VwGH 2008/23/0176

VwGH2008/23/017624.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin

Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Z Y, geboren am 1964, vertreten durch Mag. Christiana Butter, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Herrengasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Mai 2007, Zl. 235.504/0/12E-XVIII/59/03, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und alevitischen Glaubensbekenntnisses, beantragte am 21. Juni 2002 Asyl. Als Grund für ihre Ausreise gab sie im Wesentlichen an, sie werde seit der Trennung von ihrem Ehemann von diesem verfolgt, und auch ihre Familie werde von ihm bedroht. Während ihrer - arrangierten - Ehe sei sie stets von ihrem Mann misshandelt worden. Den gemeinsamen Sohn habe sie nach der von ihr angestrengten Scheidung bei ihrem Ex-Ehemann lassen müssen, weil sie nicht für seinen Unterhalt habe aufkommen können. Als sie ihren Sohn dort besucht habe, sei sie von ihrem Ex-Ehemann vergewaltigt worden, woraufhin sie schwanger geworden sei und aus gesellschaftlichen Zwängen wieder bei ihm gelebt habe. Ihre gegen ihren Mann erstatteten Anzeigen hätten keine (rechtlichen) Konsequenzen für diesen gehabt. Aus Angst vor ihrem gewalttägigen Ex-Ehemann habe sie mit ihrer Tochter das Heimatland verlassen; bei einer Rückkehr befürchte sie, von ihm umgebracht zu werden. Im Übrigen behauptete die Beschwerdeführerin auch unter näherer Darlegung Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit sowie ihres Glaubens. Aufgrund der Misshandlungen durch ihren Ex-Ehemann sowie aufgrund von Übergriffen durch Soldaten habe sie massive psychische Probleme; der von der Beschwerdeführerin vorgelegte psychotherapeutische Kurzbericht vom 5. Februar 2007 bestätigte eine posttraumatische Belastungsstörung mit wiederkehrenden Intrusionen und regelmäßigem Behandlungsbedarf.

Mit Bescheid vom 22. Jänner 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.).

In ihrer dagegen erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass gegen die häusliche Gewalt kein effektiver staatlicher Schutz gewährt werde, verwies dazu auf Berichte von Amnesty International und zitierte aus dem Fortschrittsbericht 2005 der Europäischen Kommission, demzufolge häusliche Gewalt gegen Frauen in der Türkei ein nach wie vor weit verbreitetes Problem darstelle, ohne dass eine ausreichende Umsetzung des Gesetzes über den Schutz der Familie gegeben sei. Sicherheitskräfte würden oft nicht tätig, wenn Frauen häusliche Gewalt anzeigten, die Opfer würden nicht betreut werden.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies die belangte Behörde die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid im Asylteil gemäß § 7 AsylG ab, erklärte aber die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für unzulässig und erteilte gemäß § 15 Abs. 2 iVm § 8 Abs. 3 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die belangte Behörde ging von der Glaubwürdigkeit der vorgebrachten Bedrohung durch den Ex-Ehemann aus. Die behauptete Verfolgung aufgrund der Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit dagegen wurde als nicht glaubwürdig erachtet. Selbst bei Wahrunterstellung ihres Vorbringens sprächen die Länderberichte gegen eine mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmende Gefährdung aufgrund ihres Glaubens; auch bestünden keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung von Personen aufgrund ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit.

Zur Situation der Frauen in der Türkei stellte die belangte Behörde fest, trotz rechtlicher und praktischer Initiativen zur Lösung des Problems der Diskriminierung und der häuslichen Gewalt bleibe beides in der Praxis weiterhin ein großes Problem.

Die Versagung von Asyl begründete die belangte Behörde damit, dass die Übergriffe durch "ihren Ehegatten" nicht auf ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit basierten, sondern "rein im Zuge von häuslicher Gewalt" geschehen seien. Sie sei somit von ihrem Ehemann nicht aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention (Flkonv) genannten Gründen verfolgt worden, daher sei es für die Frage der Asylrelevanz auch nicht von Bedeutung, ob die Polizei gegenüber der Beschwerdeführerin tatsächlich schutzwillig sei, derartiges wäre ausschließlich im Rahmen von § 8 AsylG zu prüfen. Auch sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin nicht konkret und substantiiert dargelegt habe, dass sie die Polizei im Fall ihrer Rückkehr aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit nicht schützen würde und gehe auch aus den getroffenen Länderfeststellungen nicht hervor, dass grundsätzlich Angehörigen der Volksgruppe der Kurden oder Angehörigen der Aleviten polizeilicher Schutz verweigert würde.

