VwGH 2010/01/0063

VwGH2010/01/006316.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des A A in W, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich Schmidt-Platz 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 25. November 2010, Zl. MA 35/IV-A 377/2008, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
EheG §55a;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11a;
StbG 1985 §20;
VwGG §42 Abs2 Z1;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
EheG §55a;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11a;
StbG 1985 §20;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde 1974 in Ägypten geboren. Er hat (laut Meldebestätigung) seit 8. Mai 2002 seinen Hauptwohnsitz in Österreich und heiratete am 4. Mai 2002 (vor dem Standesamt Mödling; Zl. 238/2002) die österreichische Staatsbürgerin CMG.

Am 1. Juli 2005 (mit Antrag vom 1. April 2005) beantragte er die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. März 2006 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass er binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem ägyptischen Staatsverband (Entlassungsurkunde, Bestätigung über den Verlust der Staatsangehörigkeit) erbringt.

Im Zuge der Ausfolgung dieses Zusicherungsbescheides am 21. März 2006 bestätigte der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift unter anderem, dass die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin CMG nicht aufgelöst sei und er im gemeinsamen Haushalt mit ihr lebe.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 3. April 2006 wurde dem Beschwerdeführer mit Wirkung vom 3. April 2006 nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Im Zuge dieser Verleihung wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich befragt, wobei er (am 3. April 2006) angab und mit seiner Unterschrift bestätigte, dass die Ehe mit (der österreichischen Staatsbürgerin) CMG aufrecht sei und er mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt lebe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. November 2010 hat die belangte Behörde wie folgt entschieden:

"I. Das mit rechtskräftigem Bescheid vom 3. April 2006 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren zu Zl. MA 61/IV - A 471/2006, in welchem Herrn A A, geboren am 25. Juli 1974 in D, Ägypten die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 1991/51 in der geltenden Fassung in Verbindung mit § 69 Abs. 3 AVG vor Zusicherung rechtskräftig am 21.3.2006 und vor Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wieder aufgenommen.

II. Der Antrag vom 1. April 2005 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird abgewiesen."

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin CMG sei mit dem Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 5. September 2007 (zu GZ 34C 30/06d-8) im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz geschieden. Die amtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer weder im Zeitpunkt der Ausfolgung des Zusicherungsbescheides (21. März 2006) noch im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (3. April 2006) mit der Ehegattin CMG einen gemeinsamen Haushalt geführt habe. Nach der Geburt des Kindes Y M G am 14. August 2005 habe CMG den gemeinsamen Haushalt mit dem Beschwerdeführer nicht wieder aufgenommen; der Beschwerdeführer sei nachweislich nicht der Vater dieses Kindes.

Diese Feststellungen würden sich aus den zeugenschaftlichen Aussagen der ehemaligen Ehegattin CMG ergeben; unterstützt würden diese Aussagen durch die Bestätigung der Magistratsabteilung 11. Die niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vom August 2008 seien hingegen als Schutzbehauptung zu werten. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darlegung der maßgeblichen Rechtslage aus, der Beschwerdeführer habe die Verleihung der Staatsbürgerschaft durch unrichtige Angaben und das Verschweigen wesentlicher Tatsachen (betreffend den gemeinsamen Haushalt mit der österreichischen Staatsbürgerin und früheren Ehegattin CMG) erschlichen. Das Verleihungsansuchen werde abgewiesen, weil der Beschwerdeführer weder die Voraussetzungen des § 11a StbG noch jene des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG und auch nicht jene des § 11a Abs. 4 Z. 1 bis 4 StbG erfülle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die verfügte Wiederaufnahme (Spruch I. des angefochtenen Bescheides) ist - letztlich - aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 3. März 2010 in der Rechtssache C 135/08 , Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).

Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (26. November 2010) dies bereits bedenken können. Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens jedoch allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Auf Grund der dazu getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die zum rückwirkenden Verlust der Staatsbürgerschaft führende Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ausnahmsweise unverhältnismäßig war.

Ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 25) hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. die hg. Erkenntnisse jeweils vom 14. Dezember 2011, Zl. 2009/01/0067 und Zl. 2009/01/0064).

Aus den genannten Gründen war Spruch I. des angefochtenen Bescheides daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Schon infolge Aufhebung der mit Spruch I. des angefochtenen Bescheides verfügten Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens erweist sich die darauf aufbauende Abweisung des Verleihungsantrages als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher auch im Umfang seines Spruches II. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. Februar 2012

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