VwGH 99/21/0018

VwGH99/21/001818.3.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, in den verbundenen Beschwerdesachen

1.) des G in O, vertreten durch Dr. Helmut Rantner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 15/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 4. Dezember 1998, Zl. Fr-1753-1/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (hg. Zl. 99/21/0018), und 2.) des

I in G, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 3. Oktober 2001, Zl. Fr-4250b-10/01, betreffend Ausweisung (hg. Zl. 2002/21/0067), den Beschluss gefasst:

Normen

11992E048 EGV Art48;
11992E049 EGV Art49;
11992E050 EGV Art50;
11997E039 EG Art39;
11997E040 EG Art40;
11997E041 EG Art41;
11997E234 EG Art234;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art2;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art6;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art8;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9 Abs2;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9;
61975CJ0048 Royer VORAB;
61977CJ0030 Bouchereau VORAB;
61979CJ0098 Pecastaing VORAB;
61979CJ0131 Santillo VORAB;
61990CJ0087 Verholen VORAB;
61994CJ0175 Gallagher VORAB;
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61996CJ0036 Günaydin VORAB;
61996CJ0350 Clean Car Autoservice VORAB;
61997CJ0340 Ömer Nazli VORAB;
61998CJ0228 Dounias / Oikonomikon VORAB;
61999CJ0226 Siples VORAB;
61999CJ0424 Kommission / Österreich;
61999CJ0459 MRAX VORAB;
ARB1/80 Art14 Abs1;
ARB1/80 Art14;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AVG §66 Abs4;
AVG §66;
B-VG Art130;
B-VG Art144;
B-VG Art78a;
B-VG Art78b;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §34 Abs1 Z2;
FrG 1997 §34;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §46 Abs1;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §48 Abs3;
FrG 1997 §88 Abs1;
FrG 1997 §94 Abs1;
MRK Art13;
MRK Art6;
MRK Art8 Abs2;
VerfGG 1953 §85;
VerfGG 1953 §87 Abs1;
VwGG §30;
VwGG §38a;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2003:1999210018.X00

 

Spruch:

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden nach Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (RL), dahin auszulegen, dass die Verwaltungsbehörden - ungeachtet des Bestehens eines innerbehördlichen Instanzenzuges - die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet ohne Erhalt der Stellungnahme einer (in der österreichischen Rechtsordnung nicht vorgesehenen) zuständigen Stelle nach Art. 9 Abs. 1 der RL - außer in dringenden Fällen - dann nicht treffen dürfen, wenn gegen ihre Entscheidung bloß die Erhebung von Beschwerden an Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts mit nachgenannten Einschränkungen zulässig ist: Diesen Beschwerden kommt nicht von vornherein eine aufschiebende Wirkung zu, den Gerichtshöfen ist eine Zweckmäßigkeitsentscheidung verwehrt und sie können den angefochtenen Bescheid nur aufheben; weiters ist der eine Gerichtshof (Verwaltungsgerichtshof) im Bereich der Tatsachenfeststellungen auf eine Schlüssigkeitsprüfung, der andere Gerichtshof (Verfassungsgerichtshof) darüber hinaus auf die Prüfung der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte beschränkt?

2. Sind die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der unter Pkt. 1. genannten RL auf türkische Staatsangehörige anzuwenden, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zukommt?

Begründung

I. Sachverhalt:

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt vom 1. Oktober 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer G. D. (in der Folge: Erstbeschwerdeführer), einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, gemäß § 48 Abs. 1 und 3 und § 36 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Erstbeschwerdeführer ist verheiratet und lebt seit 1992, gemeinsam mit seiner Familie seit 1995, in Österreich und übt im Inland eine berufliche Tätigkeit aus. Dem Aufenthaltsverbot liegt zu Grunde, dass er u.a. wegen schweren Betruges zu 18 Monaten Freiheitsstrafe, davon zwölf Monate bedingt nachgesehen, rechtskräftig verurteilt wurde. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 4. Dezember 1998 die Berufung gegen den erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Mit Bescheid vom 23. März 2001 wies die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn den türkischen Staatsangehörigen

I. Ü. (in der Folge: Zweitbeschwerdeführer) gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 in Verbindung mit insbesondere § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG unter Hinweis vor allem auf zwei strafrechtliche Verurteilungen des Zweitbeschwerdeführers (zu Geldstrafen) aus dem Bundesgebiet aus. Der Zweitbeschwerdeführer hält sich langjährig rechtmäßig in Österreich auf und geht einer Beschäftigung nach. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. Oktober 2001 die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verfahren zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

II. Die maßgeblichen Bestimmungen des nationalen Rechts:

Gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG können (aufenthaltsberechtigte) Fremde ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegen steht. Als einen solchen Versagungsgrund normiert § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit.

