1982 in Lagos, Nigeria, wird
widerrufen.
Rechtsgrundlage:
§ 64a Abs. 4 StbG 1985, i.d.F. BGBl. I Nr. 37/2006
§ 20 Abs. 2 StbG"
Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. aus, durch den Beschluss des Bezirksgerichtes Graz vom 22. März 2005 über die einvernehmliche Ehescheidung sei bekannt geworden, dass die eheliche Gemeinschaft bereits seit sechs Monaten aufgehoben gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe vor Gericht bestätigt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft mindestens seit Oktober 2004 aufgehoben gewesen sei. Daraus sei zu erkennen, dass auch schon am "26.2.2005 (Datum der Niederschrift im Zuge der Verleihung)" - Anmerkung: richtig wohl 26. Jänner 2005 - die eheliche Gemeinschaft aufgelöst gewesen sei. Bei ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde am 20. August 2007 habe die Beschwerdeführerin angegeben, "dass sie seit September 2004 keinen gemeinsamen Haushalt mit FB geführt hat und zu diesem Zeitpunkt von ihm ausgezogen war". Im Wiederaufnahmeverfahren seien sowohl die Beschwerdeführerin als ihr seinerzeitiger österreichischer Ehegatte FB niederschriftlich befragt worden. Dadurch sei hervorgekommen, dass die Angaben "im Scheidungsurteil" richtig gewesen seien. Im Zeitpunkt der Einbürgerung habe daher die eheliche Lebensgemeinschaft und auch der gemeinsame Haushalt nicht mehr bestanden. Auch die seinerzeitigen Angaben der Beschwerdeführerin zu dem am 12. November 2002 geborenen Kind hätten nicht der Wahrheit entsprochen.
Der seinerzeitige österreichische Ehegatte (FB) habe angegeben, dass er die Vaterschaft dieses Kindes nicht anerkannt und zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen sei; seine finanziellen Zuwendungen habe er schon im Herbst 2003 eingestellt.
Die Beschwerdeführerin habe somit dadurch, dass sie die Frage nach dem gemeinsamen Haushalt unrichtig beantwortet habe, "ein falsches Zeugnis abgegeben und durch Vorspiegelung eines aufrechten gemeinsamen Haushaltes den Verleihungsbescheid erschlichen". Im Zuge der Bekanntgabe ihrer persönlichen Verhältnisse habe die Beschwerdeführerin "gezielt unrichtige Angaben gemacht, die erst nach der erfolgten Einbürgerung zu erkennen waren". Auf Grund der Aussagen der Beschwerdeführerin und ihres seinerzeitigen österreichischen Ehegatten sei davon auszugehen, dass "das Tatbestandselement Leben im gemeinsamen Haushalt im Sinne der häuslichen Gemeinschaft des § 55 Ehegesetz nicht gegeben gewesen ist". Das Verfahren sei daher wieder aufzunehmen gewesen.
Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde aus, der (mit Wirksamkeit vom 6. Dezember 2004 erlassene) Zusicherungsbescheid vom 10. November 2004 sei zu widerrufen, weil die Voraussetzungen des § 11a Abs. 1 Z. 1 StbG bei Erlassung dieses Bescheides nicht erfüllt worden seien. Die Entscheidung über das Verleihungsansuchen sei "auf ein falsches Zeugnis der Antragstellerin zurückzuführen" bzw. habe die Beschwerdeführerin den Bescheid durch Unterlassung der Bekanntgabe ihrer persönlichen Lebensumstände erschlichen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des StbG in der Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (im Folgenden: StbG nF), lauten:
"§ 20. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, daß er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn
- 1. er nicht staatenlos ist;
- 2. weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 Anwendung finden und
3. ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte.
(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
(3) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde
1. aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder
2. nachweist, daß ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder nicht zumutbar waren.
(4) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, kann verliehen werden, sobald der Fremde glaubhaft macht, daß er für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband Zahlungen zu entrichten gehabt hätte, die für sich allein oder im Hinblick auf den für die gesamte Familie erforderlichen Aufwand zum Anlaß außer Verhältnis gestanden wären.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten auch für die Erstreckung der Verleihung.
§ 24. Die Wiederaufnahme eines Verleihungsverfahrens darf aus den im § 69 Abs. 1 Z 2 und 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, genannten Gründen nur bewilligt oder verfügt werden, wenn der Betroffene hiedurch nicht staatenlos wird.
...
§ 35. Die (...) Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat von Amts wegen oder auf Antrag des Bundesministers für Inneres zu erfolgen. ...
...
§ 64a. ...
(4) Verfahren auf Grund eines vor dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 37/2006 erlassenen Zusicherungsbescheides nach § 20 Abs. 1 sind nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der vor der durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 37/2006 geänderten Fassung zu Ende zu führen."
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des StbG in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, also in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (im Folgenden: StbG aF), lauten:
"§ 4. ... Fremde, die einen Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft eingebracht haben, sind jedoch verpflichtet, in diesen Verfahren ihre familiären Verhältnisse, die Mittelpunkte ihrer Lebensinteressen sowie ihre persönlichen Lebensumstände darzulegen.
...
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;
...
(4) Von der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 kann abgesehen werden
1. aus besonders berücksichtigungswürdigem Grund, sofern es sich um einen Minderjährigen, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handelt, der seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, es sei denn, es wäre in Abs. 5 hinsichtlich dieser Wohnsitzdauer anderes vorgesehen;
...
(5) Als besonders berücksichtigungswürdiger Grund (Abs. 4 Z 1) gilt insbesondere
...
3. der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration oder
...
