VwGH 2007/21/0153

VwGH2007/21/015325.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Martina Haag, Rechtsanwältin in 3100 St. Pölten, Kremser Gasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Jänner 2007, Zl. 147.076/2-III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den (noch während der Geltung des Fremdengesetzes 1997 - FrG gestellten) Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, nach der nunmehr geltenden Rechtslage des NAG sei der Antrag des Beschwerdeführers, der mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Aufenthaltszweck "Familienangehöriger" zu werten.

Der Beschwerdeführer sei am 4. November 2001 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und habe am 5. November 2001 einen Asylantrag gestellt. Dieser sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. November 2001 abgewiesen worden, wogegen der Beschwerdeführer Berufung erhoben habe. Während des Asylverfahrens sei er im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG) gewesen.

Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 25. Februar 2002 sei der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 und 2 Z 1 erster Fall SMG und § 269 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Infolgedessen sei gegen ihn im Instanzenzug von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich ein Aufenthaltsverbot erlassen worden. Einer dagegen an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde sei mit Erkenntnis vom 25. April 2003, Zl. 2003/21/0040, keine Folge gegeben worden.

Am 14. Jänner 2004 sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen §§ 15, 105 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden.

Am 20. Oktober 2005 habe er die österreichische Staatsbürgerin F geheiratet. Den hier gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe er am 27. Oktober 2005 eingebracht.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 25. Jänner 2006 sei das gegen den Beschwerdeführer bestehende Aufenthaltsverbot aufgehoben worden. Am 9. März 2006 habe er seine im Asylverfahren eingebrachte Berufung zurückgezogen, weshalb er ab diesem Tag nicht mehr über die nach dem AsylG gewährte vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügt habe; seit dieser Zeit sei der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Der Beschwerdeführer könne - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung - aus der Richtlinie 2004/38/EG kein Recht zum Aufenthalt ableiten. Es sei nicht ersichtlich, dass seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehefrau das ihr gemeinschaftsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers widerstreite dem öffentlichen Interesse, weshalb der Beschwerdeführer die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht erfülle. Die öffentliche Ordnung werde nämlich schwerwiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde ohne "das betreffende Verfahren" (gemeint: zur Erteilung des Aufenthaltstitels im Ausland) abzuwarten, sich unerlaubt in Österreich aufhielten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Weiters verwies die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf die bereits angeführten Verurteilungen des Beschwerdeführers. Das diesen jeweils zu Grunde liegende Verhalten wurde jedoch von ihr nicht festgestellt.

Es stehe - so die belangte Behörde weiter - fest, dass der Beschwerdeführer durch sein "gezeigtes persönliches Verhalten" nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten.

Eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK habe ergeben, dass der Beschwerdeführer mit einer Österreicherin verheiratet und Vater einer Tochter sei und daher private Interessen an einem Aufenthalt in Österreich bestünden. Jedoch müsse den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen "absolute Priorität" eingeräumt werden, weil auf Grund des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers keine Bereitschaft zu erkennen sei, die Rechtsordnung zu respektieren. Dem geordneten Zuwanderungswesen komme eine hohe Bedeutung zu, weshalb es von besonderer Wichtigkeit sei, dass die diesbezüglichen Rechtsnormen eingehalten würden. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung "einschlägiger Zuwanderungsbestimmungen" überwiege das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an der Neuzuwanderung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

§ 11 Abs. 2 Z 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z 1 sowie § 47 Abs. 1 und Abs. 2 NAG (in der genannten Fassung) lauteten:

"§ 11. ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

...

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

...

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern.

..."

Der Beschwerdeführer ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Er wendet sich nicht gegen die Annahme der belangten Behörde, sein noch vor In-Kraft-Treten des NAG gestellter Antrag sei als auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" nach § 47 Abs. 2 NAG gerichtet zu werten.

In Anbetracht der Ausführungen des Beschwerdeführers zum von ihm angestrebten Aufenthaltszweck stellt sich diese Ansicht als unbedenklich dar, zumal der Beschwerdeführer auch nie vorgebracht hat, seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehefrau hätte das ihr gemeinschaftsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen.