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Gemäß Abs. 2 hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (Z. 1).

Aus dem Wort "können" in § 34 FrG und "kann" in § 36 Abs. 1 leg. cit. ergibt sich, dass der Behörde Ermessen eingeräumt ist, von der Erlassung einer Ausweisung bzw. eines Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen.

Gemäß § 46 Abs. 1 FrG genießen EWR-Bürger Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit.

Gemäß § 48 Abs. 1 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Dabei kann nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden.

Gemäß § 88 Abs. 1 FrG hat über Aufenthaltsverbote in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, zu entscheiden. Gemäß § 94 Abs. 1 FrG entscheidet über Berufungen gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz, sofern nichts anderes bestimmt ist, die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz.

§ 66 AVG lautet:

"(1) Notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hat die Berufungsbehörde durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.

(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

(3) Die Berufungsbehörde kann jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."

Gemäß Art. 78a und 78b B-VG sind Sicherheitsdirektionen an Weisungen des Bundesministers für Inneres gebundene Verwaltungsbehörden. An der Spitze der Sicherheitsdirektion steht der Sicherheitsdirektor, der vom Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Landeshauptmann zu bestellen ist.

Gemäß Art. 130 B-VG erkennt der Verwaltungsgerichtshof über Beschwerden, womit Rechtswidrigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate behauptet wird. Gemäß Abs. 2 liegt Rechtswidrigkeit nicht vor, soweit die Gesetzgebung von einer bindenden Regelung des Verhaltens der Verwaltungsbehörde absieht und die Bestimmung dieses Verhaltens der Behörde selbst überlässt, die Behörde aber von diesem freien Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat.

§ 30 VwGG lautet:

"(1) Den Beschwerden kommt eine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes nicht zu. Dasselbe gilt für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist.

(2) Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn die Interessen Dritter berührt werden.

(3) Beschlüsse gemäß Abs. 2 sind allen Parteien zuzustellen. Im Falle der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat die Behörde den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Verfügungen zu treffen; der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte darf die Berechtigung nicht ausüben."

Gemäß § 41 Abs. 1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalts zu überprüfen. Daher kommt ihm nach ständiger Rechtsprechung im Tatsachenbereich (lediglich) die Befugnis zu, die Beweiswürdigung der belangten Behörde auf ihre Schlüssigkeit zu überprüfen.

Gemäß § 42 Abs. 1 VwGG ist entweder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen oder der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Gemäß Art. 144 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Rechtswidrigkeit von Bescheiden (lediglich) in Bezug auf ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht.

§ 85 VfGG lautet:

"(1) Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Der Verfassungsgerichtshof hat der Beschwerde auf Antrag

des Beschwerdeführers mit Beschluss aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist auf Antrag des Beschwerdeführers, der Behörde (§ 83 Abs. 1) oder eines etwa sonst Beteiligten neu zu entscheiden.

(3) Beschlüsse gemäß Abs. 2 sind dem Beschwerdeführer, der Behörde (§ 83 Abs. 1) und etwa sonst Beteiligten zuzustellen. Im Falle der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat die Behörde den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen; der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte darf die Berechtigung nicht ausüben.

(4) Wenn der Verfassungsgerichtshof nicht versammelt ist, so sind Beschlüsse gemäß Abs. 2 auf Antrag des Referenten vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes zu fassen."

Gemäß § 87 Abs. 1 VfGG hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte stattgefunden hat oder ob der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt worden ist, und gegebenenfalls den angefochtenen Verwaltungsakt aufzuheben. III. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts:

Art. 1, 2, 6, 8 und 9 der (in der Frage zitierten) RL lauten:

"Artikel 1

(1) Diese Richtlinie gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen.

(2) Diese Bestimmungen gelten auch für den Ehegatten und die Familienmitglieder, welche die Bedingungen der auf Grund des Vertrages auf diesem Gebiet erlassenen Verordnungen und Richtlinien erfüllen.

Artikel 2

(1) Diese Richtlinie betrifft die Vorschriften für die Einreise, die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet, welche die Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen.

(2) ......

