VwGH 2010/01/0031

VwGH2010/01/003116.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des R E S in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Mekis, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 5, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 19. April 2010, Zl. MA 35/IV-A 650/2005, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
EheG §55a;
StbG 1985 §11a;
StbG 1985 §20;
VwGG §42 Abs2 Z1;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
EheG §55a;
StbG 1985 §11a;
StbG 1985 §20;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde 1965 in Ägypten geboren. Er hält sich seit 22. Jänner 1999 in Österreich auf und heiratete am 5. März 2002 (in Wien) die österreichische Staatsbürgerin DES.

Am 7. März 2003 beantragte er bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. Jänner 2004 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass er binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem ägyptischen Staatsverband (Entlassungsurkunde, Bestätigung über den Verlust der Staatsangehörigkeit) erbringt.

Im Zuge der Ausfolgung dieses Zusicherungsbescheides am 26. Jänner 2004 bestätigte der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift unter anderem, dass die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin DES nicht aufgelöst sei und er im gemeinsamen Haushalt mit ihr lebe.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 13. Februar 2004 wurde dem Beschwerdeführer mit Wirkung vom 13. Februar 2004 nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Im Zuge dieser Verleihung wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich befragt, wobei er (am 13. Februar 2004) angab und mit seiner Unterschrift bestätigte, dass die Ehe mit (der österreichischen Staatsbürgerin) DES aufrecht sei und er mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt lebe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. April 2010 hat die belangte Behörde wie folgt entschieden:

"Das Verfahren, in welchem Herrn R e S, geboren am 4. Mai 1965 in F, Ägypten mit rechtskräftigem Bescheid vom 13. Februar 2004, zu Zl. MA 61/IV - A 133/2004 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 i. V.m. Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 1991/51 in der geltenden Fassung, zum Zeitpunkt vor Erlassung des Zusicherungsbescheides und vor Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wieder aufgenommen."

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin DES sei mit dem Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 4. Mai 2004 (zu GZ 1C 55/04k-5) im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz geschieden. Die amtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer weder im Zeitpunkt der Ausfolgung des Zusicherungsbescheides (26. Jänner 2004) noch im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (13. Februar 2004) mit der Ehegattin DES einen gemeinsamen Haushalt geführt habe; dieser sei bereits im Oktober/November 2003 aufgelöst worden.

Diese Feststellungen würden sich aus den zeugenschaftlichen Aussagen der ehemaligen Ehegattin DES vom 11. Mai 2007 und 18. September 2007 ergeben. Die Angaben des Beschwerdeführers seien hingegen als Schutzbehauptung zu werten. Dafür, dass schon seit Oktober/November 2003 von einer funktionierenden Ehegemeinschaft nicht mehr auszugehen sei, spreche auch, dass der Beschwerdeführer bereits während noch aufrechter Ehe (mit DES) mit seiner jetzigen Ehegattin (der ägyptischen Staatsangehörigen NEN) ein Kind gehabt habe und diese Frau (die Kindesmutter) einige Monate nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Scheidung der Ehe mit DES (am 11. November 2004 in Ägypten) geheiratet habe. Für die Ehegattin NEN und ein weiteres 1997 geborenes Kind mit NEN sei bereits im November 2004 ein Aufenthaltstitel für Österreich beantragt worden. Der ersten schriftlichen Aussage von DES komme die höhere Glaubwürdigkeit zu. Ihre spätere freiwillige Relativierung ihrer ersten Aussage halte die Behörde nicht für überzeugend.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darlegung der maßgeblichen Rechtslage aus, der Beschwerdeführer habe die Verleihung der Staatsbürgerschaft durch unrichtige Angaben und das Verschweigen wesentlicher Tatsachen (betreffend den gemeinsamen Haushalt mit der österreichischen Staatsbürgerin und früheren Ehegattin DES) erschlichen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die verfügte Wiederaufnahme ist - letztlich- aus folgenden

Erwägungen rechtswidrig:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 3. März 2010 in der Rechtssache C 135/08 , Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).

Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (22. April 2010) dies bereits bedenken können. Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens jedoch allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Auf Grund der dazu getroffenen Feststellungen kann aber nicht beurteilt werden, ob die zum rückwirkenden Verlust der Staatsbürgerschaft führende Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ausnahmsweise unverhältnismäßig war.

Ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. auch das Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 25) hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. die hg. Erkenntnisse jeweils vom 14. Dezember 2011, Zl. 2009/01/0067 und Zl. 2009/01/0064).

Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. Februar 2012

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