Aus § 47 Abs. 2 NAG ergibt sich, dass ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" nur dann erteilt werden darf, wenn die Voraussetzungen des ersten Teiles des NAG erfüllt sind. Diese Bedingung erachtet die belangte Behörde insofern für nicht gegeben, als sie davon ausgeht, die (allgemeine) Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG liege nicht vor.

Gemäß der - im ersten Teil des NAG enthaltenen - Bestimmung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dann (u.a.) im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dem öffentlichen Interesse, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei Auslegung des soeben genannten unbestimmten Gesetzesbegriffes ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, Zl. 2008/22/0269, mwN).

Die damit erforderliche auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.

Nun hat sich aber die belangte Behörde im Hinblick auf die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers mit der Wiedergabe der Urteilsdaten anhand des Strafregisters begnügt und nicht - wie nach dem eben Gesagten erforderlich - das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten konkret festgestellt. Schon dadurch belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit (vgl. dazu das bereits genannte Erkenntnis vom 17. September 2008, sowie jenes vom 9. Juli 2009, Zl. 2009/22/0107). Im vorliegenden Fall wäre dies aber umso mehr geboten gewesen, als das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot von der Fremdenpolizeibehörde mittlerweile aufgehoben wurde. In diesem Zusammenhang brachte der Beschwerdeführer in seiner an die belangten Behörde gerichteten Berufung auch ausdrücklich vor, die Aufhebung sei deswegen erfolgt, weil die Fremdenpolizeibehörde davon ausgegangen sei, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch ihn nicht mehr gegeben sei.

Es trifft allerdings die Ansicht der belangten Behörde zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (und damit auch eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. September 2008, Zl. 2008/21/0371). Unter diesem Blickwinkel machte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zum Vorwurf, er sei unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist, habe einen Asylantrag gestellt, wobei das Asylverfahren infolge Berufungszurückziehung zu keinem für den Beschwerdeführer erfolgreichen Abschluss geführt habe, und er halte sich seit Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers rechtfertigt allerdings im vorliegenden Fall für sich genommen nicht ohne Weiteres die Annahme, der Beschwerdeführer werde hinkünftig die insoweit maßgeblichen fremdenrechtlichen Vorschriften missachten; würde sich doch sein Aufenthalt im Falle der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels als rechtmäßig darstellen. Auch hier ist neuerlich darauf hinzuweisen, dass den Feststellungen zufolge die Fremdenpolizeibehörde die gegen den Beschwerdeführer gesetzte aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht aufrecht erhalten hat.

Die belangte Behörde hat darüber hinaus aber auch ausgeführt, im Rahmen der Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG sei den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers "absolute Priorität" einzuräumen. Damit hat sie im Ergebnis die Ansicht vertreten, dass bei Vorliegen des Versagungsgrundes des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dem öffentlichen Interesse jedenfalls ein so großes Gewicht zukomme, dass die Abwägung unabhängig vom Gewicht des persönlichen Interesses des Fremden immer zu dessen Lasten ausgehen müsse.

Diese Ansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt, würde doch im Fall des Fehlens einer Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 NAG die vom Gesetzgeber nach § 11 Abs. 3 NAG für alle Fälle des Abs. 2 - somit auch bei Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG - getroffene Anordnung einer Abwägung ins Leere gehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, Zl. 2008/22/0391, mwN).

In Verkennung der Rechtslage hat sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Aufenthalt im Bundesgebiet auseinander gesetzt - insbesondere enthält der angefochtene Bescheid keine Feststellungen dahingehend, ob das Führen eines Familienlebens mit der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden, hier geborenen und im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides laut Aktenlage vom Beschwerdeführer schwangeren Ehefrau im Heimatland des Beschwerdeführers möglich und zumutbar wäre - und den angefochtenen Bescheid auch insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf den Ersatz von Gebühren gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer infolge Gewährung von Verfahrenshilfe von der Entrichtung derselben befreit war.

Wien, am 25. Februar 2010

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