Artikel 6

Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, bekanntzugeben, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit des Staates dieser Bekanntgabe entgegenstehen.

Artikel 8

Der Betroffene muss gegen die Entscheidung, durch welche die Einreise, die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert wird, oder gegen die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet die Rechtsbehelfe einlegen können, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen.

Artikel 9

(1) Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann.

Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.

(2) Die Entscheidungen über die Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis sowie die Entscheidungen über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet vor Erteilung einer solchen Erlaubnis werden der Stelle, deren vorherige Stellungnahme in Absatz (1) vorgesehen ist, auf Antrag des Betroffenen zur Prüfung vorgelegt. Dieser ist dann berechtigt, persönlich seine Verteidigung wahrzunehmen, außer wenn Gründe der Sicherheit des Staates dem entgegenstehen."

Art. 6, 7 und 14 Abs. 1 des ARB Nr. 1/80 lauten:

"Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.

Artikel 7

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind."

IV. Voraussetzungen der Vorlage:

Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinn des Art. 234 EG (wie vom Europäischen Gerichtshofs (in der Folge: EuGH) u. a. im Urteil vom 7. Mai 1998 in der Rechtssache C-350/96 "Clean Car Autoservice" gesehen) und vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung über die vorliegenden Beschwerdefälle die im Ersuchen um Vorabentscheidung wiedergegebenen Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes stellen.

V. Erläuterungen zu den Vorlagefragen:

1. Nach österreichischem Recht sind Ausweisungen und Aufenthaltsverbote mit Eintritt der Rechtskraft im Weg einer Abschiebung durchsetzbar und stellen somit eine "Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet" im Sinn der Art. 8 und 9 der RL dar. Für diese Maßnahmen sind Verwaltungsbehörden in einem zweistufigen Instanzenzug zuständig. Der Berufung an die Sicherheitsdirektion, die die erstinstanzliche Entscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in jeder Hinsicht, insbesondere auch auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen hat, kommt grundsätzlich aufschiebende Wirkung zu; es kann jedoch die Behörde erster Instanz u. a. bei Gefahr im Verzug die aufschiebende Wirkung ausschließen. Eine "zuständige Stelle" im Sinn des Art. 9 Abs. 1 der RL kennt das österreichische Recht nicht. Gegen den letztinstanzlichen Bescheid findet aber eine nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts statt, die jedoch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs im Bereich der Tatsachenkontrolle und im Fall der Anrufung des Verfassungsgerichtshofs auch im Bereich der zu prüfenden subjektiven Rechte eingeschränkt ist. Den Beschwerden kann die aufschiebende Wirkung gewährt werden, welche ex nunc eintritt. Beide Gerichtshöfe können den angefochtenen Bescheid nur aufheben, nicht jedoch abändern.

Der Erstbeschwerdeführer ist als Angehöriger eines Mitgliedstaates der EU in Österreich aufenthaltsberechtigt und erfüllt die Voraussetzung des Art. 1 der RL. Zu Art. 9 Abs. 1 der RL hielt der EuGH im Urteil vom 30. November 1995, Rechtssache C- 175/94 "Gallagher", fest, dass diese Vorschrift auch für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates gelte, die keine Aufenthaltserlaubnis benötigen (Randnr. 14).

In seinem Urteil vom 8. April 1976, Rechtssache 48-75 "Royer", führte der EuGH aus (Randnrn. 53 bis 61):

"Nach Artikel 8 der Richtlinie 64/221 muss jeder, der von einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet betroffen ist, gegen diese Entscheidung die Rechtsbehelfe einlegen können, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen. Mangels eines solchen Rechtsbehelfs muss der Betroffene nach Artikel 9 zumindest die Möglichkeit haben, sich vor einer zuständigen Stelle verteidigen oder vertreten zu lassen; diese muss eine andere sein als diejenige, die die Maßnahme zur Beschränkung seiner Freiheit getroffen hat. Die Mitgliedstaaten haben alle erforderlichen Anstalten zu treffen, um sicherzustellen, dass jeder von einer derartigen freiheitsbeschränkenden Maßnahme Betroffene tatsächlich in den Genuss des Schutzes kommt, den die Ausübung dieser prozessualen Rechte für ihn darstellt.