Zur Unzulässigkeit des Refoulements hielt die belangte Behörde u.a. fest, dass im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin zu befürchten sei, dass "ihr Ehegatte" sogleich versuchen werde, mit ihr Kontakt aufzunehmen; es könnten dadurch weitere Übergriffe auf die Beschwerdeführerin nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden; dadurch würde sich der angegriffene Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im Sinne einer Retraumatisierung deutlich verschlechtern, dies selbst dann, wenn schlussendlich staatlicher Schutz erlangt werden könne. Zudem verfüge sie über kein soziales Netz, etwa durch die Familie, und könne aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Situation aus eigenem nicht anderweitig Unterstützung organisieren.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Die Beschwerde wendet sich gegen die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes und bestreitet konkrete und effiziente Schutzmöglichkeiten für die Beschwerdeführerin. Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Nach den getroffenen Feststellungen hat die Beschwerdeführerin Verfolgung durch ihren gewalttätigen Ex-Ehemann zu befürchten. Die belangte Behörde hat zwar zutreffend erkannt, dass auch eine solche, nicht von staatlichen Akteuren ausgehende Verfolgung asylrelevant sein kann, wenn die staatlichen Maßnahmen im Ergebnis dazu führen, dass der Eintritt eines asylrechtlich relevante Intensität erreichenden Nachteils aus der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21.Dezember 2006, Zl. 2003/20/0550, mwH). Sie ging jedoch davon aus, dass im vorliegenden Fall kein Konventionsgrund gegeben sei, weshalb sie auf eine eingehendere Prüfung der Frage der staatlichen Schutzfähigkeit verzichtete.

Gemäß dem nach § 7 AsylG für die Asylgewährung maßgeblichen Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist "Flüchtling", wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Fälle wie der vorliegende stehen im Spannungsfeld zwischen einer Verfolgung wegen des Geschlechts oder der Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers (jeweils unter dem Gesichtspunkt des Konventionsgrundes der Zugehörigkeit zu einer "sozialen Gruppe") einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen andererseits. Dass sowohl die Verfolgung wegen des Geschlechts als auch wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" von Asylrelevanz sein kann, wurde in der hg. Rechtsprechung schon wiederholt klargestellt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. August 2009, Zlen. 2008/19/1027, 1028, und ihm folgend die hg. Erkenntnisse vom 11. November 2009, Zl. 2008/23/0366, und vom 9. September 2010, Zlen. 2007/20/0121, 0122 und 2007/20/1091, 1092, 1310).

Die belangte Behörde sieht in der Verfolgung der Beschwerdeführerin eine rein private Handlung ohne Bezug zu einem Konventionsgrund.

Ausgehend vom Vorbringen der Beschwerdeführerin liegt der Grund ihrer Verfolgung durch ihren (früheren) Ehemann darin, dass dieser sie selbst nach der von ihm nicht gewollten Beendigung der Ehe nach wie vor als Teil seiner Familie ansieht und sich daher nach wie vor das Recht anmaßt, durch Anwendung von massiver (auch geschlechtsspezifischer) Gewalt und Drohungen die Beschwerdeführerin gefügig zu machen.

Bei dieser Sachlage ist der Grund für die Verfolgung der Beschwerdeführerin in ihrer (früheren) Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers zu sehen, womit schon deshalb das Vorliegen eines Konventionsgrundes nicht zu verneinen ist (vgl. dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 28. August 2009, Zlen. 2008/19/1027, 1028, und jenes vom 19. November 2010, Zlen. 2007/19/0203 bis 0205).

Ausgehend davon kommt es entscheidungswesentlich darauf an, ob der Beschwerdeführerin effektiver staatlicher Schutz gewährt würde. Aus den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt sowie den zugrunde gelegten Länderberichten, etwa dem Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission 2005, geht hervor, dass die gesetzlichen Reformen nicht ausreichend umgesetzt worden sind und die Sicherheitskräfte Anzeigen betreffend häusliche Gewalt sehr reserviert gegen über stehen bzw. diese nicht weiter verfolgen. Die belangte Behörde hätte sich demnach damit auseinandersetzen müssen, ob der gegen die von der belangten Behörde festgestellte Bedrohung durch den Ex-Ehemann von staatlicher Seite zuteil werdende Schutz ausreichend ist, um im konkreten Fall den Eintritt eines asylrelevante Intensität erreichenden Nachteils mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu verhindern (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2009, Zl. 2006/01/0793, sowie jenes vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509, mwN).

Es greift daher insgesamt zu kurz, wenn die belangte Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung der fehlenden Asylrelevanz abgewiesen hat.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. März 2011

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