VwGH 2005/21/0113

VwGH2005/21/01138.9.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerden 1.) des G (in der Folge: Erstbeschwerdeführer), vertreten durch Dr. Helmut Rantner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 15/II, und durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 4. Dezember 1998, Zl. Fr-1753-1/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (hg. Zl. 2005/21/0113), und 2.) des I (in der Folge: Zweitbeschwerdeführer), vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 3. Oktober 2001, Zl. Fr-4250b-10/01, betreffend Ausweisung (hg. Zl. 2005/21/0114), zu Recht erkannt:

Normen

31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
EURallg;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §34 Abs1 Z2;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §48 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §47 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z2;
VwGG §48 Abs1;
VwGG §49 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
EURallg;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §34 Abs1 Z2;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §48 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §47 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z2;
VwGG §48 Abs1;
VwGG §49 Abs1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 und dem Zweitbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt vom 1. Oktober 1998 wurde gegen den Erstbeschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, gemäß § 48 Abs. 1 und 3 und § 36 Abs. 1 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Erstbeschwerdeführer ist verheiratet und lebt seit 1992, gemeinsam mit seiner Familie seit 1995, in Österreich und übt im Inland eine berufliche Tätigkeit aus. Dem Aufenthaltsverbot liegt zu Grunde, dass er u.a. wegen schweren Betruges zu 18 Monaten Freiheitsstrafe, davon zwölf Monate bedingt nachgesehen, rechtskräftig verurteilt wurde. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 4. Dezember 1998 die Berufung gegen den erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Mit Bescheid vom 23. März 2001 wies die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn den Zweitbeschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit insbesondere § 10 Abs. 2 Z 3 FrG unter Hinweis vor allem auf zwei strafrechtliche Verurteilungen (zu Geldstrafen) aus dem Bundesgebiet aus. Der Zweitbeschwerdeführer hält sich langjährig rechtmäßig in Österreich auf und geht einer Beschäftigung nach. Er ist auf Grund des ihm erteilten Befreiungsscheines unbeschränkt arbeitsberechtigt. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. Oktober 2001 die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verfahren zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

Ausgehend davon, dass der Erstbeschwerdeführer ein im Inland erwerbstätiger Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und der Zweitbeschwerdeführer nach Art. 6 des - unten zitierten - ARB berechtigt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. März 2003, Zlen. 99/21/0018-12 und 2002/21/0067- 10, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Sind die Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (RL), dahin auszulegen, dass die Verwaltungsbehörden - ungeachtet des Bestehens eines innerbehördlichen Instanzenzuges - die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet ohne Erhalt der Stellungnahme einer (in der österreichischen Rechtsordnung nicht vorgesehenen) zuständigen Stelle nach Art. 9 Abs. 1 der RL - außer in dringenden Fällen - dann nicht treffen dürfen, wenn gegen ihre Entscheidung bloß die Erhebung von Beschwerden an Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts mit nachgenannten Einschränkungen zulässig ist: Diesen Beschwerden kommt nicht von vornherein eine aufschiebende Wirkung zu, den Gerichtshöfen ist eine Zweckmäßigkeitsentscheidung verwehrt und sie können den angefochtenen Bescheid nur aufheben; weiters ist der eine Gerichtshof (Verwaltungsgerichtshof) im Bereich der Tatsachenfeststellungen auf eine Schlüssigkeitsprüfung, der andere Gerichtshof (Verfassungsgerichtshof) darüber hinaus auf die Prüfung der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte beschränkt?

2. Sind die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der unter Pkt. 1. genannten RL auf türkische Staatsangehörige anzuwenden, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zukommt?"

Mit Urteil vom 2. Juni 2005, Rs. C-136/03 , erkannte der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen in nachgenannter Weise für Recht:

"1. Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der gerichtliche Rechtsbehelfe gegen eine Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, die gegenüber einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ergeht, keine aufschiebende Wirkung haben und die genannte Entscheidung im Rahmen dieser Rechtsbehelfe nur auf ihre Gesetzmäßigkeit hin überprüft werden kann, wenn keine zuständige Stelle im Sinne der genannten Bestimmung eingerichtet worden ist.

2. Die Rechtsschutzgarantien der Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221 gelten für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der zitierten Entscheidung des EuGH liegt zu Grunde, dass unter dem "Rechtsmittel" im Sinn des Art. 9 der RL ein gerichtliches Rechtsmittel zu verstehen ist, mit dem auch eine Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme erreicht werden kann und dem automatisch eine aufschiebende Wirkung zukommen muss. Existiert ein derartiges Rechtsmittel nicht, darf die Verwaltungsbehörde ihre Entscheidung - betreffend Eingriffsmaßnahmen wie die vorliegenden - (außer in dringenden Fällen) erst nach Erhalt der Stellungnahme der in Art. 9 der RL näher umschriebenen "anderen zuständigen Stelle" treffen. Die im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide bestehende - im Vorabentscheidungsersuchen dargelegte - innerstaatliche Rechtslage ließ eine dem Gemeinschaftsrecht im oben dargestellten Sinn entsprechende Verhängung der gegenständlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen - dass ein dringender Fall im Sinn des Art. 9 Abs. 1 der RL vorliege, wurde von den belangten Behörden nicht ins Treffen geführt - nicht zu.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es für den beantragten Zuspruch von Einheitssatz keine rechtliche Grundlage gibt und die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen bereits enthalten ist. Weiters bildet das Kostenersatzrecht des VwGG keine Grundlage für den begehrten Ersatz der Kosten

für die Beteiligung am Verfahren vor dem EuGH (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 1999, Zl. 99/10/0069). Wien, am 8. September 2005

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