Diese Garantie würde indessen hinfällig, wenn die Mitgliedstaaten den Betroffenen durch die sofortige Vollziehung einer Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet die Möglichkeit abschneiden könnten, tatsächlich Vorteile aus den in der Richtlinie 64/221 garantierten Rechtsbehelfen zu ziehen. Ist im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 64/221 der Rechtsweg gegeben, so muss der Betroffene wenigstens die Möglichkeit erhalten, schon vor der Vollziehung der Entscheidung über die Entfernung aus dem Lande Klage zu erheben und damit die Aussetzung der Vollziehung der getroffenen Maßnahme zu erreichen. Dies ergibt sich auch aus der Verzahnung, die nach der Richtlinie zwischen den Artikeln 8 und 9 besteht, denn das Verfahren nach Artikel 9 ist den Betroffenen u. a. immer dann garantiert, wenn gerichtliche Rechtsbehelfe des Artikels 8 'keine aufschiebende Wirkung haben'. Außer in dringenden Fällen muss nach Artikel 9 das Rechtsbehelfsverfahren vor einer zuständigen Stelle der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet vorausgehen. Sonach darf die Entscheidung über die Entfernung - wenn im Sinne des Artikels 8 der Rechtsweg gegeben ist - erst vollziehbar sein, nachdem der Betroffene in der Lage war, Klage zu erheben. Ist der Rechtsweg nicht gegeben oder hat der gerichtliche Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung, dann kann die Entscheidung - außer in Fällen nachweislicher Dringlichkeit - nicht getroffen werden, bevor nicht der Betroffene Gelegenheit hatte, die in Artikel 9 der Richtlinie 64/221 bezeichnete Stelle anzurufen, und bevor nicht diese Stelle entschieden hat."

Im Urteil vom 22. Mai 1980, Rechtssache 131-79, "Santillo", hielt der EuGH fest, dass Artikel 9 der RL den Mitgliedstaaten Verpflichtungen auferlege, auf die sich die Einzelnen vor den innerstaatlichen Gerichten berufen könnten (Randnr. 13), und bejahte somit die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Bestimmung.

In der Rechtssache C-459/99 "MRAX" wies auch die österreichische Regierung unter Bezugnahme auf die genannten Urteile des EuGH darauf hin, die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet könne gegenüber einer durch das Gemeinschaftsrecht geschützten Person nicht vollzogen werden, bevor diese nicht die ihr durch die Artikel 8 und 9 der RL garantierten Rechtsbehelfsverfahren habe ausschöpfen können (zit. in Randnr. 95 des Urteils vom 25. Juli 2002).

In Bezug auf die österreichische Rechtslage ist vorerst zu prüfen, ob es sich bei dem im Art. 8 genannten "Rechtsbehelf" und somit bei dem im Einleitungssatz des Art. 9 genannten "Rechtsmittel" um einen "gerichtlichen Rechtsbehelf" (so wörtlich im zitierten Urteil "Royer") handeln muss.

Zu dieser Frage ist vorweg auf die anderen sprachlichen Fassungen der Richtlinie Bedacht zu nehmen. So lautet der Einleitungshalbsatz des Artikels 9 etwa in der englischen Fassung "Where there is no right of appeal to a court of law...", in der französischen Fassung "En l'absence de possibilites de recours juridictionnels..." und in der italienischen Fassung "Se non sono ammessi ricorsi giurisdizionali...".

Der EuGH hielt - Art. 3 der RL betreffend - im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rechtssache 30-77 "Bouchereau", fest (Randnr. 13/14), dass die verschiedenen sprachlichen Fassungen einer Gemeinschaftsvorschrift einheitlich ausgelegt werden müssen. Falls die Fassungen voneinander abweichen, muss die Vorschrift daher nach dem allgemeinen Aufbau und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu dem sie gehört.

Im Urteil vom 5. März 1980, Rechtssache 98-79 "Pecastaing", Randnr. 15, finden sich folgende grundsätzliche Aussagen über den in der RL eingeräumten Rechtsschutz:

"Artikel 9 der Richtlinie 64/221 ergänzt deren Artikel 8. Durch ihn soll den Personen, die durch eine der in der Richtlinie genannten Maßnahmen betroffen sind, ein Minimum an verfahrensmäßigem Schutz gewährleistet werden, wenn einer der drei besonderen Fälle vorliegt, die Artikel 9 Absatz 1 mit den Worten "sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben" umschreibt. Im ersten Fall soll die Möglichkeit der Anrufung einer "zuständigen Stelle", die eine andere als die für die Entscheidung zuständige Behörde sein muss, das Fehlen jeglichen gerichtlichen Rechtsbehelfs ausgleichen. Im zweiten Fall soll die Einschaltung der zuständigen Stelle eine umfassende Prüfung der Situation des Betroffenen, einschließlich der Zweckmäßigkeit der fraglichen Maßnahme, ermöglichen, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Im dritten Fall soll dieses Verfahren es dem Betroffenen ermöglichen, zu beantragen und gegebenenfalls zu erwirken, dass die Vollziehung der geplanten Maßnahme ausgesetzt wird, und ihm so einen Ausgleich dafür bieten, dass es nicht möglich ist, die Vollziehung durch die Gerichte aussetzen zu lassen."

