VwGH 2004/21/0319

VwGH2004/21/031920.12.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. November 2004, Zl. UVS- 01/50/8489/2004/13, betreffend u.a. Schubhaft,

Normen

11997E234 EG Art234;
11997E242 EG Art242;
11997E243 EG Art243;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
AVG §68 Abs1;
EURallg;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §45 Abs4;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §69 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
11997E234 EG Art234;
11997E242 EG Art242;
11997E243 EG Art243;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
AVG §68 Abs1;
EURallg;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §45 Abs4;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §69 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Soweit sich die Beschwerde gegen Punkt II. (Zurückweisung des Antrags auf Rechtswidrigerklärung der bevorstehenden Abschiebung als unzulässig) und Punkt III. (Zurückweisung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie durch Aussetzung und Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Verfahren C-136/03 sowie durch Erteilung eines einstweiligen Verbotes, die Abschiebung zu vollziehen) des angefochtenen Bescheides wendet, wird die Beschwerde als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

2. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Punkt I. (Abweisung der Schubhaftbeschwerde und Feststellung der für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen) sowie in seinem Kostenausspruch wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist am 12. September 2004 eingereist. Mit rechtskräftigem Urteil vom 2. November 2004 wurde sie nach den §§ 241e Abs. 3; 127, 130 erster Fall, 12 dritter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt nachgesehen, verurteilt. Mit Bescheid vom selben Tag wurde über sie gemäß § 61 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung bzw. eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. An diesem Tag wurde sie auch in Schubhaft genommen.

Am 5. November 2004 erließ die Behörde erster Instanz gemäß § 48 Abs. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG ein Aufenthaltsverbot und schloss gemäß § 45 Abs. 4 FrG die aufschiebende Wirkung einer Berufung aus. Dieses Aufenthaltsverbot wurde mit zweitinstanzlichem Bescheid vom 22. November 2004 bestätigt, jedoch dessen Dauer auf fünf Jahre herabgesetzt. Am 26. November 2004 wurde die Beschwerdeführerin aus der Schubhaft entlassen. Mit Beschluss vom 15. Dezember 2004 setzte der Verwaltungsgerichtshof das Beschwerdeverfahren betreffend das Aufenthaltsverbot vom 22. November 2004 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Verfahren C-136/03 aus (Zl. 2004/18/0385). Mit Erkenntnis vom 30. November 2005 (neue Zl. 2005/18/0439) hob der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Aufenthaltsverbotsbescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 8. September 2005, Zlen. 2005/21/0113, 0114, auf.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. November 2004 entschied die belangte Behörde über die Schubhaftbeschwerde und damit verbundene Anträge der Beschwerdeführerin folgendermaßen:

"Gemäß §§ 61, 66, 69, 72, 73 Abs. 1, 2 und 4 Fremdengesetz 1997 (FrG) in Verbindung mit § 67c Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG wird

I. die Beschwerde gegen den Bescheid der

Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, vom 02. November 2004, Zl. III-10279/Pol.Abt/2004 als unbegründet abgewiesen und unter einem festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung vorliegen.

II. Der Antrag auf Rechtswidrigerklärung der

bevorstehenden Abschiebung als unzulässig zurückgewiesen.

III. Der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz durch

Gewährung der aufschiebenden Wirkung dieser Beschwerde sowie im Sinne des Art. 234 EG durch Aussetzung und Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg im Verfahren C 136/03 über die präjudizielle Vorfrage sowie Erteilung eines einstweiligen Verbotes an die belangte Behörde die angedrohten fremdenpolizeilichen Maßnahmen, nämlich meine Abschiebung, auf die Dauer des Verfahrens vor dem angerufenen UVS Wien zu vollziehen, zurückgewiesen."

