Normen
22002A0430(01) TransitAbk Schweiz;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public;
EURallg;
FrG 1997 §45 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
22002A0430(01) TransitAbk Schweiz;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public;
EURallg;
FrG 1997 §45 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
zu I) den Beschluss gefasst:
Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das zur hg. Zl. 2004/21/0164 protokollierte Verfahren eingestellt.
Zu II) zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid vom 7. Februar 2005 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 14. November 2003 erließ die Bezirkshauptmannschaft D. gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Schweiz, gemäß § 36 Abs. 1 und 3 iVm §§ 37, 39 und 48 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Sie erkannte gemäß § 45 Abs. 4 FrG einer Berufung gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung ab. Gemäß § 48 Abs. 3 FrG werde kein Durchsetzungsaufschub gewährt.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf das rechtskräftige Urteil des Kantonsgerichtes St. Gallen (Schweiz) vom 25. März 1999, mit dem der Beschwerdeführer wegen mehrfacher Förderung der Prostitution, mehrfacher Vergewaltigung, einfacher und qualifizierte Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, Erschleichens einer Falschbeurkundung, versuchter Nötigung, mehrfachen Pfändungsbetruges, mehrfachen Betruges, Gehilfentäterschaft zum versuchten Betrug, Anstiftung zur Fälschung von Kontrollschildern, Verwendung gefälschter Kontrollschilder, Irreführung der Rechtspflege, Begünstigung sowie einfacher und qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden sei. Im Hinblick auf diese massive Delinquenz liege es auch bei einem Schweizer Staatsbürger, der sich sichtvermerksfrei im Bundesgebiet aufhalten dürfe, im öffentlichen Interesse iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK, derartige Aufenthalte künftig zu unterbinden.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 10. Dezember 2003 Berufung, mit der der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung verbunden wurde.
I) Verfahren über die zur hg. Zl. 2004/21/0164 protokollierte Beschwerde:
Mit Bescheid vom 10. Mai 2004 setzte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg das Berufungsverfahren gemäß § 38 AVG bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) über die Vorabentscheidungsanfrage des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 2003, Zl. 99/21/0118 und Zl. 2002/21/0067 (EU 2003/0001 und 0002), aus.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, auf den Beschwerdeführer als Schweizer Staatsangehörigen kämen auf Grund des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizer Eidgenossenschaft die Sonderbestimmungen für EWR-Bürger über den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen gemäß § 48 FrG sowie das entsprechende Gemeinschaftsrecht zur Anwendung. Die Entscheidung des EuGH über dessen Auslegung, also eine Vorfrage iSd § 38 AVG, sei auch für den gegenständlichen Sachverhalt relevant.
Dagegen richtet sich die zur hg. Zl. 2004/21/0164 protokollierte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Mit Urteil vom 2. Juni 2005, Rs C-136/03 ("Dörr und Ünal") hat der EuGH über das genannte Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 2003 entschieden. Damit ist der Aussetzungsbescheid, der dadurch seine Wirksamkeit verloren hat, gegenstandslos geworden. An dieser Rechtsfolge kann auch die Argumentation des Beschwerdeführers in der ihm vom Verwaltungsgerichtshof eingeräumten Äußerung mit Beeinträchtigungen wegen - in der Vergangenheit erfolgter - Verfahrensverzögerungen nichts ändern. Im Einzelnen wird gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 9 VwGG auf die Begründung im hg. Beschluss vom 28. Februar 2006, Zl. 2005/21/0086, verwiesen. In sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG war somit das Verfahren wegen Gegenstandslosigkeit der Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat einzustellen.
Bei der nach § 58 Abs. 2 erster Halbsatz VwGG zu treffenden Kostenentscheidung war davon auszugehen, dass - wie in der Erledigung zu Punkt II näher dargestellt wird - der Aussetzungsbescheid berechtigt war. Da die obsiegende belangte Behörde jedoch die Zuerkennung von Aufwandersatz nicht beantragte, hatte ein diesbezüglicher Ausspruch zu unterbleiben. II) Verfahren über die zur hg. Zl. 2005/21/0053 protokollierte Beschwerde:
Nach Zustellung des vorgenannten Aussetzungsbescheides vom 10. Mai 2004 stellte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 11. Juni 2004 den Antrag an das Bundesministerium für Inneres auf Übergang der Entscheidungszuständigkeit über seinen mit der Berufung vom 10. Dezember 2003 verbundenen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Devolutionsweg. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg habe das Verfahren über die Berufung mit Bescheid vom 10. Mai 2004 (wie oben dargestellt) ausgesetzt, ohne über den damit verbundenen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden.