Auch hier wird somit der Begriff "gerichtlicher Rechtsbehelf" verwendet. In Randnr. 22 dieses Urteils stellt der EuGH überdies klar, dass die RL bezüglich des in Artikel 8 vorgesehenen "Systems des Rechtsschutzes durch die Gerichte dem in Artikel 6 der EMRK niedergelegten Erfordernis eines fairen Prozesses gerecht" werde.

Allgemein zum Rechtsschutzerfordernis wird im Urteil vom 11. Juli 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-87/90 , C-88/90 und C-89/89 "Verholen", unter Hinweis auf ältere Rechtsprechung ausgeführt, es sei zwar grundsätzlich Sache des nationalen Rechts, die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu bestimmen, doch verlange das Gemeinschaftsrecht, dass die nationalen Rechtsvorschriften das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigen (Randnr. 24). Verdeutlicht wurde dieses Erfordernis eines effektiven Rechtschutzes etwa im Urteil vom 3. Februar 2000, Rechtssache C- 228/98 "Dounias", dahin, dass ein solcher effektiver Rechtschutz nur dann gewährleistet sei, wenn Entscheidungen einer innerstaatlichen Behörde, durch die ein vom Vertrag verliehenes Grundrecht verletzt wird, gerichtlich angefochten werden können (Randnr. 64). Unter Hinweis auf Vorjudikatur sprach der EuGH in jüngerer Zeit im Urteil vom 11. Jänner 2001, Rechtssache C-226/99 "Siples Srl", aus, das Erfordernis der gerichtlichen Überprüfbarkeit aller Entscheidungen einer nationalen Behörde stelle einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergebe und in den Art. 6 und 13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert sei (Randnr. 17). Dies bekräftigte er zuletzt im bereits zitierten Urteil vom 25. Juli 2002, Rechtssache C-459/99 "MRAX", und sprach auch aus, dass die Bestimmungen des Artikels 9 der RL hinsichtlich ihres persönlichen Anwendungsbereichs weit auszulegen seien (Randnr. 101).

Von diesen Grundsätzen ausgehend bejahte der EuGH bereits im Urteil vom 27. November 2001, Rechtssache C-424/99 , Kommission gegen Republik Österreich, einen Verstoß der Republik Österreich gegen ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen, weil sie die Richtlinie 89/105/EWG (betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme) nicht umgesetzt habe. Da die Entscheidung, ein Arzneimittel nicht in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse aufzunehmen, eine auf "objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung" enthalten müsse, müssten Rechtsmittel zur Verfügung stehen, die einen "wirksamen Rechtsschutz" gewährleisten können. Eine Kontrollinstanz vor einer Verwaltungsbehörde stelle kein Rechtsmittel vor "echten Rechtsprechungsorganen" dar (Randnr. 42f).

Angesichts der einheitlich auszulegenden Textfassungen der RL, dem in Artikel 6 der RL festgehaltenen Erfordernis einer begründeten Entscheidung und der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass im Sinn eines effektiven Rechtsschutzes - wie bereits im zitierten Urteil "Royer" wörtlich gefordert - ein gerichtliches Rechtsmittel gegen Entscheidungen nach Art. 8 der genannten Richtlinie gegeben sein muss.

Ein gerichtliches Rechtsmittel gegen Entscheidungen im Sinn des Art. 8 der RL ist nach innerstaatlichem Recht in der Form einer nachprüfenden Kontrolle bereits rechtskräftiger und vollstreckbarer Bescheide durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts mit den bereits genannten Beschränkungen vorgesehen, wobei diesen Gerichtshöfen allerdings eine "umfassende Prüfung der Situation des Betroffenen einschließlich der Zweckmäßigkeit der fraglichen Maßnahme" (Urteil "Pecastaing") verwehrt ist.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass

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