§ 11a. (1) Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn
1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt,
..."
1. Zur Verfügung der Wiederaufnahme (Spruch I des angefochtenen Bescheides):
Nach § 20 StbG begründet eine Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft für einen Fremden einen nur noch durch den Nachweis des Ausscheidens aus dem fremden Staatsverband bedingten Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. September 2008, Zl. 2008/01/0130, mwN).
§ 20 Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006, welcher den Widerruf der Zusicherung vorsieht, wenn nach Erlassung des Zusicherungsbescheides eine Verleihungsvoraussetzung wegfällt, wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2011, G 154/10, kundgemacht am 30. November 2011 in BGBl. I Nr. 111, als verfassungswidrig aufgehoben (I.). Weiters hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. Oktober 2012 in Kraft tritt (II.), die Vorschrift aber auch auf die am 29. September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden ist (III.) und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (IV.).
Der Verfassungsgerichtshof hat in der Begründung des zitierten Erkenntnisses ausgeführt, dass § 20 Abs. 3 StbG nach der bereinigten Rechtslage nunmehr so zu lesen ist, dass der Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides für die Beurteilung des Vorliegens der Verleihungsvoraussetzungen bestimmend ist. Weiter heißt es darin: "Da es der Staatsbürgerschaftsbehörde auf Grund der bereinigten Rechtslage nach Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Verleihungsvoraussetzungen abzusprechen, hat sie bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt." (Rz. 31)
Fallbezogen ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin zunächst mit Bescheid vom 10. November 2004 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert und mit Bescheid vom 5. Jänner 2005 (ausgefolgt am 26. Jänner 2005) die Verleihung schließlich ausgesprochen wurde. Mit Spruch I. des nunmehr angefochtenen Bescheides wurde die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens im Stande vor Erlassung des Verleihungsbescheides verfügt; die belangte Behörde begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft objektiv unrichtig angegeben habe, sie lebe mit FB im gemeinsamen Haushalt. Ferner habe sie auch unrichtige Angaben zu sonstigen Lebensumständen gemacht. Dies hat die belangte Behörde als Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG (Erschleichung) gewertet, da diese Angaben der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Verleihungsvoraussetzung nach § 11a Abs. 1 StbG aF von wesentlicher Bedeutung gewesen seien.
Diese Auffassung entspricht nicht der im gegenständlichen Fall anzuwendenden bereinigten Rechtslage: Gemäß § 69 Abs. 3 AVG iVm § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG kann die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens verfügt werden, wenn ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid nicht zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Eine Erschleichung im Sinne dieser Bestimmung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn (u.a.) die Partei in Irreführungsabsicht unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht hat (vgl. Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz IV., 2009, Rz 12f zu § 69, mwN zur Rechtsprechung, sowie die weiteren Nachweise zur Rechtsprechung bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, 1998, 1483ff).
Auf Grund der bereinigten Rechtslage ist bei Vorliegen eines aufrechten Zusicherungsbescheides - wie im gegenständlichen Fall - bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt. Selbst wenn die Beschwerdeführerin unrichtige Angaben zum Vorliegen einer Verleihungsvoraussetzung gemacht hat, kann darin vor dem Hintergrund der bereinigten Rechtslage keine Erschleichung in Bezug auf den Verleihungsbescheid erblickt werden, da danach das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Erlassung des Verleihungsbescheides keine Relevanz hat und es daher an dem für die Wiederaufnahme wesentlichen Merkmal unrichtiger Angaben zu wesentlichen Umständen mangelt. Nach der bereinigten Rechtslage ist im Falle der Erlassung eines Zusicherungsbescheides maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen der Zeitpunkt der Zusicherung der Verleihung, nicht jener der Erlassung des Verleihungsbescheides. Der angefochtene Bescheid erweist sich hinsichtlich seines Spruches I. schon aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.
Darüber hinaus ist Spruch I. des angefochtenen Bescheides auch aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 3. März 2010 in der Rechtssache C 135/08 , Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).
Im Beschwerdefall konnte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides dies noch nicht bedenken, nach den zeitlichen Wirkungen von Vorabentscheidungen des EuGH ist diese Rechtsprechung jedoch bei der Prüfung des Beschwerdefalles zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 2009, Zl. 2006/01/0855, mit Verweis auf das Urteil des EuGH vom 12. Februar 2008 in der Rechtsache C-2/06 , Kemptner KG gegen Hauptzollamt Hamburg - Jonas, Slg. 2008, I- 00411, Randnummern: 35 und 36, mwN).
Ob nach der im genannten Erkenntnis angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu auch das Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichtshofes vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz 23 bis 25) hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft.
Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Aufgrund der dazu getroffenen Feststellungen kann aber nicht beurteilt werden, ob die zum rückwirkenden Verlust der Staatsbürgerschaft führende Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ausnahmsweise verhältnismäßig war.
Aus den genannten Gründen war Spruch I. des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
2. Zum Widerruf der Zusicherung (Spruch II. des angefochtenen Bescheides):
§ 20 Abs. 2 StbG wurde mit dem weiter oben genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2011, G 154/10, kundgemacht in BGBl. I Nr. 111/2011, mit Wirkung auch für das gegenständliche (am 29. September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof anhängige) Verfahren aufgehoben. Dem auf diese aufgehobene Bestimmung gestützten Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaft (Spruch II.) mangelt es demnach an der gesetzlichen Grundlage, sodass sich der angefochtene Bescheid in diesem Umfang schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig erweist.
Der angefochtene Bescheid war daher auch im Umfang seines Spruches II. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 14. Dezember 2011
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