Im angefochtenen Bescheid bezeichnete die belangte Behörde die Beschwerdeführerin als slowenische Staatsangehörige. Der Begründung der Schubhaftbeschwerde, dass das Gemeinschaftsrecht auf Grund seines Anwendungsvorrangs vor entgegenstehendem nationalen Recht anzuwenden sei und daher weder die Erlassung des Aufenthaltsverbotes noch die Verhängung der Schubhaft rechtmäßig sei, hielt die belangte Behörde entgegen, dass sie nicht für die Überprüfung zuständig sei, ob das Aufenthaltsverbot rechtens wäre, sondern allein die Voraussetzungen für die Verhängung des Schubhaftbescheides bzw. die weitere Anhaltung in Schubhaft zu prüfen habe. Sie sei nur gehalten zu prüfen, ob das für die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung eine (mittelbare) Tatbestandswirkung erzeugende durchsetzbare Aufenthaltsverbot nach wie vor aufrecht sei. Treffe dies zu, so habe die daran gebundene Behörde vom Bestehen desselben auszugehen. Sie habe keine Spekulationen darüber anzustellen, welchen Ausgang Rechtsmittelverfahren, insbesondere Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, nehmen werden.

Die Schubhaft - so die weitere Bescheidbegründung - sei erforderlich, weil die Beschwerdeführerin nicht über ausreichende Mittel für ihren Unterhalt und auch nicht über eine permanent zur Verfügung stehende Unterkunft verfüge. Gelindere Mittel würden nicht ausreichen, den Zweck der Schubhaft zu erreichen. Die Erreichbarkeit der Beschwerdeführerin sei nicht gesichert, weil sie zwar erklärt habe, dass sie in "Wien 10" Unterkunft genommen habe, sie sei dort aber nicht gemeldet bzw. ihre Identität erscheine "nicht zweifellos". Es lägen daher die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vor.

Das "Fremdengesetz" sehe kein Recht auf einen Ausspruch vor, dass eine bevorstehende Abschiebung rechtswidrig wäre. Auch liege es nicht in der Kompetenz der belangten Behörde, durch die Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie Erteilung eines einstweiligen Verbotes die der Beschwerdeführerin angedrohten fremdenpolizeilichen Maßnahmen, nämlich die Abschiebung, auszusetzen. Diese Anträge seien daher als unzulässig zurückzuweisen.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat sie mit Beschluss vom 6. Dezember 2004, B 1429/04-3, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der belangten Behörde ist im Grundsätzlichen zuzustimmen, dass nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2004/21/0274) die Anordnung der Schubhaft nicht die Gewissheit fordert, dass die Fremdenpolizeibehörde (rechtmäßigerweise) eine aufenthaltsbeendende Maßnahme setzen werde, sondern dafür bereits die berechtigte Annahme einer solchen Möglichkeit ausreicht. Weiters ist die Schubhaftbehörde (nach nationalem Recht) an eine rechtskräftige bzw. durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme gebunden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, Zl. 2004/21/0138).

Der vorliegende Fall weist jedoch die Besonderheit auf, dass die belangte Behörde zwar die Identität der Beschwerdeführerin als "nicht zweifellos" wertet, diese aber doch als slowenische Staatsangehörige bezeichnet. Ist dies hier demnach im Zweifel zugrunde zu legen, so verfügte sie seit dem Beitritt Sloweniens zur Europäischen Union mit 1. Mai 2004 über die aus dem Gemeinschaftsrecht erfließenden Rechte.

Betreffend die Verhängung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme hatte der Verwaltungsgerichtshof Bedenken, dass die nationalen Rechtsvorschriften zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen Unionsbürger (und begünstigte Drittstaatsangehörige) den Garantien der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 entsprächen. Dies veranlasste ihn dazu, mit Beschluss vom 18. März 2003, Zlen. 99/21/0018 und 2002/21/0067, dem EuGH nach Art. 234 EG entsprechende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH stellte im Urteil vom 2. Juni 2005, Rs. C-136/03 , fest, dass die im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide bestehende österreichische Rechtslage eine dem Gemeinschaftsrecht entsprechende Verhängung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die genannten Personen nicht zugelassen habe.