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom 7. Februar 2005 gab die Bundesministerin für Inneres "in Stattgebung des Devolutionsantrages" dem in der Berufung gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß "§ 73 Abs. 1 und 2 iVm § 66 Abs. 4 AVG und § 45 Abs. 4 FrG keine Folge".
Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage führte die belangte Behörde begründend aus, die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg als Berufungsbehörde habe das Berufungsverfahren zwar ausgesetzt, jedoch "sonst" bis zum Einlangen des Devolutionsantrages keine Entscheidung gefällt. Dem Devolutionsantrag sei daher stattzugeben gewesen. Inhaltlich sei der erstinstanzliche Bescheid über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der Vielzahl der vom Beschwerdeführer begangenen Vergehen und Verbrechen allerdings nicht zu beanstanden (wird näher begründet).
Gegen diesen Bescheid, soweit er "die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Berufung verweigerte", richtet sich die zur hg. Zl. 2005/21/0053 protokollierte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Zunächst ist anzumerken, dass der zu Punkt I angefochtene Aussetzungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg nach dem aus dem objektiven Bescheidinhalt klar zum Ausdruck kommenden Entscheidungswillen dieser Behörde nicht (auch) den mit der Berufung verbundenen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung umfasst hat.
Das am 1. Juni 2002 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (Amtsblatt Nr. L 114 vom 30. April 2002, S. 6 bis 72) lautet auszugsweise:
"I. GRUNDBESTIMMUNGEN
Artikel 1
Ziel
Ziel dieses Abkommens zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz ist Folgendes:
a) Einräumung eines Rechts auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien;
...
Artikel 4
Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit.
Das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit wird vorbehaltlich des Artikels 10 (Anmerkung: hier nicht in Betracht kommende Übergangsbestimmungen) nach Maßgabe des Anhangs I eingeräumt.
...
Artikel 7
Sonstige Rechte
Die Vertragsparteien regeln insbesondere die folgenden mit der Freizügigkeit zusammenhängenden Rechte gemäss Anhang I:
a) Recht auf Gleichbehandlung mit den Inländern in Bezug auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung sowie auf die Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen;
b) Recht auf berufliche und geographische Mobilität, das es den Staatsangehörigen der Vertragsparteien gestattet, sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates frei zu bewegen und den Beruf ihrer Wahl auszuüben;
...
Artikel 16
Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht
1. Zur Erreichung der Ziele dieses Abkommens treffen die Vertragsparteien alle erforderlichen Maßnahmen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden.
2. Soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird hierfür die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet. Um das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, stellt der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung fest."
Artikel 5 im Anhang I dieses Abkommens lautet:
"Artikel 5
Öffentliche Ordnung
(1) Die aufgrund dieses Abkommens eingeräumten Rechte dürfen nur durch Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden.
(2) Gemäß Artikel 16 dieses Abkommens wird auf die Richtlinien 64/221/EWG (ABl. 56, vom 4.4.1964, S. 850) (3), 72/194/EWG (ABl. L 121, 26.5.1972, S. 32) und 75/35/EWG (ABl. L 14, vom 20.1.1975, S. 10) (4) Bezug genommen."
Aus der Anwendbarkeit dieses Abkommens und der Maßgeblichkeit der vorgenannten Richtlinien auch für den Beschwerdeführer als Schweizer Staatsbürger ist zunächst zu folgern, dass der zu Punkt I angefochtene Aussetzungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundsland Vorarlberg zu Recht ergangen war. Die dem erwähnten Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu Grunde liegenden Fragen sind nämlich im Umfang der Auslegung der Richtlinie 64/221/EWG auch für den Beschwerdeführer präjudiziell gewesen.
Im besagten Vorabentscheidungsersuchen wurde offen gelegt, dass Zweifel an der Vereinbarkeit des staatlichen Rechts mit der Richtlinie 64/221/EWG bestehen. Für einen solchen Fall wird vertreten, dass bis zur endgültigen Entscheidung durch den EuGH - allenfalls durch Erlassung einstweiliger Anordnungen - vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist (vgl. näher Potacs, Verhandlungen des 14. Österreichischen Juristentages (2000), I/1, 40 f, mwN).
Umso weniger darf eine nach nationalem Recht vorgesehene aufschiebende Wirkung ausgeschlossen werden, wenn Zweifel an der Vereinbarkeit einer staatlichen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht bestehen. Die an sich vorgesehene aufschiebende Wirkung der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren erhobenen Berufung hätte daher im vorliegenden Fall nicht gemäß § 45 Abs. 4 FrG ausgeschlossen werden dürfen.
Das hat die belangte Behörde verkannt und damit den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Dieser war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung
konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die
§§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 25. April 2006
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