VwGH 2008/22/0635

VwGH2008/22/063518.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Z, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. April 2008, Zl. 151.285/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §30 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2010:2008220635.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, vom 11. November 2004 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 49 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 gemäß § 21 Abs. 1 und § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer am 20. Juli 2001 eingereist sei und Asyl beantragt habe. Dieser Antrag sei in erster Instanz abgewiesen worden. Am 4. August 2004 habe er in M eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Am 15. November 2004 habe er die Berufung gegen den erstinstanzlichen Asylbescheid zurückgezogen und in der Folge den gegenständlichen Antrag gestellt.

Dieser Antrag sei nun nach Inkrafttreten des NAG als solcher auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels "Familienangehöriger" zu behandeln.

Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 NAG (Gebot der Auslandsantragstellung) zu beachten. Der Beschwerdeführer habe hingegen die Entscheidung über seinen Antrag nicht im Ausland, sondern im Inland abgewartet.

Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung.

Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin allein begründe noch kein Aufenthaltsrecht. Diese Ehe stelle auch keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Sinn des § 72 NAG dar, habe der Beschwerdeführer diese Ehe doch in Kenntnis seiner aufenthaltsrechtlichen Situation geschlossen. Zudem dürfe sich der Beschwerdeführer gemäß § 30 Abs. 1 NAG zur Erteilung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen, weil er "nach Aktenlage und amtswegigen Recherchen" ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht führe. Es bestehe kein gemeinsamer Wohnsitz.

Weiters erfülle der Beschwerdeführer nicht die Voraussetzungen der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG und könne daher auch kein Recht auf Freizügigkeit gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehmen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass ein Erstantrag vorliegt, der grundsätzlich nach In-Kraft-Treten des NAG mit 1. Jänner 2006 dem Erfordernis der Auslandsantragstellung bzw. dem Abwarten der Entscheidung im Ausland nach § 21 Abs. 1 NAG unterlag.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall - maßgeblich ist nach dem Entscheidungszeitpunkt die Rechtslage des NAG idF BGBl. I Nr. 99/2006 - nur gemäß § 74 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Auf dieser Grundlage wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass kein Familienleben zwischen ihm und seiner Ehefrau bestehe.

Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf einen fehlenden gemeinsamen Wohnsitz abstellt, ist festzuhalten, dass Beziehungen, die sich aus einer rechtmäßigen Eheschließung ergeben, auch dann von Art. 8 EMRK erfasst sind, wenn bestimmte Elemente eines typischen Familienlebens, wie z.B. eine gemeinsame Wohnung, (noch) nicht vorhanden sind (vgl. Grabenwarter, EMRK4, 204 mwN). So hat auch der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 24. November 2000, 2000/19/0126, ausgesprochen, dass der Begriff des in Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens jedenfalls das Verhältnis zwischen Ehepartnern umfasst, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Ehepartner tatsächlich zusammen leben.

Die belangte Behörde hat vom Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes auf das Fehlen eines Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geschlossen, ohne diesen von ihr angenommenen Umstand dem Beschwerdeführer vorzuhalten und ihm die Möglichkeit zu geben, zu diesem Thema ein Vorbringen zu erstatten und Beweise anzubieten. Damit hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz. 27 ff).

Diesem Verfahrensmangel kommt Relevanz zu. Hätte die belangte Behörde nämlich vom aufrechten Bestand eines Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK auszugehen gehabt, ist nicht auszuschließen, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den §§ 72, 74 NAG zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgegangen wäre. Dieser befindet sich nämlich seit 2001 im Bundesgebiet und hat bereits im Jahr 2004 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Das zu diesem Zeitpunkt geltende Fremdengesetz 1997 sah in § 49 Abs. 1 einen Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als Angehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin vor, wobei dieser Antrag auch im Inland gestellt werden durfte.

Bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im April 2008 hielt sich der Beschwerdeführer fast sieben Jahre im Inland auf und führte - nach seiner Behauptung - über dreieinhalb Jahre ein Familienleben mit seiner österreichischen Ehefrau. Somit würde der vorliegende Fall dem gleichen, der dem hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287, zu Grunde lag. In diesem sprach der Gerichtshof aus, dass der familiären Bindung an einen österreichischen Ehepartner großes Gewicht beizumessen ist; auch dort wurde die Ehe im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 geschlossen. Unter Berücksichtigung auch eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses sprach der Gerichtshof aus, dass ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG vorliege, weshalb die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen wäre.

Somit kommt auch im vorliegenden Fall dem Umstand Bedeutung zu, ob der Beschwerdeführer mit seiner österreichischen Ehefrau ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führt. Bejahendenfalls wären die weiters unterlassenen Feststellungen zu treffen, ob der Beschwerdeführer eine Beschäftigung ausübt bzw. keine Sozialhilfeleistungen benötigt.

Dass der unrechtmäßige Aufenthalt nach Zurückziehung der Berufung gegen den erstinstanzlichen Asylbescheid für sich allein die Abweisung des gegenständlichen Antrags nicht zu tragen vermag, ergibt sich auch aus dem zitierten Vorerkenntnis. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer irrig die Ansicht vertritt, dass ihm bereits durch die Eheschließung Niederlassungsfreiheit zugekommen wäre. In Wahrheit hatte er nach dem Fremdengesetz 1997 - wie bereits ausgeführt - ungeachtet seines Aufenthalts im Inland einen Anspruch auf Erteilung eines konstitutiven (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. April 2008, 2006/18/0490) Aufenthaltstitels. Das bedeutet aber, dass er damals die berechtigte Erwartung einer Legalisierung des Aufenthalts hegen durfte.

Wenn auch der Gerichtshof im Erkenntnis vom 30. Jänner 2007, 2006/18/0414, einem unrechtmäßigen inländischen Aufenthalt eines Fremden - allerdings für sich genommen nicht ohne weiteres (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, 2007/21/0153) - die Eignung zuerkannt hat, die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG zu verneinen, kommt dem aufgezeigten Verfahrensmangel dennoch Relevanz zu, würde doch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu Gunsten des Fremden nach § 11 Abs. 3 NAG die genannte Erteilungsvoraussetzung ersetzen.

Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot von Drittstaatsangehörigen releviert, ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., zu verweisen, in dem dieser den gleichheitsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes nicht gefolgt ist.

Da nach dem vorhin Gesagten die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet hat, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 18. März 2010

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