In der Folge wurden ausgehend mit dem hg. Erkenntnis vom 8. September 2005, Zlen. 2005/21/0113, 0114, die entsprechenden Bescheide als rechtswidrig aufgehoben, so eben auch - wie bereits zitiert - der Bescheid vom 22. November 2004 betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Beschwerdeführerin.

Zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft gegen die Beschwerdeführerin hat der Verwaltungsgerichtshof somit schon seine Bedenken dergestalt kund getan, dass die österreichische Rechtsordnung keine ausreichende Rechtsschutzgarantie im Fall der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen Unionsbürger aufweisen könnte. Nun ist an den in Art. 242 und 243 EG zum Ausdruck gebrachten allgemeinen Rechtsgrundsatz sämtlicher Mitgliedstaaten zu erinnern, dass während eines laufenden Verfahrens (vor dem EuGH) nicht bereits vollendete Tatsachen (durch die Behörden der Mitgliedstaaten) geschaffen werden sollen, welche nach Ablauf des Verfahrens in der Hauptsache zu nicht wieder gutzumachenden Schäden führen können. In Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des effet utile des Gemeinschaftsrechts soll mittels einstweiliger Anordnung sichergestellt werden, dass eine Endentscheidung des EuGH volle Wirksamkeit entfalten kann (Lengauer in Mayer (Hrsg.), EU- und EG-Vertrag, Art. 243 EGV Rnr. 1).

Dem gemäß hat der Verwaltungsgerichtshof konkret betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen - diesbezüglich ebenfalls über gemeinschaftsrechtliche Garantien verfügenden - Schweizer Staatsangehörigen im hg. Erkenntnis vom 25. April 2006, Zlen. 2004/21/0164 und 2005/21/0053, ausgesprochen, dass die Aussetzung des Verfahrens durch die Fremdenpolizeibehörde bis zur Beantwortung des bereits genannten Vorabentscheidungsersuchens vom 18. März 2003 rechtens sei und diese eine nach nationalem Recht vorgesehene aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels nicht ausschließen dürfe, wenn Zweifel an der Vereinbarkeit einer staatlichen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht bestünden. Es liegt auf der Hand, dass es sich bei einem Aufenthaltsverbot um eine derartige Maßnahme handelt, deren Vollzug einen möglicherweise nicht wieder gutzumachenden Schaden nach sich ziehen würde.

Somit durfte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht davon ausgehen, dass die Fremdenpolizeibehörde bei rechtmäßiger Vorgangsweise der Berufung gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht Folge geben und das Aufenthaltsverbot vor Klärung der aufgeworfenen gemeinschaftsrechtlichen Fragen auch in zweiter Instanz erlassen werde. Was nun den zeitlichen Rahmen betrifft, ist kein Grund dafür zu sehen, dass diese gemeinschaftsrechtliche Frage noch innerhalb der möglichen Dauer der Schubhaft (von insgesamt zwei Monaten; § 69 Abs. 2 FrG) hätte geklärt werden können.

Somit befand sich die belangte Behörde in einem Rechtsirrtum, wenn sie bedingungslos die Existenz des erstinstanzlich erlassenen Aufenthaltsverbotes als Grundlage für die Schubhaft angesehen hat. Der angefochtene Bescheid war daher in diesem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wegen des zwischenzeitigen Abschlusses des Verfahrens vor dem EuGH zur Rs. C-136/03 und der nachfolgenden Aufhebung des Aufenthaltsverbotes kommt den weiters aufgeworfenen Fragen einer Rechtswidrigerklärung der bevorstehenden Abschiebung und der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keine Relevanz mehr zu, weshalb die Beschwerde diesbezüglich gegenstandslos geworden ist. In diesem Umfang war das Beschwerdeverfahren - wegen des sachlichen Zusammenhanges in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - einzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. Dezember 2007

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